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Sofort, Hier und Jetzt III,

Sofort, Hier und Jetzt III,

Einerseits:

„Seriöse Manager bewerten Risiken in Bilanzen nämlich konservativ – das heißt, sie gehen eher vom schlechtmöglichsten Ausgang etwa eines Rechtsstreits aus, um nicht unvorbereitet in die roten Zahlen zu rutschen. Genauso sollten wir es in der Klimapolitik halten: Niemand weiß genau, wie folgenschwer der Klimawandel wirklich sein wird. Doch anstatt lang und breit über die Unsicherheiten der Simulationen zu debattieren, müssen wir vorsorgen. Wegen des Risikos, das für die Menschheit besteht.“

Andererseits:

„Dass die Menschheit bislang trotz dieses ausgeprägten Problembewusstseins nicht handelt, wie es nötig wäre, hat ganz andere Gründe. Eine Ursache ist die mächtige Industrielobby. Die deutschen Autohersteller beispielsweise wehren sich bislang erfolgreich gegen wirksame CO2-Reduktionen bei ihren Autos. Auch die Betreiber von Kohlekraftwerken konnten radikale Einschnitte bisher verhindern – im Zweifel mit Unterstützung der Gewerkschaften.“ (SPIEGEL.de)

Einerseits und andererseits schließen sich kategorisch aus. Seriöse Manager mögen vieles konservativ bewerten – aber bestimmt nicht die Risiken der Klimaveränderung. Sonst müssten sie die lautesten Warner vor der beschleunigten CO2-Verschmutzung der Atmosphäre sein. Warum tun sie das Gegenteil? Weil es ihnen um kurzfristigen Profit geht.

Nach dem Mammon der allernächsten Jahre – die Sintflut für immer und ewig: das ist ihre Devise. Mit anderen Worten: Manager sind abenteuernde Profitgeier, denen das Schicksal ihrer Kinder und Kindeskinder am Geldbeutel vorbei geht. Sollte conservare noch immer bewahren heißen – man weiß ja nie, wie Wahrheitsleugner morgen die Begriffe neu „besetzen“ werden – kann von konservativer Risikobewertung

der Industrie keine Rede sein. (Trump und Giuliani sind nur kleine Würstchen, verglichen mit den hohen Philosophen der wahrheitsleugnenden Postmoderne.) Die Bewahrung der Natur, die Voraussetzung aller Bewahrung, ist für Kapitalisten ein Ärgernis.

Das Wort: Nach uns die Sintflut, wird Madame Pompadour zugeschrieben. Lasst uns jetzt das Leben genießen, denn morgen sind wir tot. Diese zukunftsverleugnende Tageslust gilt als Wiederholung der römischen Untergangsstimmung:

Jetzt mußt du trinken und lieben! Nicht ewig, Demokrates, klingen

froh uns die Becher, nicht stets lacht uns von Knaben ein Kreis.

Komm, wir salben den Leib und drücken ins Haar uns die Kränze,

ehe die andern am Grab Blumen und Düfte uns weihn.

Jetzt noch soll mein Gebein den Strom dieses Weines genießen:

Ist es gestorben und tot, spül es Deukalion weg!

Ist die gegenwärtige Verleugnung des ökologischen Supergaus eine Wiederholung der antiken Perspektivlosigkeit? Nein. Profitgierige Manager sind vielleicht Meister geheimer Lüste, bestimmt keine Meister der Lust, der Freude am Dasein, der ausgelassenen Fröhlichkeit.

Wenn schon Untergang, so die frühen Heiden, sollen „die andern am Grab Blumen und Düfte uns weihen“. Was aber, wenn es keine anderen mehr gibt, die uns betrauern könnten? Dies wäre die trostlose Aussicht des drohenden Untergangs der Gegenwart. Andere gäbe es nicht mehr.

