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Umwälzung LXXXV

Hello, Freunde der Umwälzung LXXXV,

„Die Weltgeschichte geht von Osten nach Westen, denn Europa ist schlechthin das Ende der Weltgeschichte, Amerika der Anfang. Dort ersteigt die innere Sonne des Selbstbewusstseins, die einen höheren Glanz verbreitet, nämlich den Glanz des absolut freien und darum auch kritischen Geistes.“

Hegels Satz ist überwältigend – aber gefälscht. Nicht Amerika ersteigt die innere Sonne des Selbstbewusstseins, sondern Asien. Zeitgenossen, die die Nase in den Wind halten, wenden sich ab von Europa und Amerika. Sie wenden sich ab vom Okzident und halten Ausschau nach dem Orient.

(Wenn der Amerikaner Fukuyama vom Ende der Geschichte schreibt, werden deutsche Augenblicksbeobachter zornig. Wenn der deutsche Hegel vom Ende der Weltgeschichte schreibt, nehmen sie es nicht zur Kenntnis – oder sie preisen es als tiefsinnige Erkenntnis. Tiefsinnige Erkenntnisse werden hierzulande im Museum eingesperrt.)

Die deutsche Sehnsucht nach Hellas währte nicht mal eine Epoche lang. Es war keine Sehnsucht nach einem selbstbewussten Volk, das frei über sich bestimmt. Es war Sehnsucht nach adligen homerischen Helden, denen das tumbe Volk zu gehorchen hat. Die schönen Helden verwandelten sich später in platonische Weise, die dem Volk in der Höhle den Dienst taten, es in Ketten zu halten. Sie taten es ungern, aber sie mussten. Ihre Weisheit verpflichtete sie, einen gerechten Staat zu errichten und das Volk zu seinem Glück zu zwingen.

Das Christentum machte aus Weisheit Erleuchtung, aus Zwangsbeglückung Erlösungszwang, aus staatlicher Gerechtigkeit zufällige Nächstenliebe, die an

den irdischen Verhältnissen nichts ändern sollte.

Amerika?

„Amerika hat von dem Boden auszuscheiden, auf welchem sich bis heute die Weltgeschichte begab. Als ein Land der Zukunft geht es uns überhaupt hier nichts an.“ (Hegel)

Vom Orient hielt Hegel nichts. „Im Orient war nur einer frei. Das Orientalische ist so aus der Geschichte der Philosophie auszuschließen.“ Er war noch gar nicht gestorben, da schauten die jungen Romantiker – in wilder Auflehnung gegen ihre Väter – weit hinaus in die Tiefen Asiens. Doch der Alte aus Weimar, immer eifersüchtig auf die Eskapaden der neurotischen Jüngelchen, war ihnen bereits zuvorgekommen:

Wer sich selbst und andere kennt,

Wird auch hier erkennen:

Orient und Okzident

Sind nicht mehr zu trennen.

Jesus fühlte rein und dachte

Nur den Einen Gott im Stillen;

Wer ihn selbst zum Gotte machte

kränkte seinen heil’gen Willen.

Und so muß das Rechte scheinen

Was auch Mahomet gelungen;

Nur durch den Begriff des Einen

Hat er alle Welt bezwungen. (West-östlicher Diwan)

Jesus, kein Gott und nicht größer als Mohammed? Da wäre es heute an der Zeit, dass man in Bayern Goethe rigoros vom Lehrplan striche – oder die Kreuze von den staatlichen Wänden nähme.

„Gen Osten“ wurde die Losung jener, die ihre Hoffnung auf die Wiedergeburt des alten Hellas begraben mussten. Hyperion zerbrach an seinen unerfüllbaren Träumen. Adamas, Hyperions Freund, „ein Halbgott an Ruhe und Stärke, an Liebe und Weisheit“, suchte den Genius edlerer Menschheit zwar auch unter dem Schutt der untergegangenen griechischen Welt. „Doch seine Hoffnung, das Untergegangene irgendwo noch im Bereiche des Lebendigen zu finden, treibt ihn endlich weiter in die Tiefen Asiens.“ Hyperion ist wieder allein und alsbald erfasst ihn in seiner Verlassenheit die Trauer über die „Unheilbarkeit des Jahrhunderts, über die Schwäche, Unbedeutendheit und Unwürdigkeit der Menschen.“

Über und neben dem Hellenismus hatten bereits Hamann und Herder auf den Orient verwiesen. Beim Erwachen aus ihrem quietistischen Tiefschlaf strömten die jungen Deutschen nach allen Seiten, in alle geographischen und geistigen Windrichtungen, in alle Tiefen deutscher Geschichte. Sie hatten nicht die geringste Ahnung, wer sie waren.

