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Von vorne LXXI

Von vorne LXXI,

die Weltbürgerrebellion ist bereits ausgebrochen. Rund um den Planeten werden Regierungen angezweifelt und bekämpft. Bislang mit vorwiegend friedlichen Mitteln.

Oft stehen lokale Motive am Anfang – die sich in rasender Entwicklung zu weltweit-existentiellen Beweggründen ausdehnen. Sehen die Unzufriedenen keine Chance mehr, durch Beeinflussen ihrer nationalen Mächte ihr Schicksal zu verändern, packen sie ihr Bündel, um in massenhaften Flüchtlingsströmen in Weltregionen zu fliehen, die sie für privilegiert halten.

Längst zeichnet sich ab, welche Erdregionen bald unbewohnbar sein werden und dass die bevorzugten Länder nicht in der Lage sind oder mit allen diplomatischen und gewaltsamen Mitteln ablehnen werden, die in Todesangst fliehenden Millionen bei sich aufzunehmen.

Doch nicht verzagen, Wissenschaft fragen. Sie erzeugt alle Probleme und wird sie alle lösen – indem sie neue, noch größere Probleme schaffen und sie mit noch genialeren Methoden lösen wird: und das in endlos-aufsteigenden Spiralen bis ans Ende der Welt. Endloses Ende? Für endlos-geniale, ihren Erfindern unverständliche, gleichwohl grenzenlos-kreative Maschinen das Geringste aller Probleme.

Die Wissenschaft begann ihren Siegeszug als Entdeckerin wunderbar verlässlicher, berechenbarer kosmischer Harmonie. Das Gerippe der Welt bestand aus einem zeitlos-gültigen Gefüge ganzer Zahlen. Als die Irrationalzahlen ins Leben der Forscher einbrachen, war es ein Schock für die harmoniebedürftigen Mathematiker der ersten Stunde.

Dabei hätte es keine Überraschung sein dürfen. Das Irrationale hatte sich bereits an anderer Stelle gemeldet: in der demokritischen Atomlehre, wonach sich die kleinsten Teilchen der Welt nicht regelmäßig, sondern unberechenbar-zufällig 

 bewegten. Das Leben auf Erden verlief viel zu willkürlich und unvorhersehbar, als dass die zugrunde liegenden kleinsten Bausteine sich zufallsfrei im Weltall hätten bewegen können.

Einerseits die mathematische Transparenz und Regelhaftigkeit der Natur, andererseits ihre sich immer wieder erneut einstellende Irregularität.

Das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit wurde durch Erkenntnis mathematischer Strukturen gestillt und zugleich durch nicht mathematisch erfassbare Zufälligkeiten erschüttert. Dieses polare Schwanken zwischen Sicherheit und bedrohlicher Unsicherheit ist noch heute das Grundgefüge der Menschheit.

Für Leibniz war die Natur ein perfektes Uhrwerk, das auf keine nachregulierende Intervention eines „Schöpfers“ angewiesen war. Ein Widerspruch zu seinem Eingeständnis nach dem Erdbeben von Lissabon, dass seine prästabilierte Harmonie gar nicht so harmonisch war, wie er es gedacht hatte. (Voltaire hatte über Leibnizens Vollkommenheitsglauben gespottet, doch auch die französischen Aufklärer setzten auf eine vollständig determinierte Natur.)

Menschen fühlen sich zu Hause, wenn sie an ihrem Lebensort mit allem vertraut sind und nichts Fremdes und Bedrohliches fürchten müssen. Da es eine solch zufallsfreie Lebenswelt nicht gibt, erfanden die Menschen göttliche Mächte, um das Bedrohliche und Unbeherrschbare zu reduzieren.

Vielgötterei löste das Problem nur unvollkommen, denn die Götter zankten und rauften wie die Groko in Berlin. Also weg vom Polytheismus und hin zum Monotheismus.

Ein allmächtiger Gott, gar als Schöpfer aus Nichts schien verheißungsvoller als eine Bande wirrer Egoisten, die eine verlässliche Ordnung nicht zustande brachten. Ein einziger omnipotenter Gott: das schien die Lösung aller Konflikte – wenn es da nicht das leidige Problem des unbesiegbaren menschlichen Leids auf Erden gegeben hätte.

