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Von vorne XXIX

Von vorne XXIX,

schon wieder eine Frau. Wenn in Osaka die Mächtigen der Welt zusammenstehen, sind fast keine Frauen zu sehen. Sie haben alle Hände voll zu tun, den Unrat wegräumen, den die Herren des Planeten hinter sich auftürmen. Die Hoch-Kulturen der Männer sind an ihremTiefpunkt angelangt: an der Zerstörung der bewohnbaren Erde. Auf welche Beweise wartet ihr noch, Freunde der Erde?

„Eine deutsche Kapitänin mit dem Namen Carola Rackete, 31, die früher auf Eisbrechern durch die Arktis fuhr, nimmt es vor der Insel Lampedusa in diesen Stunden mit Italiens Innenminister Matteo Salvini auf – und macht damit auf die verkorkste Migrationspolitik Europas aufmerksam. Die funktioniert nämlich so, dass man das ganze Elend unsichtbar macht und outsourct: an libysche Milizen und an den italienischen Türsteher Salvini, der Schiffe mit Migranten nicht mehr anlegen lässt. «Ich bin wütend und enttäuscht. Europa hat uns im Stich gelassen. Seit zwei Wochen sind weder die EU-Kommission noch die Nationalstaaten bereit, Verantwortung zu übernehmen. Alles muss man selbst machen.»“ (SPIEGEL.de)

Dazu das Schandurteil des obersten europäischen Gerichts, das die Flüchtlinge zum würde- und hoffnungslosen Treiben auf dem Meer verurteilt. Kein Kommentar von deutschen Politikern, die unter Furcht und Zittern ihre Seligkeit und historische Bedeutung verdienen müssen.

„Allerdings ist selbst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der Meinung, dass sie nicht in Lampedusa anlegen müssen, weil es keine unmittelbare Gefahr für die Menschen auf dem Schiff gebe.“ (SPIEGEL.de)

Die obersten Richter haben ihre Wendigkeit bewiesen und sind vor der europäischen Inhumanitätspolitik in die Knie gegangen. An allen Ecken und Enden zeigt sich,

… dass das Humanitätsgeplapper der Nachkriegsepoche beendet ist. Gelobt sei das heilsame Böse, das die Tüchtigen rettet und die Überflüssigen verdirbt. Europa ist vor der Sintflut afrikanischer Flüchtlinge gerettet. Der nächste Wirtschaftsaufschwung kann kommen.

Das christliche Abendland hatte mit Afrika ohnehin diverse Probleme. Ham, Bruder von Sem und Japhet, hatte Vater Noah in seiner Blöße gesehen.

„Daneben existiert auch die Ansicht, dass Ham mit seinem Vater geschlafen habe. Diese Lesart war bereits in der Antike verbreitet; so wird im Talmud diskutiert, ob Ham Noah nur vergewaltigt oder auch kastriert habe. Die Verfluchung Kanaans wurde zur populären christlichen Rechtfertigung der Versklavung der afrikanischen Bevölkerung durch Europäer herangezogen, vor allem in den calvinistisch geprägten USA.“ (Wiki) 

Wen wundert es, dass der afrikanische Kontinent als verlorener gilt? Wer schon will Nachkommen von Niggern und Sklaven als Nachbarn?