Glaubensverlorene Jünger Christi, die sich zurückwandten ins mittelalterliche Reich des Glaubens und eines kompletten Europas? Unter Führung der Deutschen!? Versöhner aller Religionen im Schoß des deutschen Weltgeistes!? Eroberer und Beglücker der ganzen Welt!?

Nein, sie hatten keine Identität. Noch heute haben sie keine, weshalb sie so viel von einer identitären Nation reden. Der fromme Novalis hoffte auf Rückkehr unter die mittelalterliche Obhut einer europa-umspannenden Kirche:

„Von Novalis stammte die Bezeichnung Deutschlands als des Orients von Europa und die fromme Zuversicht, dass die stille, geistige Bildung dieses Landes seinen Bewohnern im Laufe der Zeit notwendig ein Übergewicht über die anderen, durch Krieg, Spekulation und Parteigeist beschäftigen Nationen geben müsse.“

Ich bin dann mal weg: so lautet die gegenwärtige Fluchtformel der Deutschen – vor sich selbst. Die Deutschen waren ein Volk der Flüchtenden. Heute lästern sie über Flüchtlinge – oder warnen davor, sie aus den Fluten zu retten. Das würde das Flüchtlingselend nur vergrößern. Ersaufen lassen als Abschreckung: das ist der letzte Schrei der WELT-Humanität.

Im 18. und 19. Jahrhundert flüchteten sie in alle Welt, in alle Zeitepochen. Die einen nach Hellas, die anderen zu ihren germanischen oder mittelalterlichen Vorfahren, gen Osten, nach Russland, in die Tiefen Asiens. Je mehr sie von Amerika erfuhren, umso weniger in den neuen Kontinent.

Herder entfloh der Enge seiner Heimat und warf sich auf die Poesie der Welt. Schon vor ihm hatte Winkelmann die edle Einfalt und stille Größe der althellenischen Kunst entdeckt und war zum Katholizismus übergetreten, um in die – für Protestanten verbotene – Stadt Rom zu gelangen. Die Romantiker folgten den Spuren Herders, lernten Sanskrit und orientalische Sprachen, lasen den Koran und indische Religionsschriften.

Wahrlich, sie waren gebildet, die Deutschen – aber mit welchem Effekt? War ihre Bildung ein Fluchtmittel, waren sie intellektuelle Touristen, bevor sie touristische Vaganten wurden? Begegneten sie dem geistigen Reichtum der Welt, um ihre Provinzialität zu überwinden?

Ihr Anspruch war, die „Vorzüge der verschiedensten Nationalitäten zu vereinigen, sich in alle hineinzudenken und hineinzufühlen und so einen kosmopolitischen Mittelpunkt für den menschlichen Geist zu stiften“. Schlegel spricht davon, dass „Universalität, Kosmopolitismus die wahre deutsche Eigentümlichkeit sei. Eben der Mangel einer bestimmten Richtung, der uns so lange hat zurückstehen lassen, muss in der Folge notwendig die Überlegenheit auf unsere Seite bringen.“

Das war‘s also: weit hinten Anlauf nehmen, um alle zu überholen. Das wurde die Überlegenheitsstrategie der Rückständigen. Sich unterschätzen lassen, um aus der Tiefe des Raums alle eitlen Avantgardisten aus dem Westen zu deklassieren.

Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg wiederholte sich die Aufholjagd derer, die bereits abgeschrieben schienen. Und heute?

Gestern noch fühlten sie sich an der Spitze Europas: sind wir nicht ein Land, wo Milch und Honig fließt? Kaum aber hatten die Jubelgesänge begonnen, wendete sich das Blättchen. Deutschland verliert an Bedeutung in Europa, Europa in der Welt. Die alten Bindungen zu Amerika beginnen, porös zu werden. Wohin des Wegs, Neugermanien?

