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Von vorne LXVI

Von vorne LXVI,

Greta oder Angela: wer wird den Kurs der Menschheit prägen?

Greta:
„All das hier ist falsch. Ich sollte nicht hier stehen. Ich sollte zurück in der Schule sein, auf der anderen Seite des Ozeans. Trotzdem kommt Ihr alle zu mir, um zu hoffen? Menschen leiden. Menschen sterben. Ganze Ökosysteme brechen zusammen. Wir stehen am Beginn eines Massenaussterbens. Und alles, worüber Ihr reden könnt, ist Geld und Märchen von ewigem Wachstum. Wie könnt Ihr es wagen?“ (Freitag.de)

Angela:
Wir alle haben den Weckruf der Jugend gehört. Es gibt keinen Zweifel, dass der Klimawandel, die Erderwärmung im Wesentlichen von Menschen gemacht ist. Es gibt diejenigen, die aktiv sind und demonstrieren und uns Druck machen. Aber es gibt auch die Zweifler.“ Aufgabe jeder Regierung sei es, „alle Menschen mitzunehmen. Ich messe Innovation und Technologie eine sehr große Bedeutung bei. Das ist ein Widerspruch zu dem, was ich da gestern gehört habe.“ (SPIEGEL.de)

Angela ist Weltmeisterin in der Disziplin: Demut = Macht. („Die sich demütigen, die erhöht er.“) Zuerst die Stimme der Demut, geschützt vom Wir, einem pluralis modestiae. Darauf die keine Namen nennende, jeden Affekt vermeidende, abschätzig klingen sollende Bemerkung: „was ich da gestern gehört habe“.

(Heimlich zu Seibert): Das hat man davon, wenn man andere ernst nimmt. Was ich mir so alles anhören muss, wenn der Tag lang ist. (Seibert heimlich retour): In Zeiten des Shitstorms will jeder eine Meinung haben.

Zuerst ein Bückling der vorbereitenden Distanz, danach tonloses 

Abfertigen. Zuerst Verleihung des Heiligenscheins, dann Degradierung ins Nichts.

(Heimlich zu Seibert): Die Akte Greta können Sie – bis auf Widerruf – ad acta legen. Auch ein Fuchs wie Sie kann noch dazulernen, wie man Störenfriede durch Erhöhen erniedrigt und aus dem Weg räumt. Ich sag Ihnen was, bleibt aber unter uns: eine wahre Religion ist pantokratisch. Wie anders hätte das Wort vom Kreuz die Welt erobert? Schon mal gehört, Sie Quartalschrist: Ich habe die Welt überwunden? Ohnehin geht’s zu Ende mit der Welt. Fromme Amerikaner wissen das. Die deutschen Tröpfe lass ich im Dunkeln tappen über die Geheimnisse meines Glaubens, macht vieles einfacher.
Politik ist die Kunst des Möglichen. Und was möglich ist, bestimme noch immer ich. Man muss tun, als ob man alle Menschen mitnehmen, dort abholen wollte, wo sie sind – um sie dorthin zu führen, wohin sie nicht wollen. Die wissen doch selbst nicht, was sie wollen. Was kann ich für die Dummheit der Massen? Hauptsache, sie wählen mich, das ist Intelligenz genug.
Wir sind nur Knechte und Mägde des Schicksals, Seibert, merken Sie sich das. Lassen Sie sich nicht hinters Licht führen; die Welt mit ihrem Geschrei muss man ignorieren. Bei Ihrer Zunft genügt es, hin und wieder witzige Bemerkungen, mütterlich-verständliche oder verschmitzt-lächelnde Augen zu machen, schon sind Ihre Kollegen entzückt, die Quoten steigen und ich bleibe die Unentbehrliche. Wichtig ist vor allem, für Kontrast der Nähe zu sorgen. Glauben Sie wirklich, ich bin ein Fan saarländischer Putzfrauen?

Während Angela die verkehrte Logik des Himmels vertritt, ist Greta das heidnische Kind, das sagt, was es denkt – und dies in vermessenem Ich-Ton. Weiß sie doch: wenn sie Ich sagt, spricht sie für ihre ganze Generation.