Anhänger der zyklischen Zeit wie die Griechen schlossen Katastrophen nicht aus. Doch die Wiederkehr der Zeit würde das pulsierende Leben zuverlässig zurückbringen. Die unwiederbringliche lineare Zeit der Christen wird nichts zurückbringen. Ewig würden die Massen in ihren Qualen verharren, während wenige Erwählte in einer göttlichen Übernatur „zu Tische lägen.“

Der Rat des SPIEGEL-Autors hingegen ist richtig. Wenn wir warten, bis die Klimakatastrophe nach allen Regeln der Kunst bewiesen wäre, wären wir alle tot. Wissen wir denn immer noch nicht, dass wir uns selbst schädigen, wenn wir der Natur Schaden zufügen? Immer dreht sich die Debatte um die Erweisbarkeit der Totalkatastrophe, während kein Mensch, der seine Sinne beisammen hat, die unaufhörlich wachsende Katastrophe leugnen kann.

„Genauso sollten wir es in der Klimapolitik halten: Niemand weiß genau, wie folgenschwer der Klimawandel wirklich sein wird. Doch anstatt lang und breit über die Unsicherheiten der Simulationen zu debattieren, müssen wir vorsorgen. Wegen des Risikos, das für die Menschheit besteht. Was aber ist von dem extrem heißen, trockenen Sommer zu halten, der Deutschland in den vergangenen Wochen so beschäftigt hat? Ein Beleg für den Klimawandel ist er selbstverständlich nicht. Der Sommer fällt in die Kategorie Wetter. Zum Klima wird Wetter erst, wenn man die Daten vieler Jahre zusammenfasst.“

Ein Beweis für den Klimawandel (Wandel: immer hübsch temperiert formulieren) ist der diesjährige Sommer nicht, aber ein Beleg unter vielen Belegen. Wie viele Phänomene des täglichen Lebens haben sich schon ins Schlimme verändert? Irreversibel, wenn sich nichts ändert? Und die globale Wirtschaftsmaschine ändert und ändert sich nicht. Sie schrumpft nicht und wird nicht naturverträglicher. Im Gegenteil. Welche Aussichten soll es da geben, wenn die Regeln des Einmaleins gültig bleiben?

Aber selbst die warnenden Artikel handeln nur von äußerlichen Veränderungen, die wir vornehmen müssten. Niemand beschäftigt sich mit der Frage: Aus welchem verkehrten Innern kommen die verkehrten Taten? Was denken wir falsch, dass die praktischen Folgen des Denkens falsch sein müssen?

Und da hagelt‘s schon.

Nach Marx und seinen noch immer verzückten Parteigängern sind unsere Taten keineswegs die unsrigen, sondern die Gesetzmäßigkeiten der Materie – also der Natur selbst.

Nach den Gehirndeterministen folgen wir sklavisch den Regungen unserer Gehirnwindungen. Auch hier sind wir nichts anderes als Marionetten der Natur.

Calvinisten und Lutheraner beten die göttliche Vorherbestimmung an. Nur Katholiken predigen den freien Willen, der aber leiderleider durch das Gesetz der Sünde für immer verdorben ist.

Sollte jemand die Fähigkeit der Vernunft betonen, den Willen rational zu lenken, würde er von allen vereinigten Fremdbestimmern zum lächerlichen Popanz erklärt werden.

In allen Dingen gilt die Hierarchie der Leistungsträger, die den Leistungsempfängern überlegen seien. Nur in der Disziplin verantwortlichen Denkens darf es niemanden geben, der sich anmaßen dürfte, etwas besser zu wissen als andere.

Hartz4-Demütigungen etwa dürfen nicht aufgehoben werden, damit Arbeitsverweigerer nicht noch mehr auf der Tasche der Tüchtigen liegen:

„Wenn die SPD dennoch die Axt anlegt an Hartz IV, dann macht sie sich von einer Partei der Leistungsträger zu einer Partei der Leistungsempfänger.“ (WELT.de)

Leistungsträger, Leistungsempfänger, Menschen scheint es keine mehr zu geben. Menschen mit Würde schon überhaupt nicht. Es gibt nur tüchtige Beiträger zum Wirtschaftswachstum – und schandbare Leistungsverweigerer.

