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Von vorne XX

Von vorne XX,

O Freunde, nicht diese Töne!
sondern lasst uns angenehmere anstimmen,
und freudenvollere.
Freude!

Also reden wir vom Weltuntergang. Nur Freunde des Lebens können über ihn reden. Wer von Untergangsängsten gepeinigt wird, klammert sich an die dürftigste Illusion – über die er lachen würde, wenn er sich seines Lebens freuen könnte. Gibt es doch nur eine Chance auf Weiterleben: wenn wir uns freuen würden, dass wir diese Chance haben. Wer das Leben als Strafe ansieht und den Tod als Eingang in ewige Pein, will Schluss machen mit allem.

Fast alle Völker kennen den Weltuntergang. Auch diejenigen, die unverändert im Schoß der Natur leben – und dennoch keine Pessimisten sind. Sie glauben an das Leben. Ihr Weltuntergang ist Welterneuerung.

Naturreligionen sind nicht blind. Sie sehen die Gefährdungen des Lebens, die Lasten, die sich anhäufen, die Verfehlungen des Menschen an der Natur, die seiner Hybris entspringen und korrigiert werden müssen. Auf menschliche Überheblichkeit folgt Nemesis, die Macht der Vergeltung. Hybris ist kein Stolz auf eigenes Können, sondern „mutwillige Gewalt, Gier und Lüsternheit, Frevel und Vergewaltigung, kurz: Unrecht an Mensch und Natur.“

Götter der Vergeltung sind keine irrationalen Rachegötter, sondern stellen das Gleichgewicht wieder her, ohne das eine Symbiose zwischen Mensch und Natur unmöglich wäre.

Das ist der Sinn ursprünglicher Moral, die dem Menschen nicht von Oben aufoktroyiert werden muss. Moral ist die Summe der Erfahrungen des Menschen, keine willkürlichen Setzungen, um ihn zu überfordern und als Missgriff der Natur

 zu demütigen.

Wer gegen die Moral der Erfahrung verstößt, wird seine Verfehlung am eigenen Leib spüren. Verfehlt er sich an Gesetzen der Natur, wird sie ihn mit Wetterkatastrophen, Missernten, Hunger und Tod bestrafen. Verfehlt er sich an seinen Mitmenschen, wird er kein Leben in Frieden führen, seine Gemeinschaften werden zu Orten sozialer Pein.

Erlöserreligionen unterscheiden sich diametral von Naturreligionen. Hier ist Moral nicht die Summe eigener Erfahrungen, sondern die Befehlsstimme männlicher Autoritäten, die sich zu Göttern ernannt haben. Wer ihre Regeln befolgt, soll kein freudiges Leben führen, sondern das Sein auf Erden als leidvollen Übergang ins Jenseits erleben.

Erfahrungen sind Lernvorgänge des Menschen, der aus eigener Kraft erkennt, mit welchen Regeln er am besten über die Runden kommt. Nicht als Einzelperson, sondern als Mitglied einer Gemeinschaft.

So klingt die Stimme eines Gottes, der seine Moral den Menschen mit Belohnung und Bestrafung aufzwingt, von denen er als Allmacht anerkannt werden will:

„Denn Gottes Zorn vom Himmel wird offenbart über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten. Denn was man von Gott weiß, ist ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart, damit daß Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen, so man des wahrnimmt, an den Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt; also daß sie keine Entschuldigung haben, dieweil sie wußten, daß ein Gott ist, und haben ihn nicht gepriesen als einen Gott noch ihm gedankt, sondern sind in ihrem Dichten eitel geworden, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert. Da sie sich für Weise hielten, sind sie zu Narren geworden. Darum hat sie auch Gott dahingegeben in ihrer Herzen Gelüste, in Unreinigkeit, zu schänden ihre eigenen Leiber an sich selbst, sie, die Gottes Wahrheit haben verwandelt in die Lüge und haben geehrt und gedient dem Geschöpfe mehr denn dem Schöpfer, der da gelobt ist in Ewigkeit. Sie wissen Gottes Gerechtigkeit, daß, die solches tun, des Todes würdig sind, und tun es nicht allein, sondern haben auch Gefallen an denen, die es tun.“