Die gefährdete Zukunft hat alles Individuelle eingeebnet, das futurische Ich zum kollektiven Wir gemacht. Entweder werden alle davonkommen oder keiner. Sollten dennoch einige unverhofft davonkommen, werden sie der bisherigen Geschichte nicht mehr angehören.

Ist Greta genial? Oder durch Krankheit in ihrer Intelligenz behindert? Man sagt, sie könne sich nicht in andere hineinversetzen. Wie kann sie sich dann in eine ganze Generation hineinversetzen? Wie kann sie den Zustand der Welt erfassen, wenn sie autistisch vor sich hin starrt? Oder geht sie mit einer heiligen Krankheit hausieren, um sich den Nimbus der Einmaligkeit zu erschwindeln?

Unerhört, dass sie den Mächtigen der Welt undiplomatisch ins Gesicht brüllt: Was fällt euch ein, sich bei uns einzuschmeicheln und schamlos fortzufahren, die Welt in ihre Einzelteile zu zerlegen?

Vor dem Parlament der Völker eine Philippika gegen alle Erwachsenen. Ein einmaliger, ein unerhörter Vorgang. Wäre Greta keine Schwedin, sondern ein junger deutscher Held, hätten die Edelschreiber ihn längst zum wiedergekehrten messianischen Jüngling verklärt.

Tatsächlich wird sie zur Heiligen erhoben – von ihren Gegnern, die sie mit Wertungen bewerfen, für die sie anschließend gekreuzigt wird:

„Die sachliche Kritik verunsichert „Fridays for Future“ auch deshalb, weil sich die Bewegung mit eschatologischen Visionen, Umkehrforderungen und einer ins Heilige entrückten Anführerin eher wie ein religiöses als wie ein politisches Phänomen präsentiert.“ (WELT.de)

Das ist deutsch: von Religion als politischem Faktor wollen die Neugermanen gewöhnlich nichts wissen. Wenn es aber gilt, unliebsame Querköpfe zu dekonstruieren, tauchen plötzlich aus dem Untergrund religiöse Begriffe auf, mit denen man trefflich attackieren kann.

Eschatologie, die Lehre von den letzten Dingen: das gibt’s doch nur in Amerika? Heilige Frauen – das gibt’s doch nur im Kloster? Umkehrforderungen – das gibt’s doch nur in Bibel-TV? Die Opfer medialer Projektion müssen selbst für die Deutungen büßen, die man ihnen überstülpt. Geschieht ihnen recht, hätten sie die Gazetten doch nicht dazu verleitet, sie aus solchen Perspektiven zu betrachten.

Bei der Gelegenheit kann man‘s auch gleich den Grünen heimzahlen:

„Bei den Grünen etwa wimmelt es von sendungsbewussten Klimacalvinisten, die mit Verbotslust an ihrer Umgebung ausagieren, was ihnen am eigenen Körper und an eigenen Bedürfnissen suspekt ist.“

Vermutlich ist calvinistische Prädestination (Vorherbestimmung) gemeint. Die betrifft aber nur das Rätsel, welcher Einzelne erwählt oder verdammt ist. Am Schicksal der sündigen Welt hingegen gibt es keinen Zweifel. Trotz aller Schöpfungsbewahrung Söders und anderer Bibelignoranten wird die „Schöpfung“ hopps gehen.

Deutsche Edelschreiber sind stolz auf Begriffe, mit denen man trefflich Punkte machen kann. Den Sinn der Begriffe müssen sie nicht kennen. Mit dem logischen Florett fechten können sie ohnehin nicht. Sie sitzen in objektiven Logen und benoten von fern. Wie oft liest man in der WELT: und das ist gut?

„Nach monatelanger Umarmung hat die Kanzlerin erstmals Kritik an der Anführerin von „Fridays for Future“ geübt. Und das ist gut. Denn wer Klimaschutz will, muss die Debatte führen, ob wir die Erde mit Technologie und Kreativität retten oder mit Verzicht und Verboten.“

Sie, die sich mit nichts in der Welt gemein machen wollen, sind mit moralischen Zensuren freigebig. Worum aber geht es Robin Alexander, der als gewiefter Merkel-Kritiker galt, plötzlich aber ganz auf ihrer Seite steht?