Man muss es sich klar machen: in allen Disziplinen progressiver Naturschändung gibt es Konkurrenzen um die Besten unter den Destrukteuren. Nur in der Disziplin jener, die sich um lebenserhaltende Vernunftmoral bemühen, soll es schändlich sein, bessere Lösungen anbieten zu können als andere. Dies nicht nur zum eigenen Vorteil, sondern zum Vorteil aller.

Demokratie war das Ergebnis eines Wettbewerbs um die humanste Weise des Zusammenlebens. Heute schaufeln sich die Demokratien selbst das Grab, weil sie nur den Konkurrenzlauf in den Abgrund zulassen. Wenn einer mit Maschinen und Kontostand brilliert, wird er in den höchsten Tönen geehrt. Wenn einer mit Überlebensethik kommt, wird er unter den Teppich gekehrt. Was am dringendsten benötigt wird, wird am aggressivsten bekämpft.

Zur Moral gehört auch moralische Schuld und Scham. Auch dieses Doppelpack soll es nicht mehr geben.

„In den letzten Jahrzehnten ist eine von Schuld- und Schamgefühlen getriebene Moralisierung der politischen Sphäre zu beobachten. Neben dieser massentauglichen Produktion von schlechtem Gewissen hat sich … auch noch eine avantgardistische Form der Transformation von Politik in Schuldnarrative entwickelt, die sich mittlerweile auch immer stärker in Europa ausbreitet. Entspringt die Sucht nach Schuld vielleicht dem Glauben, eine Kultivierung des Schuldgefühls weit über den Bereich der eigenen Verantwortung hinaus fördere das moralische Bewusstsein und mache einen zu einem besseren Menschen? Eher verengt die Verbindung von moralischer Verantwortung mit Schuldgefühlen die moralische Wahrnehmung.“ (ZEIT.de)

Schuldgefühle würden die eigene Verantwortung schwächen. Wer sich nur denen verpflichtet fühlt, bei denen er schuldig wurde, wird seiner Verantwortung anderen Hilfsbedürftigen gegenüber nicht nachkommen. Letztlich käme es nicht auf Schuldbekenntnisse an, sondern auf Verantwortung übernehmen:

„Nicht Schuld-, sondern Verantwortungsbewusstsein ist hier gefragt.“

Solche Sätze kommen dem Vatikan entgegen, dessen pädophiles Schuldbewusstsein gegen Null geht. Ein Satz schamhaften Bedauerns und – alles ist wieder im Normalbereich. Nur keine wirkliche Schuld eingestehen und rücksichtslose Konsequenzen ziehen.

Kirchen sind uneinnehmbare Zitadellen des Guten. Erstens, weil sie unnachahmlich Gutes tun, zweitens, weil sie auch dann Gutes tun, wenn sie sündigen – und die Sünde der himmlischen Gnade anheim geben. Sie können tun, was sie wollen: die klerikalen Bastionen sind uneinnehmbar.

Die Politiker der maroden Demokratien imitieren längst die Unangreifbarkeiten des Klerus. Tun sie Vorbildliches, stehen sie im Licht; tun sie das Gegenteil, hatten sie keine andere Wahl. Siehe Merkels Kehre in Flüchtlingsfragen, in der Ökologie, ja, wo nicht?

„Die Möglichkeit, auf schlimme Entwicklungen mit Gesten des Bedauerns, der Trauer und Versöhnung zu reagieren, bleibt diesem Schuldverständnis verschlossen. Daher rührt auch die Giftigkeit des Diskurses über „white guilt“.“

Als ob Schuldgeständnisse Gesten des Bedauerns ausschlössen. Schuld zu suchen ist nicht nur eine subjektive Pflicht. Im öffentlichen Bereich müssen Ursachen politischen Fehlverhaltens bedingungslos aufgespürt und analysiert werden.

