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Von vorne I

Von vorne I,

brennt eure Gotteshäuser, Kathedralen und Dome nieder und eure Probleme werden sich in Rauch und Wohlgefallen auflösen.

Nach seiner demütigenden Pilgerreise durchs niedere Volk wird der französische Präsident auferstehen zum neugeborenen Helden der Nation. Er wird das prächtige Ungetüm in Rekordzeit wieder aufbauen und der geretteten Dornenkrone des Herrn einen unvergänglichen Anbetungsplatz zurückgeben.

Notre Dame ist nicht nur ein Symbol Frankreichs, das sich auf seine katholische Tradition besinnt und alles Revolutionäre und Gottlose hinter sich lässt – die Kathedrale ist zum Wahrzeichen des ganzen christlichen Abendlandes geworden, wie die deutsche Kollegin Emmanuel Macrons ergriffen erklärte.

Der Brand wird die Gelbwesten von der Straße fegen, die jugendlichen Demonstranten für das Überleben der Gattung in den Schatten stellen, die Heimkehr ins christliche Mittelalter befördern, den religiösen Stolz des Westens aufrichten, die zerstrittenen europäischen Nationen wieder zusammenführen und selbst die Milliardäre rehabilitieren.

Wie glänzend sie auf den Dächern von Paris stehen und auf die Welt hinabschauen: die Schönen, Schlanken, Leistungsfähigen – und Guten. Und sollte der ungläubige Rest der Welt dreister und aggressiver werden, wird selbst die deutsche Armee ihre Schlagkraft von einst zurückgewinnen und die westliche Verteidigungsgemeinschaft unüberwindlich machen.

„Es waren schöne, glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo Eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Welttheil bewohnte; Ein großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegensten Provinzen dieses weiten geistlichen Reichs. – Wie heiter konnte jedermann sein irdisches Tagewerk vollbringen, da ihm durch diese heiligen Menschen eine sichere Zukunft bereitet, und jeder Fehltritt durch sie vergeben, jede missfarbige Stelle des Lebens durch sie ausgelöscht und geklärt wurde. Sie waren die erfahrnen Steuerleute auf dem

großen unbekannten Meere, in deren Obhut man alle Stürme geringschätzen konnte.“ (Novalis)

Die Epoche der religiösen Romantik begann, als die Sehnsucht nach Einheit die europäischen Geschwister überflutete. Das neue Paradies jenseits des Ozeans sollte nicht das einzige bleiben. Die Daheimgebliebenen wollten beweisen, dass auch sie eines himmlischen Gartens auf Erden würdig waren.

„Siehe, wie fein und lieblich ist’s, daß Brüder einträchtig beieinander wohnen!“

Kommt ein Unglück übers Land, stehen Priester bereit, um ihre Unersetzlichkeit und Anschlussfähigkeit an die Zeit unter Beweis zu stellen. Schon greifen sie nach den jugendlichen Naturschützern und geben ihnen ihren Segen. So griffen sie nach der neuen ökologischen Bewegung, um ihr die Losung „Schöpfung bewahren“ unterzujubeln. So griffen sie nach dem Proletariat, um den Armen mit katholischer Soziallehre den Klassenkampf zu verleiden. „Die Kirche muss Anwalt der „Fridays-for-Future“-Bewegung sein“.

„Die Freitagsdemos erinnerten den Berliner Bischof Heiner Koch „ein wenig an die biblische Szene vom Einzug in Jerusalem“, sagte er am Sonntag im RBB-Radio. Zwar gehe es ihm nicht darum, die Schwedin zu einem weiblichen Messias zu machen. Er wolle aber daran erinnern, „dass unsere Gesellschaft und auch unsere Kirche von Zeit zu Zeit echte Propheten braucht, die auf Missstände und Fehlentwicklungen hinweisen und Lösungswege vorschlagen“.“ (SPIEGEL.de)

Wenn das Heilige sich in höllisches Feuer auflöst, kommen Deutsche in wehmütiges Schwärmen. Sind sie es, die die Schuld tragen? Haben sie im Eifer der Welt den Herrn dahinten gelassen? Sind sie dem Vater untreu geworden, als sie bei den Trebern landeten, die von den Säuen gefressen wurden? Ach, wie wird es sein, wenn der Vater sie wieder in Freuden aufnehmen wird:

„Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße. Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringet das beste Kleid hervor und tut es ihm an, und gebet ihm einen Fingerreif an seine Hand und Schuhe an seine Füße, und bringet ein gemästet Kalb her und schlachtet’s; lasset uns essen und fröhlich sein! denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an fröhlich zu sein.“

Das Gleichnis vom Verlorenen Sohn ist das Gleichnis der Deutschen, vielleicht sogar der Europäer. Es verspricht bitterliche Tränen, das Gefühl der Reinigung durch Reue – ohne zu Taten zu verpflichten. Heilige Gefühle sind folgenlose Gefühle.