Wie war die Unvollkommenheit der Welt mit der Allmacht eines Gottes vereinbar? Nur durch gigantische Erzählungen von menschlicher Schuld, Sündenfall und Erlösung der missratenen Kreatur in einem unbekannten Jenseits. Ein genialer Versuch, die Lebensrätsel zu lösen: allein vergeblich. Wozu benötigte dieser Gott unvollkommene Geschöpfe und eine endlose Heilsgeschichte, wenn er wirklich vollkommen gewesen wäre? Warum muss er seine Geschöpfe einer geschichtlichen Heilstortur unterziehen, um wenige zu retten und die meisten zu verdammen?

Bei näherem Zusehen entpuppte sich der Allmächtige als psychisch gespaltener liebesbedürftiger Psychopath, der seine eigenen Probleme durch Erlösung seiner Kreaturen extern lösen wollte. Versprechungen und Verheißungen dieses Gottes beziehen sich auf eine Zukunft, die sich ins Unendliche verzieht. Alles, was sich auf Zukunft bezieht, erklärt seinen Bankrott, die Gegenwart zu befrieden.

Newtons Uhrmacher war, im Gegenteil zu dem Leibniz‘schen, auf ständiges Nachregulieren angewiesen. Seine begrenzte Macht, seine partielle Ohnmacht war nicht zu übersehen. Die unsichtbare Hand von Adam Smith war eine Anleihe bei Newton, übertragen auf das wirtschaftliche Geschehen.

Die Moderne schwankt zwischen Newtons Nachbessern und Leibnizens laisser faire als Vertrauen in den perfekten Mechanismus der Natur oder der Wirtschaft oder des menschlichen Schicksals.

Nachbessern ist sozialdemokratischer Glaube an ein stets zu verbesserndes Marktgeschehen. Laisser faire ist der neoliberale Glaube an die Vollkommenheit der Evolution in allen Bereichen menschlichen Lebens.

Wer diese Vollkommenheit verbessern wolle, würde sie verschlimmern. Daher der Vorwurf des „Verschlimmbesserns“ an alle Reformbewegungen. (Wer den Himmel auf Erden haben will, bekommt die Hölle. Hayek, Popper)

Einer der entscheidenden Prägepunkte des Abendlandes war das Aufeinandertreffen des pythagoreischen Glaubens an die Harmonie der Mathematik auf den unberechenbaren jähzornig-liebesbedürftigen Gott der Christen, der sich seit den jüdischen Propheten zum einzigen Gott aufgeschwungen hatte.

Auf den ersten Blick war diese Paarung ein Ding der Unmöglichkeit. „Eine Maschine setzt ja einen bewussten und intelligenten Erbauer voraus, der sie konstruiert und wirken lässt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.“ (Dijksterhuis, Die Mechanisierung des Weltbildes) Konnte ein irrationaler Gott eine rationale Naturmaschine erfinden?

Schaut man sich die finale Gefährdung der Moderne an, kann niemand auf die Idee kommen, a) eine vollkommene Maschine oder b) einen vollkommenen Schöpfer oder c) alle varianten Zusammenhänge von a) und b) zu erwarten.

Da das Abendland eine Zwangsehe aus Griechen- und Christentum, vernünftiger Mathematik und irrationalem Glauben ist, musste es zu Kompromissen kommen, deren Fragwürdigkeit („faule Kompromisse“) die Gegenwart belasten und zur finalen Gefährdung beitragen.

Das Entstehen der Naturwissenschaft im ausgehenden Mittelalter war geprägt vom Bedürfnis der Intellektuellen, der Unberechenbarkeit ihres unzuverlässigen Gottes durch Flucht in verlässliche Mathematik zu entfliehen. Versagt der biblische Gott, kann nur heidnisch-berechenbare Natur helfen, die man, um das Misstrauen der Priester zu zerstreuen, zum Geschöpf jenes Gottes erklären konnte.

Auf den ersten Blick eine geniale Synthese, die im Siegeslauf der modernen Naturwissenschaft, gepaart mit dem Vernunftgott der Aufklärung, wahre Triumphe feierte. Spätestens mit der Möglichkeit, durch atomaren Krieg die Erde zu zerstören, war die Synthese zerstört. Seitdem suchen die meisten Naturwissenschaftler wieder den „lebendigen“ Gott des Glaubens, um den Gefahren eines brüchigen Vertrauens in Wissenschaft und Technik zu entgehen.

