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Umwälzung LXXII

Hello, Freunde der Umwälzung LXXII,

Countdown in Singapur. Dienstagnacht entscheidet sich – was? Das Schicksal der Welt? Das Schicksal eines westlichen Titans, der demokratische Regeln als Fesseln empfindet und über Bord werfen will? Eines Diktators, der seiner internationalen Isolierung und Bedeutungslosigkeit zu entkommen sucht?

Oder erleben wir nur melodramatisch inszenierte Risikospiele der Supermächtigen, die der Öde und Langweile der Moderne durch Waffengeklirr entkommen wollen? Jener Moderne, die sich durch Fortschritt, Geld und Macht nicht mehr ausreichend unterhalten fühlt?

Welt-Countdown in Singapur. Mann gegen Mann. Nicht 12 Uhr mittags, sondern drei Uhr nachts. Schöpfer aus dem Nichts müssen mit dem Nichts kokettieren, um sich ihrer Omnipotenz zu vergewissern. Hat sich zu viel Unrat auf der Welt angehäuft, muss planiert werden. Siehe, sie schauen auf die Welt und sehen nur Undankbarkeit und freche Aufsässigkeit ihrer missratenen Geschöpfe, denen es zu gut geht, als dass sie sich vor den Giganten des Universums fürchten würden.

Die Erde quillt über von Menschen und Müll: es muss gesäubert werden. Erde vergiftet, Meere verstopft, rund um den Planeten schwirren die Exkremente einer überquellenden Zivilisation. Es muss porentief gereinigt werden. Weiße Leinwand, tabula rasa. Das Nichts ist die Klimax der Schöpfer.

Wenn Männerkolosse ins Gähnen kommen, müssen sie kreativ werden und Heilsgeschichte entwerfen. Es muss Sieger und Verlierer, Erwählte und Verworfene geben. Doch wer ist wer? Bis zum letzten Augenblick muss Unklarheit

herrschen, wer zu den Wenigen und wer zu den Vielzuvielen gehört. Es muss spannend bleiben bis zum Ende:

„Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Leute schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging wieder weg. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? Er antwortete: Das hat ein Feind von mir getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? Er entgegnete: Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte da ist, werde ich den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune.“

Klarheit darf nicht sein. Über dem Parcours des Glaubenswettbewerbs schwebt das Geheimnis. Erst am Ende wird das Rätsel gelöst werden: wer ist Weizen, wer Unkraut? Bis dahin muss gezittert werden. Auch die Frömmsten dürfen sich ihrer Erwählung nie sicher sein. Wahrlich, ich sage euch, ich kenne euch nicht. Darum verschlafet nicht den Tag. Kaufet die Zeit aus. Ihr müsst Rechenschaft ablegen über jeden Augenblick, über jedes unnütze Wort.

Die Geschichte des dominanten Mannes nähert sich dem Finale. Alle Pegelstände der Spannung müssen steigen. Wer wettet auf den Homo sapiens? Wird er es schaffen? Oder wird er sich in die Luft sprengen: wird dann das Allerschlimmste eintreten: das Universum schweigt und zeigt sich gänzlich abgeneigt? Niemand da in Raum und Zeit, der Interesse zeigte am Schicksal einer titanischen Gattung, die alles verwerfen muss, was sie geprägt hat, damit sie der weiblichen Natur nichts schuldig bleiben muss?

„Das Patriarchat stützt sich auf bestimmte fundamentale Werte: Macht ist der oberste Wert; Herrschaft über die Natur – oder Transzendenz – repräsentiert den Mann. Männliches Dasein stützt sich auf Gewalt, deren Kern das Töten ist; weibliches Dasein ist Gebären, Behüten und Wachsen lassen“. (M. French)

Das maskuline Geschichts-Amüsement per Herrschaft und Gewalt nähert sich dem Ende – dem Höhepunkt. Kapitalismus ist Männerherrschaft, die durch anschwellende Zweifel der Frau sich immer mehr genötigt sieht, sich ständig zu übertreffen – um sich eines Tages in der Luft zu überschlagen und in seine Elemente zu zerlegen.

High Noon in Singapur. Der Wilde Westen hat sich ostwärts verlagert. Ohne Berater werden sie sich gegenüberstehen. „Innerhalb einer Minute“ wird sich der EINMALIGE entscheiden, ob der Andere ein Mensch ist oder nicht. Innerhalb einer Minute wird sich entscheiden, ob atomare Verwüstung droht oder der Einmalige zum Gottgleichen aufsteigt, der das Spektakel der G7-Konferenz für immer vergessen machen wird. Er wird dem Anderen in die Augen schauen und bis ins Innere blicken. Innerhalb einer Minute wird der Blitz einschlagen:

„Und ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.“ Gott und Satan brauchen keine Bedenkzeit. Sie kommen, sehen und schon wissen sie. Sie müssen nicht langsam erkennen und sorgfältig prüfen. Ihr Erkennen ist Intuition, Inspiration, Geistesblitz. Ihre Erkenntnisse sind identisch mit den Geschehnissen, die sie selbst hervorrufen. Der Gottgleiche verletzt die Regeln der Anderen, nicht seine eigenen. Seine Regel ist an Einfachheit nicht zu überbieten: die Regel bin ich.

