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Von vorne LIII

Von vorne LIII,

„Der Geist der CDU ist der, dass es nicht nur Entweder-Oder gibt.“ (CDU-Ziemiak)

Wenn die Gesetze des Denkens schwinden, hat die Realität keine Chance mehr. Sein oder Nichtsein, das ist für Erdenbezwinger kein unlösbarer Widerspruch. Sie schaffen beides. Sie werden leben, ob sie gleich stürben. Fortschritt hat die alte Logik überwunden.

Naturschutz und Wachstum der Wirtschaft? Das Ende der Gattung und Weiterleben? Tot sein und fortfahren wie bisher? Ja sagen und Nein tun? Lügen als Wahrheit verkaufen? Gestern behaupten und heute dementieren? Sich ändern und alles beim Alten lassen? Natur vernichten und einträchtig mit ihr zusammenleben? Trump verabscheuen und ihn bewundernd imitieren?

Denkgesetze sind Naturgesetze. Wer symbiotisch mit der Natur leben will, darf den Satz des Widerspruchs nicht lästern. Wahr-nehmen ohne Wahrheit, Denken ohne Schlüssigkeit sind Vergehen an der Natur. Wer Natur vernichtet, um sie zu vervollkommnen, verstößt gegen Logik und Natur. Als Logik erfunden wurde, sollte sie schützen vor Irrtum, Trug und Täuschung.

„Für den denkerischen Kampf galt es, ein Maß und eine Regel zu suchen, den körnigen Gehalt von dem blendenden Schein zu unterscheiden, vor Täuschung zu bewahren.“ (Theodor Gomperz, Griechische Denker)

Bloßes Wahrnehmen ist passives Erleiden. Erst das Verknüpfen der Wahrnehmungen durch die Gesetze der Logik führt zur Erfassung der Natur, deren Elemente in logischer Weise verbunden sind.

Die Quantenphysik erlebte einen Schock, als sie entdeckte, dass die Gesetze menschlicher Logik in der Welt der kleinsten Teilchen nicht mehr zu gelten schienen. Das blieb ein Rätsel bis heute. Denn es änderte sich nichts an der Tatsache, dass 

 die Welt des Menschen voraussehbar zuverlässig und berechenbar ist.

Die Welt stand auf dem Kopf. Der Mensch schien nicht mehr von der Natur, die Natur schien vom Menschen abhängig zu sein. Der Mensch muss kein Plagiat der Natur, die Natur kein Abklatsch des Menschen sein. Und dennoch können Mensch und Natur ihre ursprüngliche Einheit wiederfinden. Auch die Quantenphysik kann den innigen Zusammenhang von Mensch und Natur nicht verleugnen.

Materie und Logos waren für Griechen kein Widerspruch. Materielles und Geistiges waren für sie identisch (Hylozoisten). Erst der moderne Materialismus trennte Sein vom Bewusstsein und erniedrigte den Geist zum Sklaven seiner Umstände.

Der Mensch ist ein Naturwesen, kein Tier einer außernatürlichen Hölle. Warum sollten die Gesetze seines Denkens nicht mit den Gesetzen seiner Herkunft zusammenfallen?

Für Jenseitsreligionen ist Geist eine übernatürliche Seele, die sich aller Natur entledigen will, um so bald wie möglich ins naturlose Jenseits zu entkommen.

Aus Protest gegen diese naturfeindlichen Phantasien entstand der moderne Materialismus, der jeden Geist zur naturlosen Chimäre degradierte. Geistes-wissenschaften wurden zu Afterbildungen der Naturwissenschaften, um den unberechenbaren Logos und die Verantwortung für sein Leben für immer loszuwerden.

Der Mensch aber ist eine Einheit aus Körper und Geist. Seine Biologie determiniert ihn nicht. Seine Psyche ist nicht allmächtig, aber fähig, der Stimme seiner freien Vernunft zu folgen.

Unvereinbare Widersprüche sind Kleinigkeiten für progressive Zeitgenossen. Zu ihnen zählen Gelehrte, Politiker und Edelschreiber. Einerseits neutral sein, andererseits unangenehmen Meinungen widersprechen, das müsste ein logisches Entweder-Oder sein.

