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Umwälzung XC

Hello, Freunde der Umwälzung XC,

„Bedrohen Sie niemals wieder die USA, oder Sie werden Konsequenzen zu spüren bekommen, die nur wenige in der Geschichte jemals zu spüren bekommen haben.“

Trumps wüste Drohrede wider die Ungläubigen. Je diabolischer er die Welt in Angst und Schrecken versetzt, je höher steigen seine Beliebtheitswerte. Amerikas einstige demokratische Vorzeigekultur zerfällt.

Alternativen? Keine. Zeig‘s ihnen, Donald! Der Menschheit müssen wir beweisen, wer die Herren der Welt sind. Und wenn sie nicht parieren, sollen sie ihr atomares Wunder erleben. Der Durcheinanderwerfer wird der Welt noch eine zweite Amtsperiode erhalten bleiben.

„Es gibt eine neue Umfrage des „Wall Street Journal“ und von NBC News, die zeigt, dass Trumps Beliebtheitswerte um einen Prozentpunkt auf 45 Prozent angestiegen sind. Unter Anhängern der Republikaner bekommt Trump demnach von 88 Prozent der Befragten Zustimmung für seine Arbeit. Das ist einer der höchsten Werte für einen republikanischen Präsidenten seit Jahrzehnten.“ (SPIEGEL.de)

Sommerzeit, Klimazeit. Temperaturen glühen, Kreatur leidet, Fieber steigt, Boden verdörrt. Politikerklasse im Urlaub. Kanzlerin: alles gut.

«Glühende Landschaften»: Der Grünen-Chef sieht die Hitzewelle als desaströs für Landwirte. Die Experten rechnen damit, dass die Erderwärmung bis 2050 weitergehen wird. Und wenn die Politik bis dahin nicht bessere Vorkehrungen in Form drastischer CO2-Reduzierungen getroffen hat, geht es dann noch weiter. Bislang versagt die

Politik in Deutschland dabei. Wir brauchen nicht bessere Menschen, sondern eine bessere Politik.“ (WELT.de)

Landschaften und Hirne glühen, Verstand nimmt Reißaus. Kühles Blut verdunstet. Moral- und vernunftlos wollen Menschen vernünftige Politik betreiben. Kanzlerin: alles gut.

„Japan leidet seit Wochen unter einer katastrophalen Hitzewelle. Fast täglich gibt es Tote, Tausende Menschen kamen in Kliniken. In der Nähe von Tokio stiegen die Temperaturen nun auf ein Allzeithoch.“

Sonderkonferenzen, Sofortmaßnahmen, Reaktionen der Mächtigen der Erde? Nichts davon. Die deutsche Kanzlerin, zuständig nur für heimische Nächstenliebe (Fernstenliebe sei ihr ferne): alles gut.

„Madagaskar blutet. Früher war das Gebiet noch mit Wald bedeckt. Die Wurzeln der Pflanzen hielten die Erde zusammen und schützten den Boden vor Erosion. Doch über Jahrzehnte wurde Brandrodung betrieben, der Wald hat sich zu einer Savanne gewandelt. Wenn der Fluss Betsiboka nun über die Ufer tritt, reißt er mineralhaltige Schlammmassen mit sich.“

Ein Aufschrei in der Welt, um dem Land zu Hilfe zu eilen? Welch idealistischer Unsinn. Die Kanzlerin: schweigt zu allem.

„In Schweden wüten weiter heftige Waldbrände – und die Lage könnte sich am Wochenende sogar noch zuspitzen. Laut Behörden sind die größten Feuer nicht mehr zu löschen.“

Und das in einem nordisch kühlen Land. Die Feuer wüten selbst an der Polargrenze. Stellungnahmen der EU? Keine.