„Anweisungen, die jeweiligen Verhältnisse zu ändern, finden sich im Evangelium nicht. Der Herr war kein Revolutionär und stellte kein revolutionäres Programm auf. Das Evangelium liegt über den Fragen der irdischen Entwicklungen, es kümmert sich nicht um die Dinge, sondern um die Seelen der Menschen. Welch Irrtum, das Evangelium bezöge sich auf irdische Verhältnisse.“ (Harnack)

Das Reich Gottes ist inwendig in euch, nicht außer euch, verstrickt in Machenschaften des irdischen Staates. Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Seelsorge, Besänftigung, Beruhigung ohne Veränderung der Welt, diese Droge ohne moralisches Belehren ist deutsche Politik. Alles lassen, wie es ist, es wird sich selbst zerstören. Und was Bestand hat von Oben, wird unbesiegbar bleiben.

Nicht die Kanzlerin ist das Problem, sondern die Deutschen, die Merkel zu ihrer Weihrauch-Funktionärin konditionierten. Sie wollen Demokratie spielen, keine sein:

„Man dürfe die Osteuropäer „nicht zu sehr belehren. Wir müssen zuhören und streiten, sie aber nicht belehren.“ Sagt Wolfgang Schäuble, elder statesman der Spieldemokraten. (BILD.de)

Wie kann man streiten, ohne eine streitbare Meinung zu haben? Wie kann man eine Meinung vertreten, die man für überlegen hält, ohne den Eindruck des Belehrens zu vermeiden?

Was spricht gegen Belehren? Sie belehren ihre Kinder von morgens bis abends, wollen aber nie belehren? Ist Belehren nicht in jeder Auseinandersetzung symmetrisch? Wenn jemand einen andern von seiner überlegenen Meinung überzeugen will, nennt man das seit Adam und Eva belehren. Welche Meinung besser ist, muss der Streit herausfinden. Wenn nicht, muss in Demokratien die Mehrheit entscheiden – auch dies ohne Gewähr.

Mehrheiten entscheiden über Praktisches, können über Wahrheit aber nicht bestimmen. Wenn der demokratische Prozess kein kollektiver Lernprozess ist, in dem Mehrheitsenscheidungen praktisch überprüft werden, ist Demokratie zur Farce verkommen.

Mit welcher Härte belehrte Schäuble die Griechen? Belehren die Deutschen nicht die ganze Welt mit ihrer unfehlbaren Lehre vom schwarzen finanziellen Loch? Belehren Demokraten nicht Despoten, dass Freiheit besser ist als Unfreiheit, Menschenwürde besser als Menschenverachtung?

Das beste Belehren ist die eigene Vorbildlichkeit in Wort und Tat. Wer nur schwatzt, ohne seinen Worten Taten folgen zu lassen – wie der gesamte Westen –, darf sich über ablehnende Reaktionen nicht wundern.

Wer nur predigt mit Waffen in der Hand, die die Herrschaft über die Welt sichern sollen, darf sich über Gegenhass und Terror nicht wundern.

Der Westen ist längst zu einem kompletten Heuchelsystem verkommen. Sie reden von Menschenrechten und meinen Kattun. Sie reden von Fortschritt und meinen Macht über die Welt. Sie reden von Zukunft und meinen Zementierung der schlechten Vergangenheit.

Belehrt AKK nicht die Kirche, dass sie schwere Schuld auf sich geladen hat mit ihren pädophilen Priestern?

„Die katholische Kirche trägt ohne Wenn und Aber Schuld daran, dass sie die Aufklärung dieser Verbrechen an den Kindern systemisch verhindert und damit auch den Missbrauch ermöglicht hat. Das ist die große Schuld, die die Kirche in sich trägt. Kein Täter kann sagen, dass er ein Opfer der Umstände oder des Systems Kirche ist.“ (Stuttgarter-Nachrichten.de)

Was ist die Steigerung von Heuchelei? Christliche Politik. Wenn Christen Gutes tun, ist es die Frucht der Agape, wenn sie Böses tun, hat es mit Religion nichts zu tun. Das ist Bigotterie in Reinform.

