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Von vorne XXXIII

Von vorne XXXIII,

Mutter, ach Mutter! es hungert mich
Gieb mir Brod, sonst sterb ich.
Warte nur mein liebes Kind!
Morgen wollen wir säen geschwind.

Und als das Korn gesäet war,
Rief das Kind noch immerdar:
Mutter, ach Mutter es hungert mich
Gieb mir Brod, sonst sterb ich.
Warte nur mein liebes Kind!
Morgen wollen wir ärndten geschwind.

Und als das Korn geärntet war
Rief das Kind noch immerdar:
Mutter, ach Mutter! es hungert mich,
Gieb mir Brod, sonst sterbe ich.
Warte nur mein liebes Kind!
Morgen wollen wir dreschen geschwind.

Und als das Korn gedroschen war,
Rief das Kind noch immerdar:
Mutter, ach Mutter! es hungert mich,
Gieb mir Brod, sonst sterbe ich.
Warte nur mein liebes Kind!
Morgen wollen wir mahlen geschwind.

Und als das Korn gemahlen war,
Rief das Kind noch immerdar:
Mutter, ach Mutter! es hungert mich,
Gieb mir Brod, sonst sterbe ich.
Warte nur mein liebes Kind!
Morgen wollen wir backen geschwind.
Und als das Brod gebacken war,
Lag das Kind schon auf der Bahr
.     (aus „Des Knaben Wunderhorn“)

„Denn für dich ein Stück Brot erringen,
Das heißt Streikposten stehn,
Und große Generäle bezwingen,
und gegen Tanks angehen.
Mein Sohn, lass es dir von deiner Mutter sagen:
Auf dich wartet ein Leben, schlimmer als die Pest.
Aber ich habe dich nicht dazu ausgetragen,
Dass du dir das einmal ruhig gefallen lässt
.“ (Brecht, Wiegenlieder)

Generäle und Panzer besiegen wäre eine Kleinigkeit gegen das, was

Kindern heute droht: der Untergang der Welt.

Die erste Mutter hat keine andere Wahl, als ihr Kind ständig zu vertrösten: Warte nur, morgen. Wäre das Kind herangewachsen, müsste sie handeln wie die zweite Mutter: Lass dir nichts gefallen. Habe ich dich bekommen, damit du von höheren Mächten aus dem Wege geräumt werden kannst? Lass dir nichts gefallen.

Warte nur, morgen wird alles besser. Morgen kommt der Fortschritt, kommen die intelligenten Maschinen, morgen sind wir im Universum. Morgen kommt das Reich der Freiheit, das Omega der Evolution, das Himmelreich.

Fortschritt, intelligente Maschinen, das Wachstum der Weltwirtschaft werden alle Probleme lösen. Wartet einer neuen Erde und eines neuen Himmels. Wartet auf die Geschichte, auf die Erfüllung uralter Verheißungen. Und noch einmal sage ich euch: wartet. Das abendländische Geschichtsprinzip ist Prokrastination. Morgen, morgen, nur nicht heute.

Würde die erste Mutter ihre mündigen Kinder vertrösten wie sie ihre Säuglinge tröstete, würde sie sich schuldig machen – wie die politische Mutter der Deutschen sich schuldig macht, weil sie ihre Untertanen ständig auf Morgen vertröstet: manjana, morgen werden wir es schaffen, morgen im Himmelreich.

Die Geschichte wurde erfunden, damit Kinder es eines Tages besser haben sollten. Jetzt verriet die Heilsgeschichte ihr Geheimnis: die Kinder werden eine strahlende Zukunft erleben: sie werden in ein Nirwana eingehen, in dem sie kein Leid und Schmerz mehr erfahren werden denn sie werden nicht mehr sein.

Die Mutter bei Brecht, auch sie vertröstet. Der Aufstand der Kinder wird ihnen nichts bringen. Geschichte wird alles allein besorgen. Den Empörten bleibt nur, auf das Signal der Geschichte zu warten und sich anzuschließen.