„Kampfjets für Saudi-Arabien, Panzer für die Türkei, U-Boote für Ägypten – die Nachfrage nach Waffen ist groß. Systeme deutscher Hersteller werden in Kriegen wie in Syrien und im Jemen eingesetzt. Schwere Kampfpanzer und Panzerhaubitzen – in Deutschland gebaut, an den Golf exportiert, mit Einlagen deutscher Sparer finanziert. Der Krieg im Jemen werde mit deutschem Geld regelrecht befeuert, so das Fazit der heute erschienenen Studie „Dirty Profits – Unser Geld für Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisengebiete“.

Kanzlerin: alles gut.

„Eine Million Senioren über 85 leben allein.“ Kanzlerin: alles gut.

„Baustellen, Sperrungen, Staus: Die Verkehrsbehörden schaffen es nicht, deutsche Straßenbrücken instand zu halten. Daten belegen: Jede achte ist marode, in den alten Bundesländern droht der Verkehrsinfarkt.“

Kanzlerin: siehe oben.

„Quer durch Deutschland verfallen Schulen, werden gerade so weit instand gesetzt, dass sie noch den Brandschutzbestimmungen entsprechen. Mehr nicht.“

Kanzlerin?

„In Deutschland leben Arme und Reiche immer seltener Tür an Tür. Die soziale Spaltung in den Städten nimmt zu.“

Kanzlerin??

„Die Reichen sorgen für die globale Erwärmung, die Armen tragen die Folgen“.

Kanzlerin???

„Kinder können nichts für die Verhältnisse, in die sie hineingeboren werden. Sie können nichts dafür, dass die viel beschworene Gleichheit der Chancen von Tag eins ihres Lebens an inexistent ist. Solange die Milieus sich nicht nur finanziell, sondern atmosphärisch derart drastisch unterscheiden, hat staatlich finanzierte Bildung für die angestrebte Bedarfsgerechtigkeit den zentralen, den allerwichtigsten Auftrag in der Demokratie.“

Die Kanzlerin????

„Mindestens 20.000 Menschen haben in München gegen einen Rechtsruck in Gesellschaft und Politik demonstriert. „Der soziale Friede in unserer Stadt und in Bayern ist gefährdet. Durch Verrohung der Sprache und völlig falsche Prioritätensetzung. Wir stehen auf, immer wieder, wenn’s notwendig ist“. CSU-Generalsekretär Markus Blume teilte zu der Kundgebung mit, es gebe im demokratischen Diskurs auch Grenzen. Hetzen würden andere: „Wer ‚CSU-Rassistenpack‘ skandiert, wer der CSU unterstellt, Konzentrationslager vorzubereiten oder wer die CSU für schuldig erklärt am Tod von Migranten im Mittelmeer, der hat jeglichen Anstand verloren und betreibt übelste Hetze.“ Für Schlagzeilen hatte auch gesorgt, dass die Münchner Stadtrats-CSU den Kammerspielen und dem Volkstheater eine Teilnahme verbieten lassen wollte.“

Proteste in München gegen die Orbanisierung Bayerns. Und die Kanzlerin? Hat sie Seehofer wegen amoralischer Hetze (in perfektem Anstand) entlassen, ihre Schwesterpartei zur Räson gerufen – widrigenfalls alle Hetzer vom Kreuz in die Wüste geschickt? Stattdessen Schweigen: alles gut von der Nordsee bis zu den Alpen.

„Die Professorin Naika Foroutan aus Berlin sieht Anzeichen dafür, dass sich Deutschland in eine „präfaschistische Phase“ entwickelt. Das Wort präfaschistisch halte sie für nicht zu stark: Sie versuche seit geraumer Zeit, das Buch des Historikers Fritz Stern „Kulturpessimismus als politische Gefahr“ zu lesen. Stern, dessen jüdische Familie vor dem NS-Regime in die USA fliehen musste, beschreibt darin den Aufstieg des Nationalsozialismus „und jene intellektuellen Kräfte, die einen Pessimismus verbreiteten, der als einzigen Ausweg aus einer verachteten Gegenwart nur die komplette Zerstörung alles Bestehenden übrigließ. Kritik äußerte Foroutan an Alt-Bundespräsident Joachim Gauck, der nach dem Ausscheiden aus dem Amt bei unterschiedlichen Auftritten  öffentlich von falscher Rücksicht auf die Migranten gesprochen und gesagt hatte, ihn erschrecke der Multikulturalismus.“ (WELT.de)