„Die Weißen entdecken eine für sie neue Welt. Sie ist von Farbigen bewohnt. Die Weißen zweifeln nicht einen Augenblick daran, dass sie diese Welt nehmen und unter sich verteilen können. Der erste englische Sklavenhändler, 1562, ist Sir John Hawkins, ein Mann, «dessen aufrichtige Frömmigkeit und große Herzensgüte gerühmt wird.» Das erste Schiff, das er beschäftigt, heißt „Jesus“. Die Weißen rühmen sich, Kultur und Zivilisation verbreitet und die Weltwirtschaft aufgebaut zu haben. Diese Errungenschaft sei so groß, dass man über „Kinderkrankheiten“ und Schwächen hinwegsehen müsse. Aber nur, weil sich der Weiße selbst damit eine gewaltige materielle Weiterentwicklung ermöglicht hat, hält er das System für erfolgreich und geglückt. Das gleiche System hat zu einer fortschreitenden Verelendung der Dritten Welt geführt. So entsteht der paradoxe Zustand, dass Millionen gesetzestreuer, moralischer Bürger, die in ihrem Privatleben keine Unkorrektheiten begehen oder dulden würden, Nutznießer von Gewinnen sind, die durch Raub, Diebstahl und Schlimmeres in der ganzen Welt „beschafft“ wurden. «Wenn man sie nicht ausbeutet, lohnt es nicht, Kolonien zu haben.» Frantz Fanon – Vordenker der Entkolonialisierung – hat recht, wenn er sagt: «Europa hat sich unmäßig aufgebläht mit dem Geld und den Rohstoffen der Kolonialländer. Aus alle diesen Kontinenten strömen nach diesem Europa die Diamanten und das Öl, die Seide und die Baumwolle, die Hölzer und die exotischen Produkte. Europa ist buchstäblich die Schöpfung der Dritten Welt. Die Reichtümer, die es ersticken, sind den unterentwickelten Völkern gestohlen worden. In einer Kolonialzeitung aus dem Jahre 1886 heißt es: ‹Der Kolonialzweck ist die rücksichtslose und entschlossene Bereicherung des eigenen Volkes auf Unkosten anderer, schwächerer Völker.› Die Entwicklungshilfe ist nicht imstande, den Schaden wiedergutzumachen. Solange nicht die Weltwirtschaftsordnung drastisch zugunsten der Opfer des weißen Kolonialismus geändert wird, solange wird weiterhin gelten: Die weiße Welt hilft nicht – sie kassiert noch immer.»“
(Gert v. Paczensky: Weiße Herrschaft, Eine Geschichte des Kolonialismus)

Adam Smith wollte einen Kapitalismus für alle Nationen. Arbeitsteilung – die Basis des Wohlstands – sollte international werden und allen Völkern dienen, Kriege beenden und eine gemeinsame Entwicklung der Nationen bewirken.

„Deshalb begünstigt der Handel mit den Kolonien und mit dem Auslande, der den Markt der Nationalindustrie vergrößert, die Arbeitsteilung und vermehrt den Reichtum.“

Auch Ricardo propagierte eine intensive Weltwirtschaft mit der „Theorie der komparativen Kostenvorteile“:

„Nach Ricardo lohnt sich Außenhandel für alle Volkswirtschaften, auch für jene, die gegenüber anderen Staaten bei allen Gütern Kostennachteile haben. Weil jedes Land den größtmöglichen Güterertrag erzielt, wenn es die Produkte mit den geringeren Arbeitskosten selbst herstellt und die übrigen Güter im Austausch bezieht.“

Man darf unterstellen, dass die Herren es gut meinten mit den Völkern. Dass der weltweite Kapitalismus aber vor allem den Zweck hatte, die Ausbeutungen des Kolonialismus mit wissenschaftlich klingender Ökonomie zu rechtfertigen: das hätten sie weit von sich gewiesen.

Inzwischen gibt es zwar die Fakultät einer Technikfolgeabschätzung – die es leider noch nicht zur vorbeugenden Technikverhinderungsabschätzung brachte –, aber nicht die Bohne einer Wirtschaftsfolgeabschätzung. Mit Abschätzen hätte das ohnehin nichts zu tun. Was die Segnungen des Neoliberalismus bringen, kann man mit eigenen Augen sehen, wenn man nur die täglichen Berichte aus aller Welt verfolgt.

In Berlin gibt es keine Kritik am Freihandel. Dieser Freihandel ist so frei wie Warren Buffett, den Krieg der Reichen gegen die Armen auf der Stelle zu beenden. Der Krieg must go on. Ist er doch gar kein Krieg. Sondern ein agapöses Unternehmen, anderen wenig bis nichts, sich selbst viel zu nützen und riesige Gewinne einzustreichen. Noch nie gab es ein effizienteres Werkzeug, um die Welt synchron, aber grotesk schieflastig zu beglücken, als das ökonomische Christentum.

Wie viele Völker wurden von „erbärmlicher Armut“ befreit? Ist je ein Volk befragt worden, ob es von seiner Armut befreit werden wollte? Noch immer wissen die Missionare des Westens, dass ihre Mission die Welt beglückt – ob sie will oder nicht.