Francis Bacons blinder Glaube an die Wissenschaft durch sein Motto: Wissen ist Macht, wurde erschüttert, als die Wissens-Macht fähig wurde, Natur und Mensch auszulöschen. Die Naturwissenschaftler, durch Hiroshima und Nagasaki geschockt, verdrängten ihre fundamentale Krise durch Hoffnung auf die Zukunft, die unerhört neue Erfindungen hervorbringen würde, um den Kollaps ihrer Zunft vergessen zu machen. Hatten doch Technik & Wissenschaft die Zuversicht verbreitet, durch immer neue Erkenntnisse den Fortschritt der Menschheit ins Endlose voranzutreiben.

Bis zur Französischen Revolution war der Fortschrittsglaube der Aufklärer eine technische wie moralische Angelegenheit. Als die politischen Reaktionsbewegungen die Hoffnungen der Revolution verdunkelten, wurde der moralische Fortschritt vom technischen verschlungen.

Seitdem kann man auf Moral verzichten beim Lösen schwieriger Probleme. Seitdem erwarten die Wissenschaftler die Lösung aller moralisch-politischen Probleme allein durch Fortschritt der Technik & Wissenschaft. Hier gründet der Glaube gegenwärtiger Eliten – Merkel inbegriffen –, das Klimaproblem durch neue Technik in den Griff zu kriegen.

Schauen wir zurück auf den pythagoreisch-christlichen Kompromiss, sehen wir, dass wir die Hälfte des Problems unerwähnt ließen: was, wenn auch die griechische Wissenschaft an Willkür und Zufall in der Welt geglaubt hätte? Dann wären die gläubigen Wissenschaftler vergeblich vor dem christlichen Willkür-Gott ins kosmische Urvertrauen der Griechen geflohen. Ja, Mathematik schien verlässlich, aber das Zufallsgeschehen der Atomistiker öffnete aller Willkür Tür und Tor.

Dijksterhuis behauptet zwar, „die Naturwissenschaft als solche habe weder einem überirdischen Schöpfer des Weltalls noch einem außerirdischen Ziel der Geschichte irgendwelche Aufmerksamkeit gewidmet.“ Vom griechischen Ursprung her gewiss nicht. Aber durch erzwungene Synthesen mit den christlichen Dogmen blieb ihr nichts anderes übrig. Zwar wurde das heidnische Denken von der Scholastik als niedere Erkenntnis der Welt eingefügt. Ging‘s aber ans Eingemachte – an das Seelenheil –, musste jeder kirchenfeindliche Heide mit Tod und Verdammnis rechnen.

Der Atomistik gelang es nicht, den griechischen Urglauben an die zyklische Vollkommenheit der Natur zu destruieren. Im Gegenteil, die Stoa war in kosmischer Zuversicht nicht zu übertreffen. Auch der zyklische Weltenbrand (ekpyrosis) war für sie nur eine kathartische Zwischenepoche auf dem Pfad der Wiederkehr des Gleichen. Eine naturalistische Wiedergeburt war inkompatibel mit der linearen Geschichte der Christen, die im apokalyptischen Feuer die Majorität der Menschen verschlang.

Bertrand Russell, philosophierender Mathematiker, sah in der Mathematik die „Hauptquelle des Glaubens an eine ewige und exakte Wahrheit, sowie an eine übersinnliche, intelligible Welt“. Er unterscheidet eine rationalistische von einer apokalyptischen Religion und behauptet,

„dass die rationalistische Religion – im Gegensatz zur apokalyptischen – seit Pythagoras von der mathematischen Methode beherrscht worden sei.“ (Philosophie des Abendlandes)

Russell vergisst, dass der christliche Glauben in der Aufklärung zwar rationalistischer wurde, untergründig aber immer eschatologisch-apokalyptisch blieb, was in der Romantik wieder an die Oberfläche kam. Vom mittelalterlichen Mönch di Fiore über Luther, Hegel, Marx bis zum 1000-jährigen Reich dominierte das Endzeitmodell der Geschichte. In Amerika verband es sich äußerlich mit der Demokratie und erlebt unter Trump fröhliche Urständ, die alles erzwungen Demokratische wieder abstoßen.

„Die Verbindung von Mathematik mit Theologie, die mit Pythagoras begann, ist für die Religionsphilosophie in Griechenland, im Mittelalter und in der modernen Zeit bis zu Kant charakteristisch. Ich wüsste keinen zweiten, der auf dem Gebiet des Denkens ebenso einflussreich gewesen wäre wie Pythagoras. Die ganze Vorstellung von einer ewigen Welt, die sich dem Intellekt, aber nicht den Sinnen offenbart, stammt von ihm. Ohne ihn hätten die Christen in Christus nicht Das Wort gesehen.“ (Russell)

Russell übertreibt. Ganz falsch aber sind seine Hinweise auf die griechischen Wurzeln des Christentums nicht. Heute treten quantitative Wissenschaftler auf, als hätten sie die einzige Möglichkeit gepachtet, die Wahrheit der Dinge ans Licht zu bringen. Wer keine Zahlen vorzuweisen hat, kann seine wissenschaftliche Solidität vergessen.