Wenn Foroutan Recht hat, wenn die Katastrophen eines einzigen Tages – um nur wenige zu nennen – nicht erfunden und erlogen sind, wenn die deutsche Idylle auf Treibsand gebaut ist: so müsste man Angela Merkel als präfaschistische Durchwurstlerin bezeichnen. Alles Schreckliche hat sie geschehen lassen, als ob es nicht vorhanden wäre, hat alle Schadensmeldungen durch „demütige Gelassenheit, rationale Nüchternheit“, und wie die Lobsprüche ihrer medialen Personenschützer noch so heißen, an sich abperlen lassen. Das Wohl der Nation hat sie allein am Wohlstand der Erfolgreichen und Begüterten abgelesen.

Wer an den göttlichen Herrn der Geschichte glaubt, kann nicht pessimistisch sein. Zwar ist er vom infernalischen Ausgang der Weltgeschichte überzeugt, doch nur die Ungläubigen wird das Schwert der apokalyptischen Reiter treffen. Gläubige sind Optimisten für sich und Pessimisten für andere.

Faschisten waren nicht nur die bluttriefenden Henker, sondern auch die vielen Mitläufer, die nach dem Krieg ihre Hände in Unschuld waschen wollten. Sie haben nichts gesehen, nichts gehört, nichts wahrgenommen.

Merkel, die durchwurstelnde Präfaschistin, kann schauen wie die personifizierte Unschuld. Obwohl sie Europa durch wirtschaftlichen Autismus – no bail out – ruiniert hat, gilt sie für ihre Untertanen als Garantin der Stabilität. In der Katastrophe, die keine sein darf, so tun, als ob alles okay wäre: dieses Narkotikum ist die natürliche Fortsetzung des Opiums des Volks. Mütterchen muss für alle beten, wenn die Noch-immer-Gläubigen sich in der Illusion der Freiheit wiegen wollen, sooo fromm seien sie nun auch wieder nicht.

Man könnte behaupten, das mütterliche Palliativ sei ein Fortschritt zu väterlichen Erregungsdrogen mit Exekutions-Imperativ. Letztlich ist der Unterschied nur Schein. Hemanner produzieren das Unglück, göttliche Madonnen lassen es in Ergebenheit geschehen. Der Effekt ist derselbe. Am Ende der männlichen und weiblichen Ereigniskette muss die Katastrophe stehen. Darunter machen es die Deutschen nicht, die von heiligen Schriften und Heidegger das Glücksverbot erteilt bekamen.

„Man verneint – mit Nietzsche – Genuss, Glück und Behagen, bejaht dagegen die Härte des Schicksals und die Strenge der Arbeit. (Karl Löwith, Der europäische Nihilismus)

Das ist der große Unterschied: vor dem Krieg die Härte der deutschen Bewegung, heute die „Verweichlichung“ des Konsums, die inzwischen von WELT-Denkern wie Thomas Schmid in Vorahnung des Kommenden bereits beanstandet wird. Wir nähern uns der Härte des Schicksals, indem wir „unser Schicksal militärisch in die eigenen Hände“ nehmen, die Welt betrachten, als ob sie voller Teufel wär, und uns auf die Beschützerrolle der Amerikaner nicht mehr verlassen.

Und wenn die Welt voll Teufel wär
und wollt uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr,
es soll uns doch gelingen.