Wenn jeder für seine Taten haftbar sein soll, muss sein moralisches Soll und Haben decodiert werden. Sonst gibt es keine objektiven Zuschreibemöglichkeiten. Wofür will man Verantwortung übernehmen, wenn nicht für seine guten und bösen Taten? Die guten hat man zu verteidigen, die schlechten zuzugeben – und die Konsequenzen daraus zu ziehen. Bei gravierenden Fehlern sollte Rücktritt unvermeidlich sein.

Was wäre das für ein Journalismus, der verdeckte Schuld nicht investigativ aufspürte und anprangerte? Wie könnte es eine Vierte Gewalt geben, die nicht das Fehlverhalten der drei anderen Mächte unter die Lupe nähme?

Würde ein kritischer Journalist dem ZEIT-Artikel zur Abschaffung der Schuld folgen, könnte er sich ins Messer stürzen. Wenn marode Brücken in die Tiefe stürzen und Menschen unter sich begraben: sollen die Schuldigen im Dunkel bleiben und nicht vor Gericht gestellt werden?

Demokratien verfallen, weil man keine Schuldursachen mehr anerkennt. Niemand übernimmt Verantwortung, er würde ja seine Schuld zugeben.

Was ist demokratische Kritik, wenn nicht Vorwerfen schuldhaften Verhaltens? Unter Schuld ist kein theologischer Ungehorsam gegen göttliche Gebote zu verstehen. Sondern Verstöße gegen das Grundgesetz und seine eigenen politischen Verlautbarungen und Versprechen.

Um den ganzen Widersinn aufs Äußerste zu bringen: hätten die Nationalsozialisten auch keine Schuld auf sich geladen? Hier stürzt alles unter sich. Persönliche Schuld ist keine Voraussetzung für Solidarität mit den Opfern. Denn dann wäre Verantwortung nichts als schwache Kompensation der zugefügten Schuld. Wer wirklich helfen will, der muss schlicht helfen wollen und nicht auf heilige Motivationen starren.

Die Verachtung moralischen Handelns mit jesuitischer Motivations-Skrupulosität ist Verachtung autonomer Vernunftmoral. Ist eine Tat vernünftig, können ihre Motive nicht unvernünftig sein. Zeige mir deine Taten und ich nenne dir deine Motive.

Motivationsforschung ist nur notwendig, um die Widersprüchlichkeit einer Tat a posteriori zu entschlüsseln – und möglichst zu überwinden. Niemand ist von Ambivalenzen und Unstimmigkeiten frei. Jeder hätte es nötig, seine Taten im Licht seiner biografischen Dunkelheiten aufzuhellen und seine Antagonismen zu überwinden.

Der theologische Satz: Gott sieht, was nicht vor Augen ist, hat eine verheerende Gesinnungs- und Motivationsschnüffelei hervorgebracht. Man sieht nicht mehr die Taten, die vor aller Augen liegen, man will – um das autonome Gute zu desavouieren – ins Innerste der Seelen kriechen, um die Taten nachträglich mit sündigen Motiven zu besudeln. Die Idolatrie und Dämonisierung der Motive sind wie das Starren auf den wahren Ring in Lessings Ringparabel  der unauffindbar bleiben wird. Tu das Gute – und du hast den rechten Ring und die passende Motivation.

Wie wäre es, wenn die drei Erlöserreligionen mit guten Taten um den Titel der besten Religion wetteiferten, anstatt sich mit dogmatischer Unfehlbarkeit zu brüsten, um die Konkurrenten am Boden zu zerstören? Seid christlich, muslimisch, jüdisch, gottlos oder sonstwas: nur seid humanistisch. Eure Motivationen sind für andere uninteressant.

Nur wenn ihr im Namen eurer Unfehlbarkeit unmenschlich seid, müssen die Ursachen eurer Barbarei dort gesucht werden, wo eure Begründungen hinweisen: in die Abgründe eurer heiligen Schriften.

Wie könnten wir unsere suizidale Anti-Ökonomie korrigieren, wenn wir nicht mit uns ins Gericht gingen? Mit uns und allen Demokraten? Selbst- und Fremdkritik schließen sich nicht aus.