Armut nennen die Ökonomen die Fähigkeit „der Wilden“, im Einklang mit der Natur ein zufriedenes Leben zu führen. Erstens darf niemand in der Welt zufrieden sein, weil Frieden faul und träge macht. Zweitens sind Segnungen der westlichen Überflusskultur wertvoller als karges Leben am Busen der Natur. Was ein erfülltes Leben ist, bestimmen immer noch die Ökonomen des Westens. Die Heiden sind nicht mal fähig, ihr Leben unter dem Blickwinkel des Wirtschaftswachstums einzuschätzen.

Dass der philanthropische Kapitalismus seine Effizienz zeigt, indem er die Menschheit ruiniert, wird in seiner Erfolgsbilanz ausgeklammert. Seltsam – oder? Dabei sah am Anfang alles so rosig aus. Der Kapitalismus würde alle Nationen beglücken – natürlich in proportionalen Unterschieden. Kriege würden verschwinden. Die Menschheit wüchse zur Einheit zusammen. Dem globalen Glück wären keine Grenzen gesetzt.

Wer miteinander Handel treibt, führt keine Kriege gegeneinander? Normale Kriege vielleicht nicht – doch wie wär’s mit niedlichen Weltkriegen? Warum steigt zurzeit die Gefahr militärischer Auseinandersetzungen, obgleich die Welt zum Dorf zusammengeschrumpft ist?

Selbst, wenn es keinen Waffengang gäbe: ist der Handel unter erpressten Bedingungen kein Krieg der Starken gegen die Schwachen? Ja, schlimmer: er ist ein unerklärter Krieg im Namen des Fortschritts, gegen den die Schwachen sich kaum wehren können. Würden sie sich jenem verweigern, drohte ihnen Isolierung und Ächtung.

Nehmen wir an, alle Völker, die mit Gewalt zum wirtschaftlichen Fortschritt gezwungen wurden, erhielten nachträglich die Chance, sich zu entscheiden: Kapitalismus – oder naturverträgliche Armut? Wie würden sie sich entscheiden?

Mag sein, dass sie sich inzwischen an Segnungen der Moderne gewöhnt haben und ihre alte Lebensweise nicht mehr wählen würden. Würden sie sich aber bewusst machen, dass die Entscheidung zum Überfluss zugleich die Zustimmung zum eigenen Tod wäre: was dann?

Unter Konsumaspekten geht es vielen besser. Gleichzeitig geht es ihnen schlechter, weil sie abhängiger und ohnmächtiger wurden. Die Macht der reichen Länder wächst in rasantem Tempo, während die armen vom Willen der Mächtigen immer mehr abhängen.

In Deutschland wird geleugnet, dass es echte Armut gibt. Dass Armut asymmetrische Machtlosigkeit bedeutet, wird unter den Teppich gekehrt. Arm sein heißt heutzutage bedeutungslos zu sein. Wer an den Rand gedrängt und ausgeklammert wird, hat seine öffentliche Stimme verloren. Wer reich ist, dem stehen nicht nur alle Türen offen, der fühlt sich als Inbegriff des Weltgeistes.

Kein Zufall, dass die Schere zwischen Oben und Unten sich immer weiter öffnet. Die schändliche Kluft zwischen den Klassen wird wie ein Naturgesetz hingenommen.

Hat die Kanzlerin dieses eherne Kluftgesetz je erwähnt? Hat sie je erläutert, wie sie es abzuschaffen gedenkt? Wenn diese Entwicklung so weiter geht wie bisher, wird man präzis berechnen können, wann eine winzige Anzahl von Giganten den Reichtum der Welt komplett auf die Seite geschafft hat.

Der internationale Handel hat den Krieg nicht abgeschafft. Er hat ihn nur verwandelt. Unter dem Vorzeichen der Friedfertigkeit hat er die Welt effizienter erobert als er mit Waffen je vermocht hätte.

Das zeigt nicht nur sein Reichtum im Herkunftsland. Die Superreichen erobern alle wichtigen Städte und die schönsten Flecken der Welt. Die Einheimischen werden verdrängt durch unerschwingliche Miet- und Lebenskosten. Worauf der unersättliche Blick der Master of Universe fällt, da gibt es keine verwurzelten Verharrungsrechte mehr. Wie viele Touristenorte denken an eine drastische Verminderung der Heuschreckenschwärme?

Gibt es Meinungen aus Berlin? Freihandel über alles, über alles in der Welt! Man mache sich das Vergnügen, in einem Wirtschaftslexikon nachzulesen, was eine „Globalisierungsstrategie“ ist.

