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Sofort, Hier und Jetzt XIII

Sofort, Hier und Jetzt XIII,

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Während in Berlin der politische Wärmetod eingetreten ist – sie können nicht miteinander, sie können nicht ohne einander, Dauergezänk halten sie für Politik –, verteidigt eine kleine Gruppe Entschlossener im Hambacher Forst die demokratische und soziale Ordnung der BRD, die nur Bestand hat, wenn das Überleben der BRD gesichert ist. Das Überleben kann nur sicher sein, wenn nicht Deutschland allein, sondern das Leben der gesamten Menschheit durch Einklang mit der Natur geschützt wird.

Artikel 20 des Grundgesetzes müsste dringlich ergänzt werden durch den Grundsatz:

(5) Nur eine ökologische Ordnung garantiert den Schutz der Natur und den Fortbestand der Völker – und damit die demokratische und soziale Grundordnung der BRD.

Der gewaltlose Widerstand der Baumbesetzer ist kein Verstoß gegen das

Gesetz. Das Gegenteil ist der Fall: jeder Mensch der Republik ist verpflichtet zum Widerstand gegen naturvernichtende Maßnahmen, wenn er die Existenz der Gattung nicht gefährden will.

Es ist der Staat selbst und seine Organe, die – unter dem trügerischen Vorwand, Recht und Gesetz zu wahren – die Zerstörung der ökologischen Ordnung mit gewalttätigen Aktionen absichern. Gewaltloser Widerstand gegen diesen Staat, der selbst das Grundgesetz verletzt, ist das oberste Gebot aller verantwortlichen Menschen.

Ein Baumbesetzer:

„Ich will hier sein, um gewaltlosen Widerstand zu leisten. Die Vorstellung, mich hier auf dem Baumhaus festzuketten, ist für mich schon beängstigend. Mein Wunsch danach, diesen Wald zu verteidigen und Braunkohle und dem Klimawandel ein Ende zu setzen, ist größer. Die Angst davor, dass unser Planet zerstört wird und nicht mehr wiederzuerkennen ist, es uns nicht mehr möglich ist, hier zu leben, ist größer als meine Angst davor, körperliche Schmerzen zu erfahren.“

Die Menschheit ist noch nicht verloren, wenn solche Urstimmen der Vernunft die Leitlinien der Weltpolitik bestimmen könnten. Vernunft ist die Fähigkeit der Menschen, unter allen gleichberechtigten Naturwesen so lange zu überleben, wie es der Natur selbst gefällt. Nur selbstzerstörende Unvernunft kann es für richtig halten, die Natur, von der er lebt, langfristig am Boden zu zerstören.

Der Staat lügt, wenn er seine gesetzeswidrigen Aktionen gegen die Naturschützer mit dem Argument rechtfertigt, er würde das Leben der Ökologen schützen.

„Rein formal, rein offiziell ist die Räumung eine Rettungsaktion. So sagt es auch der Beamte der Stadt Kerpen, der den ersten Besetzern frühmorgens per Megafon erklärt, warum er und die vielen Polizisten gekommen sind: „Es besteht Gefahr für Leib und Leben“, ruft Baudezernent Joachim Schwister, „ich untersage Ihnen die weitere Nutzung dieser Baumhäuser.“ Denn die seien nun mal „bauliche Anlagen“ – und verstießen eklatant gegen Bestimmungen des Brandschutzes, lautet seine Begründung.“

Einem Staat, der das Grundgesetz bricht, die Bevölkerung mit Lügen hintergeht und die eigenen ökologischen Versprechungen in den Wind schlägt, muss mit allen gewaltfreien Methoden Widerstand geleistet werden. Auch Polizisten sind Demokraten und dürfen sich nicht als Marionetten einer bigotten Politelite missbrauchen lassen.

Die offiziellen Gründe der staatlichen Gesetzlosigkeit sind:

Das Land Nordrhein-Westfalen sei auf die Energie der Braunkohleindustrie angewiesen.

Bedrohte Arbeitsplätze müssten geschützt werden.

Beide Argumente sind falsch. Deutschland wäre schon längst fähig, den Wegfall der Braunkohle-Energie sofort zu ersetzen.

Stets behauptet die Regierung, der Verlust der Arbeitsplätze durch zukünftige Digitalisierung könne problemlos ausgeglichen werden. Warum soll dies im Fall eines Stopps des Braunkohleabbaus nicht gelten?

Der wahre Grund der staatlichen Gesetzlosigkeit ist die Absicht, die eigene Macht zu befestigen und die „sprudelnden Gewinne“ der Industrie unter allen Umständen zu sichern.

Die Untergangslogik der Eliten lautet: Macht und Gewinn – vor Überleben. Eher krepieren, als dem Profit und der Macht abzusagen.