Je lutherischer die Nation, umso mehr nähert sie sich dem neucalvinistischen Teufels-Exorzieren. Der „amerikanische“ Konsumzwang hat die Deutschen ent-härtet. So scheint es. Was sie vor dem Krieg verächtlich als Eudaimonismus abgelehnt hätten, haben sie als moderne Lebensmaxime geschluckt. Aber nur im neu importierten Über-Ich. Tief im Innern waren sie von den Segnungen des Kapitalismus nie überzeugt. Streng genommen haben sie den ganzen Wohlstandsklimbim immer verachtet. Sie haben sich selbst verachtet, weil sie widerstandlos die Ideologie ihrer Befreier verinnerlicht haben.

Warum hören wir über Nacht den Ruf nach einer „konservativen Bewegung“, nach völkischer Selbstertüchtigung, den Fluch auf weichlichen Pazifismus und idealistische Moralutopien? Das Böse muss wieder gesellschaftliche Akzeptanz erhalten. Man darf sich Amerika nicht verweigern, wenn es zum trumpistischen Paradigmenwechsel kommt.

Wie viele deutsche Auslandskorrespondenten haben sich von der vorbildlichen Seite Amerikas blenden lassen und ununterbrochen ihre „America is great-Hymne angestimmt? Die kleinste Kritik an Amerika war Antiamerikanismus.

Wie lange ist es her, dass Trump die Revolution von Oben in Gang setzte? Anfänglich einhellige empörte Ablehnung bei uns, heute schon hat sich die Politiker- und Medienszene polarisiert. Die neuen Bösenverehrer benutzen natürlich nicht die Zotensprache des Milliardärs, sie attackieren den eitlen Moralismus der Linken mit philosophischen Anleihen, die sie selbst nicht verstehen.

„Wer in der Flüchtlingsfrage eine Doktrin der Fernstenliebe beklagt und einen moralischen Größenwahn wahrnimmt, wer erklärt, dass die Schiffe der Hilfsorganisationen auf dem Mittelmeer nicht immer nur Gutes schaffen, wer es gar wagt, zu wiederholen, was das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, nämlich dass das Asylrecht kein Menschenrecht sei, der muss, wenn er Journalist bei eher linksliberalen Zeitungen ist, mit ewiger Verdammnis rechnen, von der moralischen Hinrichtung abgesehen, die ihn oder sie in der Öffentlichkeit erwartet.“ (WELT.de)

Sie sind sehr zartfühlend, die Schlechtmenschen, wenn ihre Lieblings-Gegner etwa so zurückkeilen, wie sie selbst die doofen Gutmenschen als die hirnlosesten und gefährlichsten aller Zeitgenossen darstellen. Asylrecht kein Menschenrecht?

„In Artikel 14 beschreibt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte das politische Asylrecht. Sie gewährt dieses Recht allerdings nur sehr eingeschränkt, nämlich als Recht des Menschen, es in anderen Ländern zu suchen. Dagegen verpflichtet Art. 14 keinen Staat, politisch Verfolgten auch tatsächlich Asyl zu gewähren. Damit spricht Artikel 14 das Asylrecht nur in der Form an, in der die Staaten bereit sind es zu gewähren. Waren die Staaten im Dezember 1948 bei der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte insoweit noch nicht zu einer Beschränkung ihrer Souveränität bereit, änderte sich diese Einstellung in der Folgezeit etwas: So akzeptierten die Staaten nur drei Jahre später bei Verabschiedung der Genfer Flüchtlingskonvention das Verbot, Flüchtlinge in den Verfolgungsstaat zurück zu schicken.“ (Menschenrechtserklaerung.de)

Ein kleiner Blick in die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ hätte genügt, um die Abwehr- und Absaufpraxis der EU als menschenfeindlich zu deklarieren. Es geht um das Recht auf Leben und das Recht, Asyl in anderen Ländern zu suchen. Menschen können ihr Recht in anderen Ländern nicht suchen, wenn sie in diese Länder nicht kommen dürfen.