„Frau Naomi Klein, das ist Unfug, weil es illusorisch ist: viel zu groß gedacht. Wenn Sie zuerst den Kapitalismus abschaffen wollen, ehe gehandelt werden kann, wissen Sie doch selbst: Es wird nicht passieren. Wenn Sie ein spezielles Problem dadurch lösen wollen, dass Sie die gesamte Gesellschaftsordnung umstürzen, werden Sie es nicht lösen. Das ist utopisch. Sie sind eine Aktivistin, die den Kapitalismus seit Jahren für vieles auf der Welt verantwortlich macht. Nun also auch noch für den Klimawandel?“ (SPIEGEL.de)

Ein Interview als verdecktes Streitgespräch, ein Streitgespräch, das sich verschämt hinter einem Interview versteckt. Brinkbäumers Stellungnahmen müssten ein Sündenfall sein für Zeitbeobachter, die sich mit keiner Meinung beflecken dürfen.

Als Naomi Klein ihr rebellisches Buch: „Entscheidung, Kapitalismus versus Klima“ veröffentlichte, gab es noch keine aufsässigen Jugendlichen auf der Straße.

Heute lachen sie auf der Straße, die Freitags-Demonstranten. Zu Hause weinen sie. Der Öffentlichkeit dürfen sie ihre Verzweiflung nicht zeigen, damit ihr Protest nicht hoffnungslos und unglaubwürdig erscheint.

Zu Hause müssen sie gegen Anfälle rabenschwarzer Hoffnungslosigkeit ankämpfen. An eigene Kinder dürfen sie nicht mehr denken. Tag um Tag verrinnt – und die Erwachsenen lassen sie mit eiskaltem Durchwursteln und business as usual emotional verhungern. Nie gab es kinderfeindlichere Gesellschaften als die gegenwärtigen, die ihren gesamten Nachwuchs mit Gleichgültigkeit, Spott und Hohn ins Nichts schicken.

Ohnehin ist die gesamte abendländische Geschichte eine Entwicklung auf Kosten der Kinder. Wer sich rühmt, alles Natürliche als teuflisch zu beseitigen, beseitigt das Kindliche. Denn Kinder sind genuine Geschöpfe der Natur.

Kinder aller Kulturen haben keine Probleme miteinander. Es sind die Erwachsenen, die ihre kindliche Natürlichkeit opfern mussten, um in widernatürlichen Herrschaftssystemen Karriere zu machen.

Könnte man Kindern erklären, was in der denaturierten Welt der Erwachsenen geschieht, würden sie ihren Alpträumen nicht mehr entkommen. Die Pubertät als Scharnierzeit, in der die Kinder mit Entsetzen die Verbrechen der Erwachsenen zu ahnen beginnen, ist keine „natürliche“ Phase. Sie ist das Vertrieben werden aus dem Reich glasklarer Logik und geschwisterlicher Fürsorge in die erwachsene Welt eines erbarmungslosen Wettbewerbs.

Kinder brauchen Märchen, hieß Bruno Bettelheims gleichnamiges Buch zur prophylaktischen Bewältigung ihrer bösen Projektionen. Woher aber stammen diese? Aus der intuitiven Wahrnehmung der Erwachsenenwelt.

Kein Kind aber käme auf die Idee, seine Spiel- und Phantasiewelt für den Inbegriff der Welt zu halten. Warum freuen sich alle Kinder auf den ersten Schultag? Weil sie glauben, unter Gleichgesinnte zu kommen, unbeschwert zu lernen, zu spielen und sich ihres Lebens zu freuen. Die Schule unterlässt nichts, ihnen diese kindischen Flausen mit Furcht und Schrecken auszutreiben.

Wer Entweder-Oder negiert, ist genötigt, Unmögliches zu tun: Kompromisse mit dem Untergang zu schließen, die Vernichtung elementarer Logik zu exekutieren. Ist das die Empathie der Erwachsenen mit ihren eigenen Kindern?

In mythischen Zeitaltern gab es vereinzelte Kinderopfer. Am Ende der Geschichte werden alle nachkommenden Generationen in Plastik erstickt, in Hitzehöllen dahingerafft oder gar nicht erst gezeugt. All dies um der Gottähnlichkeit ihrer Erzeuger willen.

Opfer der Priester waren früher stets Männer. Auf höchst erfinderische Weise wurden sie enthauptet, verbrannt, abgeschlachtet, ans Kreuz genagelt – um als Götter wieder aufzuerstehen. Der Tod war die Wiedergeburt der Männer.