Am Ende des 19. Jahrhunderts war es ihnen gelungen, sich zur Hochschule der Welt empor zu arbeiten. Viele ausländische Studenten strömten nach Deutschland, um auf den neusten und tiefsinnigsten Stand der Dinge zu kommen. Von den Naturwissenschaften bis zur Philosophie. Was aber, als die anderen aufholten und sich der Vorsprung der Deutschen im Nebel verlor?

Der Erste Weltkrieg war ein einziges Hurra-Geschrei, weil sie sich aller Welt überlegen fühlten. Nicht die militärische Niederlage war das Urtrauma von 14/18, sondern das völlig Überraschende, Unverständliche und Schreckenerregende, dass sie nicht mehr die uneinholbare Spitze Europas waren. Amerika, an der Jahrhundertwende wirtschaftlich noch gleichauf mit den „Hunnen“, entschied mit seinen unerschöpflichen Kräften das waffenmäßige Kräftemessen der Deutschen mit dem Westen.

Sie müssen ein Führungsgen in ihrer nationalen DNA haben. Doch kaum übernehmen sie die Spitze, beginnt der Umsturz. Ihre Führung beruht auf dem Prinzip, dass Schwächere sich sang- und klanglos unterzuordnen haben. Bis vor wenigen Jahren war Deutschland noch eines der beliebtesten Länder Europas. Inzwischen machen sie sich auf allen Seiten unbeliebt.

Wie ist ihr Verhältnis zu Amerika? Am Anfang war: Amerika, du hast es besser, du hast keine Burgen und Schlösser. Hegel sah das aus der völkervernichtenden Perspektive der Sieger: „Die Eingeborenen sind an dem Hauche der europäischen Tätigkeit untergegangen.“ Für Hegel war es ein Gesetz des Weltgeistes, dass die Schwachen untergehen müssen, wenn die Starken die Weltbühne betreten. Im amerikanischen Wettkampf mit gestählten Puritanern hatten die Deutschen zumeist das Nachsehen.

In seinem Buch „Der Amerika-Müde“ beschrieb Ferdinand Kürnberger die in Verachtung umschlagende ursprüngliche Faszination der Deutschen in Amerika. „Das Individuum sagt: mein besseres Ich, der Erdglobus sagt: Amerika. Es ist der Schlussfall und die große Cadenz im Concerte der menschlichen Vollkommenheiten.“ Das war die primäre Verherrlichung.

Dann die Entzauberung des Ideals. Wer glaubte, „in Amerika dem Ideale nähergekommen zu sein, erkennt zunehmend Betrug und Geldgier hinter dem allgegenwärtigen Handelsgeist und flüchtet.“ Das gute Amerika wird zum „Vorurteil“. Kürnbergers Held erlebt die Intensivierung all dessen, was er einst in Europa bemängelt hatte: „Das ist das Land, in welchem Niemand zu Grunde geht, wenn er arbeiten kann. Richtig, denn von den zu Grundegegangenen braucht man bloß zu sagen, sie konnten nicht arbeiten.“

Die Verachtung der Gescheiterten als Arbeitsunfähige oder Arbeitsunwillige reicht bis Gerhard Schröder, der diejenigen, die keine Arbeit hatten, als Faulenzer mit Hartz4 bestrafte. Dieser Tage wurde der Fall bekannt, dass Hilfsorgane des Hartz4-Staates einer alleinstehenden Mutter durch die Fensterscheibe ihrer Wohnung schauten und zum Ergebnis kamen, hier könne niemand wohnen. Ergo wurde ihr die „Sozialknete“ gestrichen. Wovon die Frau mit ihren Kindern leben sollte, interessierte die Behörde nicht.

Theodor W. Adorno, der Amerika, trotz aller Zuflucht, als kapitalistische Fremde erlebte, fand in Der Amerika-Müde das Motto für den ersten Teil seiner in den USA verfassten Minima Moralia:

„Das Leben lebt nicht.“

Und Max Weber erläutert: „Der Amerikamüde, bekanntlich eine dichterische Paraphrase der amerikanischen Eindrücke Lenau’s. Das Buch wäre als Kunstwerk heute etwas schwer genießbar, aber es ist als Dokument der (heute längst verblaßten) Gegensätze deutschen und amerikanischen Empfindens, man kann auch sagen: jenes Innenlebens, wie es seit der deutschen Mystik des Mittelalters den deutschen Katholiken und Protestanten trotz alledem gemeinsam geblieben ist, gegen puritanisch-kapitalistische Tatkraft schlechthin unübertroffen.“

Die deutsch-amerikanischen Gegensätze waren verblasst? Nur bei den wirtschaftlichen Führungsklassen der Deutschen. Beim Volk herrschte die Animosität gegen kapitalistische Kälte bis zur Einführung des Neoliberalismus. Seitdem hat die Aufstiegsideologie, selbst in der SPD, die Gehirne der Deutschen benebelt.

