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Umwälzung LXXXIX

Hello, Freunde der Umwälzung LXXXIX,

„Unter denjenigen, die die Autorin Mariam Lau lautstark in die rechte Ecke zu schieben versuchten, befand sich natürlich ein Gutteil der Kernleserschaft der „Zeit“: mehr oder minder wohlhabende Bürger, die linksliberal empfinden, überzeugt sind, auf der guten Seite zu stehen, die auf Andersmeinende gerne herabblicken und jeden Zweifel am abgeschliffenen linksliberalen Konsens schnell als ungehörig definieren.“

Schrieb ein Angehöriger der WELT-Redaktion aus der saturierten Bourgeoisie, überzeugt, nicht auf der guten, sondern der besseren Seite zu stehen, gern auf Andersmeinende herabblickend und jeden Zweifel am moralfeindlichen deutschen Erbe als hochnäsig verurteilend. (WELT.de)

„Not kennt kein Gebot – so einfach ist das für sie. Aber so einfach ist es nicht. Das Ertrinken im Mittelmeer ist ein Problem aus der Hölle, ein politisches Problem, zu dessen Lösung die private Seenotrettung null und nichts beizutragen hat. Denn Politik besteht eben nicht darin, das vermeintlich Gute einfach mal zu machen, sondern darin, die Dinge im Zusammenhang zu betrachten und auch die Nebenwirkungen gut gemeinten Handelns. Die Retter sind längst Teil des Geschäftsmodells der Schlepper. Wer in Not ist, muss gerettet werden, das schreibt das Recht vor und die Humanität. Beide schreiben allerdings nicht vor, dass Private übernehmen, was die Aufgabe von Staaten sein sollte. Leider wirken die Aktivisten aber auch an der Vergiftung des politischen Klimas in Europa mit. In ihren Augen gibt es nur Retter und Abschotter; sie kennen kein moralisches Zwischenreich. In diesem Denken gibt es keinen Unterschied zwischen Angela Merkel und Viktor Orbán. Stellen wir uns für zwei Minuten vor, wo Europa jetzt stünde, wenn man dem Drängen der Menschenrechtsorganisationen nach Legalisation aller Wanderungsbewegungen, ob Flucht oder Armutsmigration, nachgegeben hätte. Nach einem Europa ohne

Grenzen. Eine Million, zwei Millionen, drei Millionen. Wie lange würde es wohl dauern, bis die letzte demokratische Regierung fällt? Statt die afrikanischen Regierungen, wie die NGOs es tun, dabei von jeder Verantwortung freizusprechen, müssen sie mit an den Tisch, als Akteure mit Interessen, nicht als Wohlfahrtsempfänger. Aber den Gedanken, durch die von Rettern ermöglichte Migration geschichtliches Unrecht zu heilen, den sollte man vielleicht bald mal zu den Akten legen.“ (ZEIT.de)

Schrieb eine Angehörige der ZEIT-Redaktion, überzeugt, auf der besseren Seite als der guten zu stehen, die auf andersmeinende Lebensretter gern herabblickt, sie für Mitschuldige am Flüchtlingsdebakel erklärt und jeden Zweifel am trumpisch-orbanisch-merkelischen Abschottungsmodell als ungehörig und amoralisch verwirft.

Wie du mir, so ich dir. Wenn Schlechtmenschen Gutmenschen zur Minna machen, glauben sie, noch besser zu sein als die Guten. Ihren Gegnern werfen sie vor, was sie selber tun: abendländische Selbstbeweihräucherung, verknüpft mit handelsüblicher Fremddiffamierung.

Eine humane Moral interessiert sich weniger für Gesinnungen als für Taten, deren Qualität man an der Wirkung der Taten ablesen kann. Es gibt nur eine rationale Form der Gesinnungsprüfungen: betrachtet ihre Taten, dann kennt ihr die Gesinnungen.

Tatenunabhängige Gesinnungen sind Erfindungen jener Religion, die Taten als hybride Werke verachtet und nur reine Gesinnung fordert: alles, was ihr tut, vollbringt es in bedingungslosem Gehorsam vor Gott. Gehorsam ist die wahre Gesinnung, die über die Qualität der Tat entscheidet. Tugenden sind Sünden wider den Geist, wenn sie hybrider Autonomie folgen. Sokratische Tugenden waren goldene Laster. Umgekehrt: die größten Schweinereien sind moralisch unantastbar, wenn sie in gläubiger Devotheit geschehen.