Es muss konstatiert werden: eine uralte religiöse Schuldkultur hat es satt mit aller Schuld und Schuldvorwürfen von Seiten des bigotten Klerus. Wir erleben zurzeit eine riesige Selbstbefreiung von aller Schuld. Wodurch? Durch Entwerten aller Schuldvorwürfe – in der Hoffnung, selbst von Fremdbeschuldigungen verschont zu werden. Ich werfe dir nichts vor, wenn du mir nichts vorwirfst. Das ist mafiöse Kumpanei. Hier wäscht eine schmutzige Hand die andere. Würden die Schuld-Vertilger ihr Ziel erreichen, bekämen wir eine tiefengereinigte Persil-Kultur, die fleckenlos – im Abgrund verschwände.

Aus unbewusstem Überdruss gegen jede christliche Schuldüberhäufung wird im reaktiven Gegenzug alle Schuld über Bord geworfen – und damit die Verantwortung des mündigen Menschen. Denn die besteht im peniblen Rechenschaft-ablegen über jedwede gelungene und misslungene Moral.

Was wir vor allem beenden müssen, um den Abschied von der Natur zu verhindern, ist die Selbstbeweihräucherung des Menschen als Krone der Schöpfung. Eine solche aller Natur überlegene Majestät muss vor der Natur keinerlei Rechenschaft mehr ablegen. Der gängige Begriff für diese Selbstvergottung – verkoppelt mit der Entwertung der Natur – ist Anthropozentrismus.

Der SPIEGEL-Kolumnist Stöcker gibt sich als Anthropozentrist zu erkennen. Vom Einklang mit der Natur hält er nichts:

„Es gibt Leute, die haben sich für diesen Blickwinkel ein Schimpfwort ausgedacht, es heißt „anthropozentrisch“. Wer das Schicksal der Menschheit über das Schicksal der übrigen Natur stellt, finden Fans dieses Begriffs, ist irgendwie ein schlechter Mensch. Ich persönlich bekenne mich zu meinem Anthropozentrismus.“ (SPIEGEL.de)

Im Anthropozentrismus steht der Mensch im Mittelpunkt, die Natur darf vernachlässigt oder misshandelt werden, wenn es dem Menschen Vorteile bringt. Diese Einstellung, die Fortsetzung der biblischen Gottähnlichkeit des Menschen, ist die Lizenz des Menschen, um alles, was ihn stört und ärgert, dem Erdboden gleich zu machen.

„Und Gott segnete Noah und seine Söhne und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet die Erde! Eure Furcht und Schrecken sei über alle Tiere auf Erden, über alle Vögel unter dem Himmel und über alles, was auf dem Erdboden kreucht; und alle Fische im Meer seien in eure Hände gegeben.“

Das ist vollendeter Anthropozentrismus: der Mensch soll sich ausbreiten und sich alles untertan machen. Alles Natürliche soll er sich mit Furcht und Schrecken unterwerfen. Schonung überflüssig, denn Gott kann Neues nach Belieben schaffen.

Diese Lehre vom Menschen als Mittelpunkt der Natur ähnelt dem politischen Absolutismus, ja dem Totalitarismus. Der Despot darf alles, seine Abhängigen haben sich ihm zur gnädigen Ausbeutung und Vernichtung zur Verfügung zu stellen. Dies also ist die geheime Kehrseite des Mottos der Grünen von der Bewahrung der Schöpfung.