Das ist die übernommene stoische Lehre von der autonomen Vernunft des Menschen, transformiert ins heteronome Gegenteil: der Mensch weiß, was gut und böse ist, aber nicht als Stimme der Natur, sondern als Mitteilung Gottes. Nicht zum Zwecke eines guten Lebens, sondern um sich dem Offenbarer zu unterwerfen. Heiden, die ihrer eigenen Vernunft folgen und sich für Weise halten, sind Toren und Dummköpfe vor Gott. Auf selbständigen Gebrauch der Vernunft steht die Todesstrafe. Die abgründige teuflische Bosheit des Menschen besteht darin, zu wissen, dass er Gottes Reglements verletzt – und es dennoch tut. Das ist höllischer Strafen würdig.

Abendländische Kultur ist eine Mixtur aus heidnischer Philosophie und christlichem Glauben. Verschiedene Renaissance- und Aufklärungsbewegungen haben dem alleinherrschenden Klerus die Vernunft entgegengestellt. Wie sind die heutigen Kräfteverhältnissee der Kontrahenten einzuschätzen?

Greifen wir das existentiellste Problem der Gegenwart heraus: das klimatisch bedingte Überlebensproblem der Gattung. Die Naturwissenschaft als Vertreterin der Vernunft hat die Gefährdung des Menschen durch Klimaerwärmung schon vor Jahrzehnten erkannt. Anfänglich als Mischung aus Daten und Vermutungen, weswegen Klimaleugner lange auf Kritiker verweisen konnten, die diese Zusammenhänge leugneten. Inzwischen sind die Thesen von einer überwältigenden Flut von Daten und Wahrnehmungen in einem Maße erhärtet worden, dass die Stimmen der Klimaleugner verstummt sind.

Gleichwohl gibt es immer noch deutsche Politiker (und Edelfedern), die das Ganze für einen hype halten. Selbst diejenigen, die die wissenschaftlichen Thesen nicht leugnen, halten es für überflüssig, eine energische Klimapolitik zu unterstützen. Wären sie vernünftig, müssten sie der Stimme der Wissenschaft folgen und eine ökologische Politik betreiben. Tun sie aber nicht – warum nicht?

Weil sie gespalten sind zwischen Vernunft und Glauben. Ihre theoretische Vernunft sagt dies, ihr praktisches Über-Ich das Gegenteil.

Ist das Gegenteil identisch mit christlichem Glauben? Wenn Glauben bedeutet, dass das Schicksal des Menschen nicht selbstbestimmt ist, sondern alles in Gottes Händen ruht: Ja. Der Mensch mag mit seiner heidnischen Vernunft erkennen, was er will, vernünftige praktische Folgen kann er dennoch nicht daraus ziehen, weil dies seine Kompetenz überschritte. Unter Glauben wird zumeist eine emotionale Zugehörigkeit zu Gott verstanden, die Kenntnis der Heiligen Schrift erscheint überflüssig.

Das ist nur eine Form des – längst auf Gefühle geschrumpften – Glaubens. Wichtiger sind Verhaltensstrukturen, die auf dem Boden des Credos wuchsen und sich kulturell verselbständigt haben. Früher sprach man von Säkularisation, Verweltlichung. Dieser Begriff führt in die Irre, denn unter Welt versteht man das Gegenteil des Glaubens oder mit augustinischen Begriffen: die civitas terrena hat nichts mit der civitas dei zu tun.

In diesem Sinne wäre Säkularisation ein weltlicher Kompromiss mit dem Glauben, also ein minderwertiges, heidnisch infiziertes Glaubensding. Übersehen wird dabei, dass, nach 2000 Jahren Christentum, die Welt schon in hohem Maße verchristlicht und schon lange nicht mehr heidnisch ist.

Nehmen wir zur Illustration den Werturteilstreit der Max-Weber-Generation, der die Medien bis heute prägt. Hohe Wissenschaft hat nur mit dem zu tun, was ist. Was sein soll, ist unter ihrer Würde. Mit anderen Worten: Wissenschaftler haben Wissenschaft zu treiben, Politik hat nichts in den Hallen des Geistes zu suchen. Just so sehen sich die heutigen Medien, die sich unwissentlich als Erben der praxis- und moralfernen Faktenerkenntnis darstellen.