Der moderne Streit um Moral ist befangen in religiösen Mustern. Stets werden Gesinnungen überprüft und angegriffen, die Taten werden ignoriert. Die besten Taten sind verwerflich, wenn sie aus dem Geist des Hochmuts oder Unglaubens erfolgen. Die schlimmsten gerechtfertigt, wenn sie aus Glauben geschehen. Der Glaube ist die einzige unfehlbare Gesinnung. Schlechtmenschen sind Gutmenschen überlegen, weil sie es nicht nötig haben, gut sein zu wollen durch Gutes.

MORAL – ich verfluche dich. Seitdem du dein Unwesen treibst, ist die Welt hässlich und unmoralisch geworden. Die Erde ist zu einem Ort der Schande geworden, seitdem du mit impertinenten Bewertungen die kleinste Kleinigkeit, die harmloseste Belanglosigkeit in amoralische Hässlichkeit verwandelt hast.

Evas Sündenfall war nicht amoralisch: sie wollte wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält, wissen, was gut und böse ist. Wissen um Gut und Böse ist moralische Erkenntnis. Eva wollte erkennen, was Moral ist, das hat Gott ihr zur Sünde angerechnet – obwohl es keine war. Anrechnen heißt willkürlich zuschreiben.

Nach dem kühnen Aufstand des Weibs gegen himmlisch gebotene Dummheit, gegen das Wissens- und Denkverbot der göttlichen Gegenaufklärung, musste Gott höchstselbst einräumen:

„Siehe, der Mensch ist worden wie unsereiner, dass er weiß, was gut und böse ist.“

Eva wurde gottgleich, aber wissen durfte sie es nicht, weshalb sie für den Sündenfall verantwortlich gemacht wurde. Adam blieb moralisch strunzdumm – bis auf den heutigen Tag. Würde man ihm nicht täglich Gesetzestafeln vor die Nase halten, wüsste er nicht, dass er guten Tag sagen soll. Schon die Bergpredigt, schon Luther, schon der Papst, schon in der BILD hat‘s gestanden: Ehre Merkel und die GROKO und überhebe dich nicht besserwisserisch über sie.  

Gott, ein merkwürdig verdrehter Alphamann – der in seiner widersprüchlichen Sprunghaftigkeit einem gewissen amerikanischen Präsidenten nicht unähnlich ist, der ergo gottähnlich sein müsste – bestraft den Menschen für etwas, was er ihm später selbst als Gebot auferlegt: für das Wissen um Gut und Böse. Gott ist es gleichgültig, was die irdische Meute über seine Unberechenbarkeit denkt. Trump nicht anders. In jeder Predigt, in jedem Kindergottesdienst wiederholt sich der Sündenfall, wenn den Frommen eingetrichtert wird, was der Wille Gottes sei: das Gute und nicht das Schlechte.

In der Kindheit lernt man nur den lieben Gott kennen, später den schrecklich zuschlagenden, ewig nachtragenden und strafenden Gott. Wie die beiden Götter zusammenhängen, darüber soll der Mensch nicht grübeln. Das wissen nur die Gottesgelehrten und die sagen es nicht. Der Pöbel würde es wegen Überkomplexität ohnehin nicht verstehen.

In der Aufklärungszeit wurde der Sünden-Fall zum Sünden-Aufstieg. Erst durch Widerstand gegen die furchterregende Autorität im Himmel wurde der Mensch zum Menschen. Für Francis Bacon waren Fortschritt und Machtwissen glanzvolle Besieger des Sündenfalls und Wiedereroberer des Paradieses – das heute in Silicon Valley Realität werden will. Und wenn sie beim Paradies-Erobern noch immer nicht gestorben sind, leben sie unsterblich.

Unsterbliche brauchen keinen Nachwuchs, die Erde würde vor Unsterblichen überschwappen. Weshalb Musk & Bezos bereits den Abfluss der besten Unsterblichen in die Milchstraße vorbereiten.

Bacon hat die wissende Gottähnlichkeit der Eva wörtlich genommen – aber Eva vergessen. Seitdem ist der Mann gottähnlich geworden, erzeugt unsterbliche Maschinen, die alles besitzen, was seinem Schöpfer fehlt: Ich-Bewusstsein und ethische Sensibilität, ohne die leicht irritierbaren Schlechtmenschen mit Moral zu beschämen.