Auch Arme haben in Deutschland kein automatisches Recht auf Sozialunterstützung, sondern nur das Recht, diese zu beantragen. Dann hat der Staat das Recht, den Antrag nach bestimmten Kriterien zu bejahen oder abzulehnen. Neuköllner Familienclans haben sich Hartz4 erschwindelt und sich Immobilien unter den Nagel gerissen. Das Recht haben sie sich unrechtmäßig ergaunert. Für diese rechts-brechenden Untaten werden sie nach dem Buchstaben des Gesetzes bestraft werden.

Kein Recht dieser Welt wird automatisch gewährt. Es muss durch Rechtsverfahren gesucht werden. Vertreter des Rechts müssen das gesuchte Recht auf Legitimität überprüfen. Nicht nach Bauchgefühl, sondern nach Recht und Gesetz. Das ist das eine.

Das andere: wie können Flüchtende in Europa ihr Recht beantragen, wenn sie nicht nach Europa kommen dürfen, weil man sie schon im Mittelmeer abfängt oder, bedingt durch Naturgewalten und schwankende Schlauchboote, aktiv absaufen lässt? Mitleids- und rechtlose Frontex-Soldaten brechen das Recht auf Antrag, indem sie den Flüchtenden den Weg zu den europäischen Rechtsprüfern versperren.

Und zum Dritten: jedes universelle Gesetz ist theoretisch ein unbegrenztes Gesetz, praktisch aber ist es – bei bestem Willen der Helfenden – dem Realitätsprinzip unterworfen. Ist ein Schiff voll, kann ein Mensch noch so verzweifelt um Hilfe rufen und an sein Recht appellieren: er hat keine Chance, auch wenn die Herzen aller Beteiligten dabei gebrochen werden.

Über sein Können hinaus kann niemand in Pflicht genommen werden. Humanität aber besteht darin, das Können bis an das Menschenmögliche auszudehnen. Wäre das Recht auf Menschlichkeit ein Automatismus, bräuchten wir keine Richter und Gesetze.

WELT-Schuster attackiert die „idealistische“ oder „hypermoralische“ Fernstenliebe, um – im Gegensatz zu Nietzsche – wieder die neutestamentliche Nächstenliebe zu Ehren kommen zu lassen.

„Ihr drängt euch um den Nächsten und habt schöne Worte dafür. Aber ich sage euch: eure Nächstenliebe ist eure schlechte Liebe zu euch selber. Ihr flüchtet zum Nächsten vor euch selber und möchtet euch daraus eine Tugend machen: aber ich durchschaue euer »Selbstloses«. Das Du ist älter als das Ich; das Du ist heilig gesprochen, aber noch nicht das Ich: so drängt sich der Mensch hin zum Nächsten.

Rate ich euch zur Nächstenliebe? Lieber noch rate ich euch zur Nächsten-Flucht und zur Fernsten-Liebe! Höher als die Liebe zum Nächsten ist die Liebe zum Fernsten und Künftigen; höher noch als die Liebe zu Menschen ist die Liebe zu Sachen und Gespenstern.

Der eine geht zum Nächsten, weil er sich sucht, und der andre, weil er sich verlieren möchte. Eure schlechte Liebe zu euch selber macht euch aus der Einsamkeit ein Gefängnis. Die Ferneren sind es, welche eure Liebe zum Nächsten bezahlen; und schon wenn ihr zu fünfen miteinander seid, muß immer ein sechster sterben.“

Nächstenliebe ist für Nietzsche ein Trug, eine Flucht zum Nächsten, weil man sich selbst nicht richtig lieben kann. Schuster lehnt Fernstenliebe ab, indem er stillschweigend unterstellt, das Gegenteil einer hybriden Liebe in der Ferne sei eine überzeugende Liebe in der Nähe. Was bedeuten würde, die Deutschen würden sich selbst am wahrhaftigsten lieben. Also müsste die deutsch-deutsche Binnenliebe vor der großen Flüchtlingswelle am überzeugendsten gewesen sein.