Das Denken des mündigen Menschen mit Hilfe seines Verstandes „ohne Leitung eines anderen“ bringt heute nichts mehr. Alle Geisteswissenschaften sind quantitativ verseucht. Jede Emotion, jede Moral, jedes Verhalten muss aus dubiosen Experimenten mathematisch abgeleitet werden.

Theologen spielen in Europa nur noch die Rolle ritueller Schamanen. Die wahren Propheten der Gegenwart sind Techniker und Wissenschaftler, die ununterbrochen neue phantastische Prophetien auf die Welt loslassen. Und die Welt liegt auf den Knien, um digitale Offenbarungen anzubeten oder in blindem Glauben in ihr politisches Leben zu übernehmen.

Christian Stöcker berichtet von der jüngsten Prophezeiung einer Supermaschine, die offenbar ungewollt ins Reich der Sterblichen drang: der Quantencomputer, der allen Rechnern um Welten überlegen sein soll:

„Mit Quantencomputern kann man, theoretisch, hervorragend bisherige Verschlüsselungsmechanismen knacken. Womöglich wird all die verschlüsselte Information, die NSA und Five-Eyes-Geheimdienste derzeit horten, eines Tages vollständig lesbar. Wenn das passiert, wird es den Globus erschüttern. Hartmut Neven hat einmal gesagt, mit doppelt exponentiellem Wachstum verhalte es sich so: „Es sieht aus, als ob gar nichts passiert, und dann – ups – ist man in einer anderen Welt.““ (SPIEGEL.de)

In einer andern Welt: das ist Prophetie vom Stamm der Erlöserprophetien. Unter einer nagelneuen andern Welt tun sie’s nicht.

„Es könnte schon morgen einige Überraschungen geben.

Mathematiker und KI-Hersteller übertreffen sich in Zukunftsverheißungen, die über die wehrlose Menschheit hinwegrollen werden. Über eine sogenannte liberale Welt, die stolz auf ihre freie Selbstbestimmung ist.

Wenn‘s um Risiken, Macht über Natur und Mensch und grenzenlosen Reichtum geht, werden Liberale zu Knechten technischer Mathematik. Eine eschatologische Naturwissenschaft hat das Erbe von Jesaja, Jeremia, Jesus und Johannes angetreten. Das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes, wurde zur Offenbarung von Silicon Valley, im Fall des Quantencomputers, der alle Sicherungssysteme der Feinde knackt und die finale Herrschaft auf Erden übernimmt.

Niemand wird gefragt, ob er von diesen Maschinen beglückt werden will. Was Propheten aus dem Geist der Zahlen erfinden, wird wie ein Verhängnis die Welt fluten. Widerstand zwecklos.

Die Wirkung der neuesten Wundermaschinen-Prophetie auf die Zeitgenossen wirkt wie Joachim di Fiores Wirkung auf seine Zeit:

„Joachims Entdeckungen, Visionen und Prophezeiungen eines „neuen Zeitalters“ fielen auf Zunder und wirkten wie Zauber auf seine Jünger und Anhänger. Das gipfelte in der Ankündigung eines Pariser Theologen, wonach die Ära des Ewigen Evangeliums, die Ordnung des Heiligen Geistes, in sechs Jahren (1260) beginnen werde.“ (zit. in Löwith, „Weltgeschichte und Heilsgeschehen“)

Heute haben wir die Lehre des di Fiore technisch realisiert. Ein ungeheurer Fortschritt des Heiligen Geistes. Löwith kommentiert:

Di Fiores eschatologische Verkündigung „wurde fünf Jahrhunderte später von philosophischen Priestern aufgegriffen, die den Prozess der Säkularisation als eine „geistige“ Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden deuteten. Als Versuch zur Verwirklichung konnten die fortschrittlichen Denkformen von Lessing, Fichte, Schelling und Hegel in die positivistischen und materialistischen von Comte und Marx verwandelt werden. Das „dritte Testament“ erschien als „Dritte Internationale“ und wurde als „Drittes Reich“ verkündet von einem dux oder Führer, der als Erlöser bejubelt und von Millionen mit „Heil“ begrüßt wurde. Die Quelle dieser Versuche, Geschichte durch Geschichte zu vollenden, ist die Erwartung Franziskanischer Spiritualen, dass ein letzter Kampf das Heilsgeschehen zu seiner weltgeschichtlichen Erfüllung und Vollendung führen werde.“

In Amerika ist der Glaube an das triumphale Ende der Geschichte in zweierlei Formen vorhanden: in Form eines biblizistischen Glaubens an die Wiederkehr des Herrn und in der Form technischer Welterneuerung durch Silicon Valley.