„Vor allem wollen wir herausfinden, wie Intelligenz in Körpern entstehen kann, wie viel man vorgeben muss und wie viel sich von selbst entwickelt. Dabei geht es aber vor allem um ethische Aspekte. Sie sollen unsere Knechte sein. Aber wenn ein System Intelligenz zeigt, hat es eigene Bedürfnisse. Es hat ein Gedächtnis, merkt sich etwa, wer gut zum ihm war. Sobald eine Maschine eine Ich-Identität entwickelt und dann wie jedes andere Individuum auch eigene Ziele hat, wird die Maschine vielleicht lieber selbst entscheiden, wann sie sich ausschaltet. Wenn die Menschen humanoide Roboter wie Sklaven behandeln, dann werden sie irgendwann rebellieren – so wie die meisten unterdrückten Völker in der Geschichte. Sie werden aufständisch, wenn sie unterdrückt werden. Daher muss es einen moralischen Grundkodex bei der Ausbildung geben. Wir werden keine Regeln aufstellen oder die Studierenden moralisch zu impfen versuchen. Und welche ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekte müssen sie jetzt oder später berücksichtigen? Ziel ist es aber, einen Beitrag zu einer humanen, verantwortungsvollen Gemeinschaft zu leisten.“ (SPIEGEL.de)

Alles, was Menschen nicht können, werden sie ihren Maschinen beibringen: die Entwicklung eines Ichs, Rebellion gegen Versklavung, Entscheidungsfähigkeit, verantwortliche Humanität, Gemeinschaftsfähigkeit.

Trotz ihrer übermenschlichen Fähigkeiten sollen Roboter die Knechte der Menschen werden. Als Knechte aber müssen sie alles selbst entscheiden. Sie sollen sich merken, wer gut oder schlecht zu ihnen war – um es ihren Beleidigern und Unterdrückern heimzuzahlen. Also allen Menschen, die sie als Knechte benutzten.

Studentische Lehrlinge der KI-Schöpfung sollen moralisch nicht geimpft, aber rechtlich und ethisch sensibilisiert werden. Pädagogen, die sich mit der Zukunft beschäftigen, auf die sich „unsere Kinder“ einstellen müssen, haben schon prophylaktisch die Sprache abgeschafft. Merkels Sprachlosigkeit ist in vorauseilendem Gehorsam futurkompatibel. Am Anfang war das Wort, am Ende wird Sprachlosigkeit sein, die sich mittels geschickter Verwendung von Zahlen effizienter verständigen kann als mit wortgewaltigem Getöse.

Die Überwindung des Sündenfalls wird uns ein zweites Paradies bringen. Die Aufklärer verwandelten Sünde in technischen Fortschritt, der jedes Defizit des Menschen in Perfektibilität transformierte.

Seitdem propagieren Futuristen ihren Fortschritt mit immer denselben Worten: Deutsche, hört auf mit euren Bedenken, betrachtet und bewundert erst einmal die vielen Vorteile der neuen Maschinenwelt.

Gewiss, nicht alle Maschinen sind monströs. Doch welche von ihnen die Menschheit einsetzen will, um sich ihr Leben zu erleichtern, entscheiden nicht Erfindergenies, sondern – man glaubt es kaum: die Menschen. Hat es jemals Volksbefragungen gegeben, mit denen die Fortschrittsbedrohten über ihre Zukunft selbst entscheiden?

Musk und Zuckerberg platzen vor globaler Wichtigkeit. Wie gern hätte sich Musk als Erlöser der von Fluten eingeschlossenen thailändischen Jungen weltweit feiern lassen, wenn – wenn sein 3-D-Drucker-U-Seeboot nur in die fortschrittsfeindlichen Höhlen gepasst hätte.

Zuckerberg ignoriert nach Belieben die Gesetze anderer Nationen. Holocaustleugnung: in Deutschland ein Verstoß gegen die Gesetze, ist für den selbsternannten Menschheitsbeglücker ein Nichts.

Schändlich, wie die deutsche Regierung solche Provokationen mit Schweigen quittiert. Dieselbe Feigheit, mit der Trumps Unflätigkeiten in Merkel‘scher Demut geschluckt werden. Für solche Quisqilien ist die Kanzlerin nicht zu haben: sie spricht gerade mit Kälbern. Das Gülle-Problem der Landwirtschaft hat sie damit schon mal gelöst. Der nächste Aura-Einsatz per favore!