Ergo sehen sie dem Absterben der Menschheit cool entgegen: im nächsten Leben werden wir uns wiedersehen, Kameraden. Schon jetzt unternehmen sie alles, um ihr Sein im Leibe zu überwinden und sich in unsterbliche Maschinen zu verwandeln. Sie sind es leid, subjektiv-unvollkommen zu sein. Es muss doch einmal die Zeit der finalen Vollendung vor der Tür stehen.

Und da steht sie auch schon:

„Was wir nun hingegen bei Algoristen erkennen, ist ihr ungeheures Verlangen, wissenschaftliche Objektivität ausschließlich dadurch zu gewährleisten, dass wir auf das menschliche Urteil verzichten und uns nur auf mechanische Verfahren stützen – im Namen eben dieser wissenschaftlichen Objektivität. Viele amerikanische Staaten haben die Verwendung von Straf- und Bewährungsalgorithmen bereits gesetzlich geregelt. Es wird argumentiert, dass man lieber einer Maschine vertraue als den Unwägbarkeiten eines Richters. Durch ihre Einführung statistischer Voraussagen konnten die Strafverfolgungsbehörden die Mordrate um 41 Prozent senken, die allgemeine Kriminalitätsrate sank um 26 Prozent. Nach ihrer Amtszeit gründete Milgram ein Team von Datenwissenschaftlern und Statistikern, um mit ihnen Instrumente zur Risikobewertung zu entwickeln. Die Aufgabe ihres Teams lag darin, zu entscheiden, wie „gefährliche Menschen“ ins Gefängnis gebracht und ungefährliche gar nicht erst hinein gebracht werden. „Richter“, so Milgram, „handeln ja in bester Absicht, wenn sie Entscheidungen über ein mögliches Risiko für die Allgemeinheit treffen, aber sie entscheiden subjektiv, und wir wissen, was eine subjektive Entscheidungsfindung oft bedeutet: sie irren oft.“ Wir brauchen, so Milgram, ein „objektives Maß für Risiko“, das in die Urteile von Richtern einfließen muss. „Wir wissen, dass der algorithmische Prozess funktioniert.““ (Sueddeutsche.de)

Die Maschine ist die objektive Vollendung des Menschen. Der Mensch ist ein irreparabel irrendes und fehlbares Wesen – das überwunden werden muss.

In der perfekten Maschine kulminiert das Menschsein, pardon, das Mannsein.

„Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr gethan, ihn zu überwinden? Alle Wesen bisher schufen Etwas über sich hinaus: und ihr wollt die Ebbe dieser grossen Fluth sein und lieber noch zum Thiere zurückgehn, als den Menschen überwinden?
Ihr habt den Weg vom Wurme zum Menschen gemacht, und Vieles ist in euch noch Wurm. Einst wart ihr Affen, und auch jetzt noch ist der Mensch mehr Affe, als irgend ein Affe. Wer aber der Weiseste von euch ist, der ist auch nur ein Zwiespalt und Zwitter von Pflanze und von Gespenst. Aber heisse ich euch zu Gespenstern oder Pflanzen werden? Seht, ich lehre euch den Übermenschen!“ (Nietzsche)

Frauen und Kinder können niemals Übermenschen werden. Sie ähneln Pflanzen und Tieren und wollen Natur sein. Übermänner haben die Natur überwunden.

Um die subjektive Unvollkommenheit der Menschen zu überwinden, brauchen wir statistisch begründete Vorhersagen und algorithmische Perfektion. Was sind Algoristen?

„Gemeint ist damit jemand, der dem menschlichen Urteil zutiefst misstrauisch gegenübersteht, jemand, der von solchen Urteilen annimmt, dass sie gegen Objektivität und Wissenschaftlichkeit verstoßen.“ (Sueddeutsche.de)

Zwei Fraktionen stehen sich gegenüber.

Die eine „liebt alles Subjektive: das, was man als „informell“, „im Kopf“ und „impressionistisch“ bezeichnen könnte. Die „Kliniker“ glauben, sie können ihre Gegenstände mit akribischer Sorgfalt studieren, sich anschließend in Komitees treffen, um dort urteilsbasierte Vorhersagen über kriminellen Rückfall, Studienerfolg, medizinische Ergebnisse und dergleichen zu machen.“

Die andere „verkörpert dagegen alles, was diese Kliniker nicht tun. Sie hält sich strikt an das Objektive: an die „formalen“, „mechanischen“, „algorithmischen“ Verfahren. Und hier, so die Autoren, liegt der Grundstein für den Triumph der gesamten post-galiläischen (??) Wissenschaft.“ Vermutlich ist post-galileisch gemeint. Wobei Vorhersagen durch Umwandeln von Qualität in Quantität ja spezifisch galileisch ist.