Von Anfang an waren Kinder nur Instrumente der Eltern. Nie ging es um ihr eigenes Glück, um ihre eigenen Lebensvorstellungen. Sie wurden gezeugt, um die Erde zu beherrschen, die eigene Sippe zum siegreichen Volk zu erweitern, durch Erfolg den Ruhm der Eltern zu mehren. Was Eltern misslang, sollte den Kindern gelingen.

Gottes Verheißungen, sein Volk zum Herrscher der Welt zu machen, scheiterten. Also musste er einen Sohn zeugen, der die Schlappe des Vaters ausbügeln sollte. Der Sohn wollte es anders machen als der Vater. Doch sein Widerstand – Herr, lass diesen Kelch an mir vorüber gehen – war schwach und mutlos.

Während es den heidnischen Söhnen in Hellas gelang, sich von der Tradition ihrer Väter zu trennen, gelang es dem allmächtigen Schöpfer, seinen Sohn zum Erfüllungsgehilfen seines Heils – das ihm selbst misslang – zu degradieren.

Im Neuen Testament werden die Kinder zu leicht verführbaren Hilfstruppen des Himmels. Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn ihnen gehört das Reich der Himmel.

Nicht auf Erden sollen sie ein erfülltes Leben führen, fürs Jenseits sollen sie präpariert werden. Die Erde ist eine Transitstation, die schnell durchlaufen werden muss. Die unverständig eingeschätzten Kinder wurden zu Vorbildern des blinden Glaubens der Erwachsenen.

„Wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, wird nicht hineinkommen.“

Alles, was die Gläubigen auf Erden tun, tun sie nicht um ihretwillen, sondern um Seinetwillen.

„Alles, was ihr einem dieser Geringsten unter meinen Brüdern getan habt, habt ihr Mir getan. „Wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.“ „Und wer Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Weib oder Kinder oder Äcker um meines Namens willen verlässt, der wird’s hundertfältig nehmen und das ewige Leben ererben.“

Hier sehen wir den geistlichen Ursprung des modernen Lösens. Wer sich um Gottes willen nicht von allen Dingen dieser Welt löst, ist des Teufels.

Das pralle, saftige Leben auf Erden wurde leer und ausgehöhlt. Alles muss um des Himmelreichs willen getan werden. Ohne Jenseits bleibt die Erde ein Nichts. Das wird zum Auftrag an das Abendland, durch Technik und Fortschritt die Erde selbsterfüllend zu ver-nicht-en.

Das Kind bleibt ohne Jenseits-Imprägnierung ein sündiges Nichts. Stirbt es ungetauft, erwartet es das Grauenhafte. Erst vor kurzem hob der Vatikan die Verdammung des ungetauft gestorbenen Kindes auf. Lutheraner halten sich bedeckt: „In bezug auf die Kinder der Heiden wagen wir es nicht, Hoffnung auf Seligkeit zu hegen“. Schon im Mutterleib wurde Johannes der Täufer mit dem Heiligen Geist erfüllt. Ohne den Geist wäre er ein satanischer Bengel geblieben.

Die FAZ, in ihrer Belobigung der Schreitherapie, lehnt Rousseaus Glauben an eine gute Natur als Blauäugigkeit ab. Der Mensch muss ein wildes Tier der Evolution sein, damit es mit heiligem Furor gezähmt werden kann. Hört ihr im Schreien der Kinder das frohlockende Gebrüll des Teufels?

Der Säugling als natürliches Produkt seiner Eltern ist wertlos und erbsündig. Im Schreien eines Kindes hörte Augustin die Stimme des Teufels. Die verhaltenstherapeutische Behandlung von Schreikindern (in der „Elternschule“) erinnert an christliches Exorzieren teuflischer Geister.

Skinner wollte die christliche Lohn- und Strafethik durch positive und negative Verstärkungen ersetzen. Die Magie des Glaubens verwandelte er in eine mechanische Wissenschaft. Vernunft, Wille und Gefühl der Menschen gelten nichts, alles kommt von außen. Der außengeleitete Mensch der Moderne ist der Sünder, der nur von außen gerettet werden kann. Gnade, Barmherzigkeit, müssen von außen kommen, um den innerlichen Menschen zu prägen.