Ab welcher geografischen Entfernung beginnt das Fremde? Lieben sich Bayern und Preußen, nur weil sie Deutsche sind?

Die Ablehnung der Fernstenliebe bezieht sich auf Arnold Gehlen – einen Sympathisanten Hitlers – der inzwischen zur großen Galionsfigur im Hintergrund der Debatte wurde. Fernstenliebe gehört nach Gehlen zur Hypermoral, einer „Übersteigerung bestimmter moralischer Verhaltensweisen zu Lasten anderer“. Diese grandiose Hypermoral sei eine „masseneudaimonistische Gesinnungsmoral“, ein mit totalem Anspruch vorgetragener Humanitarismus – eine Überdehnung des Familienethos mit humanitären und pazifistischen Tugenden, der das Staats- und Insitutionenethos und die politischen Tugenden zersetzen würde. Was will der Hypermoralismus? Nichts anders als die „ethische Auszeichnung des Wohllebens“. Hinter dieser Sucht nach moralischer „Reinheit“ vermutete Gehlen eine rein „diesseitig orientierte dekadente Haltung und einen Nihilismus gegenüber höheren Werten“.

a) Vorbild aller Moral ist die Familienmoral. In der christlichen Familie wird jedes Mitglied perfekt geliebt. Fernstenliebe ist keine Liebe, denn der Fernste ist unbekannt und kein Mitglied der heiligen Sippe. Alles, was die Familie übersteigt, ist unnatürlich und muss abgelehnt werden.

b) Wie kommt Gehlen von der Familie zum Volk und seinem Führer? Durch Gleichsetzung von Volk und Familie: dem Völkischen. Das auserwählte Volk ist eine große Familie mit väterlichem Führer, der die Seinen kennt, alle liebt und alle Feinde des Volkes vernichtet. Alle Fernen und Fremden müssen als Feinde betrachtet werden. Denn das Liebespotential des Menschen ist auf Nähe und rassische Ähnlichkeit beschränkt. Nächstenliebe ist Rassenliebe, denn ein familiäres Volk muss rassisch homogen sein.

c) Hypermoral will schnödes irdisches Glück, und kennt keine liebende Sehnsucht ins Jenseits. Nach deutscher Tradition wird das angelsächsische Prinzip des „größten Glücks der größten Zahl“ als irdische Sündhaftigkeit abgelehnt.

Wer ist mein Nächster? Christliche Nächstenliebe spaltet die Menschheit in Nächste und Fernste. Die Nächsten sind nach hoher Wahrscheinlichkeit Angehörige des gleichen Volkes. Mit Fremden muss man weniger rechnen.

Agape separiert die Menschen in zwei Klassen. Die Nächsten sind die Auserwählten, die Fernsten haben Pech gehabt. Für sie reicht der Vorrat an Liebe nicht mehr. Sie gehen leer aus, ja, sie können von Glück reden, wenn sie nicht gehasst werden. Denn jeder Mangel an Agape ist Hass, Gleichgültigkeit oder Verachtung.

Auch wer zu den Nächsten gehört, ist nur für die Zeit absoluter Hilflosigkeit ein Nächster. Verfügt man über finanzielle Mittel, kann man das Hilfs-Objekt an den Nächstbesten übergeben, der sich des Falles annimmt. Angeblich. Eine Kontrolle gibt es nicht, der primäre Samaritaner darf spurlos verschwinden.

Persönliche Nähe zwischen Subjekt und Objekt ist nicht erforderlich. Schon gar nicht der politische Wille, das Elend des ganzen Volkes systematisch zu bekämpfen. Nächstenliebe ist – im Gegensatz zu Gehlens politischem Institutionenethos – keine politische Tugend.