Ulrich Wickert litt Schmerzen, als er die brennende Kathedrale im TV sah.

Für die Franzosen ist die Notre-Dame ein Kernpunkt ihrer Identität. Und das ist nicht nur eine Frage der Religion – die Franzosen bezeichnen sich ja als die älteste Tochter Roms – obwohl Frankreich mit Sicherheit eines der wichtigsten katholischen Länder ist. Wie wichtig, zeigt auch die Absichtserklärung der Familie Pinot, die 100 Millionen Euro aus ihrem 13 Milliarden Euro großen Privatvermögen für den Wiederaufbau dieses nationalen Symbols spenden möchte. Die Familie Arnault möchte sogar 200 Millionen Euro dafür spenden. Das ist eine unglaublich großzügige Geste und zeigt die Verbundenheit der Franzosen mit ihrer schönsten Kathedrale. Am Ende werden wahrscheinlich so viel Spenden aus Frankreich und aus aller Welt eingehen, dass die Kirche zweimal wiederaufgebaut werden kann.“ (BILD.de)

Was assoziiert Wickert, wenn er an Frankreich denkt? Älteste Tochter der Kirche. Weder Aufklärung noch revolutionäre Erhebung. Vor Milliardären liegt er auf den Knien, obgleich sie nur relative Almosen verteilen – um eines Tages in die Ruhmesliste nationaler Wohltäter aufgenommen zu werden. Wenn es um ordinäre Rettung der Welt geht, hört man nichts von ihnen.

Nun wissen wir, warum es sich lohnt, den Reichtum der Welt zusammenzu raffen und der arbeitenden Bevölkerung vorzuenthalten. Ein symbolisches Feuer genügt, um die in Schieflage geratene beste aller Welten wieder aufzurichten.

„Ich weiß noch, dass ich mich sehr über die vielen Touristen geärgert habe, die dort Schlange gestanden haben, um die Kathedrale zu besuchen. Doch die Begeisterung für die Kirche ist natürlich leicht nachzuvollziehen.“

Nach oben buckeln, nach unten verachten: Wickert (einst ARD-Gesicht) muss aus Deutschland stammen. Die Bewunderung für das Schöne und Erhaben muss Wenigen vorbehalten bleiben. Da stimmen sie Hymnen an, der Pöbel aber darf nicht einstimmen. Wie sie erlesene Dinge bewundern, so bewundern sie sich selbst, weil sie solche Dinge bewundern können.

Der ARD wird der Vorwurf gemacht, keine Sondersendung über Notre Dame gemacht zu haben. Seit wann machen die Öffentlich-Rechtlichen politische Sondersendungen? Wenn schon Brennpunkte, dann über terroristische Akte. Gab es je Sondersendungen über Umweltkatastrophen, Fridays for Future, über die Bergung von Flüchtlingen im Mittelmeer?

Da kann passieren, was will, wenn Talk-Primadonnen in Urlaub sind, fällt Politik im deutschen TV aus. Gab es in den letzten Jahren je eine Debatte um die Unrechtspolitik Netanjahus? Gab es je eine Debatte zwischen Merkel und dem Naturwissenschaftler Schellnhuber über die Dringlichkeit ökologischer Maßnahmen? Wenn sie kommt, will sie Privataudienz bei ihrer Freundin Anne Will.

Und wenn sie Politik bringen, dann kurz nach Mitternacht. (Beispiel von heute: „Die sieben größten Gefahren für die EU“, ZDF, 0.45 Uhr.)

„Nicht die Armen verursachen die Klima­veränderungen, sondern die Reichen. Wir können zeigen, dass die Emissionen weltweit überwiegend von den wohlhabendsten zehn Prozent verursacht werden. Kleine Unterschiede können sich gewaltig aufsummieren, wenn wir viele Gleichgesinnte finden.“

Die Reichen verursachen die gravierendsten Klimaveränderungen, dieselben Reichen, die Schlange stehen bei der Restaurierung einer Kathedrale. Schellnhuber widerlegt die Meinung vieler Medien (auch von der linken Seite), dass Politik und private Moral auseinanderfallen. Würde jeder das Richtige tun, wäre alle Politik getan.