„Klimaschutz von Staats wegen oder Klimaschutz durch den Markt. Von Begeisterung getrieben oder vom schlechten Gewissen. Auf die Freiheit vertrauend oder von der Angst getrieben. Es ist – wie bei allen großen Gesellschaftsfragen – auch eine Frage des Menschenbildes. Dennoch muss sie ausgetragen werden: Denn nur freie und selbstbewusste Menschen werden ihre Lebens- und Wirtschaftsgewohnheiten radikal verändern können und wollen.“

Wie oft kann man lesen: Greta schürt Ängste, als ob moderne Menschen keine Ängste hätten. Als ob Greta ihnen die Ängste mit dem Feuerhaken ins Herz rammen würde. Ja, vor Greta gab es in diesem auserwählten Lande – trotz Utopieverbot – nur paradiesische Verhältnisse. Ängste waren nichts als „eingebildete“ Traditionsrituale: german angst. Überhaupt waren nicht-marktkonforme Gefühle polizeilich verboten. Da könnte ja jeder mit seiner miesen Laune das vorgeschriebene Wohlfühlprogramm der Exportnation eintrüben.

Es waren brillante Ökonomen, die für die Binnengefühle der Tüchtigsten der Welt zuständig waren. Sie studierten endlose Tabellen und BIP-Kolonnen, danach gaben sie ex cathedra psychologische Wasserstandsmeldungen heraus: die Konjunktur hellt sich auf. Echte Abendländer wussten, was das zu bedeuten hatte: ihre Stimmung musste sich nun aufhellen. Und also geschah es. Ökonomen bestimmen das Psychoklima der ganzen Gesellschaft. Wer sich von dieser Bernays‘schen Methode nicht influencieren ließ, war ein Querschläger oder potentieller Terrorist.

Alexander erweckt den Eindruck, als läge es an Greta, dass wichtigste Überlebensfragen nicht debattiert werden dürften. Hat er übersehen, dass die Debatte ums Überleben mit Gretas Widerborstigkeit erst wirklich begann?

Husch, wie der WELT-Mann elegant davon ablenken will, dass es vor allem seine Zeitung war, die den menschengemachten Charakter der Klimaerhitzung mit Diffamierungen und Beschimpfungen zertrümmern wollte:

„Nicht den alten Streit, ob es den Klimawandel gibt und ob er wirklich menschengemacht ist. Diese Kontroverse darf, wer will, in Zeitungen und Internetforen weiterführen. Aber die überwältigende Mehrheit unserer Gesellschaft kennt die Antwort, die von der Wissenschaft gegeben wird.“

Wissenschaft lebt von Kritik. Niemandem wird verwehrt, Galilei in Frage zu stellen. Es müsste aber mit Argumenten und exakten Experimenten einhergehen. Was tat die WELT? Sie bezog sich dogmatisch auf Außenseitermeinungen, ohne den Streit zwischen dem Konsens der Majorität und den Einzelgängern in extenso auszubreiten. Absichtlich oder nicht wurden sie zu Lobbyisten jener Weltkonzerne, die von wissenschaftlichen Meinungen nichts wissen, sondern nur ihre naturverderbenden Ressourcen an die Menschheit verhökern wollten.

In wenigen Jahren wird man den Streit vergleichen mit wütenden Angriffen biblischer Creationisten gegen die Evolutionsforschung.

Alexander will die Ökokrise nach alten Mustern lösen: alles dem Markt und dem Fortschritt überlassen. Wie es war in seligen Zeiten, so soll es bleiben: die unsichtbare Hand hat Probleme individueller Egoismen stillschweigend abgeräumt. Sie drohte nicht mit moralischem Zeigefinger, sondern mit dem amoralischen Stinkefinger. So war es, so soll es bleiben. Der Autor beschwört freie und selbstbewusste Menschen – und verlässt sich auf die unsichtbare Hand wie der Fromme auf Gott.