„Die Strategie zielt auf die Schaffung von spezifischen Größenvorteilen durch Unifikation; die Welt wird gewissermaßen als Einheit betrachtet. Grundlage ist die Annahme, dass sich Märkte selbst globalisieren. Theoretisches Fundament der Globalisierungsthese ist die Konvergenztheorie, wonach unterschiedliche Sozialisationen sich technisch und wirtschaftlich immer mehr annähern, womit auch kulturelle Differenzen allmählich obsolet werden.“ (Gablers Wirtschaftslexikon)

Der Erklärungsstil bereits ist eine Katastrophe. Eine Unbekannte wird mit einer anderen erläutert. Der Wille, etwas aufzuklären, ist nicht vorhanden. Aktive, verantwortliche Menschen gibt es nicht. Die Welt besteht aus hypostasierten Begriffen, aus anonymen Mächten, die ein Eigenleben über den Köpfen der Menschen führen.

Markt? Einen Markt gibt es nicht. Es gibt Menschen, die nach selbst gemachten Regeln das Marktspiel spielen.

Unifikation? Heißt Vereinheitlichung. Und dies im vielgerühmten, grenzenlos freien Individualismus des kapitalistischen Liberalismus? Als es noch den real existierenden Sozialismus gab, warf man ihm Uniformierung der Menschen und Verhältnisse vor.

Kulturelle Differenzen verschwinden durch wirtschaftliche Planierungen? Das hieße: individuelle Kultur beruhte nur auf verschiedenen Ausprägungen von Reichtum und Armut.

Die Welt ist alles, was das Konto ist? Leute, bereichert euch, ihr werdet nicht nur religiöse und ideologische Streitigkeiten überwinden, alle individuellen Künste und Literaturen werden bei euch zum Einheitsbrei, ja, ersatzlos verschwinden.

Eine Probe aufs Exempel erlebten wir gerade, als der steinreiche Schwiegersohn eines Weltenherrschers den Palästinensern ihre Menschenrechte gegen Cash abkaufen wollte. Alle Werte des Lebens sind käuflich.

„Im Kapitalismus sind alle Beziehungen sachlich und unpersönlich, sind rechenbar und vertretbar. Mit der Rechenhaftigkeit der kapitalistischen Geldwirtschaft steigt die Freiheit aus dem Reich der Träume in das der Wirklichkeit herunter.“ (Ludwig von Mises, Die Gemeinwirtschaft)

Alles Persönliche wird zum Deal, alle Gefühle sind in Heller und Pfennig konvertierbar. Freiheit ist nur ein ander Wort für Money. Wer nichts auf dem Konto hat, ist unfrei. Da alles Wichtige und Kostbare käuflich zu erwerben ist, wird es zum alleinigen Eigentum der Betuchten.

Unten bleibt das Nichts. Nicht nur als finanzielle, sondern als totale Entwertung des Lebens. Gefühle sind Schall und Rauch – und beliebig durch Penunzen zu ersetzen. Wer kein Geld hat, hat sein Menschsein verwirkt. Die Würde des Menschen ist Sache des Geldbeutels.

Nein, man wird den Nichtshaber nicht verhungern lassen. Viel schlimmer, man wird ihn dem gefühlten Nichts überlassen. Zur kontrastreichen Selbstergötzung jener, die viele Nichtse benötigen, um ihre Wichtigkeit an ihrem Kontostand abzulesen.

Das wäre erst die Vorstufe der Mechanisierung des Menschen. Die oberste Stufe steht uns gerade bevor: die Geldmaschine verwandelt sich evolutionär in einen KI-Roboter, der alle Probleme, die nicht ökonomisch zu regeln sind, mit quantitativ -unendlicher Intelligenz zu lösen beginnt. Wer’s nicht im Geldbeutel hat, hat’s im Gehirn – seines Roboters. Wer weder das eine noch das andere hat, für den hat die Glock geschlagen:

„… der findet an der großen Tafel der Natur keinen für ihn gedeckten Platz. Die Natur befiehlt ihm, wieder zu verschwinden und zögert nicht, ihrem Befehl nachzuhelfen.“

Pastor Malthus ersetzte Gott durch Natur, damit sein grausamer himmlischer Vater seinen Ruf als liebender Gott nicht ganz verlöre.