„Das Argument, dass ich allein nichts ausrichten kann, ist natürlich die allertörichteste aller Schutzbehauptungen. Jeder Ozean besteht aus einzelnen Tropfen, und so ist es auch mit der Gesellschaft.“ (Sueddeutsche.de)

Auch hier grässliche Überreste des lutherischen Untertanendenkens. Politik ist allein das Tun der Obrigkeit. Untertanen haben nichts damit zu tun. Idioten nannten die Griechen jene Einzelne, die ihr privates Tun nicht als Politik verstanden. Wenn wir das Problem auf den Kampf gegen Antisemitismus übertragen, würde das bedeuten, privat darf ich Juden schmähen, offiziell arbeite ich bei BILD und bin glühender Philosemit.

Nach Berechnungen von Christian Stöcker würde es die Welt 18 Billionen Dollar kosten, um sie von CO2 zu befreien. (SPIEGEL.de)

Wie groß sind die legal geraubten Schätze der Superreichen der gesamten Welt? Schließlich haben sie die Mechanismen des Raubs seit Jahrhunderten selbst zu Gesetzen erhoben. Schon vor Jahren hieß es:

„Das globale Privatvermögen ist laut einer Studie um 14,6 Prozent gewachsen – auf 152 Billionen Dollar.“ (WELT.de)

Vor diesen Superreichen, die im Handumdrehen das Kleingeld für Umweltschutz beisteuern könnten, doch lieber in Luxus ersticken, als mit ihrem Reichtum die Probleme der Welt zu lösen, liegt Ullrich Wickert im Staub. Deutsche Medien kennen keine Eliten, denn sie zählen sich selbst dazu. Die Welt erstickt vor Reichtum, doch ihre Armen zu retten, ihr Klima zu stabilisieren, ist sie unfähig.

Warum ist Notre Dame in den Augen deutscher Medien so wichtig?

„Ewig ist nur die Idee der Kathedrale selbst. Ewig ist sie als ein Raum, der der Zeitlichkeit enthoben ist. Unabhängig von den Zeitläufen, von jedem Zufälligen, Beliebigen oder Wirklichen, dem Leben selbst. Man darf ergriffen sein von den Bildern, die sie in Flammen zeigen, das ja. Aber weniger deshalb, weil sie eine Idee verkörpert, sondern weil es ihre Glocken waren, die läuteten, als Paris von den Nazis befreit wurde.“ (TAZ.de)

Hier ist alles falsch. Kirchen sind Verkörperungen der Zeit, der Heilszeit. Alles ist abhängig vom zeitlichen Eingreifen Gottes. Alles hat seine Zeit.

Ewig war die Natur bei den Griechen, zeitlos ihre Wahrheit. Kirchen waren keine automatischen Gegner der Nationalsozialisten, auch nicht die katholischen in Frankreich.

Dome, Kathedralen sind Monumente der Macht auf Erden, die die Wohnungen der Menschen um ein Vielfaches überragen müssen. Sie streben ins Grenzenlose, um die Sterblichen zu Staubkörnern zu erniedrigen. Die amerikanischen Dome sind ihre Hochhäuser, die bis in den Himmel ragen.

Bei den Griechen war das Schöne identisch mit Maß und horizontaler Begrenzung. Der christliche Messias war kein Adonis, kein Inbegriff irdischer Schönheit. Im Gegensatz zur griechischen Schönheit sollte er Inbegriff des Geschändeten und Hässlichen sein.

„Er hatte keine Gestalt noch Schöne; wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, daß man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.“

Die Anfänge des Christentums standen im Zeichen der Schwäche, Armut, Schönheits- und Weltverachtung. Das waren nur psychologische Anreize, um die desolaten Zeitgenossen in die Gemeinden zu locken. Als die Letzten mit Demut und Kopfnicken die Ersten im Staate geworden waren, war es um das Hässliche und Abstoßende geschehen. Die Versammlungshäuser der Frommen wuchsen allmählich in den Himmel. Im Mittelalter wurde die Kirche zur despotischen Macht Europas. Ihre Gotteshäuser mussten das Gepränge und den Reichtum des Klerus widerspiegeln.

In der mittelalterlichen Kunst wird der Mensch nicht in natürlicher Schönheit dargestellt. Nicht, weil die Künstler die Fähigkeiten (etwa die Perspektive) dazu nicht gehabt hätten, sondern weil die Menschen ungestalte Sündenkrüppel sein mussten. Nur das Haus Gottes in seiner irdischen Verankerung sollte die Kreatur um ein Unendliches und Vollkommenes überragen.

