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Von vorne LVII

Von vorne LVII,

was geschah am Wochenende, gemessen an dem, was hätte geschehen müssen? Nichts.

Die einen sprechen vom Klima, weil sie sich gezwungen fühlen – tun aber nichts.

Die anderen sprechen nicht mal vom Wetter – und blockieren noch das, was nicht geschieht.

„Denk‘ ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen.
Und meine heißen Tränen fließen.

Die Jahre kommen und vergehn!
Seit ich Mutter Natur zuletzt hab gesehn,

Deutschland hat keinen Bestand,
Es ist kein kerngesundes Land;
Mit seinen Eichen, seinen Linden,
Werd ich es nimmer wiederfinden.

Deutschland simuliert Gesundheit. Ändert das Land nichts, liegt es bereits auf der Bahre. Tage, Wochen und Jahre verrinnen. Erde wird versiegelt, Luft erhitzt, Wälder werden abgefackelt, Lungen der Erde vernichtet, Meere vermüllt, Tiere und Pflanzen ausgerottet.

Welch Aufwand der Kanäle um eine bedeutungslose Wahl. Endlose Wähleranalysen, Diagramme, Tabellen und Kurven; Gesprächsrunden, die keine Gespräche, Fragen, die keine Fragen sind.

Welchen Aufwand trieben sie, als der UN-Klimarat in verzweifeltem Ton zur 

 Umkehr mahnte? Bis heute keine Gesprächsrunden mit Jugendlichen und Bürgern, keine Reportagen über Aktivitäten im Land. Keine chronique scandaleuse des Stillstands und der Lähmung.

Stattdessen lustlose Berichte über moralisierende Demokratiefeinde, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben, sich aufblasen als Weltenheilande und die Dreistigkeit besitzen, die Schule zu schwänzen, um ihren Aufstieg zu verpassen und unsere ehrbare Wirtschaft zu schwächen.

Ausnahme, die die Regel bestätigt: der SPIEGEL-Bericht über Wiederaufforstung in Äthiopien:

„Und seitdem wieder Bäume in Humbo wachsen, klappt es auch besser mit dem Ackerbau. Denn mit den Bäumen hat sich das Mikroklima verändert. „Es regnet mehr, es ist kühler und der Wind nicht mehr so stark“, sagt Rinaudo stolz. Quellen, die vormals versiegt waren, führen wieder Wasser. Die Menschen in Humbo können sich heute selbst versorgen; mehr noch, sie verkaufen ihre Ernte. Sie leiden nicht mehr unter Staubstürmen und Regenfluten, sie halten Bienenstöcke in den Wäldern und lassen das Vieh zwischen den Bäumen grasen. Das Wunder von Humbo wird jetzt überall in Äthiopien kopiert.“ (SPIEGEL.de)

Was hingegen geschieht in Deutschland, dem flächendeckend-verlotterten Land?

„Das aktuelle Krisenmanagement der Forstwirtschaft ist rückwärtsgewandt und waldschädlich“, heißt es in einem offenen Brief kritischer Forstleute und Naturschützer. Die Gruppe, unter ihnen Deutschlands oberster Wohlfühlförster Peter Wohlleben, fordert eine „Abkehr von der Plantagenwirtschaft“ und ein „Management, das den Wald als Ökosystem und nicht mehr länger als Holzfabrik behandelt. Ich wundere mich, dass Politiker und viele Waldbesitzer nichts dazugelernt haben aus den Fehlern der Vergangenheit“, sagt Wohlleben, „mein Eindruck ist, sie sind gerade wieder im Begriff, sie noch einmal zu wiederholen.“ Deutschland ist im Begriff, nicht nur die Klimaziele für das Jahr 2020 zu reißen. Schlimmer noch, das Land entwickelt sich gerade von einer Kohlenstoffsenke in das Gegenteil: Die deutschen Felder, Moore und Wälder geben dann unter dem Strich mehr Kohlendioxid ab, als sie einspeichern.“

Sie haben nichts verstanden, nichts begriffen, lassen weder Erkenntnisse noch Gefühle zu, erschrecken nicht und verändern nichts.