Jeder Appell an selbstbewusste Menschen ist moralisch. Ob mit oder ohne Zeigefinger. Liegt etwas im Argen, kann nur der kategorische Imperativ weiterhelfen: Problem wahrnehmen, analysieren, mit passenden Methoden ausräumen. Das wäre Moral. Sensible Springer-Schreiber dürfen auch von Anstand, Ethik oder abendländischen Werten reden. Hauptsache, das Notwendige geschieht.

Wie zartfühlend sie plötzlich sind, wenn sie moralisch gefordert werden, damit ihre irdische Sicherheit gefördert wird. Werden Unterschichtler gnadenlos mit Fordern und Fördern gedemütigt, zeigen mediale Amoralisten den Zeigefinger: Faulenzer haben nichts bei uns zu suchen. Wer geht nicht hausieren mit der Triumphformel: seit der Schröderreform ging es aufwärts mit der Konjunktur?

Selbst, wenn der Satz richtig wäre: auf wessen Kosten wäre dieser Fortschritt exekutiert worden? Verbunden mit welchen Demütigungen, die nicht davor zurückschreckten, das Existenzminimum der Schwächsten zu streichen? Wie viele Kinder wurden zu Außenseitern gestempelt? Wie oft saßen Familien ohne Strom im Dunkeln und Kalten?

In allen Dingen wollen sie die Besten sein. Eine hohe Managerin eines IT-Konzerns erhob gar die Forderung: der Beste zu sein, genügt nicht. Da schwebte plötzlich Nietzsche im Raum: wenn ihr nicht werdet wie Übermenschen, werdet ihr zertreten wie die Ameisen.

In allen technischen, sportlichen und sonstig quantitativen Disziplinen müssen sie ganz oben auf dem Treppchen stehen. Nur nicht da, wo sie sich aus eigener moralischer Kraft aus dem Sumpf ziehen könnten.

Jemandem moralische Fähigkeiten absprechen, heißt, ihn entmündigen. Ihn ent-demokratisieren. Ihn ent-politisieren. Ihn zum ewigen Untertanenen stempeln. Moralische Autonomie ist politische Autonomie. Ohne Moral keine Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen. Die Trennung von privater Moral und politischer Technik legt jede Demokratie in Trümmer. Wer soll denn zu menschenverbindender Politik fähig sein, wenn nicht das menschenverbindende zoon politicon?

Wer sich als unpolitischen Privatmann definiert, ist ein Idiot. Wer amoralische Politik fordert, zerstört die eigene Gesellschaft und die Solidarität der Völker. Ihm bleiben nur machiavellistische Brutalitäten. Wer aber Natur retten will, muss für eine friedliche Menschheit sorgen, die Weltprobleme gemeinsam bekämpfen kann.

Deutschland, das gestern ein ganzes Jahr als Lutherjahr feierte, fiel zurück in Untertanenmentalität mit apolitischen, amoralischen Sündenkrüppeln und einer Obrigkeit, die dem Plebs einbläut: zu faul, zu dumm, politisch impotent. Haltet euch raus aus unseren Geschäften, die ihr nicht versteht. Bezahlt eure Steuern und palavert am Stammtisch. Den Rest überlasst den Elefanten, die haben die größeren Köpfe.

Wie kann man privates von öffentlichem Verhalten trennen, wenn es (fast) nichts mehr Privates gibt, das nicht auch öffentlich wäre? Nur ein autarker Einsiedler wäre (fast) unabhängig von den Dienstleistungen der ganzen Gesellschaft. Zöge er sich in den tiefsten Urwald, nach Sibirien oder Grönland zurück, bliebe er vom Wirken der Menschheit betroffen und müsste sich politisch betätigen, um sein letztes (scheinbar) unberührtes Eiland zu retten.

Die große Erfindung der Griechen: das Private ist politisch, das Politische privat, wird auf dem Altar eines göttlich-unfehlbaren Marktes geopfert.

Einen Markt gibt es so wenig wie einen Hulk, der aussähe wie Boris Johnson. Er ist Mythos jener Wissenschaftler und Philosophen am Beginn der Neuzeit, die Mensch und Welt in Maschinen verwandelten, um sie berechenbar zu beherrschen. Wenn alles tickt, pocht und schlägt wie ein Meer perfekter Uhrwerke, kann man auf Uhrmacher verzichten. Der Mensch hat sich überflüssig gemacht.