Als das Jenseits über das Heidentum siegte, wurde die Welt zur Vorlauf- und Teststrecke des Himmels erniedrigt.

„Was willst du also erkennen?“ So redet die Vernunft im Selbstgespräch die Seele an. „Gott und die Seele will ich erkennen.“ „Und nichts weiter?“ „Gar nichts weiter.“ Selbstbesinnung ist daher der Mittelpunkt der ersten Schriften des Augustinus, welche wie in einem starken Strome seit dem Jahre 380 hervorbrachen. Dem ins religiöse Erleben vertieften Menschen sind die Probleme des Kosmos gleichgültig. Selbstbesinnung ist sich des inneren Lebens vollkommen sicher. Welt bedeutet für Augustin kein Wert an sich, sondern bloßes Phänomen des Bewusstseins.   Außenwelt ist nur von Interesse, sofern sie etwas für das Seelenleben bedeutet. Es geht in allem nur um die Entdeckung der Realität im eigenen Innern. Das Außen bleibt unbekannt und befremdlich.
„Du, der du dich erkennen willst, weißt du, dass du bist?“ „Ich weiß es.“ „Und woher?“ „Ich weiß es nicht.“ „Weißt du, dass du dich bewegst?“ „Ich weiß es nicht.“ „Weißt du, dass du denkst?“ „Ich weiß es.“ (alles in Dilthey, Gesammelte Schriften I)

Es ist wie ein jäher Wechsel aus der prächtigen Natur heidnischer Kosmosverehrer in die denaturierte Wüste jenseits gerichteter Frommen. Hier sehen wir die erste Naturauslöschung der abendländischen Geschichte, vorläufig reduziert auf das Innere der Gläubigen.

Augustinische Selbstbesinnung ist das Gegenteil der sokratischen. Das christliche Selbst negiert die Welt und sucht nur innerlichen Kontakt mit Gott, die sokratische vergewissert sich im Kontext ihrer natürlichen Verbundenheit.

Alle späteren Zweifel am Sein der Welt gründen in der augustinischen Abwendung von der gefallenen Natur und im ängstlichen Klammern an die innere Heilsgewissheit, die von Versuchungen der Außenwelt jederzeit zerstört werden kann.

Schein oder Sein, Sein oder Nichtsein? Können wir wissen, ob es uns gibt? Ob es eine Welt gibt? Sein oder Nichtsein? Ist das Leben ein Traum? Lieblingsfragen der Uni-Philosophen, um Erstsemester mit ihrer Weisheit ins Erstaunen zu versetzen – und frühzeitig die Spreu vom Weizen zu trennen. Nur wer solche Schockfragen überlebt, ist einer deutschen Uni-Ausbildung würdig.

Der innere Mensch verliert das Gefühl für seine körperlich-seelische Einheit. Seine Seele als komplementärer Geist seines Leibs wird zur ungreifbaren Substanz seiner Unendlichkeit. Der Mensch wird zum Fremdling auf Erden, die er so schnell wie möglich verlassen will. Lösen. Er muss sich von allem Irdischen lösen, um sich für das Jenseits vorzubereiten.

Es ist die Vorschule für das kapitalistische Lösen der Menschen von allen Beziehungen, die die allseitige Verwendbarkeit des homo oeconomicus erst möglich machten. In früher Nachkriegszeit hatten die Deutschen Schwierigkeiten mit der demokratischen Freiheit. Also erfanden sie Formeln, um dem „Missverständnis“ vorzubeugen, Freiheit sei freie Selbstbestimmung, unabhängig von Priestern und Autoritäten, indem sie von „Freiheit in Bindung“ sprachen.

Niemand sollte glauben, Freiheit sei die Erlaubnis, staatlichen und klerikalen Instanzen zu widersprechen. Also musste die gefährliche Freiheit an traditionellen Machtpflöcken angebunden werden. So entstand die Böckenförde-Doktrin. Demokratie schön und gut – aber bitte angekettet an ehrwürdigen Geboten der Kirchen.