Der Krieg gegen die Natur wird ausgeweitet zum Krieg gegen die Kinder. Nun dringt an die Oberfläche, was in religiösen Katakomben seit Jahrhunderten siedet und kocht. Kein „Jahrhundert des Kindes“ konnte daran etwas ändern. Wenn die Menschheit sich nicht ändert, werden alle Generationen der Zukunft, die noch im Einklang mit der Natur hätten leben können, ausradiert, bevor sie gezeugt wurden.

Hier enthüllt sich der geheime Sinn des modernen Dogmas: wir schauen nicht mehr nach hinten, wir schauen nach vorn. Was erblicken wir vorn? Die Kinderleichen aller zukünftigen Generationen.

Das selbstverursachte Ende der Menschheit ist das größtmögliche Verbrechen der menschlichen Geschichte: der Infantizid. Der Selbsthass des Menschen wird zum Hass gegen seine Kinder.

Die Misere begann, als Männer sich über Frauen und Kinder erhoben, als allmächtige Götter darstellten und „Hochkulturen“ zu errichten begannen, die alles Kindliche und Weibliche ins Lächerliche, Infantile und Rückschrittliche verwandelten, um Fortschritt zu entwickeln, dem alles Naive und Unverstellte geopfert werden musste. Das Kindesopfer war Machterweis der höheren Männer. Wer in der Männerwelt erwachsen sein will, muss das Kindliche abstreifen.

„Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war.“

„Die Dominanz der Vater-Sohn-Beziehung über die Mutter-Kind-Beziehung sollte durch das Gebot offenbar gemacht werden, dass der Vater sein erstgeborenes Kind opfern müsse. Das Patriarchat war eine Revolution gegen die Macht der Mütter, gegen die familiäre Bande der Liebe, gegen emotionale Nähe und Verpflichtung. Das Gebot eines jenseitigen Gottes ersetzte die matrizentrische Bindung an Kinder und Verwandte.“ (Marilyn French)

Gott selbst bekennt sich bei Hesekiel schuldig, Kindesopfer gefordert zu haben:

„Darum daß sie meine Gebote nicht gehalten und meine Rechte verachtet und meine Sabbate entheiligt hatten und nach den Götzen ihrer Väter sahen. … übergab ich sie in die Lehre, die nicht gut ist, und in Rechte, darin sie kein Leben konnten haben, und ließ sie unrein werden durch ihre Opfer, da sie alle Erstgeburt durchs Feuer gehen ließen, damit ich sie verstörte und sie lernen mußten, daß ich der HERR sei.“

Abraham hatte noch den Befehl erhalten, seinen Sohn zu opfern, doch in letzter Sekunde wurde der Befehl zurückgezogen. Dennoch gab es weitere Opfer im Alten Testament. So den Fall Jephta, der seine Tochter opferte, um Gott für einen militärischen Sieg zu danken.

„Als nun Jeftah nach Mizpa zu seinem Hause kam, siehe, da geht seine Tochter heraus ihm entgegen mit Pauken im Reigen. Sie war sein einziges Kind, und er hatte sonst keinen Sohn und keine Tochter. Und als er sie sah, zerriss er seine Kleider und sprach: Ach, meine Tochter, wie beugst du mich und betrübst mich! Denn ich habe meinen Mund aufgetan vor dem HERRN und kann’s nicht widerrufen. Sie aber sprach: Mein Vater, hast du deinen Mund aufgetan vor dem HERRN, so tu mit mir, wie dein Mund geredet hat, nachdem der HERR dich gerächt hat an deinen Feinden, den Ammonitern.“

Im Neuen Testament opfert Gott seinen eigenen Sohn, der durch Besiegen des Todes das Erlösungswerk vollbringen sollte, das dem Vater misslang.

Laios will seinen Sohn Ödipus töten. Doch der dreht den Spieß um und tötet seinen Vater. Medea opfert ihre Kinder, um sich an ihrem Mann zu rächen. In Sparta durften Kinder, die nicht den Vorstellungen der Männer entsprachen, ausgesetzt werden.