Die Allergie gegen knallharte Wirtschaft zeigte sich vor allem als Ignoranz der Deutschen in ökonomischen Dingen. Jahrhundertelang gewohnt, Wirtschaft als Tun der Obrigkeit zu betrachten, das keiner Kritik unterstand, mussten sie sich mühsam daran gewöhnen, Netto von Brutto zu unterscheiden.

Mittlerweilen hat man das Handwerk des Produzierens und Rechnens kapiert, doch die Aversion gegen Ausbeuterei hat sich noch nicht in eine gediegene Kritik an der Raffgier-Ideologie verwandelt.

Alles, was deutsche Ökonomen – von der Historischen Schule über Sombart, die Freiburger Schule bis zu Röpke und Rüstow – je zu sagen hatten, ist in diesem Lande nicht vorhanden. Die Kalendersprüche auf Marx kann man ohnehin vergessen. Man begnügt sich mit seichten Zitaten aus dem Neuen Testament, wohl wissend, dass alle Seligpreisungen der Armen von Lobsprüchen auf die Reichen beliebig matt gesetzt werden können.

Die Armen selig preisen wäre das Gegenteil einer Wirtschaftspolitik, die den Status der Armen wirklich abschaffen wollte. Das Gegenteil ist der Fall: man muss arm sein, wenn man selig werden will.

Auf den ersten Blick haben sich die Deutschen so amerikanisiert, dass die Franzosen Mühe haben, in ihren besten Verbündeten ein eigenständiges Volk zu finden. Der antikapitalistische Geist der 68er verkörperte einige Zeit lang die amerikakritische Einstellung der Nachkriegsdeutschen. Auch der Vietnam-Krieg trug nicht dazu bei, diese Haltung zu korrigieren. Dennoch war dies nur eine Seite der Medaille.

Die amerikanische Hippiebewegung, der Jazz, der Hollywoodfilm, Hemingway und andere Giganten der Literatur besiegten allmählich die Schattenseiten und führten zu einer Überidentifizierung mit New York, Kalifornien und dem freien offenen Verhalten der Amerikaner. Wenn man, beliebte Wolf von Lojewski zu erzählen, einen Amerikaner im Aufzug traf, war man, oben angelangt, dessen bester Freund. Kaum hatte man die Kabine verlassen, kannte man sich nicht mehr.

Als die amerikanischen Hippies ihre Welterlösungsideen in digitale Technik transformierten, war es um den Verstand der Deutschen geschehen. Man muss dabei sein, wenn der Weltgeist voranschreitet. Silicon Valley wurde zum Neuen Jerusalem für edelschreibende deutsche Propheten. Alles, was nach Fortschritt aussah, wurde bewunderungs– und nachahmungspflichtig.

Die amerikanische Kultur wurde – nicht nur aus bloßer Dankbarkeit – zum Manna in der Wüste. Die amerikanisierte Sprache hat inzwischen dieselbe Funktion wie einst das mittelalterliche Kirchenlatein. Was die Menge nicht verstehen darf, was auf Amerikanisch besonders treffend klingen soll, muss mit snobistischem Wording in angemessenem Framing daher kommen. Die Deutschen verlernen ihre Sprache – unter pflichtmäßigster Bewunderung von Goethe, Schiller & Co.

Dabbelju Bush und Donald Trump sind zu Cäsaren der amerikanischen Bewunderung geworden, kaum gebremst von der Interims-Vorbildlichkeit eines schillernden Obama. Trump sorgt mit brachialer Entzauberung für neue Verhältnisse.

Nun haben wir den Salat. Dabei hat sich nichts geändert als nur der Abriss der Fassaden. Trump, dem Genie der gottgesegneten Ehrlichkeit, gebührt Ruhm und Ehre für seine Zertrümmerungsarbeit aller Floskeln und Heucheleien, die die einst vorbildliche amerikanische Demokratie bekleckert haben.