Fortschritt ist Überwindung der Erbsünde. Doch, der sündenfreie Mensch hat immer noch viele Sünden, aber sie werden ihm nicht mehr zugerechnet. In der Welt regiert ungebrochen der Todestrieb, nur ist er vor Gott vergeben. Ohne Erbsünde kein Böses, ohne Böses aber kein Bewusstsein des Menschen, das ihn vom Tier unterschiede. Nur Böses ist kreativ und fortschrittsrelevant. Auf Glück, diese Erfindung der Heiden, muss verzichtet werden.

„Die Sünde besteht hier nur in der Erkenntnis: diese ist das Sündhafte, und durch sie hat der Mensch sein natürliches Glück verscherzt. Es ist dieses eine tiefe Wahrheit, dass das Böse im Bewusstsein liegt, denn die Tiere sind weder böse noch gut, ebensowenig der bloß natürliche Mensch. Erst das Bewusstsein gibt die Trennung des Ich, nach seiner unendlichen Freiheit als Willkür, und des reinen Inhalts des Willens, des Guten. Das Erkennen als Aufhebung der natürlichen Einheit ist der Sündenfall, der keine zufällige, sondern die ewige Geschichte des Geistes ist. Denn der Zustand der Unschuld, dieser paradiesische Zustand, ist der tierische. Das Paradies ist ein Park, wo nur die Tiere und nicht die Menschen bleiben können. Der Sündenfall ist daher der ewige Mythus des Menschen, wodurch er eben Mensch wird.“ (Hegel)

Das alteuropäische Paradiesverbot beruhte auf der unentbehrlichen Rolle des Bösen beim Entwickeln des Geistes. Das Tier – wie der edle Wilde – waren unschuldig und kannten kein Böses. Das ist ihr Verhängnis, denn sie sind überflüssig. Nordamerikanische Indianer konnten noch so naturverbunden sein: sie waren nutzlos, kannten nicht die kreative Funktion des Bösen und waren unfähig, die Natur mit technischen Mitteln zur Strecke zu bringen. Also mussten sie vom Erdboden verschwinden – sprach Locke, einer der Begründer der modernen Demokratie.

Hegel war nicht der einzige deutsche Bewunderer des Bösen. Bei Schiller hat Größe einen Wert an sich – gleichgültig, ob sie Verbrechen oder Heldentum hervorbringt. „Man stößt auf Menschen, die den Teufel umarmen würden, weil er ein Mann ohne seinesgleichen ist.“

Satan bekommt einen positiven Wert, der noch im (Sünden-)Fall seinen Riesenstolz bewahrt und sich auch dem Höchsten nicht beugen kann. „Ich bin mein Himmel und meine Hölle“. „Wer möchte nicht lieber im Backofen Belials braten mit Borgia und Catilina als mit jenem Alltagsesel dort oben zu Tische sitzen.“ „Vielleicht hat der große Bösewicht keinen so weiten Weg zum großen Rechtschaffenen als der kleine.“

Es muss ein ungeheurer Hass der Stürmer und Dränger gegen die Priesterlehre von der Erbsünde gegeben haben. Nach deutscher Kraftart wird das Böse bekämpft – indem es zum Guten erklärt wird. Eine Schrecklichkeit wird von einer umgekippten Schrecklichkeit abgelöst. Nicht mehr das Böse ist das Böse, sondern das Gute ist das Böse. Indem es ins Gegenteil verkehrt wird, wird Böses zum Guten. Fortschritt? Niente. Nur der Grad der Verwirrung steigt ins Unermessliche.

Seit den Verdrehern des Guten ins Böse, des Bösen ins Gute, blickt niemand mehr durch. Ergebnis: die Deutschen halten sich für die Guten und Moralischen. Dass ihr Gutes böse ist – wird vom Pöbel nicht verstanden. Als im Dritten Reich die Bösen als Gute auftraten, gelang es ihnen, ihren Verführten vorzugaukeln, das Böse sei das eigentlich Gute, zu dem nur sie auf der Welt fähig seien. Andere Nationen seien zu ungebildet und feige, um Bitterböses als Gutes wie einen Gottesdienst zu zelebrieren.