Der Werturteilstreit stammt aus der kaiserlichen Zeit, in der 99% der Gelehrten keine Demokraten waren. Das setzte sich über die Weimarer Zeit bis ins Dritte Reich fort. Theoretische Vernunft hatte nichts mit der praktischen zu tun, was bedeutete: die Intelligenz fühlte sich zuständig für Erkenntnisse, aber nicht für die Übersetzung derselben in politisches Tun.

Seitdem die erste Leidenschaft junger Dichter und Denker für die Französische Revolution erlosch und politisches Tun sich in die Kunst flüchtete und verdampfte, war Kants Einheit der Vernunft gespalten. Geistig konnte man brillieren, aber für die Gestaltung des Alltags war der Geist nicht zuständig.

Max Weber übernahm Goethes Diktum: „Der Handelnde ist immer gewissenlos; es hat niemand Gewissen als der Betrachtende.“ Das führte zur Spaltung der Vernunft. Als private Personen konnten sie hochmoralisch sein (wie Weber), aber als politisch Denkende bevorzugten sie den amoralischen Machiavellismus, der alle Mittel absegnete, die zu einem erwünschten Macht-Ziel führten.

Vernunft wurde aus der Politik ausgeschlossen. Als Mittel demokratischer Verständigung taugte sie nichts. Jeder Mensch folgt seinem eigenen Gott, der mit fremden Göttern unvereinbar ist:

„Wie man es machen will, „wissenschaftlich“ zwischen dem Wert der französischen und deutschen Kultur zu entscheiden, weiß ich nicht. Hier streiten eben auch verschiedene Götter miteinander, und zwar für alle Zeit. Über diesen Göttern und ihrem Kampf waltet das Schicksal, aber ganz gewiss keine „Wissenschaft“.“ (Weber, Wissenschaft als Beruf)

Heutige Medien entdecken keine wissenschaftlichen Kausalitäten mehr (sie schauen nicht zurück, Vergangenheit ist nicht die Gebärmutter der Gegenwart), aber immer noch positivistische Fakten. Noch immer fühlen sie sich als Hohepriester einer Erkenntnisart, die sich mit politischem Eingreifen nicht beschmutzen darf. Das nennen sie Objektivität.

Eine vordemokratische, politikverachtende Vernunftspaltung dominiert das Selbstverständnis der gegenwärtigen Presse. Goethes Sentenz hat H. J. Friedrichs in seine Gleichung übersetzt: die Presse hat sich mit nichts gemein zu machen, weder mit der guten noch mit der schlechten Sache.

Sollte die Menschheit den Abgang machen, wird die Presse aus einer fliegenden Untertasse heraus die schärfsten Beobachtungen des Massensterbens liefern. Sie selbst glaubt, unbehelligt davonzukommen. Das Gefühl, eine privilegierte Minderheit zu sein, ist ein christliches Erbstück: die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.

Glaubensgehorsam gerann im Verlauf der Geschichte zu Theorien und praktischen Direktiven. Säkularisation versteinerte den Glauben in Mechanismen und Positionen, deren christliche Wurzeln man nicht auf den ersten Blick erkennt. Demokratische Vernunft ist eine Einheit: wie man denkt, so handelt man, wie man handelt, so denkt man.

Abendländische Vernunft wurde zur Melange aus griechischen und christlichen Elementen. Hatten die Theologen einen Streit verloren, gingen sie eine Weile in Deckung, wechselten bei Nacht und Nebel die Seiten, aber so dreist, dass sie beanspruchten, selbst entdeckt zu haben, was sie lange Zeit mit Feuer und Verdammung bekämpft hatten. So im Fall Demokratie, Menschenrechte und Vernunft. Gottes Offenbarung wurde zur Stimme der Vernunft. Als Allwissender musste er auch der Allvernünftige sein.