Es ist das Verhängnis der Moderne, dass sie Fortschritte anstrebte, um das Leben zu erleichtern, dass aber der Fortschritt die technischen Erleichterungen in Naturfeindschaft und psychische Qual verwandelte.

Fortschritt wird rituell zum Nonplusultra der Menschheitsentwicklung erhöht, doch seine Schattenseiten summieren sich unaufhörlich zur brandgefährlichen Möglichkeit, die gesamte Gattung auszulöschen.

Bislang bestanden Fortschritte nur aus Anhäufung von Macht und Reichtum und nie in der Intensivierung eines freudigen Lebens, humaner Beziehungen und vitalen Glücks.

Glückssuche war im christlichen Europa verboten. Im irdischen Leben hatte man sein Kreuz zu tragen. Erst im Jenseits sollten sich die Tore zum Paradies öffnen.

Amerika hingegen empfand sich von Anfang an als zweites Land Kanaan. Der Aufstieg zur führenden Weltmacht schien alle Träume zu bewahrheiten. Doch als der Anstieg stoppte und zum Abstieg zu werden drohte, verwandelte sich das zweite Paradies in die Angst vor einem apokalyptischen Ende. Ihre Angst suchten die Amerikaner durch die Mär eines auserwählten Volkes zu überdecken. Nur die Gottlosen sollten ihre gerechte Strafe in höllischen Feuern finden.

Alle Ängste und Hoffnungen einer Erlöserreligion sollen in der Formel „Amerika first“ zum Ausdruck kommen. Das fromme Amerika glaubt nicht an eine menschengemachte Naturverderbnis.

Natur ist für Gläubige nicht die ewige Mutter aller Dinge, sondern die Erfindung eines allmächtigen Mannes, der als Gott verehrt werden will. Da er seine Kreation als minderwertig empfindet, muss er sie eines Tages ruinieren, um sie durch eine neue zu ersetzen.

Naturverderbnis ist für das fundamentale Amerika das Werk eines mit seiner Schöpfung unzufriedenen Gottes. Ökologische Rettungsversuche sind nicht nur sinnlos, sondern ein Aufstand gegen Gott. Als Mitarbeiter Gottes soll der Mensch die Natur zerstören. Die ökologische Bewegung ist für Gods own country eine teuflische Erfindung des atheistischen Europa.

Deutschland empfindet sich auch als christlich – dennoch in gleicher Weise als aufgeklärt. Aufklärung ist die Selbstbestimmung des Menschen aus eigener Kraft – und unverträglich mit einem Gott der Offenbarung, der die Geschicke des Menschen bis ins Kleinste dominiert.

Widersprüche schließen sich hierzulande nicht aus. Die Deutschen sind felsenfest überzeugt, alle Widersprüche im Lauf der Zeit zur Versöhnung zu bringen. Logik ist für sie etwas Heidnisches, das sie nicht mehr nötig haben.

Wer der Logik folgt, muss sich seine Wahrheit suchen, indem er Ja zum Richtigen und Nein zum Falschen sagt. Ständig muss er sich entscheiden und mit der Möglichkeit des Irrtums rechnen. Nie hört er auf zu lernen. Nicht als Einpauken technischen Machtwissens, sondern als Überdenken seiner moralischen Fähigkeiten, ein friedliches Leben auf Erden zu führen.

Den Fallstricken der Selbstbestimmung versucht der Deutsche zu entkommen, indem er dem Fortschritt und den Priestern folgt. Fortschritt sagt ihm, was er zu arbeiten und womit er sein Geld zu verdienen hat; Priester sagen ihm, was er glauben und hoffen kann. Indem die Deutschen Logik verwerfen und sich Entscheidungen der Wahrheitssuche entziehen, können sie sich erleichtert der allwissenden Offenbarung ihrer Autoritäten unterwerfen.

Die Grünen spürten als erste die Gefahren der Naturverderbnis. Ursprünglich war Natur für sie keine Sache der Religion. Doch schnell fürchteten sie, einer nationalsozialistischen Naturauffassung verfallen zu sein, die sie fälschlicherweise für heidnisch hielten. In einer abrupten Wende kehrten sie zum Glauben ihrer Väter zurück und verwandelten Natur in die Schöpfung eines Gottes.

Ab diesem Moment unterwarfen sie sich der theologischen Formel „Schöpfung bewahren“. Das brach ihnen gedanklich das Genick und lähmte ihre praktische Ökologie, die heute aus der Wiederholung lebloser Standardformeln besteht.

Europa ist kein monolithischer christlicher Block, sondern besteht aus zwei unverträglichen Elementen: dem griechischen Denken – und der christlichen Erlösungsbotschaft. Dieser Urstreit entging den Grünen bis heute.