Wo stehen wir heute? Trump wurde zum strengen Erzieher der Deutschen und Europäer, der ständig mit der Rute droht – und es demnächst wahr machen könnte. Der Rute des Bruchs der westlichen Bündnispolitik.

Trump, der Wortbrüchige, ermahnt Merkel, endlich ihr Wort einzuhalten. In militärischen Dingen. In allen andern Dingen ist Trump wortbrüchig geworden – und keine Merkel denkt daran, dem Peitschenschwinger mit der Gegenpeitsche zu kommen. Merkel, du hast deine Hausaufgaben in Kanonen und Panzern nicht gemacht. Husch – mach von hinnen oder du wirst dein blaues Wunder erleben.

Wird die Gescholtene auf die Idee kommen, die Gegenschelte anzustimmen: Donald, spiel nicht den lächerlichen He-Man, der nur mit seiner Atommacht drohen kann? In allen Fragen der UNO, Ökologie, der Solidarität mit Verbündeten, der Menschenrechte und Demokratie wirst du immer mehr zum Rohrkrepierer.

Die Deutschen haben kein Selbstbewusstsein. Sie verteidigen ihre Musterschülerphrasen nur solange, bis ihr alter Lehrer pensioniert wird und ein neuer Lehrer zur Türe hereinkommt, der alles Gelernte auf den Kopf stellt. In dieser Hinsicht haben sie nichts gelernt: noch immer bewundern sie jede Äußerung von Macht und Erfolg.

Früher musste es militärische Gewalt sein, heute wirtschaftliche und technische Macht. Früher war es die Faszination der Ausgießung des Heiligen Geistes in Form eines 1000-jährigen Reiches. Heute ist es die Faszination der Ausgießung des Fortschritts-Geistes in Form eines technischen Gartens Eden auf Erden – den sie hocherfreut auch bei sich entdecken.

Die amerikanischen Götter Fortschritt und Grenzenlosigkeit sind von den Deutschen adoptiert worden. Zwar gab es diese Götter früher auch bei ihnen – aber nur in philosophischer Wortgewalt. Die Amerikaner verwandelten die Wort-Götter in technische und ökonomische Giganten.

Doch nun scheiden sich die Geister – wenn Trump es mit seinem America first bis zum Äußersten treiben sollte. Dann wird es eine kontinentale Drift geben. Der transatlantische Graben wird sich immer weiter entfernen – und die chinesische Seidenstraße wird sich in alle europäischen Länder verzweigen.

Merkel ist nicht fähig, Trump die neue Situation in Hochdeutsch zu erklären. Entweder hältst du dich an die humanen Standards, die ihr uns selbst beigebracht habt – oder wir werden uns nach anderen Verbündeten umsehen müssen.

China, topfit, schickt auf der Stelle eine chinesische Dissidentin nach Berlin, um seinen guten Willen zu beweisen.

Europa, vor wenigen Jahren noch das Mustergebilde politischen Zusammenrückens und der Beendigung aller Feindseligkeiten, ist heute kaum wiederzuerkennen. In sich zerstritten, zu keiner Solidarisierung fähig, immer mehr zu autoritärer Elitenherrschaft regredierend, sich ringsum einmauernd und globale Verantwortung ablehnend, hat es seine Leuchtkraft auf die Länder der Welt eingebüßt.

Das Verheerendste: in Deutschland sehen die Führungsklassen überhaupt keinen Reformbedarf. Bei uns – alles in Ordnung. Deutschland ist ein glückliches Land. Die Auftragsbücher sind gefüllt. Der Rubel rollt.

Kritische Analysen werden als mangelnde Liebe zur Heimat, als german Angst und Nörgelei abserviert. In derselben Volksgazette konnte man einmal lesen: Was ist nur in dieses Land gefahren? Sind wir alle psycho? Und ein andermal die tröstliche Botschaft: heute wieder alles in Butter, zu Recht beneidet uns die Welt. Oh ja, das Bedürfnis der Flüchtlinge, in unser Land zu kommen, wird aus tiefstem Herzen verstanden. Nur, leider, leider … können wir unseren Wohlstand nicht mit der ganzen Welt teilen.

Stehen wir nicht schon längst auf Trumps Schultern? Welche Gründe gab es nochmal, mit dem Wortverdreher zu brechen?