„Der moderne Mensch erfährt sich selbst nicht als Teil der Natur, sondern als eine von außen kommende Kraft, die dazu bestimmt ist, die Natur zu beherrschen und zu überwinden. Er spricht sogar von einem Kampf gegen die Natur und vergisst dabei, dass er auf der Seite der Verlierer wäre, wenn er den Kampf gewönne. Ein Grund, dass diese Tatsache übersehen wird, liegt darin, dass wir uns von der Wirklichkeit entfremdet haben und alles als wertlos ansehen, was wir nicht selbst erzeugt haben. Sogar der große Dr. Marx verfiel diesem verhängnisvollen Irrtum, als er die sogenannte Arbeitswert-Theorie formulierte.“ (E. F. Schumacher, Die Rückkehr zum menschlichen Maß)

Bei allem, was der Mensch bearbeitet, ist er auf natürliche ROH-Stoffe angewiesen – die erst durch seine Arbeit wertvoll werden. Marx stützt sich in seiner anthropozentrischen Arbeitswert-Theorie auf Äußerungen John Lockes:

„Wenn wir wissen wollen, was die produzierten Dinge der Natur oder dem Menschen zu verdanken haben, werden wir finden, dass man in den meisten Fällen 99 Hundertstel ganz dem Konto der Arbeit zuschreiben muss. Es ist also die Arbeit, die dem Boden den größten Teil seines Wertes verleiht. Natur und Erde lieferten nur die an sich fast wertlosen Rohstoffe.“ (zit. in Hans Immler, Die Natur)

Dieser Entwertung der Natur bei Locke (und Ricardo) schließt sich Marx an: „Im Tauschwert der Ware ist kein Atom an Natur mehr enthalten, weil hier allein die soziale Dimension der physischen Betätigung der Arbeitskraft zur Geltung kommt, die in abstrakten Arbeitsquanten gemessen und verglichen wird.“ (ebenda)

Durch seine Arbeit, so Marx, „erzeugt der Mensch sich selbst, seine Produktivkräfte, seine Gesellschaft, also seine Geschichte. Arbeit ist die erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens und zwar in einem solchen Grade, dass wir in gewissem Sinn sagen müssen: Sie hat den Menschen selbst geschaffen. Indem die Menschen die im Naturmaterial schlummernden Potenzen entbinden, erlösen sie es: das tote An-sich verwandelt sich in ein lebendes Für-uns. Durch menschliche Arbeit hindurch treibt die Natur ihren Schöpfungsprozess weiter.“

Das ist Anthropozentrismus der gottähnlichen Art. Nur menschlicher Arbeit gelingt es, die minderwertige Natur von ihren Potenzen zu entbinden. Die Konkurrenz zur weiblichen Entbindung menschlicher Potenzen (der Kinder) liegt auf der Hand. Entbinden aber heißt erlösen. Arbeit erschafft den Menschen aus fast nichts. Das ist die philosophische Grundlage der Maschinenschöpfer.

Auf der einen Seite vergöttlicht Marx die Materie, auf der anderen degradiert er sie in biblischem Sinne zum minderwertigen Weib, dem er nützliche Geschöpfe entbinden muss, um sie zu Werten zu veredeln. Zu Gebrauchs- und Tauschwerten. Das also ist die wahre Sicht Marxens auf die Natur: ohne Bearbeitung des Menschen wäre sieNichts.

Anthropozentrismus bedeutet: ohne Mensch wäre die Natur bedeutungslos. Nur der Mensch kann aus minderwertiger Materie (dem „Mütterlichen“) etwas Wertvolles machen: die ungeheuer vielen Dinge aus industrieller Produktion, die die Natur überschwemmen und ersticken.

Also sind grenzenlose Produktion, nie endende Maloche und ehrlose Entbindung der Natur durch Erlöser-Hebammen notwendig, um den Menschen zur Krone der Schöpfung zu erheben. Am Ende der Geschichte ist der Mensch kaum weniger als sein Erlöser: er wird zum Pantokrator des Universums – das von Trump eben jetzt zum letzten, bislang noch unberührten, nun aber zum ultimativen Gefecht freigegebenen Schlachtfeld der Heilsgeschichte erklärt wurde.

An diesem Punkt treffen sich Sozialismus und Kapitalismus:

Auf zum letzten Gefechtgegen die Natur. Der Ausgang des Gefechts steht fest: der Mensch geht in die Grube.

 

Fortsetzung folgt.