Seltsamerweise versagten die Mechanismen regelmäßig und die armen Menschlein – Körpermaschinen mit Geist, der immer mechanischer wurde – wussten nicht: rattern lassen, dem unsichtbaren Erfinder der Uhren blind vertrauen, vorsichtig zu reparieren versuchen oder das Ganze in Trümmer legen, um die Chose von vorne zu beginnen?

Alexander ernennt den Killer zum Sanitäter, den Kapitalismus zum Retter seiner selbst. Er will, dass debattiert wird, doch er selbst zeigt nicht die geringsten Streitqualitäten. Es ist unter seiner Würde, sich mit jenen auseinanderzusetzen, die Klimarettung und Wirtschaftswachstum für unverträglich halten. Oder die, wie der französische Starökonom Piketty, den wütenden Neoliberalismus vom Tisch fegen.

„Für Piketty, der sich selbst als Anhänger eines „partizipativen Sozialismus“ bezeichnet, steht das gegenwärtige kapitalistische System nun vor dem Ende. Die gestiegene Ungleichheit sei auch der wahre Grund für den politischen Populismus unserer Zeit. Die Maßnahmen, mit denen Piketty dieses Ziel erreichen will, sind radikal. Sie zielen auf eine extreme Besteuerung großer Vermögen, Einkommen und Erbschaften und eine stärkere Mitbestimmung in der Wirtschaftswelt. Eigentum soll in der Welt des Ökonomen Piketty etwas sein, was sozialisiert wird und für den Einzelnen nur zeitlich begrenzt verfügbar ist. Nur so lasse sich das derzeit herrschende kapitalistische System mit seiner privaten und stark konzentrierten Anhäufung von Reichtum überwinden.“ (WELT.de)

Wie sehr die unsichtbare Hand sich um das Klima kümmert (nämlich gar nicht), zeigen die verräterischen Sätze des CDU-Wirtschaftsexperten Friedrich Merz:

„Hinter der lautstarken Kritik am Klimaschutzpaket der Bundesregierung versteckt sich vieles, nur nicht der Wunsch nach mehr Umweltschutz. Es geht um die Zerstörung unserer marktwirtschaftlichen Ordnung. Doch für mehr Umweltschutz brauchen wir die Unternehmen.“ (WELT.de)

Nicht die Unternehmen brauchen ein intaktes menschenfreundliches Klima, das Klima muss beim Industrieverband anfragen, ob man an höherer Stelle vielleicht eventuell bereit wäre, sich an seiner eigenen Rettung zu beteiligen. An der unsichtbaren Hand wird so viel Dummheit und moralische Erblindung offenbar, dass man sie klaftertief vergraben sollte.

Ein Mädchen, kein Kind mehr, wagt es, seine moralische Autonomie in die Welt zu schreien und wird von den Mächtigen zur Strecke gebracht, dass es jedem angst und bange werden muss, der selbst Kinder hat. Der Schrei des Herzens, gegründet auf härtesten Fakten der Wissenschaft, trifft auf ein barbarisches Echo kinderfeindlicher Hasslaute.

Wenn Gretas zorniger Satz: Verfallt in Panik, selbst von Grünen als Aufforderung zum Amoklauf missverstanden wird – und nicht als verzweifelter Hilferuf: tut was, bevor es zu spät wird –, dann sollte man die deutsche Intelligenz für immer abschreiben, pardon, mit Sanftmut und Güte zu überzeugen versuchen.

„Panik und Angst sind meistens kein besserer Ratgeber als Ignoranz und Gleichgültigkeit. Wer vorschnell handelt, begeht oft schwere Fehler und macht vieles schlimmer. Wer übertreibt, Angst verbreitet und dabei die Wirklichkeit verfärbt, um eigene Ziele durchzusetzen, ruiniert auf Dauer Daten und Fakten als Grundlage für Entscheidungen.“ (WELT.de)

Vor kurzem war Angst noch ein notwendiger Stimulus, um objektive Gefahren zu erkennen. Ängste können nicht geschürt werden, wenn sie nicht bereits vorhanden waren. Alle Gefühle können rational oder irrational funktionalisiert werden. Weshalb es nötig wäre, die Vernunft der Kinder zu stärken, dass sie Herrin ihrer Gefühle werden. Der Mensch kann lernen, seine Gefühle wahrzunehmen, zu erforschen und zu humanisieren. Emotionen fallen nicht vom Himmel, auch sie sind lernfähig.