Was sie erkennen, bringen sie selbst hervor. Unter ihrer Würde, etwas erkennen zu müssen, was sie nicht selbst hervorgebracht haben. Wir sprechen vom Anfang, der das Wort war. Gott sprach – und es wurde.

Am Anfang war die Mutter – für diejenigen, die an die weibliche Natur glauben.

Am Anfang war das Wort – für die Anhänger des Patriarchats. Und Gott sprach, es werde

Noch haben die Patriarchen das Sagen, denn sie haben das Wort. Sie wollen reden – und also soll‘s geschehen: das ist die Maschinisten-Vision, die längst keine mehr ist. Das männliche Prinzip ist Befehl durch das Wort, das weibliche die Beziehung, die sich durch Leben bezeugt. Wer dem Wort nicht gehorcht, hat sein Leben verwirkt. Das Wort schafft aus dem Nichts und vernichtet ins Nichts. Gebären und Behüten hingegen fördern das Leben, das sich selbständig entwickelt.

In Kanada trafen sie aufeinander: der mächtigste Mann und die mächtigste Frau der Welt. Ein Foto ging rund um die Welt: da sitzt er, der Mächtigste in triumphalem, unnahbarem Trotz. Noch kann er es nicht fassen, dass er alle Konkurrenten zwingen konnte, sich um ihn zu scharen, um Ihn, den Mittelpunkt der Welt. Sie umringen ihn, reden auf ihn ein, übertreffen sich im Überzeugenwollen des Weltenherrschers.  

Für die Deutschen war es die Kanzlerin, für die Franzosen Präsident Macron, für die Italiener der neuernannte Ministerpräsident Conte, die am heftigsten auf ihn einredeten, um ihn von seinem Irrweg abzubringen. Vergeblich.

Mächtige haben wenig Gespür für die Psychologie der Macht. Je mehr sie ihn umrangen, desto mehr fühlte er sich bestätigt in seiner Unnahbarkeit. Es hatte etwas Unwürdiges, einen Narren zum König zu machen.

Merkel hätte – so wird das Bild gedeutet – Trump mit den Augen töten können. Unsinn. Wenn Merkel einen Mann aus dem Weg räumt, dann mit Augen des Mitleids. Wie in frühen Jahren wollte sie die Erste und Eifrigste sein unter den Konkurrenten der Schulklasse.

Im Heimischen angekommen, eilte sie sofort zum Beichtgottesdienst bei Anne Will – um zum fünften Mal ihr Mea Culpa der Nation ins Ohr zu flüstern. Mein Volk, ich habe gesündigt in Worten und Werken. Doch ich meinte es gut mit euch. Für allen angestauten Unmut der letzten Zeit übernehme ich Verantwortung.

Verantwortung übernehmen ist im Deutschen Synonym für folgenloses Ungeschehen machen. Wer Verantwortung übernimmt, spricht sich frei von allen Sünden.

Die Demütige kam zur Anmutigen, um mit Fragen, die von weitem nach Kritik klangen, sich selbst Absolution zu erteilen. Es war eine persönliche Beichte im nationalen Rahmen. Eine Scheinbeichte. Im Grund nämlich glaubt Merkel alles richtig zu machen. Das Publikum aber will Zeichen der Reue sehen. Also gibt Merkel den Untertanen, was sie in ihrem Unverstand benötigen, damit sie ihre Rolle der Unersetzbaren weiter spielen kann. Es war ein eindrucksvoller Gipfel zweier Königinnen, die einen Scheinkampf lieferten. Beide spielten ihre Rollen perfekt.

Für eine ordinäre Talkshow unter Vielen ist die Kanzlerin nicht zu haben. Wenn sie schon spricht, dann nur in der Rolle der Solitären. Anne Will ist skrupellos genug, der Kanzlerin diese Sonderrolle nicht zu verweigern. Der Glanz der Einen verstärkt den Glanz der Anderen. Es ist ein Tête-à-Tête über den Wolken. Anne Will beweist ihre Meisterschaft im Stellen von Fragen, die nie wehtun. Selbst, wenn sie gelegentlich so klingen sollten. Doch ihr listig-einvernehmliches Lächeln signalisiert ihrem Gast, dass man diese Frage- und Antwortspiele so ernst nicht nehmen muss, wie das Publikum es gerne hätte.