In Europa ist der Glaube an die Wahrheit der johanneischen Offenbarung aus dem Bewusstsein verschwunden. Doch seine Übersetzung in technische Realisierung, die zur Endherrschaft Amerikas über die Welt führen wird, ist ungebrochen.

Der sogenannte Fortschritt ist nichts anderes als die gefühlte und ersehnte Annäherung an ein charismatisches Ende der Geschichte.

Schon vor Monaten erschien im SPIEGEL ein Bewunderungsartikel über den prophetischen Quantencomputer und seinen deutschen (!) Kreator.

„“Wir sind bald acht Milliarden Menschen, aber wir haben nicht die technologischen Grundlagen, um acht Milliarden Menschen einen westlichen Lebensstil zu ermöglichen, ohne enorme ökologische Schäden zu verursachen.“ Dazu müssten wir zunächst „unsere industriellen Grundlagen umstellen, ganz schnell ändern, wie wir Energie erzeugen, nutzen und speichern“. Und bei der Lösung dieser Schicksalsfrage könnten Quantenprozessoren erheblich helfen.“ (SPIEGEL.de)

Das also ist die Wundermaschine, auf die Merkel & Co hoffen und vertrauen. „Diese Maschine wird unser Leben verändern“ lautet die Überschrift des Artikels. Sonst nichts. Milliarden Menschen haben in schicksalhafter Ergebung zu erwarten, welch gigantische Vorgänge über sie hinweg rollen werden – ob sie wollen oder nicht.

Rein zufällig ähnelt die wirre Quantenbasis der Unbegreiflichkeit des Evangeliums, das allen Erwartungen des Verstandes Hohn spricht. Je verrückter, umso heiliger oder technisch genialer:

„Die Regeln der klassischen Physik gelten hier nicht, erst recht nicht die der menschlichen Intuition: Objekte können in mehreren Zuständen zugleich existieren, wie ein Fernseher, der gleichzeitig an- und ausgeschaltet ist. Partikel verändern sich, wenn sie beobachtet werden, als wäre der Himmel nur blau, wenn man hinschaut – sonst aber rot.“

Die Fähigkeiten der neuen Maschine ähneln den unverständlichen Wundern des Glaubens:

„Aber wenn man diese Quanten beherrschen könnte, was für Möglichkeiten böten sich dann? Unglaubliche, auch das ahnte schon Einstein. Mit einem Quantencomputer ließe sich quasi die Natur selbst berechnen, denn er würde ausgewählte Aufgaben Millionen Mal schneller lösen als die größten heutigen Supercomputer – und damit Dinge ermöglichen, die bislang undenkbar sind. Es wäre ein Computer, der alles, was denkbar ist, auch berechnen kann. Ein Superhirn. Eine Maschine für alles.“

Superlativischer können die Superlative nicht sein. Je absurder alles klingt, umso wahrscheinlicher wird es sein. Credo, quia absurdum. Es scheint nicht zu hoch gegriffen: der Quantencomputer scheint die seit Jahrhunderten erwartete, schon von Alchimisten erhoffte Maschine der Maschine zu sein: die Erlösungsmaschine, Christus in digitaler Gestalt. Kniet nieder und betet an.

„Die Quanten zu beherrschen wäre insbesondere eine Revolution für die Industrie, für Maschinenbauer, Chemiefabrikanten, Autokonzerne. Es wäre eine Zeitenwende, mit Folgen für die gesamte Wirtschaft. Und sie steht, so scheint es, kurz bevor.“

Bislang war Christus die Zeitenwende, nun wird er transsubstantiiert in Metall und Mathematik.