„Die römische Familie muss als ein vaterrechtliches Instrument zur Vernichtung der mutterrechtlichen Sippe definiert werden. Zur Sicherung des väterlichen Erbes – die Patriarchen hatten das Privateigentum erfunden; Kapitalismus ist eine patriarchale Kreation – nahm sich der Vater das Recht, ein Kind anzuerkennen oder abzulehnen, was seinen Tod bedeutete. Die Mutter hatte kein Recht des Einspruchs gegen die legitime Form der Kindstötung. Das war der „Fortschritt“, den das Vaterrecht mit sich brachte. Wer kümmerte sich im vaterrechtlichen Rom um die Gefühle der Frauen? Worum es ging, war Macht und Besitz. Dem Vater gehört der ganze Familienbesitz, er selbst war ein gottähnlicher pater familias mit der absoluten Macht, das Leben seiner Kinder zu bestimmen oder zu vernichten.“ (Ernst Bornemann, Das Patriarchat)

„Auf Grund ihrer Besitzlosigkeit erhebt sich die Frau nicht zur Würde einer Person. In einem patriarchalischen Regime kann der Vater männliche und weibliche Kinder gleich bei ihrer Geburt zum Tode verdammen. Später darf das gesunde männliche Kind am Leben bleiben, während Mädchen auszusetzen sehr verbreitet war. Bei den Arabern gab es summarische Kindermorde: die Mädchen wurden gleich nach ihrer Geburt in die Grube geworfen. Die Anerkennung des weiblichen Kindes ist von seiten des Vaters ein Akt der Großmut.“ (Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht)

Unschwer zu erkennen, dass die späteren Totalitarismen Gebilde despotischer Vätermacht waren.

Und wer sind die Akteure der heutigen Regression ins Militante und Gewaltandrohende? Ausnahmslos Männer.

Was bedeutet das? Will die Menschheit eine Epoche der Übereinstimmung mit Mensch und Natur betreten, müssen Männer ihre gottähnliche Gewaltherrschaft aufgeben. Frauen müssen die Macht erobern, was nicht bedeutet, dass sie sich zuvor als Mägde des Kapitalismus erniedrigen lassen müssen.

Demokratische Macht erringt man durch Besetzen des öffentlichen Raumes. Wenn Frauen und Jugendliche sich zusammentun, haben die Männer keine Chancen mehr.

Priester der Erlöserreligionen ließen keine Kinder töten. Schlimmer: sie verfluchten sie ins ewige Feuer. Das Dogma der christlichen Religion war die Kindsverdammnis.

„Ein Kind kam grundsätzlich geistig tot zur Welt und musste erst wiedergeboren werden, um das Heil zu gewinnen. Das Kind wurde mit einem „bösen Herz“ geboren. Deshalb müsste die Sturheit und der Trotz des kindlichen Gemüts „von Anfang an gebrochen und niedergeschlagen werden.“

Cotton Mather, ein prägender Theologe Amerikas, predigte: „Wisset ihr nicht, dass ihr Kinder der Hölle und die Kinder des Zorns seid, von Natur aus?“ Jonathan Edwards hielt Kinder für giftige Schlangen, für junge Vipern, „unendlich hassenswerter als Schlangen“: „Wie schrecklich wird es sein im Jüngsten Gericht. Da werdet ihr nicht mehr zusammenspielen, sondern werdet zusammen verdammt sein, da wird sein Heulen, Wehklagen und Zähneklappern.“

In einem Kinderbuch hieß es, dass Kinder nicht zu jung seien zum Sterben, nicht zu klein, um zur Hölle zu fahren.“ (Raeithel, Geschichte der nordamerikanischen Kultur)

Im Alter von 12 bis 16 Monaten wurde das Kind abrupt entwöhnt. Die Mutter strich die Brust mit Galle, Senf oder bitterem Wermut ein. Danach begann das Erziehungswerk mit Brechen des Willens, Erzeugen von Scham, Unterdrücken von Zuneigung, Erziehung zur Distanz und zur Auflösung emotionaler Bindungen. Besonders Väter sollten sich von den Kindern möglichst fernhalten.