Alles subjektiv-intuitive Einschätzen menschlicher Dinge kann sich eine moderne Gesellschaft nicht mehr leisten. Wie blamiert stehen sie denn da, die altmodischen Geistesanbeter, wenn ihre Rechner perfekte Ergebnisse abliefern? Das narzisstische Verliebtsein in die eigene Weisheit muss ad acta gelegt, der Mensch als Fehlkonstruktion ausgeschaltet werden.

Merkwürdig, dass humane Utopien heutzutage verdammt, technische Utopien hingegen enthusiastisch begrüßt werden.

Die menschliche Epoche, die Epoche des Logos, der Vernunft, des Geistes, nähert sich ihrem Ende – just in dem Moment, als die gesamte Menschheit sich ihrem möglichen Ende nähert. Die Träume jener, die den Ingenieur, den Algorithmiker, als Heiland und Erlöser betrachten, scheinen wahr zu werden.

Nun wird die Moralallergie und Technik-idolatrie der Greta-Feinde und Jugendbeschimpfer verständlich. Um die Klimaprobleme der Welt zu lösen, wollen sie nicht länger auf jugendliche Übertreibungen und moralisierende Vorwürfe angewiesen sein, sondern hoffen auf die kühle Stimme der Wissenschaft. Nicht irgendeiner Wissenschaft, sondern der mechanischen.

Mechanische Wissenschaften sind solche, die ihre Erkenntnisobjekte als berechenbare Maschinen betrachten. Die Uhr war der Archetypus der unveränderlich-berechenbar-beherrschbaren Maschine. Leibniz und Newton stritten sich, ob die Uhr regelmäßig nachjustiert werden müsse (Newton) – oder in zeitloser Perfektion funktionieren würde (Leibniz). Die Vorstellung einer ständig zu verbessernden Uhr war für Leibniz eine Beleidigung des Schöpfers.

Am Anfang schuf Gott das Universum als gigantische Maschine, dann zog er sich – bei Leibniz – vollständig zurück. Bei Newton musste er Schichtdienst einlegen und regelmäßig Hand anlegen.

Daraus wurde bei Adam Smith die Unsichtbare Hand, die die Mängel des Uhrwerk-Kapitalismus im patriarchalen Wohlwollen beheben würde. Hier entstand der moderne Glaube an den automatisch funktionierenden Markt, der auf moralische und staatliche Interventionen verzichten kann. Ja, verzichten muss, denn alle Eingriffe gefährden nur die perfekten Mechanismen der Schöpfungsmaschine.

Sowohl Kapitalismus als auch Marxismus sind Imitationen der Newton‘schen Maschinenwissenschaften, die gegen Interventionen des fürwitzigen Menschen allergisch sind. Erst im Reich der Freiheit wird die Maschine abgeschafft und der Mensch vom Sklavendienst an ihr befreit. Dort erst kann er‘s treiben nach Belieben.

Woher stammt die Idee zu dieser Maschinisierung der Welt? Bestimmt nicht von den Griechen, die den Kosmos als lebendiges Gesamtwesen betrachteten. Es war die Idee eines allmächtigen Schöpfers, der alles erschuf – und sich dann aufs Altenteil zurückzog. Schriftgemäß war das nicht, denn in der Heilsgeschichte war es der Schöpfer, der alles auf Erden ununterbrochen bestimmte.

Doch hier schlüpft ein Gedanke des stoischen Denkers Aratos ins paulinische Denken. (Paulus war in einer hellenistischen Stadt aufgewachsen):

„Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch etliche Poeten bei euch gesagt haben: „Wir sind seines Geschlechts“.“

Wir sind identisch mit Gott, wir sind seines Geschlechts. Kühner ging‘s nicht. Die Erbsünde war überwunden, die Jämmerlichkeit des Kreaturseins abgetan. Gott und Mensch waren eins.

Die Stoiker kannten weder eine Erbsünde noch einen jenseitigen Gott. Ein stoischer Weiser kann vollkommen werden. War aber die Schöpfung vollkommen, gab es für den Schöpfer keine Notwendigkeit, auf Erden nach dem Rechten zu sehen. Wie konnte dann noch begründet werden, dass Gott alles auf Erden bestimmt? Blieb nur die Möglichkeit: Gott hatte von Anfang an alles perfekt erschaffen, sodass er sich beruhigt zurückziehen konnte.