Es kam, wie es kommen musste. Die halbseidene deutsche Freiheit schlug um in totale Freiheit des Neoliberalismus. Deutsche Dialektiker zwingen zusammen, was nicht zusammen gehört und trennen, was sich ergänzt und nicht getrennt werden darf. Bedingungslose Freiheit der neoliberalen Wirtschaft will grenzenlose Macht für sich, auf Kosten der Freiheit der Schwächeren.  

Grenzenlose Wissenschaft, grenzenlose Wirtschaft, grenzenloser Fortschritt, grenzenlose Macht als Lizenzen grenzenloser Naturzerstörung.

Der Mensch kennt nur eine Gewissheit, die Gewissheit seiner inneren Seele. Alles andere unterliegt einem unaufhebbaren Zweifel.

Wie kannst du sicher sein, dass du denkst? Kann ich nur deshalb, weil ich daran zweifle. Wer zweifelt, muss ja vorhanden sein und Gedanken haben. Auch hier sehen wir die substantielle Verwandlung einer heidnischen Errungenschaft in einen christlichen Defekt.

Der Zweifel der Philosophen diente der Frage: Was weiß ich wirklich – um auf einem gediegenen Fundament ein echtes Wissen aufzubauen.

Christlicher Zweifel dient nicht dem Erkennen, sondern dem Misstrauen gegen die Natur. Zweifeln ist keine Selbstüberprüfung des eigenen Fürwahrhaltens, sondern ein unaufhebbares Fremdeln in der Welt. Der Mensch eilt durch die gefallene Welt wie ein Republik-Flüchtling, versteckt in einem verschlossenen Güterwaggon.

Fremdeln in der Natur wird zur Voraussetzung ihrer Überwindung und der Ersetzung durch eine neue technische Natur, die die alte überflüssig machen soll.

Als zu Beginn der Neuzeit die Naturwissenschaft schnelle Fortschritte bei Newton, Galilei und Kepler machte, spaltete sich der Mensch in einen materiellen Körper, den er erforschen konnte wie die mechanische Natur – und in eine unfassbare Seele, deren Geheimnisse man dem Glauben überlassen konnte.

Hier werden die Fundamente der späteren Geisteswissenschaften geschaffen. Die unfassbare Seele wird aussortiert, zur black box erklärt (die unsterbliche Seele mit der sterblichen Innerlichkeit des Denkens, Fühlens und Wollens zusammen geschüttet), der quantifizierbare Rest des Körpers wird zum alleinigen Gegenstand der psychologischen Forschung.

Für Descartes war der Mensch ein dualistisches Wesen aus christlicher Seele und einem Körper, der wie ein Uhrwerk erforscht werden konnte. Tiere waren Maschinen ohne Seele. Nicht lange und die Seele wurde dem Menschen entfernt. Übrig blieb der Mensch als Tier, der Mensch als Maschine bei La Mettrie.

Alles, was nach Introspektion, Selbsterforschung roch, wird bei Watson, einem der Begründer des Behaviorismus, aus dem Menschlichen entfernt. Tatsächlich hatte er als Biologe begonnen und Tiere untersucht. Der Übergang vom Tier zum Menschen war kein Sprung in eine andere Qualität.

Verhaltenstherapie kann bei Schreikindern genauso eingesetzt werden wie bei der Zähmung wilder Tiere. Die Innerlichkeit der Mütter und Kinder war in der „Elternschule“ ohne Interesse (Väter waren kaum zu sehen). Gespräche zwischen vernunftbegabten Wesen zur rationalen Verständigung – Fehlanzeige. Da dozierte und predigte ein „Wissenschaftler“ wie ein allwissender Priester, die anderen schwiegen und zeigten mulmige Gefühle. Wenn es stimmt, wären die meisten Mütter nach Beendigung der Therapie nicht mehr bereit gewesen, die Prozedur noch einmal über sich ergehen zu lassen.