Die Gottwerdung der Ökonomie der Moderne ist das Gegenteil der aristotelischen Auffassung von Wirtschaft. Geld sollte dem Menschen dienen, ihm die Möglichkeit schaffen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Der Grieche sprach von Muße. Heute ist Muße die Langeweile geldunwerten Nichtstuns. Damals war Muße die Voraussetzung, über alles nachzudenken, ein philosophisches Leben zu führen.

Aristoteles unterschied zwischen der eigentlichen Oikonomie, der Haushaltungskunde, (oikos = das Haus) und der Bereicherungskunde, Chrematistik:

„Die Haushaltungskunde ist edel und eines freien Mannes würdig. Die Bereicherungskunde ist ohne höheren Zweck und unedel. Für sie gilt Solons Wort: „Reichtum hat kein Ziel, das dem Menschen gesteckt ist.“

Allmählich ahnen wir, warum Schauen in die Vergangenheit verboten ist. Man könnte entdecken, was uns verloren ging.

Aus der Vergangenheit lernen heißt, den linearen Fortschritt verleugnen. Wer keine Vergangenheit mehr hat, kann auch keine Verbrechen gegen die Menschheit begangen haben. Da ihr Gott ihnen vergibt, vergeben sie sich selbst: Augen geradeaus, wir schauen nach vorn.

In Osaka versammeln sich die Mächtigen der Welt, um ihre nationalen Interessen ins Trockene zu bringen, indem sie der Welt vorschreiben, wo sie ihre Brosamen abholen kann. Von einer gerechten Weltwirtschaft kann keine Rede sein.

Was sind abendländische Werte? Jene Werte, die eigentlich werden müssen. Wann werden sie eigentlich? Wenn sie zu quantitativen Geld-, Intelligenz- und Machtwerten wurden, dann sind sie angekommen.

Das Schicksal der Menschen ist den Alphatieren in Osaka gleichgültig. Der Öffentlichkeit präsentieren sie einige Phrasen, die übermorgen jeder verdrängt hat.

„Das Recht über Leben und Tod von Milliarden Menschen üben die Herren des globalisierten Kapitals aus. Die Zerstörung von Millionen Menschen durch Hunger vollzieht sich in einer Art eisiger Normalität – auf einem Planeten, der von Reichtümern überquillt. Die vier apokalyptischen Reiter der Unterentwicklung heißen Hunger, Durst, Seuche und Krieg. Sie zerstören jedes Jahr mehr Männer, Frauen und Kinder, als es das Gemetzel des Zweiten Weltkriegs in sechs Jahren getan hat.“ (Jean Ziegler, Die neuen Herrscher der Welt)

Im Reigen der Kritiker darf Josef Stiglitz, Nobelpreisträger für Ökonomie, nicht fehlen:

„Die heftige Reaktion gegen die Globalisierung bezieht ihre Kraft nicht nur aus dem sichtbaren Schaden, den man den Entwicklungsländern zufügt, sondern den gravierenden Ungerechtigkeiten im Welthandelssystem. Nur noch wenige verteidigen die Heuchelei, zu tun, als wolle man den Entwicklungsländern helfen, während man gleichzeitig eine Politik betreibt, die die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer- und immer zorniger – macht.“ (Die Schatten der Globalisierung)

Nur wenige Stimmen im deutschen Blätterwald bürsten das G 20-Treffen gegen den Strich. Gerade eben wurden Journalistenpreise verliehen. Nette Texte mit viel Relotius-Effekt – ohne den geringsten Anspruch einer fulminanten Kritik des Hier und Jetzt. Tages- und Geschichtsbeobachter sind sich einig, dass sie nicht würdig seien, den Verhältnissen die Meinung zu sagen:

„Das ist mir völlig gleichgültig. Als Mentalitätshistoriker habe ich als allererste Aufgabe, den Zeitgenossen von damals zuzuhören, mich einzufühlen. Ich soll nicht ständig klüger sein als die Menschen von damals und sie belehren. Unsere Historiker-Pflicht ist es zu verstehen! Und nicht für politische Ordnung zu sorgen – dafür gibt es die Bundeszentrale für politische Bildung. Nach 100 Jahren müsste die politische Dimension zurücktreten, wir sollten ohne politisch motivierte Erregung miteinander diskutieren können.“ (SPIEGEL.de)

Was ist ein Mentalitätshistoriker? Ein Historiker, der offenbar zu Toten spricht, nicht zu Lebendigen. Nach Hegel ist es unmöglich, Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Weil ein deutsches Genie es behauptete, muss es richtig sein.