„Und wie das mit Revolutionen mitunter so ist, verspricht die zweite größer zu werden als die erste. Sie könnte, sagen nicht wenige, am Ende selbst die Errungenschaften der Digitalisierung in den Schatten stellen.“

Die bisher geltenden Rechner ähneln Johannes dem Täufer, der über den kommenden Christus sagte:

„Ich taufe euch mit Wasser; es kommt aber ein Stärkerer nach mir, dem ich nicht genugsam bin, daß ich die Riemen seiner Schuhe auflöse; der wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen. Bereitet den Weg des HERRN und macht seine Steige richtig! Alle Täler sollen voll werden, und alle Berge und Hügel erniedrigt werden; und was krumm ist, soll richtig werden, und was uneben ist, soll schlichter Weg werden.

Zudem hat das Project die Chance, die deutsche Zurückgebliebenheit durch messianische Kompetenz mehr als wettzumachen. Die Wundermaschine könnte – und sollte – die alten deutschen Fähigkeiten wieder zur Geltung bringen.

„Die erwartete Quantenwelt bietet eine neue Chance, denn sie wird völlig anders als die digitale sein und ganz neue Regeln haben. Und deshalb könnten ihre Anführer auch aus Karlsruhe und Tübingen kommen statt aus San Francisco.“

Europa wird pflichtgemäß erwähnt, doch wichtig ist allein der deutsche Anteil. Hier gründet der Glaube der Kanzlerin an die deutschen Meister. Es sind Meister des Wunders und der Welterlösung.

„So unglaublich ein solcher Sprung klingt, er wäre „am Ende nur logisch, da die Quantenphysik das Betriebssystem der Natur ist“, sagt Hartmut Neven.“

Die Wundermaschine berechnet keine unbekannten Naturvorgänge mehr, sie wird mit der Natur identisch werden. Wie Christus von sich sagte: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, wird die Erlösermaschine von sich sagen: Ich bin die Natur, die Beherrschung der Natur, die Zerstörerin der alten und die Schöpferin der neuen Natur.

„“Ich will nicht behaupten, dass Quantencomputer ein Wundermittel für alle Probleme der Welt sind“, sagt Neven, aber eigentlich tut er dann genau das. Er holt weit aus und malt ein heraufziehendes Quantenzeitalter aus, voller Hoffnungen und Chancen.“

Selbst die Sprache der Quantenpropheten ist durch und durch evangelistisch:

„“Wir müssen jetzt schon quantenbereit sein, um dann sofort loslegen zu können, wenn die Technologie voll da ist“, sagt Max Riedel, der sich bei Siemens um die Zukunftstechnologie kümmert. Er nennt sich selbst „Quantenevangelist„.

Der Kern des Evangeliums ist – der technische und wirtschaftliche Wettbewerb. Das Heil, das aus Deutschland kommen soll, wird die schärfsten Konkurrenten in den Schatten stellen.

„Ein Anfang, aber noch nicht der große Ruck, den es braucht, um eine neue Technologie zu erobern. Das ist erstaunlich leichtsinnig für eine Nation, die ihr Selbstbewusstsein vor allem aus ihrer ökonomischen Vormachtstellung bezieht. Es geht letztlich um eine große Frage: Gibt es wirklich ein Zukunftsmodell Deutschland, eine Vision, wohin das Land abseits seiner kriselnden Autoindustrie will?“

Es muss ein Erweckungsruck durch Deutschland gehen. Der alte Schlendrian ist des Teufels. Amerika, unser bislang bester Freund, muss vom Sockel gestoßen werden. Das darf man allerdings nicht laut sagen. Wenn Trump aber weiter so herumtobt und die Deutschen demütigen will, wird er sehen, was passiert:

„Ganz sicher illustriert es eine Mentalitätsfrage, die junge deutsche Unternehmer unterscheidet von den Tech-Eroberern in Kalifornien und die dazu führt, dass in Deutschland viele kleine Hidden Champions entstanden sind – und in den USA die erfolgreichsten Konzerne der Welt. Die Frage ist, wer bei diesem rasenden Fortschritt auf lange Sicht besser fährt.“

Nicht pure Größe wird den Wettstreit entscheiden. Auch Jesus ist aus kleinen unscheinbaren Verhältnissen zum Pantokrator aufgestiegen.

Was kann aus Nazareth Gutes kommen? Was kann aus dem abgeschriebenen Modell Deutschland Großes kommen?

Die Welt wird sich wundern, welch unscheinbarer Zweig ohne Gestalt und Schöne aus dem Land der deutschen Meister in den Himmel aufsteigen und alles überschatten wird.

 

Fortsetzung folgt.