Papisten hatten schon im Mittelalter manche Begriffe der aristotelischen Philosophie übernommen. So die Begriffe Naturrecht und Vernunft. Die beiden Naturrechte der Griechen – das Naturrecht der Starken, woraus später Machiavellismus und das Naturrecht der Schwachen, woraus das Menschen- und Völkerrecht wurde – nivellierten sie zum Naturrecht des Thomas von Aquin, das nach Belieben als Humanität oder als Recht des Starken zitiert werden kann.

Die griechische Urheberschaft des katholischen Denkens wird unter den Teppich gekehrt. Die Vernunft aber spielt nur eine Rolle in weltlichen, nicht in geistlichen Dingen. Von allen wichtigen Heilsangelegenheiten ist Vernunft ausgeschlossen. Papst Benedikt konnte den Eindruck erwecken, als seien Vernunft und Glauben keine Gegensätze.

Luther hasste Vernunft und Aristoteles. Die Pastorensöhne aus der Zeit der Aufklärung unterließen jedoch nichts, um den protestantischen Vernunfthass umzumünzen in die Vernunft des Hegel‘schen Weltgeistes, der die Geschichte dominiert – und auf Demokratie und Menschenrechte dankend verzichten kann.

In dieser gespaltenen Vernunft, die sich gleichwohl für vernünftig hält, leben wir heute. Das Christentum wurde hermeneutisch so nachjustiert, dass vernunftwidrigste Aspekte wie Apokalypse, Ende der Zeiten, Himmel und Hölle gestrichen wurden. Bultmann nannte diesen Prozess Entmythologisierung.

Der unzulässige Kompromiss aus Glauben und Vernunft ist Urboden aller heutigen Kompromisse. Kaum ein Politiker von Format, der sich nicht als Christ bekennen würde. All dies hat zur Folge, dass es eine nennenswerte Kritik am religiösen Fundament des Christen- und Judentums nicht gibt. Jede Kritik an der hochgradig ultraorthodoxen Politik Netanjahus wird als Antisemitismus diffamiert, alle Stimmen der Gottlosen in den Parteien werden verboten – wie in der SPD, die die CDU in Glaubenseifer längst überholt hat. Selbst die linke Sahra Wagenknecht bekannte sich zu den „ethischen Prinzipien“ des Christentums, leider sei ihr die Gnade des Glaubens nicht zuteil geworden. Über dem Schreibtisch ihres Gefährten Oskar Lafontaine soll das Bild des Papstes hängen.

Während Kritik an Juden- und Christentum in politischen Etagen tabuisiert wird, müssen unbewusste Aversionen gegen den eigenen Glauben am eingewanderten Islam abgelassen werden.

Die gesamte grüne Partei ist christlich, denn sie will eine Schöpfung bewahren, die es nur in der Heiligen Schrift gibt. Dass Natur alles erschaffen, selbst aber von keinem He-man erschaffen wurde, ist den Grünen unbekannt. Den Deutschen gelingt es, sich zu einem Glauben zu bekennen, der ihnen unbekannt ist. Da es keine Schöpfung gibt, bewahren sie – nichts. Die jetzige Beliebtheit der Grünen wäre ohne Theologie unmöglich.

Nun können wir die Frage beantworten, warum deutsche Politiker a) die Erkenntnisse der Klimawissenschaft ignorieren und b) blockiert sind, die Erkenntnisse in Praxis umzusetzen, selbst wenn sie diese nicht mehr leugnen. Moralisches Handeln ist für sie nur eine private Angelegenheit, das politische Geschäft machiavellistisch-amoralisch. Es sei unmöglich, objektive Wissenschaft in Praxis zu verwandeln.

Vernunft- und Handlungslähmungen bestimmen das gegenwärtige Politklima in Deutschland. Die antagonistischen Prinzipien des Heiden- und Christentums werden verdrängt, die anamnestischen Spuren der Kämpfe, Kompromisse und dialektischen Schwafeleien ausgeblendet. Ist das theoretische Revier schon geschwächt, so erst recht das Revier praktischer Notwendigkeiten.

Die deutsche Politik liegt, in ihrer Nachahmung der amerikanischen, in den letzten Zügen. Am liebsten würde man sich abnabeln, wenn man nur wüsste, wie. In allen relevanten Debatten der letzten Dekaden kommt aus Deutschland keine nennenswerte Stimme.