Eltern mussten stets Abstand halten, um ihre Autorität nicht zu untergraben. Kinder wurden in andere Haushalte gegeben, damit sie durch elterliche Zuneigung nicht verwöhnt und verdorben würden. Nicht einmal die Vereinigung mit den Eltern im Jenseits war garantiert. Am Jüngsten Tag werden die Väter zur Rechten, die Kinder zur Linken ausgesondert.

In apokalyptischen Filmen Hollywoods schlagen sich vor allem Vater und Sohn durch die turbulenten Ereignisse, um als Einzige zu überstehen.

Wer seinen Eltern nicht gehorsam war, dem drohte öffentliches Auspeitschen. Wen Gott liebt, den züchtigt er: das war ein pädagogisches Dogma, das den Einsatz der Rute zur Pflicht machte.

„Vor allem die Söhne wurden angehalten, sich aus der vertrauten Umgebung zu entfernen. Sie wurden konditioniert, zu gehen, nicht zu bleiben. Familienbindungen waren Einrichtungen mit Verfallsdatum.“

Deutschland hat den pädagogischen Puritanismus der Amerikaner in hohem Maße übernommen. Kein Tag ohne Zeitungsartikel, in denen nicht die schädlichen Folgen emotionaler Bindung gegeißelt würden.

„Wann sind Kinder am erträglichsten? Wenn sie ausziehen“.

Nähe wurde identisch mit Unfreiheit, Bindung mit geistiger Bevormundung. Die kapitalistische Atomisierung der Subjekte hat auf der ganzen Linie gesiegt.

Wenn es kein Reifen des Einzelnen gibt, kann es auch kein gemeinsames Reifen mehr geben. Altgediente Paare empfinden ihre Partnerschaft zunehmend als Last und trennen sich, um ihre einstige Ungebundenheit – wann war die nochmal? – zurückzugewinnen.

Da die Deutschen sich als lernfähige Demokraten beweisen wollten, fiel ihnen nichts Besseres ein als ihre Befreier zu imitieren. Was sich aber nur auf das „Moderne, Technische, Rasante und Fortschrittliche“ bezieht, ignoriert das Biblische und Fundamentalreligiöse. Da fühlen sich die Deutschen den Biblizisten himmelweit überlegen. Diese Ambivalenz ist das schwankende Gerüst der deutsch-amerikanischen Beziehungen.

Gerd Raeithel hat eine interessante Analyse des amerikanischen Charakterprofils vorgelegt:

„Der Amerikaner ist ein Typ, der das Mobile dem Seßhaften, die Weite der Enge vorzieht. Michael Balint (ungarischer Psychoanalytiker) spricht vom philobaten und oknophilen Typus. Der Philobate (= Freund des Wagnisses) ist hochgradig beweglich, bevorzugt grenzüberschreitende Phantasien, brüstet sich seiner technischen Fähigkeiten, liebt das Risiko und verschmerzt den Verlust von Personen leichter als – der Oknophile (= Freund der Bindung), der gerne klammert, das Leben in kleinen übersichtlichen Schritten bevorzugt, vertraute Gegenstände und Umgebungen für sein Wohlgefühl benötigt. Die Beschleunigungssprache des Philobaten erregt bei ihm Leere und Schrecken.“ (Raeithel)

Zweifellos ist der amerikanische Lebensstil schnell, beweglich, disruptiv und risikoliebend. Der Alteuropäer bevorzugte bislang den Goethe‘schen Lebensrhythmus:

„In der Gewohnheit ruht das einzige Behagen des Menschen.“ Doch Goethe war bereits gespalten und besaß auch eine amerikanische Seele: „Nichts ist besser zu ertragen als eine Reihe von schönen Tagen.“

Die Moderne ist von Amerika geprägt. Nichts wie weg, ständig umziehen, heute beste Freunde, morgen kennt man sich nicht mehr. Das Neueste veraltet schnell und muss subito auf den Müll. Erhalten und bewahren ist von gestern.