Und hier kommt Francis Bacon ins Spiel, der überzeugt war, durch technisches Wissen die Erbsünde überwinden zu können. Die Schöpfung war für ihn eine perfekte Maschine – mit kleineren Blessuren, die man mit Hilfe der Wissenschaft in den Griff kriegen könnte.

Die Vernünftigkeit des organischen Kosmos bei den Griechen verband sich mit der Allmacht eines Schöpfers, der sich getrost raushalten und als müßiger Zuschauer gebärden konnte. Die Geschöpfe waren clever genug, ihr irdisches Haus selbst zu reparieren und nach Bedarf zu erneuern.

Den Griechen warf Bacon vor, sie seien müßige moralische Schwätzer gewesen, unfähig, die Mängel der Natur und Menschenwelt zu korrigieren und zu perfektionieren:

„Die Griechen benehmen sich wie die Kinder, immer bereit zu schwätzen, aber unfähig, etwas zu schaffen, ihre Weisheit quillt über von Worten, ist aber arm an Taten.“ Jetzt müsste man „im menschlichen Streben und Verstehen ein wahres Modell der Welt schaffen, so wie es in Wirklichkeit ist und nicht, wie sie in unserer Vorstellung sein sollte.“ Jetzt sei eine Methode nötig, „die die Grenzen des menschlichen Herrschaftsbereichs ausweitet und alles macht, was machbar ist.“ Nur objektives Wissen sei in der Lage, „über die natürlichen Dinge zu gebieten – über den Körper, die Heilmittel, mechanische Energien und unendlich vieles andere dieser Art.“ (zit. bei Rifkin, Entropie, Ein Neues Weltbild)

Bacons Devise: Wissen ist Macht, wurde zum Trompetenstoß zur Eroberung der Welt. Die Muße, das Schauen, das machtlose Spielen der Kinder, das Begnügen mit dem, was die Natur von sich aus gibt: all dies war vorbei.

Aus homo ludens wurde homo faber. Das Lebensgefühl der Kinder (ihren Nachbarn erschienen die Griechen wie ewige Kinder) wurde verschüttet. Doch will die Menschheit mit einem blauen Auge davonkommen, wird sie werden müssen wie die Kinder.

Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder…, aber nicht wie Kinder, die sich nach dem Himmel sehnen, weil es ihnen auf Erden nicht gefällt, sondern wie Kinder, die sich von der Faszination ihrer Spiele nicht lösen können.

Alles machen, was machbar ist: das ist der Imperativ, alles Natürliche zu zerstören, um es ex nihilo neu zu kreieren.

Zuerst bezog sich die Mechanisierung der Welt nur auf die Natur – und auf die Hälfte des Menschen, der, nach Descartes, aus körperlicher Maschine und geistiger Freiheit bestand.

In der Frühaufklärung verzichtete de la Mettrie auf den Geist und erklärte den ganzen Menschen zur Maschine. Dies wiederum war das Vorbild Skinners, der „Freiheit und Würde“ des Menschen zum Teufel jagte und den Menschen zur beliebig gängelbaren black box erklärte.

Das ist das Menschenbild der Moderne. Das Individuum, ein steuerbares Atom inmitten einer steuerbaren Ökonomie, einer von außen geleiteten Konsumwelt und einer medial manipulierbaren Gesellschaft. Verantwortungsfähigkeit, Autonomie? Phrasen für nationale Feiertage.

Das Lebensziel jedes Einzelnen bestehe darin, die mechanische Natur in den Griff zu kriegen in Form privaten Eigentums und globaler Macht. Natur an sich sei nichts wert, sagte Locke. Nur die vom Menschen angeeignete und ausgebeutete Natur ist wahre Natur. Man müsse die Unterwerfung der Natur unterstützen, damit die Menschen den Wohlstand erwerben könnten, der für ihr Glück notwendig sei:

„Die Negation der Natur ist der Weg zum Glück. Die Menschen müssen sich vollständig von der Natur emanzipieren.“ (Locke)

Von Locke zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung war es nur ein kleiner Schritt:

„Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit.“

Von Francis Bacon über Newton bis Adam Smith führt ein gerader Weg:

„Smith vermeidet jeden Hinweis auf moralische Zusammenhänge in der Ökonomie, wie Locke es schon vorgemacht hatte. Jeder Versuch, Ökonomie an moralischen Kategorien zu messen, stört nur das Wirken der „unsichtbaren Hand“, von der Smith behauptete, sie sei ein Naturgesetz, das die ökonomischen Prozesse leite, indem sie Kapitalinvestitionen, Arbeitsplätze, Ressourcen und die Produktion von Gütern dirigiere. Wohl könne man seine Vernunft benutzen, diese Gesetze zu verstehen. So wenig aber die Menschen fähig seien, die Gravitation zu beeinflussen, können sie das Wirken der unsichtbaren Hand aufheben. Der Zweck der Ökonomie ist die stetige Expansion des Marktes. Also ist jedes Mittel recht, wenn es nur Wachstum fördert.“ (Rifkin)

Doch der vollkommene Kosmos der Griechen wird immer mehr von der Erbsünde durchdrungen und in Unordnung verwandelt. Das Böse infiltriert die Natur zunehmend mit vergifteten Defekten. Die Erde gerät in einen chaotischen und verworrenen Zustand: „Daher muss auf der Erde wieder die gleiche Ordnung geschaffen werden, die im übrigen Kosmos zu herrschen scheint.“

Woran aber erkennt man den optimalen Zustand der Natur? „Je geordneter die Welt werden muss, je mehr materiellen Wohlstand müssen wir anhäufen.“ Je ungeheurer die Reichtümer anwachsen, umso geordneter muss die Natur sein. Der absolute Wahn wird zum Sinn der westlichen Politik.

Zur Reihe Bacon, Newton, Smith gesellt sich schließlich Charles Darwin. „Das mechanistische Weltparadigma erlebte seinen größten Triumph mit dem Erfolg von Darwins Publikation „Über den Ursprung der Arten“. Wenn Evolution die jeweils Besten auswählt und überleben lässt, hat die Naturmaschine die besten Chancen, wieder die ursprüngliche Vollkommenheit zu erreichen. Alles Missglückte und Unangepasste muss scheitern und ausscheiden.

Wozu nun aber der Einsatz der Algorithmen in der amerikanischen Justiz?

Der Staat der Zukunft will seine Untertanen – vor allem die Bösen – vollständig in den Griff kriegen. Sie müssen gar keine Straftaten begangen haben, es genügt, wenn perfekte Prognosemaschinen errechnen, dass sie straffällig hätten werden können.

Die Beherrschung der Untertanen durch prognostische Prävention wäre der Übergang von der Demokratie zur totalitären Theokratie.

In der Demokratie entscheiden Taten, die einem Verdächtigen nachgewiesen werden müssen. In einer algorithmischen Theokratie sieht der Staat – das Herz an. Der heidnische Mensch sieht, was vor Augen ist, der alleswissende und unfehlbare Staat sieht in das Innere des Menschen. Bevor er zur Tat schreiten kann, stürmt die Polizei in seine Wohnung, um ihn festzunehmen.

Was bedeutet all dies weltpolitisch? Es bedeutet, dass China und USA, die beiden mächtigsten Staaten der Welt, sich immer ähnlicher werden.

Der in Berlin lebende Künstler Ai Weiwei wirft dem Westen vor, sich vor China feige zu ducken, die hermetische Überwachungspolitik Pekings zu ignorieren und nur an Geschäften interessiert zu sein.

„Der Westen nutzt nur seinen eigenen Vorteil, ohne China wirklich zu verstehen. Der Westen müsste vereint auftreten und seine Werte vermitteln, nur so können wir ein besseres China und eine bessere Zukunft für diese vielen Menschen erreichen.“ (WELT.de)

Nun kennen wir den Grund der Feigheit: die rivalisierenden Mächte der Welt konvergieren und verwachsen zu einem globalen Mechanismus – ohne aber ihre Differenzen abzuschwächen. Wenn Mensch und Natur sich in Maschinen verwandeln, werden sich selbsternannte Maschinenführer der Welt erbarmen – und sie ihres Weges führen. Wohin?

Entweder ins Verderben oder in den Untergang. Was beweisen würde: in einer suizidalen Welt gibt es kein Entrinnen mehr.

Seit Jahrhunderten kreiert der Westen technische Wissenschaften, mit denen der Mensch Vorhersagen entwickeln kann. Nur eins können sie nicht: ihren eigenen Untergang vorhersagen.

 

Fortsetzung folgt.