Francis Bacon verwandelte die Natur in eine Maschine, um sie zu erforschen und zu beherrschen. Die Philosophen wollten nicht zurückbleiben und verwandelten den Menschen in eine Maschine, um ihn ebenfalls zu beherrschen. Das Ensemble der Menschen wurde zur Großmaschine der Gesellschaft oder einem System, das die spätere Systemtheorie wie ein Riesenuhrwerk beschrieb. Vernunftgeleitete Menschen waren systemschädigend und überflüssig.

Psychologie wurde zum System der Einzelmaschinen, Soziologie zum System der Gesamtmaschine. Fehlt noch? Die Ökonomie, die seit der englischen Frühaufklärung – und selbst bei Adam Smith, der als stoischer Philosoph begann – zur quantitativen Geld- und Tauschwirtschaft wurde. Mit moralischen Erwägungen hatten diese Maschinen nichts mehr zu tun.

Maschinen sind. Sie folgen Gesetzen der Natur, die nicht die Freiheit besitzen, anderes zu wollen als sie müssen. Ein Soll ist aus ihrem Ist nicht abzuleiten.

Ein schrecklicher Trugschluss. Denn Naturgesetze bleiben zwar konstant und berechenbar. Doch die Wissenschaftler, die sie benutzen, um technische Macht über Mensch und Natur auszuüben, handeln nicht im Auftrag der Natur.

Wieder einmal versteckt sich der Mensch hinter anonymen Mächten wie Gott oder Geschichte, um sein Tun als Gehorsam zu legitimieren. Gott befiehlt, Geschichte befiehlt, Natur befiehlt: ergo wir sind unschuldig. Moralische Verantwortung bleibt im Keller.

Der Fortschritt eilt im Siegestempo über die Welt, unterdrückt den Menschen (auch wenn er materiell davon profitiert) und zerstört die Natur, was größenwahnsinnige Fortschrittler nicht erkennen wollen. Die Natur sollte sich selbst zerstören wollen? Das wäre doch Wahnsinn.

Wie Natur deformiert und beherrscht wird, so wird der Mensch traktiert. Wie immer müssen die Schwächsten und Kleinsten am meisten darunter leiden. Ökonomie wird eingesetzt, um den arbeitenden Pöbel auf niedrigstem Niveau zu disziplinieren. Da die Männer der Schwachen immer noch stärker sind als ihre Frauen und Kinder, werden die Letzeren am meisten kujoniert. Wer jemals Engels Beschreibungen der arbeitenden Lage im Früh-Kapitalismus las, müsste ein Stein sein, wenn ihm dabei nicht das Herz gebrochen wäre.

Gegenwärtig wird der Frau vorgegaukelt, ihre Emanzipation könne nur in der Lösung vom Kind bestehen, um im gelobten Land des männlichen Kapitalismus Freiheit und Selbstbestimmung zu erringen. Wo bleibt das Kind? In Kitas, die die Kinder ungerührt weinen lassen – und in Schulen, die staatlicher Schulpflicht und einer allpräsenten Zensurherrschaft unterstehen.

Als die Schulpflicht eingeführt wurde, kam eine Kritik auf, die heute undenkbar wäre.

„Indem man in die Schulwelt die Formen des Gebietens und Verbietens, des Reglementierens und Inspizierens einführte, die im Heerwesen und in der politischen Verwaltung zuerst ausgebildet sind, ist ein gut Teil der Freiheit und Spontaneität dahin gegangen, worauf in der geistigen Welt doch alles beruht.“ (Friedrich Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts aus den deutschen Schulen und Universitäten)

Die elterliche Kindererziehung konnte von diesen Grundsätzen frühzeitigen Drills nicht frei bleiben:

„Ein Grundirrtum in der Einschätzung des Kindes besteht laut Winterhoff in der Annahme, kindliches Verhalten sei Ausdruck der Persönlichkeit. Hier würden entwicklungsspezifische Verhaltensweisen als individuelle Merkmale verkannt, denn Kinder hätten, so Winterhoff, bis zum Alter von 7 Jahren noch keine Persönlichkeit.“ (Wikipedia.org)