Die konservativen Parteien Europas sind das Gegenteil von bewahrend. In Deutschland sind sie moderner als die Proleten, die am Alten hängen und auf modernen Schnickschnack nicht sonderlich erpicht sind. Es ist die konservative Kanzlerin in Berlin, die das modernisierte Heil Deutschlands von der Digitalisierung erhofft.

Die Verlotterung Deutschlands in vielen Bereichen zeigt, dass die Deutschen ihres amerikanischen Imitationskurses überdrüssig werden – ohne aber eine Alternative zu kennen. Weshalb sie in mürrischem Überdruss und Verantwortungslosigkeit versinken. Da sie nicht wissen, was sie tun, kennen sie auch keinen Ausweg. Weshalb ihr Ton immer schriller und inhaltsloser wird.

Der philobate Lebensstil ist ökologiefeindlich. Ständig Neues produzieren, das Alte verwerfen, nichts bewahren, nirgendwo Wurzeln fassen, Natur zerstören, weiterhasten und nicht zurückschauen: man könnte ja zur Salzsäule erstarren. Ruhe mit Leblosigkeit verwechseln, Genügsamkeit mit ökonomischer Dummheit, Freundschaft und Bindungsfähigkeit mit der Unfähigkeit, Karriere zu machen: mit solchen Charaktereigenschaften ist Ökologie nicht zu machen.

Wir brauchen einen Kulturwechsel, der keinen Stein auf dem andern lässt. Der moderne Mensch aber sitzt im Zug des Fortschritts und will nicht sehen, durch welch verwüstetes Gebiet er fährt.

Steve Pinker, ein nordamerikanischer Psychologe, vertritt die These, so gut wie jetzt hätte es die Menschheit noch nie gehabt.

„Der Glücksindex ist in den letzten 40 Jahren gestiegen. Sie sind besser ausgebildet, leben länger, sind wohlhabender. Sie sind freier und auch glücklicher. Die Menschen sind es, auch wenn es immer Frustration im Leben geben wird.“ (Frankfurter-Rundschau.de)

Ein Interviewer in der FR bringt es fertig, die einzig entscheidende Frage nicht zu stellen: Wie erklären Sie sich den größtmöglichen GAU der Menschheit, die ökologische Apokalypse?

Es ist beeindruckend, wie es überall auf dem Planeten rumort, weil die Menschen ihrer männlichen Suprematie überdrüssig werden. Wann hat es je solche globalen Autonomiebestrebungen gegeben? Die sind unabhängig von technischem Fortschritt und materiellem Besitz.

Die Menschen wittern ihre Freiheit und ihr Selbstbestimmungsrecht. Sie sind allergisch geworden gegen die Bevormundung durch eitle Machtdarsteller. Es sind vor allem die Jungen, die sich nichts mehr gefallen lassen wollen. Das sind zweifellos die Vorzüge der Moderne.

Die Nachteile aber sind, solange der Mensch sie nicht energisch angeht, noch schwerwiegender. Das Glück des Menschen hängt nicht ab von seinem Besitz und seinen Maschinen – sondern von seiner Fähigkeit zur Selbstbestimmung.

Wird es dem Menschen gelingen, seine Probleme zu lösen, wird er auch in der Lage sein, eine globale Demokratie einzurichten. Ohne friedliche Menschheit wird es keinen Frieden mit der Natur geben.

Wird er scheitern, waren seine Lernfortschritte zwar frappant, doch sie reichten bei weitem nicht, um die selbstfabrizierten Herausforderungen zu bestehen. Wie weit es jemand brachte, kann man nur erkennen am Verhältnis von Herausforderung und Antwort. Ist er fähig, seine Probleme zu lösen, darf er sich rühmen, Herr seines Schicksals zu sein. Geht er unter, weil ihn seine eigenen Konflikte überrollten, wird er zum Rohrkrepierer der Evolution.

Trump will gefährliche Tornados mit der Atombombe bekämpfen. Klingt absurd und entspricht dennoch der Meinung der Majorität, die sich unter Lösung der Probleme nur eine neue Technik vorstellen kann. Nicht autonome Moral, sondern nur die Kunst des Ingenieurs könne uns retten.