Die 68er waren die letzten Grundsatzfighter, allerdings auf der modrigen Basis eines Marxismus, der nichts war als die ökonomische Drapierung einer Erweckungsbewegung des CVJM, des Vereins christlicher junger Männer. Die beteiligten Frauen wunderten sich, dass sie als Nebenwiderspruch kalt gestellt wurden. Hätten sie doch erkennen müssen, dass das Weib in der christlichen Gemeinde zu schweigen hat.

Der Zerfall der deutschen Politszenerie ist ein – Fortschritt. Das Bestehende muss sich in seine Einzelteile zerlegen, bevor es einen Neuanfang geben kann. Einen Neuanfang im Geist einer Überprüfung der gesamten deutschen Entwicklung.

In den Parteien gibt es nur noch Kompromissler, die ihre Denkfeindlichkeit zum Prinzip erhoben. Ob eine Andrea Nahles, ein Schulz oder Scholz: sie wissen nicht, was sie denken, denken wollen, denken sollen, geschweige, wie sie das Gedachte in Politik verwandeln könnten. Medien und Politiker sind zu komplementären Seiten derselben Medaille geworden. Sind Medien der Praxis abhold, weil sie sich als hehre Faktenwahrheitssucher sehen, sind Parteien der Theorie abhold, weil sie froh sind, hohlen Proseminaren entronnen zu sein.

Alle sind sich einig, dass der christliche Mensch nicht Herr seines Schicksals sein kann. Also tun sie, als ob sie die Politik als vierte Gewalt überprüfen würden, obgleich sie keine entschiedenen Positionen haben, mit denen sie die herrschende Gedankenlosigkeit anprangern könnten. Politik ist zur Geschäftsführerin automatischer Geschichtsströmungen geworden. Geschäftsführer des Weltgeistes zu sein, war nach Hegel die Aufgabe welthistorischer Individuen.

Die Kanzlerin hat die Geschäftsführerin-Rolle der von Gott bestimmten Politik perfekt realisiert. Da Paradigmen der Politik wie Fortschritt, Wohlstand und grenzenloses Wirtschaftswachstum Ursachen der Weltkrise sind, gehört die Politik der Kanzlerin zu den Hauptgründen des beginnenden Weltbebens.

In Deutschland verweigert sie jede humane Vision, weil sie nicht zum Psychiater geschickt werden will, in der Fremde heimst sie Lob ein mit Sprüchen: zusammen schaffen wir es. Es? Was wir zusammen schaffen sollen, bleibt im Dunkeln. In Amerika erweckt sie den Eindruck, amerikanischer zu sein als Amerikaner, in Deutschland überlässt sie den Niedergang ihres Landes ihrer Stellvertreterin, bei deren Selbstruinierung sie ungerührt zuschaut.

Während sie hierzulande die Rolle der unfehlbar-demütigen Magd spielt, spielt sie in der Fremde das genaue Gegenteil: wovon immer ihr träumt: es kann wahr werden, wenn ihr an euren Traum glaubt.

Die Deutschen lieben es, wenn ihre Führungsgestalten im Ausland zu Lichtgestalten werden. Was sich in der Fremde bewährt, hat das Heimische für sich gewonnen. Ob es sich um Fußballtrainer handelt, Basketballspieler oder Dozenten in Harvard: die Fremde ist der wahre Eignungstest deutscher Genies. Zu Hause kann jeder Horst Innenminister, jede fromme Frau Bildungsministerin, jede Winzertochter Landwirtschaftsministerin werden.

Die hohen Töne in Harvard hätten Merkel hierzulande zur Populistin machen müssen. Die Unfähigkeit, dem amerikanischen Präsidenten direkt und ohne Umschweife die Meinung zu sagen, hätte sie zur feigen Politikerin stempeln müssen. Stattdessen wurde sie zur Meisterdiplomatin. Kurz: zu Hause spielt sie eine stumme Magd Gottes, in der Welt eine Lichtgestalt internationaler Politik. Zu Hause lässt sie alles schleifen, in der Fremde schafft sie alle Probleme mit links.