Überhaupt ist Agape eine schein-private zufällige Angelegenheit und hat mit Politik nichts am Hut. Institutionenethos gehört – nach Augustin – zur sündigen civitas diaboli und hat mit christlicher Nächstenliebe, die zur civitas dei gehört, nichts zu tun.

Kaum ist es Trump gelungen, seinen civitas-diaboli-Stil zu perfektionieren und die Gunst der Amerikaner noch mehr zu gewinnen, wechseln die eben noch kritischen Deutschen auf die Seite des Erfolgs. Welcher Zeitgeist gewinnt? Wer erfolgreich ist.

Die Deutschen, ohne jedes Bewusstsein und eigenständiges moralisches Profil, sind in kürzester Zeit ihrer lauen Wohlstandshumanität untreu geworden und auf die Seite der Schlechtmenschen übergelaufen. Solange es in Deutschland ökonomisch gut ging, gab es kein Links und kein Rechts mehr. Kaum beginnt die Welt ins Trudeln zu kommen, wird das Humane preisgegeben zugunsten einer machiavellistischen Staatsraison.

Nach 1989 war – laut Schuster – die ideologisch aufgeheizte Frühepoche der Nachkriegsdeutschen vorbei. Nun hätte alles gut werden können. Aber nein: die Deutschen dürfen es sich nicht zu leicht machen. Feindseligkeit in der Debatte muss schon sein.

„Die neue Verbohrtheit mag ihre Ursachen darin haben, dass sich die Mehrheit der Deutschen nach dem Ende des Kalten Krieges noch nicht an die Strapazen der ganz normalen Anarchie gewöhnt hat.“

Unter der ganz normalen Anarchie muss man sich wohl den erdumspannenden Neoliberalismus vorstellen. Der bringt ein gewisses Raubrittertum mit sich, doch an solche Petitessen muss man sich bitte schön gewöhnen, ohne gleich die große Revolution auszurufen.

Doch die wahre Ursache der neu aufbrechenden Feindseligkeit, sprich der demokratischen Debatte, ist: die Linken fürchten den Verlust ihrer Deutungshoheit. Das können sie nicht vertragen. Also beginnen sie, die hochsensiblen neuen Trumpisten mit Hass zu überschütten:

„Wer die Stimmung vieler andersdenkender Menschen im Land für ein Übel hält, das vernichtet werden muss, der darf sich nicht wundern, wenn eben diese Menschen bei radikalen Vereinfachern einen Halt suchen. Mag dieser Halt auch nichts anderes als Lug und Trug sein.“

Die Stimmung im Lande hat sich geändert. Die Mehrheit hat sich vom bisherigen Moralismus abgewandt, weil sie ihn für heuchlerisch hält. Die neue Stimmung suchen die Trump-Truppen in nationalsozialistische Termini à la Arnold Gehlen zu gießen. Aber nicht so grob und selbstentlarvend wie in der AfD. Sondern feiner, hintergründiger und mit Merkels präfaschistischem Wortbruchstil elegant vereinbar. Es ist wie mit der CSU, die rechts von sich keine Radikalinskis duldet. Wie macht sie das? Indem sie selbst rechts-radikal wird.

Halten wir fest: der neue amerikanische Trumpismus ist in Blitzesschnelle zum deutschen Machiavellismus geworden – der von Edelschreibern mit altdeutschem Dekor aus den Tiefen des deutschen Verhängnisses überpinselt wird.

Kein Tag ohne weltumspannende Katastrophen. Doch kein Grund zur Beunruhigung: die deutsche Tochter des Himmels leitet das Schifflein in unaufgeregtem Anstand und in gottergebener Noblesse – in den Abgrund.

Das war kein Beitrag zum deutschen Kulturpessimismus. Sondern ein Aufruf zur Rebellion. Erneut wurden in Berlin zwei Obdachlose angezündet. In politikfreien Räumen müssen die Schwächsten zuerst dran glauben.

 

Fortsetzung folgt.