Verstehen heißt, alles verzeihen und keine Position beziehen – für die Gegenwart, Herr Mentalitätshistoriker! Wer nicht wertet, versteht nichts. Vorgänge im Gemüt der anderen, wie bei uns allen, sind Kämpfe zwischen Sein und Sollen, Bedürfnissen und moralischen Imperativen.

Das Sollen wird zurzeit auf allen Ebenen abgeschafft. Das hat eine lange Tradition in Deutschland:

„Es liegt eine unerträgliche Überheblichkeit darin, uns mit der Darstellung der für uns belanglosen subjektiven Meinungen über das „was sein sollte“ zu langweilen. Eine „wertende“ Wissenschaft – ein Widerspruch im Beiwort – trägt dazu bei, das Ansehen der Wissenschaft zu verringern und die Würde des Werturteils zu vernichten.“ (Sombart, Die drei Nationakökonomien)

„Wilson brachte diese schöne, aber illusorische Idee mit nach Europa. Wilsons Formel vom Selbstbestimmungsrecht der Völker war theoretisch toll, in der Praxis jedoch führte sie zu neuen Konflikten.“

Menschenrechte sind nicht notwendig, sondern – illusorisch. Sie sind toll – aber bereiten nur Konflikte. Deutsche, hört auf, Menschenrechtsverletzungen in aller Welt zu kritisieren. Das sind Traumtänzereien und bringen euch nur in Schwierigkeiten. Die Trump-Netanjahu-Linie hat gesiegt.

Nun ist der Iran fällig. Sollte es zum Krieg kommen, waren die Mullahs an allem schuld. Das Gegenteil ist auch nicht richtig, denn das Mullah-Regime ist eine menschenverachtende Theokratie. Doch wer hat es geschafft, sie an die Macht zu bringen?

Das ölhungrige Amerika, das die ersten demokratischen Versuche des Landes zerschlug, weil Mossadegh es wagte, die amerikanischen Ölmultis zu verstaatlichen. An seine Stelle wurde der Schah gesetzt, der später vom Volk verjagt und von den Ajatollas ersetzt wurde. Längst haben die Iraner erkannt, dass sie den falschen Befreiern zugejubelt haben. Gleichwohl war das Regime bislang außenpolitisch berechenbar, im Gegensatz zum amerikanischen Präsidenten.

Nun wird das ganze persische Volk mit Auslöschung bedroht, weil es sich nach der Vertragsverletzung Trumps auch nicht mehr an den Buchstaben des Vertrags gebunden fühlt. Den Hass der Iraner hat sich Amerika durch endlose koloniale Bevormundungen redlich verdient.

„Die Dämonisierung Irans bei gleichzeitiger Kumpanei mit Saudi-Arabien grenzt für sich genommen, allein mit Blick auf 9/11, ans Groteske. Geschichtsvergessenheit ist grundsätzlich bedenklich, weil sie dazu einlädt, begangene Fehler zu wiederholen.“ (Michael Lüders, Armageddon im Orient)

In Deutschland gilt die leiseste Kritik an Amerika als Undankbarkeit und mangelnde Bündnistreue. Wer sind die Deutschen, dass sie sich unterstünden, eine Weltmacht zu kritisieren? Trump, einst heftig gescholten, ist dabei, Deutschland zu überrennen. Die Türen stehen offen. Christliche Brudervölker müssen zusammenhalten:

„Jesus, der größte Religionsstifter, Propagandist und Umwälzer auf allen Gebieten des sozialen Lebens, war ein Unternehmer größten Stils – warum also sein Werk nicht unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Denkens unserer Zeit sehen? So verwandelt sich der Mann, der am Kreuze starb, in das Idealbild des geschäftlich-unternehmenden, nach Kundschaft suchenden, bluffenden Yankees. War es nicht Christus, der zum ersten Mal den zugkräftigsten aller modernen Wirtschaftsgedanken ausgesprochen hat: Die ersten werden die letzten und die letzten werden die ersten sein?“
(A. Halfeld, Amerika und der Amerikanismus)

 

Fortsetzung folgt.