Früher hätte man sie wegen ihrer bigotten Rolle als Hochstaplerin oder weiblichen Scharlatan bezeichnet. Heute wird sie als Inbegriff einer charismatischen Politikerin gefeiert. Die Deutschen brauchen eine Repräsentantin, die dieselben Defekte und Feigheiten aufweist wie sie selbst, aber über das halluzinogene Mittel verfügt, diese Mängel wie Geschliffenheit und höhere Weisheit aussehen zu lassen. Noch nie in der Nachkriegsgeschichte der Deutschen gab es eine perfektere Symbiose aus Obrigkeit und Untertanen.

Angesichts dieser Heiligengestalt müssen alle Nachfolgerinnen und Konkurrenten zu Nichts verblassen. Tatsächlich versinken sie reihenweise in Bedeutungslosigkeit. Im Lichtkreis der Einzigartigen überleben keine Rivalen. Zwar bringt sie nichts zustande, dies aber in tiefer Ernsthaftigkeit und besonderer Verantwortung.

Der Weltuntergang naht – wenigstens psychisch. Bis vor wenigen Monaten schwamm Deutschland in paradiesischen Gefilden. Heute wackeln schon die Fundamente der Republik, weil „ein feiner Charakter“ der SPD fluchtartig die Arena verlässt.

Wenn Weltuntergang droht, werden Rüpel, Masters of Universe, Despoten und andere Heilsprediger nach oben gespült. Verfehlen sie die Macht, werden sie Populisten gescholten, erringen sie die Macht, werden sie pastorale Lichtgestalten.

Warum droht der Welt ein Gesamtbeben? Weil sie die kapitalen Fehler des römischen Reiches wiederholt. Die Modernen verleugnen die Wiederholung, das entspricht nicht ihrer fortschrittlichen Überlegenheit. Gottlob wiederhole sich die Geschichte nicht und also könne man nichts aus ihr lernen. Wollte jemand lernen, sollte er in Gibbons „Verfall und Untergang des Römischen Reiches“ nachlesen:

„Das Sinken Roms war die natürliche und unvermeidliche Wirkung übermäßiger Größe (heute Fortschritt genannt). Das Glück (= Reichtum und Wohlstand) brachte den Keim des Verfalls zur Reife, die Ursachen der Zerstörung vervielfältigten sich mit der Ausdehnung der Eroberungen (der Naturzerstörung und Eroberung des Weltraumes). Statt zu fragen, warum das römische Reich zerstört wurde, sollten wir vielmehr staunen, dass es so lange bestand.“

Weltuntergang war in Naturreligionen nie Weltuntergang, sondern Welterneuerung. Die Stoiker kannten die Ekpyrosis, das Weltenfeuer.

„So steht am Ende unserer Weltperiode die Rückkehr in den feurigen Urzustand, die Ekpyrosis, die aus der Vielfalt wieder die Einheit herstellt und zugleich eine Katharsis, eine Reinigung der Welt von allen Schlacken und Unvollkommenheiten, bringt. Hier beginnt eine neue Weltperiode.“ (Max Pohlenz, Die Stoa)

In den Weltuntergangsmythen der Völker geht es um regelmäßige „Erneuerung des Kosmos, die die Welt kräftigen und re-novieren soll.“ (Mircea Eliade) Im Gegensatz zum Christentum aber ist „das Weltende nicht mit einem Konzept der Sünde verknüpft.“

Weltuntergänge der Erneuerung sind zyklische Naturvorgänge. Das Christentum will an diese zyklische Erneuerung anschließen. Am Anfang war Gott alles in allem, am Ende soll er wieder alles in allem werden.

Doch der Zyklus missglückt. Wenige Erwählte werden bei Gott sein, die Massen seiner Geschöpfe aber ewig im Feuer schmoren. Keine Macht wird sie zur Apokatastasis, zur zyklischen Wiederbringung aller, machen. Weshalb Kirchenvater Origenes, der Vertreter dieser heidnischen Lehre, von der Kirche verdammt wurde.

Der Zirkel der Vollkommenheit ist zerbrochen, der Kreis entgleist zur endlosen Linie. Fortschritt der Moderne ist grauenhafte Linearität ins Grenzenlose.

 

Fortsetzung folgt.