Die Schönheit der Dome war keine Nachahmung der Natur. Im Gegenteil, die Gestalten waren nur schön als durchscheinende Widerspiegelungen göttlicher Vollkommenheit. Natur an sich durfte nicht schön sein, sie war minderwertig und erlösungsbedürftig. Sehr gut: das war sie seit Urzeiten nicht mehr.

„Gott schafft die Schönheit aus dem Nichts, der menschliche Künstler ahmt die Schönheit Gottes nach, die durch die Schönheit der Welt hindurch leuchtet.“ (Rossario Assunto, Die Theorie des Schönen im Mittelalter)

Alles, was in der Natur schön ist, ist nicht aus sich schön. Nur der Große Künstler kann der Natur Schönheit verleihen – als widerrufbare Gnadengabe.

„Kunst ist die einzige menschliche Tätigkeit, durch die der Mensch wirklich Gott, den Schöpfer der schönen Natur, nachahmt. Als Gestalter schöner Dinge wird der Mensch zum Gehilfen Gottes.“ (ebenda)

Was verbindet Notre Dame mit Silicon Valley? Die imponierende Pracht der Dome war Vorläuferin der gottgleichen KI-Maschinen. Beide kommen der creatio continua zur Hilfe und vervollkommnen die Schöpfung, weil der Schöpfer es nicht vermochte, sie als perfekte zu schaffen.

Wie natürliche Intelligenz unvollkommen ist, damit der Mensch sich getrieben fühlt, sie durch KI zu übertreffen, so ist es mit der unvollkommenen Schönheit der Natur:

„In dem Maße, in dem die Schönheit der Wesen, die wir anschauen, unvollkommen ist, fühlen wir das Verlangen nach jener Vollkommenheit, die sie nicht haben. Die unvollkommene Schönheit der irdischen Wesen treibt uns, die absolute Schönheit und die absolute Vollkommenheit zu suchen. Relative Vollkommenheit ist die einzige Schönheit, mit deren Hilfe wir in diesem Leben per Analogie zur Anschauung der absoluten Vollkommenheit Zugang erhalten, die wir nicht von Angesicht zu Angesicht sehen können. Wir sehen sie nur, wenn sie sich – nach Paulus – in der Welt spiegelt und verbirgt.“ (ebenda)

„Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht.“

Kirchenhäuser sind Abbilder göttlicher Vollkommenheit in unvollkommener Form. Weshalb sie grenzenlos nach Oben zeigen, wo sie sich eines fernen Tages mit den Urbildern vereinigen wollen. Im Streben nach unendlicher Perfektion sind mittelalterliche Kathedralen die sinnlichen Vorläufer des grenzenlosen Strebens nach Fortschritt und der Macht über die Natur.

Die Bewunderung der Eliten für die Dome des Glaubens beruht auf der Selbstbewunderung des modernen Menschen für seine unendliche Genialität.

Dem tumben Volk, versteht sich, fehlt jedes Organ zur Bewunderung der gottgleichen Werke. Es spürt, wenn überhaupt, nur das Unaussprechbare von Gestalten und Ereignissen, die sie bei Tageslicht als Spielzeuge der Mächtigen negieren. So wenig Notre Dame das Symbol für französische clarté ist, so wenig ist der Brand für das laizistische Volk ein Ereignis von überragender Bedeutung.

Für Nationalisten ist es ein Menetekel nationaler Macht, die gefährdet schien und post festum gefestigter denn je sein könnte – bis zum nächsten Debakel. Man muss die himmelhochragenden Türme nicht dem Erdboden gleichmachen oder in Tempel der Vernunft entfremden. Man macht sie erträglich, indem man sie zu touristischen Attraktionen erniedrigt.