Natur war für Griechen ein begrenzter Kosmos, der sich in zirkulärer Zeit ewig wiederholte und erneuerte. Für Christen ist Natur der unveränderbare Verschleißprozess einer Schöpfung in linearer Heilsgeschichte.

So kamen die Grünen in das Dilemma, unbewusst den Vorstellungen einer begrenzten griechischen Natur, bewusst aber christlichen Vorstellungen einer grenzenlosen Natur zu folgen. Da sie sich für aufgeklärt halten, lehnen sie die unvermeidliche Apokalypse der Amerikaner ab. Unbeirrt folgen sie einer Natur, die von ihrem Schöpfer selbst zum Tode verurteilt wird.

Von außen verfolgt Weltpolitik materielle Interessen. Doch wer genauer hinschaut, erkennt hinter Interessen religiöse Motive. Wirtschaft muss permanent ins Grenzenlose wachsen, um die begrenzte Natur zu sprengen. Das Grenzenlos-Unendliche ist christlich, unverträglich mit dem endlichen Kosmos der Griechen.

Griechen kannten keinen systematischen Fortschritt, der die zirkuläre Zeit des Kosmos gesprengt hätte. Christen kennen nur eine lineare Zeit, die vom Herrn der Geschichte mit einem Faustschlag beendet werden wird. Beide Zeitvorstellungen sind wie Feuer und Wasser.

Der Mensch ist für Griechen der Herr seiner Geschichte – die keine lineare Heilszeit sein kann. Für Christen ist Gott der totalitäre Herr von Raum und Zeit. Ihm muss jeder Einzelne Rechenschaft ablegen für sein gesamtes Leben, das – man höre und staune – für Luther und Calvin vorherbestimmt ist.

Rechenschaft ablegen für etwas, was der Mensch nicht zu verantworten hat? Für Heiden ein absoluter Widerspruch, für Christen das Geheimnis göttlichen Denkens, welches vom Menschen nicht zu erfassen ist. In Gott sind alle Widersprüche aufgehoben.

Vor wenigen Wochen zirkulierte in allen Medien die naturwissenschaftliche Warnung vor dem Ende der Menschheit – wenn es ihr nicht gelänge, die naturzerstörenden Langzeitfolgen ihres wirtschaftlichen und technischen Tuns entscheidend zu verringern. Außer nervösen Zuckungen gab es keinen Schrei des Entsetzens: wir müssen uns ändern, wenn wir nicht untergehen wollen.

In der Regierungserklärung der deutschen Kanzlerin gab es kein einziges Wort zum Selbstmord des homo sapiens. Aliens, die von außen kämen, könnten diese Ungeheuerlichkeiten nur als Abschiedssyndrom einer Gattung verstehen, die keine Überlebenskraft mehr in sich spürt und sich innerlich auf ihr Ende einstellt.

Alles geht seinen gewohnten Gang, als sei nichts geschehen. Ungerührt schreitet man in eine Zukunft, die ins Endlos-Gloriose gehen soll.

Kein elementares Aufbäumen in der Gesellschaft, bei Politik, Medien, Gelehrten und Intellektuellen, das mit Stentorstimme gebrüllt hätte: Haltet ein, stoppt die Maschinen, wir müssen innehalten und gemeinsam überlegen, was wir wollen. Wollen wir unsere grandiose Tüchtigkeit weiterhin nutzen, um uns ein kollektives Ende zu bereiten? Oder wollen wir uns besinnen und unser Tun aus radikaler Distanz betrachten? Nur wahrheitsgetreue Selbstkritik hätte die Chance, unseren Kurs der Selbstzerstörung entscheidend zu verändern.

Und dennoch gibt es in der Welt viele Menschen, die sich dem verderblichen Gang der Menschheit widersetzen. In Deutschland ist es vor allem eine kleine, entschlossene Gruppe im Hambacher Forst, die nicht bewegungslos zuschauen kann, wie die Menschheit von der Erde Abschied nimmt. Für voyeuristische Medien sind sie nichts anderes als hysterische Moralisten, die sich in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit stellen.

Wenn auch Demokratien Helden brauchen – ja, brauchen sie –, so sind die Baumbesetzer im Hambacher Forst demokratische Helden. Hambach soll die Losung all jener sein, die nicht mehr dem Kurs des Todes folgen, sondern den Zeitgenossen und vielen zukünftigen Generationen eine wirkliche Überlebenschance geben wollen.

Gegen jeden, der es unternimmt, die Ordnung des gleichberechtigten Zusammenlebens von Mensch und Natur zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Nicht nur das Recht, sondern die kategorische Pflicht.

Demokraten, Schwestern und Brüder, packen wir‘s an. Sofort, Hier und Jetzt.