Das ist das Credo der Eliten, die nicht daran denken, ihren kategorischen Imperativ zu entdecken. Die Aufklärung setzte auf technische und moralische Vervollkommnung. Doch Technik könne die Moral nie ersetzen.

Condorcet „… zeigte die beständige Weiterentwicklung, die Perfektibilität des Menschen. Er vertrat die Ansicht, dass der Mensch von Natur aus gut und zur Vervollkommnung seiner intellektuellen und moralischen Anlagen fähig sei.“

Man kann der Aufklärung den Vorwurf machen, allzu große Hoffnung auf die Technik gesetzt zu haben. Man kann ihr aber nicht vorwerfen, die moralische Vervollkommnung dem technischen Fortschritt völlig überlassen zu haben.

Ohnehin ist es kindisch, Aufklärung, Demokratie oder Humanität zu kritisieren, um aus der Kritik zu folgern: Schluss mit Aufklärung, Demokratie oder Humanität, wie es Marx, die Frankfurter Schule oder postmodernistische Philosophen zu tun pflegen.

Kritik an der Demokratie kann nur bedeuten, sie zu verbessern; ihre Defizite erkennen, um sie auszumerzen; ihre Schwächen wahrnehmen, um sie zu stärken. Die herrschende Moral mag eine Moral der Herrschenden sein, so wäre dennoch zu fragen: ist sie eine universelle? Dann geht sie alle an und muss von allen gefördert werden.

Die GROKO-Atmosphäre der deutschen Parteien setzt allein auf das menschenunabhängige Sein: auf die materiellen, politischen, ökonomischen und technischen Verhältnisse. Dass all diese Elemente allein vom Menschen und seinen demokratischen Entscheidungsfähigkeiten bestimmt werden, diese Urerkenntnis der Polis ist verloren gegangen.

Deutschland vertraut wieder der Obrigkeit, die sich heute Elite nennt. Wäre der Mensch von seinen eigenen Machtinstrumenten abhängig, würde die Demokratie das Schicksal des Goethe‘schen Zauberlehrlings teilen, dem alles über den Kopf gewachsen war. Der Mensch hätte sich Instrumente geschaffen, die er nicht mehr beherrscht, sondern die ihn beherrschen:

Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.

Amerika und Deutschland driften völlig auseinander in der Beurteilung der Zeit. Die frommen Amerikaner sind sich sicher, in der Endzeit zu leben und persönlich dabei zu sein, wenn ihr Herr wiederkommt. Über solche biblischen Märchen können „aufgeklärte“ Deutsche nur lachen. Für sie gibt es keine eschatologische Prägung der Gegenwart. Woran sie glauben, wissen sie selbst nicht.

Nun das Erstaunliche: weil Amerikaner an eine endzeitliche Verwüstung der Erde glauben, können sie an die Verwüstung der Erde durch menschengemachte Naturverwüstung auf keinen Fall glauben. Das sei nichts als menschliche Hybris und Einbildung. Geschichte werde allein vom Regiment Gottes bestimmt. Dem habe sich der Mensch zu beugen.

Aber: wäre eine Gefahr, die von Gott kommt, nicht genauso gefährlich, wie eine, die vom Menschen kommt?

Für die gottlose Menschheit schon, nicht aber für das Häuflein der Erwählten. Diese glauben felsenfest daran, dass sie der „Verbrennung der Erde am Jüngsten Tag“ entgehen werden. Danach das 1000-jährige Reich. „Nur in Amerika würde man es in heiliger Ruhe wirklich genießen.“ (Raeithel)

Von deutschen Erwählten war nie die Rede. Wer also ist hier vertragsbrüchig? Amerikaner machen aus ihrem Glauben kein Geheimnis. Die Deutschen wollen gar nicht wissen, was ihre Verbündeten im Innersten bewegt. Wissen sie doch nicht, was sie selbst glauben und tun sollten. Das ist ihre selbstverschuldete Torheit.

Torheit schützt vor Strafe nicht.

 

Fortsetzung folgt.