Lästerliche Gedanken für Medien, die in Notzeiten mit den Eliten verschmelzen. Wer die vorhandenen Grandiositäten der Kultur und Bildung nicht comme il faut bewundert, ist ein rechter oder linker Idiot, so der SPIEGEL:

„Der Brandbeschleunigung auf rechter Seite steht mindestens Indifferenz, gerne aber auch hämischer Beifall von linker Seite gegenüber. Fingerzeige auf die Verbrechen des Christentums. Ablehnung der französischen Geschichte, besonders ihrer kolonialen Vergangenheit. Ausbeutung der Arbeiter. Hinweise auf ertrinkende Flüchtlinge im Mittelmeer oder irgendeine andere Katastrophe, mit der die Betroffenheit über das Feuer diskreditiert werden soll. Noch mehr Gags. Ist ja niemand gestorben, oder? Mit dieser komplementären Idiotie von rechts wie links werden wir uns noch herumschlagen müssen.“ (SPIEGEL.de)

Prophete rechts, Prophete links, das coole Medienkind in der Mitte. Verbrechen des Christentums, ertrinkende Flüchtlinge im Mittelmeer, Ausbeuter der Arbeiter – nichts als Gags. Das Abendland ist gerettet von denen, die sonst keine Position beziehen dürfen.

Verbrechen der Vergangenheit sind – vergangen. Wie reagieren katholische Bischöfe auf Erinnerungen an Ketzerverbrennungen, Hexenprozesse und Kreuzzüge? Das wissen wir auch. Indem sie es wissen, haben sie die Vergangenheit erlöst.

Der französische Katholizismus wird nicht ruhen, bis der Laizismus seinen Verfassungsrang wieder einbüßen wird. Sarkozy war ein Vorreiter dieses Kampfes um die Wiederherstellung der vatikanischen Macht im Reich der ältesten Tochter.

„Während des Besuches von Papst Benedikt in Frankreich hatte Präsident Sarkozy sich verpflichtet, während der französischen Präsidentschaft der EU, entsprechend seiner Ideologie der sogenannten „offenen Laizität“, die Religionen mehr in die politische Machtausübung des Staates zu integrieren. Nun schreitet er zur Tat und organisiert dazu am 17. Dezember in Paris ein Kolloquium. Eingeladen hat er nur Vertreter der Religionen. Damit diskriminiert er nach Meinung von belgischen und französischen laizistischen Organisationen die Nichtgläubigen Europas und verstößt gegen die französische Verfassung. Die beiden säkularen Organisationen rufen dazu auf, diese Initiative zu boykottieren.“ (hpd.de)

Laizismus als Neutralität des Staates in Religionsdingen und als Errungenschaft der Aufklärung soll verschwinden. Deshalb die inflationäre Anklage gegen Populismus. Laizismus kommt von laios, das Volk; auch populus heißt Volk. Jeder, der sich für das Volk einsetzt – auch mit seriösen Mitteln – ist ein Verräter an den auserwählten Eliten.

Nichts nutzloser in den gegenwärtigen Demokratien als das Volk. KI der Futuristen soll das Volk überflüssig machen. In Zukunft soll es nur noch zwei Klassen geben: die Reichen als Machthaber – und KI-Maschinenführer als ihre Marionetten. Für das Volk gibt es keinen Platz. Wird KI klüger sein als der Mensch? Klüger als die Masse allemal, so schlau wie die Führungsetagen: niemals.

Notre Dame ist ein Fanal der suizidalen Menschheit. Der Brand kommt den Mächtigen gelegen. Wenn das Heilige gerettet werden kann, kann auch die Natur nicht untergehen.

Das Vollkommene ist nie vollendet. Sonst werden Menschen selbst-zufrieden. Vernichten und Schaffen müssen sich abwechseln. Fortschritt, creatio continua, ist work in progress.

Linke lassen keine Untergangsszenerien zu. Dass man Gefahren sehen muss, um sie zu bekämpfen, ist ihrem fundamentalistischen Optimismus (einem Erbe des marxistischen „Prinzips Hoffnung“) unzugänglich. Ein christlicher Weltuntergang ist für sie dasselbe wie ein naturwissenschaftlich begründetes Ende der Menschheit, nämlich eine „apokalyptische Wichserei“. An die Stelle rationaler Wissenschaft tritt Kreationismus oder omnipotente Magie.

Die Rechten sehen die Welt untergehen, weil diese gottlos geworden ist. Die Linken sehen sie nie untergehen, weil sie sich zwanghaft von Rechten unterscheiden müssen. Nicht selten, dass Linke zu Rechten werden, weil sie jede Kritik an den Errungenschaften der Vergangenheit als Verrat an ihrer marxistischen Heilsgeschichte werten.

Wo sie nicht sind, da ist das Glück.

Doch wo sie sind, herrscht Unglück – in himmlischer Permanenz.

Wenn wir leben wollen, müssen wir von vorne beginnen.  

 

Fortsetzung folgt.