Unter dem Rasen brodelt das Ungewisse, Gefährliche und Absurde. Milliardäre sehen keine Chance mehr, dass sich die Gattung retten kann. Was sie kalt lässt. Sie wollen nur wissen, auf welcher Insel die Klimaverschärfung am geringsten ist. Und mit welchen Methoden sie sich am effektivsten gegen die wütenden Massen wehren können, die ihnen das Privileg des Davonkommens neiden werden. Sollen sie ihre Wachmannschaften an die elektronische Kette legen – oder doch lieber schießfähige Roboter einsetzen? Ein Legastheniker unter den Universumsbezwingern träumt davon, in einem Liegestuhl auf dem Mond sein nächsten Buch zu schreiben, pardon, von einem KI-Gehirn schreiben zu lassen.

Warum ist Amerika so wütend auf Europa? Weil es den Deutschen nicht über den Weg traut. Sie geben sich allzu mustergültig als bekehrte Böse. Lauern sie aber nicht insgeheim darauf, sich von ihren Lehrherren zu verabschieden – um sich den Russen zuzuwenden? Den Völkern tief in Asien? Gab es nicht schon lang eine tiefe Sehnsucht der Deutschen, russische Tiefe und deutsches Genie miteinander zu verbinden? Waren nicht beide Länder überzeugt, Heilande der Welt zu sein? Hat Putin nicht im deutschen Bundestag geredet – und welchem amerikanischen Präsidenten wurde diese Ehre zuteil? Ist ihre bedingungslose Loyalität gegen USA keine lächerliche Pflichtübung? Haben sie wirklich ihre uralte Judenfeindlichkeit überwunden? Ihre uralte Animosität gegen den puritanischen Mammonismus begraben?

Wenn ein Volk keine Identität ehrlicher Aufrichtigkeit vorzuweisen hat, sind seine Worte und Schwüre kostenlos und unverbindlich. Gestern waren wir glühende Amerikaner, heute sind wir schäumende Trump-Kritiker, obgleich Trump nichts anderes zeigt, als was schon immer, in verschiedenen Variationen, zum amerikanischen Wesen gehörte.

Was werden wir morgen sein? Schon gibt es immer mehr Kitas, in denen die Kleinsten chinesisch lernen können. Selbstredend nur zu pekuniären Zwecken. Gab es nicht vor kurzem eine mit postdemokratischen Systemen kokettierende Welle, die in Richtung Asien blickte? Ist es nicht so, dass auch bei uns die Demokratie immer mehr Menschen nervt? Müssen wir uns nicht täglich neu erfinden?

Gehört zu den Auslaufmodellen unseres Denkens nicht das Gerede vom freien Willen? Bewunderten wir nicht Silicon Valley, als es astreine faschistische Herrschaftsentwürfe produzierte? Kommt nicht das Ende des Menschen, wenn Roboter den Fehlentwurf der Evolution in allen Dingen übertreffen und entbehrlich machen?

Wer Fortschritt als Heilsgeschichte verehrt: muss der nicht alles anbeten, was dieser Fortschritt morgen propagieren wird? Zum Beispiel das Ende der Demokratie? Das Ende einer zu rettenden globalen Menschenmasse, die zu nichts anderem mehr fähig ist als zur Ausdünstung klimaschädlicher Gase?

Zum Schluss merkwürdige Sätze:

„Das für unsere Zeit Charakteristische sind nicht Hass und Neid, die zu allen Zeiten wichtige Elemente des sozialen Lebens waren, sondern es ist die Freude am Hass, der Hass als Schöpferkraft. Zum Nihilismus gehört eine falsche Art Schöpferkraft. Es gehört zum Nihilismus Hitlers, unter der Maske des Schöpfertums zerstörend zu sein.“

Das waren Zitate aus dem Buch „Masken und Metamorphosen des Nihilismus“, das H. Rauschning schrieb – um den Führer und das Dritte Reich zu entlarven. Wie viel Hitlerei verbirgt sich in einem heilsgeschichtlichen Fortschritt, das jeden Menschen zum totalen Gehorsam zwingt?

„Die Schwachen und Missratenen sollen zugrunde gehen: erster Satz unserer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen.“ Also sprach der Lieblingsphilosoph des Führers.

 

Fortsetzung folgt.