Hauptfehler der Erwachsenen sei die Haltung, Kinder als Partner zu sehen. Der Wunsch, von ihnen geliebt zu werden und sich dadurch von den Kindern abhängig zu machen. Das zwanghafte Bedürfnis, zum Kind eine übermäßige Beziehung oder eine „Symbiose“ herzustellen. All das „verschiebe die natürliche Machtbasis zugunsten des Nachwuchses und führe schließlich, so Winterhoff, zu der völligen Machtumkehr, die er als Tyrannei des Kindes beschreibt. In Abhängigkeit von allgemeinen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen gelinge es den Erwachsenen so immer weniger, den Kindern ein förderndes Gegenüber zu sein. Die Gesellschaft ziehe sich in epidemischen Ausmaß eine Horde kindlicher Tyrannen heran, deren weitere Entwicklung eine gesamtgesellschaftliche Bedrohung darstelle.“

Winterhoffs Drill-Pädagogik führte in den Medien dazu, die Widerständler der Fridays for Future als potentielle Rebellen zu diffamieren. Der deutsche Kasernenhof- und Zuchtton, einst Schwarze Pädagogik benannt, ist wieder mitten unter uns.

Sollte die Jugend sich nicht nur mit der Bekämpfung der Klimakatastrophe begnügen, sondern die Demütigungsrituale von der Kita bis zum Abitur anprangern, werden die Winterhoff-Kohorten und die Verhaltenstherapeuten die Aufsässigen bald als Wiedergänger der RAF-Fraktion beschimpfen.

Erfreulicherweise machte der SPIEGEL unter Kindern und Jugendlichen eine Umfrage, was sie am dringlichsten ändern würden:

Entscheiden, ohne dass Erwachsene reinreden. Ich wünsche mir, dass es in Deutschland keine Schulpflicht mehr gäbe, sondern Kinder sich aussuchen dürften, ob sie in die Schule gehen oder nicht, oder ob sie anders lernen möchten. Ich würde auch die Schule abschaffen, weil ich Schule überhaupt nicht mag. Alles was man wissen will, kann man auch über das iPad erforschen. Ich würde bestimmen, dass kein Kind in den Kindergarten muss und kein Kind in die Schule und kein Erwachsener zur Arbeit. In einer wirklichen, einer echten Demokratie sollten alle Menschen gehört werden. Welches Recht haben die „Alten“, uns die Welt zu zerstören? Klar, es heißt wir sind nicht reif genug. Aber wir wissen, dass wir die Welt schützen müssen, auf der wir leben. Könnt ihr das Gleiche von eurer Generation sagen?“ (SPIEGEL.de)

Werte Erwachsene und pädagogische Experten: diese kindliche Einfalt bitte nicht ernst nehmen. Kinder besitzen weder Persönlichkeit, noch den kleinsten Anflug von Vernunft. Sie haben nichts anderes im Sinn, als Erwachsene, die sie mühsam ernähren und ins Leben führen müssen, zu düpieren und vorzuführen.

Gaukelt ihnen eine zauberhafte Zukunft vor: als Befehlsempfänger genialer Roboter, als Reisende ins endlose Weltall, als Schöpfer einer wunderbar neuen Natur, die die alte in einem Inferno vernichten und einer perfekten Überwachungsgesellschaft weichen wird, in der die Menschen wie in einem von aller Willkür befreiten, berechenbaren Ameisen- und Termitenstaat endlich jenen Frieden finden werden, den sie mit fahrlässiger Vernunft und Freiheit immer wieder vertändelt haben.

Hört den Hohepriester der schönen neuen Weltmaschine:

„Was abgeschafft werden muss, ist der „autonome“ Mensch – der innere Mensch, der Mensch, der von der Literatur der Freiheit und Würde verteidigt wird. Seine Abschaffung ist überfällig. Der „autonome“ Mensch ist ein Produkt unserer Unwissenheit. Während unser Wissen wächst, löst sich jener immer mehr in Nichts auf.“ (Skinner, Jenseits von Freiheit und Würde)

 

Fortsetzung folgt.