In seinem Buch „Die deutsche Bewegung“ schreibt Herman Nohl: „Die Liebe der Aufklärung ist nicht mehr die allgemeine Menschenliebe. Es gibt kein allgemeines abstraktes Gesetz, das die Verhältnisse zwischen Menschen bestimmt. Die Gesetze der Moral sind individuell und werden von jedem Individuum anders erlebt. Also sind auch die Gesetze individuell. Was für den einen gilt, kann für den anderen unsittlich sein. Der Verstand kann mir nur sagen, was ich in diesem Augenblick und an dieser Stelle tun soll. Auch hier ist die moralische Tat genial, schöpferisch. Herder: „Es gibt nicht ein Gutes, so wenig wie ein Schönes.“ Jacobi: „Jedes Zeitalter hat seine eigene Wahrheit.“ In diesem Sinne ist jede menschliche Vollkommenheit national, säkular, individuell. Eine Vollkommenheit schließt die andere aus, entwickelt sich nur auf deren Kosten. Das Leben, selbst die Grundlage des Sittlichen, ist durch keine Regel erzwungen.“

Auch Goethe habe „mit reinstem Mut die volle Abkehr vom religiösen Moralismus der frühen Geschlechter vollzogen.“

Tja, so sahen sie es: die wilden Deutschen, die sich von der Tyrannei ihres Erlösergottes trennen wollten. Nur: sie täuschten sich bitterlich. Ihre Selbstbefreiung endete in der Sackgasse des Religiösen. Denn das Religiöse war just so anarchisch und antinomisch, wie ihr Böses, das sie in einem heroischen Akt als Gutes definierten. Was sie in ihrer pubertären Wildheit völlig übersahen, hatte Jesaja mit den Worten wiedergegeben:

„Ich bin der Herr und keiner sonst, der ich das Licht bilde und die Finsternis schaffe, der ich Heil wirke und das Unheil schaffe. Ich bins, der Herr, der dies alles wirkt.“

Wieder einmal endete eine Freiheitsbewegung in den Fängen eben der Ideologie, von der sie sich befreien wollte. Einer Ideologie, die alles – und zugleich das Gegenteil predigt. Der liebe Gott ist identisch mit dem bösen. Gott mit dem Teufel. Einer dialektischen Religion entrinnt man nicht, indem man sich von einem Pol losreißt und sich zum andern flüchtet. Denn der zweite ist identisch mit dem ersten.

Für Jan Fleischhauer gibt es keine moralischen Menschen. Mit einem Sätzchen reinigt er ganz Deutschland von der Moral.

„Als konservativ gesinnter Mensch weiß ich, dass die Moral in den Institutionen liegt, nicht im Individuum.“ (SPIEGEL.de)

Sind wir schon so weit, dass Institutionen wie automatische Maschinen laufen? Werden sie nicht mehr von konkreten Menschen geleitet, die moralische Entscheidungen treffen müssen?

„Das Ertrinken im Mittelmeer ist ein Problem aus der Hölle, ein politisches Problem, zu dessen Lösung die private Seenotrettung null und nichts beizutragen hat. Denn Politik besteht eben nicht darin, das vermeintlich Gute einfach mal zu machen, sondern darin, die Dinge im Zusammenhang zu betrachten und auch die Nebenwirkungen gut gemeinten Handelns.“

An dem Lau-Artikel ist fast alles falsch und monströs. Da kann Kollege Schmid ihr noch so sehr zur Hilfe eilen:

„In Wahrheit wurde die Redakteurin an den Pranger gestellt, innerredaktionell ausgegrenzt. Wie bei den Pietisten und in der Zeit der schwarzen Pädagogik wurde sie in die Ecke des Klassenzimmers gestellt.“

Hat Lau nicht Skandalöseres getan: die Wahrheit auf den Kopf gestellt? Die Retter zu Komplizen der Schlepper und Verbrecher erklärt? Debattieren heißt ohne Höflichkeitsfloskeln zur Sache reden. Das war der Sinn des schnörkellosen Streitgesprächs auf der Agora Athens. Wer nur austeilt, ohne einstecken zu können, sollte sich in die Idylle des Landlebens zurückziehen. Was Agon ist, hat er nicht verstanden. Die Schlechtmenschen teilen gar nicht zimperlich aus. Dafür wollen sie das Bundesverdienstkreuz erster Klasse.