Der Glaube an die Überlegenheit der Vernunft über irrationale Gefühle war der Glaube der Aufklärung. Dieser Glaube als Voraussetzung zu jeder Selbstheilung des Menschen scheint sich im Lande Kants verflüchtigt zu haben.

Fakten werden durch Gefühle nicht nur verfälscht, sondern überhaupt erst wahrgenommen. Rationale Angst der Eltern um die Gesundheit ihrer Kinder treibt sie zum Arzt.

Fakten ohne begleitende Gefühle gibt es nicht. Gefühle sind verlässliche Ratgeber, wenn sie lernen durften, vernünftig auf die Wirklichkeit zu reagieren. Boris Palmer spricht von Menschen, als spräche er von Maschinen, die von allen Gefühlen gereinigt werden müssten.

Er bezieht sich auf Hegels Dialektik, die mit Ratio so viel zu tun hat, wie eine humane Wirtschaft mit einer unsichtbaren Hand. Es gibt unvereinbare politische Widersprüche – etwa zwischen Menschen, die die Natur retten wollen und jenen, die ihre Urwälder erst recht in Flammen setzen oder die letzten Ressourcen der Erde entreißen. Gut und Böse im theologischen Sinn gibt es nicht.

Es gibt aber ein faktisch Gutes und Böses. Gemäß der Vernunft ist gut, was dem Überleben und guten Leben nützt, böse, was Elend und Tod bringt.

Wer radikale Forderungen stellt, stellt Forderungen der theoretischen Vernunft, die in praktische Vernunft übersetzt werden müssen. Radikale Humanität als terroristisch zu diffamieren, ist ein Attentat auf die Vernunft.

Wer ist Greta?

„Sie ist eine Meisterin der Zuspitzung und Vereinfachung. Das ist etwas, was sie mit vielen Populisten weltweit gemein hat. „Hört endlich auf die Wissenschaftler“, fordert sie, als ob es unter denen nicht auch welche gibt, welche die Klimaproblematik durchaus etwas differenzierter sehen. Die Welt wird von Greta Thunberg nur in schwarz und weiß gemalt, alles dazwischen wischt sie einfach mit der Hand vom Tisch. Auf komplexe Fragen bietet sie radikale Antworten. Und fordert Handeln – hier und jetzt. Keine Zeit zum Nachdenken, oder um Fragen zu stellen. Don‘t think about it – just do it! „Unser Haus steht in Flammen!“ – das ist die Botschaft, die jeder versteht. Greta Thunberg ist klar, sie ist eindringlich – und passt damit ins Twitter-Format. Optimal für eine Medienwelt, die Schlagzeilen liebt und Vereinfachungen fordert. Und dadurch ist sie auch höchst effektiv.“ (Deutsche-Welle.com)

Greta wird zur effektiven Populistin degradiert, die in jedes schmähende Beuteschema der Medien passt, weil sie kompromisslos sagt, was sie denkt. Früher hätte man sie eine aufrechte Denkerin genannt. Wäre sie religiös und würde eine unfehlbare Offenbarung verkünden, würde man sie anbeten – vorausgesetzt, sie würde sich den Kirchen unterstellen.

Was unterscheidet Gretas Kurs von Angelas Kurs? Angela sorgt dafür, dass geschieht, was ohnehin geschieht. An eine Rettung der Welt glaubt sie nicht. Alles, was geschieht, steht in Gottes Hand – auch ein Ende mit Schrecken.

Warum erreichte Gretas Stimme die Jugend der Welt? Wer antworten kann, kennt das Geheimnis der Greta Thunberg – und der zornigen Jugend der Welt. Könnte es sein, dass die Jugend, angetrieben von ihren Ängsten, darum kämpft – eine angstfreie Welt zu schaffen, in der es eine Lust wäre, zu leben und alt zu werden?

 

Fortsetzung folgt.