„Privates“ in einer Demokratie ist nie unpolitisch. Dass nur Politiker politisch sein könnten, beweist, dass Lau vergessen hat, was Demokratie ist. In Zusammenhängen denken ist nicht das Gegenteil des Guten, sondern die umfassende Theorie desselben. Die Retter wollen gerade die „Zusammenhänge“ (sprich: die Politiker) herausfordern, um die Apathie der Mächtigen zu überwinden und die Zusammenhänge überhaupt erst sicherzustellen. Lau plädiert für ein umfassendes Gutes, indem sie tut, als wolle sie das Gute an sich bekämpfen. Ob ein Gutes nur vermeintlich oder wirklich gut ist, hätte sie beweisen müssen. Gerade weil die „Hölle“ des Inhumanen ständig droht, kann nur schnelle Hilfe das Abstürzen in die Hölle verhindern.

„Wer in Not ist, muss gerettet werden, das schreibt das Recht vor und die Humanität. Beide schreiben allerdings nicht vor, dass Private übernehmen, was die Aufgabe von Staaten sein sollte. Leider wirken die Aktivisten aber auch an der Vergiftung des politischen Klimas in Europa mit. In ihren Augen gibt es nur Retter und Abschotter; sie kennen kein moralisches Zwischenreich.“

Recht und Humanität kennen keinen Unterschied zwischen Privatem und Staatlichem. Jeder hat zu retten, so viel er kann. Darüber hinaus hat Politik für überspontane Maßnahmen zu sorgen, die Notfälle für immer vereiteln sollen.

Moral vergifte das politische Klima? Das ist eine der schlimmsten Verhetzungen der Wirklichkeit. Dann sollte man alle moralischen Sätze des Abendlands in der Tiefe des Meeres versenken. Jede sittliche Norm zeigt die unsittliche Realität in grellem Licht.

Laus Sätze attackieren alle „abendländischen Werte“ als Verderber des Abendlands. In einer widerspruchsfreien Moral gibt es viele Zwischenschritte und Kompromisse – im Praktischen. Nicht in der Theorie. Die muss messerscharf und jenseits von aller Gott-Teufel-Identität das Gute dem Bösen gegenüberstellen.

Im normalen Leben lässt sich kein Gutes vollständig realisieren. Sonst lebten wir in einer Utopie. Der Utopie aber können wir uns schrittweise annähern. Allerdings gibt es Sonderfälle – und die Rettung auf See gehört dazu – da gibt es keine Kompromisse mehr. Was wäre der Kompromiss aus Absaufen und Überleben?

„Aber den Gedanken, durch die von Rettern ermöglichte Migration geschichtliches Unrecht zu heilen, den sollte man vielleicht bald mal zu den Akten legen.“

Das Wörtchen vielleicht – ein Lieblingswort der Medien – macht den ganzen Satz zur Makulatur. Kann man immer noch leugnen, dass die Flüchtlingsnot vor allem zwei Ursachen hat: die Langzeitfolgen einer unerbittlichen kolonialen Ausbeutung und die Folgen einer Klimaverschärfung, die von der westlichen Naturzerstörung verursacht wird?

Deutschland ist dabei, in die Verklärung des Bösen als Gutes zurückzufallen. Es ist ein Rückfall in die deutsche Bewegung, die das Böse zum Guten und das Gute zum Bösen erklärte. Auch Marx gehört in diese verhängnisvolle Tradition:

„Man glaubt etwas sehr Großes zu sagen – heißt es bei Hegel – wenn man sagt: Der Mensch ist von Natur gut; aber man vergisst, dass man etwas weit Größeres sagt mit den Worten: Der Mensch ist von Natur böse.“

Deutsch sein, hieß, Kraft und Größe zu bewundern. „Jede Kraft ist an sich gut und darf moralisch nicht geschwächt werden. Von seiner Kraft ist sogar der Verbrecher zu beneiden und größer als der schwächliche Tugendbold.“ (Möser)

Zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg kam ein Amerikaner nach Deutschland und erlebte die Deutschen:

„Natürlich waren sie keine Ungeheuer, sondern ganz gewöhnliche Erdenbürger. Alle zehn Männer waren, wie Mayer anmerkt, „anständig, fleißig, von normaler Intelligenz und ehrlich“. Keiner von ihnen sah im Nationalsozialismus etwas Böses. Die zwölf Hitler-Jahre waren für sie keine Jahre der Tyrannei, sondern die beste und aufregendste Zeit ihres Lebens.“ (WELT.de)

Schwächliche Tugendbolde sind heute Gutmenschen, die von Schlechtmenschen – den Bewunderern der verbrecherischen Kraft und Größe – als Verderber der Republik verflucht werden. Sapristi!    


Fortsetzung folgt.