In diesem Gipfeltreffen bewies sich erneut die Sinnlosigkeit des Interviews, das sich mit Fragen und Antworten begnügt. Stattdessen müsste es ein Streitgespräch geben, das von einem mitdenkenden Publikum bewertet werden muss. Ein schelmisches Zwinkern mit den Augen und Merkel weiß, dass Will zu jenen gehört, die sich mit keiner Position gemein machen. Sie fragt nur zum Schein – und weiß, dass Merkel es weiß.

Wann denken Sie an Rücktritt? Darüber nachzudenken habe ich keine Zeit, setzt Merkel ihr süßestes Lächeln auf – und die Demokratie wird einvernehmlich versenkt. Merkel muss so viel arbeiten, dass sie keine Zeit mehr hat für demokratische Mätzchen. Selbst im Parlament musste sie gezwungen werden, dem Souverän Rede und Antwort zu stehen. Auch im Wahlkampf diktierte sie den TV-Kanälen die Regeln schablonenhaften Abfragens. Macht und Bescheidenheit sind für sie eine Einheit.

Die Deutschen kennen nicht die Psychologie der umgewerteten Werte des Neuen Testaments. Stolz ist für sie Stolz. Macht und Demut schließen sich aus. Dass Gott in den Schwachen mächtig ist, haben sie nie verstanden. Diese Ignoranz macht sich Merkel zunutze. Sie tritt auf, als sei die Erste die Letzte. Die Letzten werden die Ersten sein: das geht über den Horizont eines lutherischen Volkes hinaus. Heiligen Worten kann kein psychologisches Verhalten entspringen.

Will stellt nur stellvertretende Fragen. Sie selbst hat keine. Das vermittelt sie auch. Sie wissen ja selbst, Frau Kanzlerin, dass es seltsame Menschen gibt, die solche Fragen für wichtig halten. Tun wir ihnen den Gefallen und stellen Fragen, die die Unersetzbarkeit Ihres Tuns nicht zu schätzen wissen.

Wills Fragen verlassen das unphilosophische Format ihrer Zunft um keinen Millimeter. Niemals würde Sie sagen: Frau Merkel, ich habe den Eindruck, dass Sie ihrem Schwur: Schaden abzuwenden vom Volk, nicht gerecht werden. Sie lassen alles schleifen und warten, bis die Suppe überkocht. Dann eilen Sie an die Front, übernehmen Verantwortung – und Ihre Quoten steigen wieder. Den Deutschen genügt die Posse der Schuldübernahme. Sie wollen keine Selbstgeisslerin, die vor lauter Schuldbewusstsein keine Energie mehr übrig hat für das gottwohlgefällige Weiterwursteln.

In Zeiten, in denen Talkshows unter immer schärferen Beschuss geraten, ist Wills pas de deux eine besondere Frechheit. Man könnte auch sagen: obszöner und dreister kann medial-politische Korruption nicht sein als die folgenlosen Ohrenbeichten Merkels bei Anne Will (der man eine besondere Nähe zur Merkel-Vertrauten Beate Baumann nachsagt). Will gibt Merkel die Gelegenheit zum publikumswirksamen Mea Culpa – und Merkel geht beschwingt in die nächste Legislaturperiode.

Wie die ARD mit Kritik umgeht, zeigen die rotzigen Worte des ARD-Chefs Rainald Becker:

„Die Talkshows in ARD und ZDF stehen in der Kritik. Sie hätten die AfD groß gemacht und setzten auf Krawall. Nun antwortet der ARD-Chef Rainald Becker: „Der Fernseher hat ja auch einen Ausschaltknopf.“

Trumps einmaliger Regelverstoß habe sie ernüchtert und ein Stück weit deprimiert, sagte Merkel bei Will. Für ihre Verhältnisse sei diese Wortwahl schon sehr viel. Wenn sie nüchterner geworden ist, was war sie vorher? Wenn sie erst jetzt deprimiert war, was hat sie die ganze Zeit an Trump erkannt? Warum ist sie deprimiert, warum nicht wütend? Mit der Floskel „ein Stück weit“ kann sie allen Aussagen die Luft ablassen. Nur nicht scharf und eindeutig werden, um etwas zu klären.

Politik ist für Merkel keine Gedankenarbeit. Für eine Lutheranerin ist Weltweisheit nichts als Torheit in Gott. Für eine ehemalige christliche Sozialistin ist Philosophie ohnehin zur Altlast geworden. Marx hatte das Zeitalter der Philosophie für beendet erklärt. Der proletarische Klassenkampf sei zum gedankenfreien Erben der Philosophie geworden. Wozu eigene Gedanken, wenn die Geschichte schon alles durchdacht und in die Wege geleitet hat?

Merkel arbeitet nur das Pensum ab, das die Geschichte ihr aufgetragen hat. Wozu dieses ewige Wortemachen, wenn es auch anders geht? Eine ungefährdete Machtpartei wie die CDU kann sich Gedankenallergie leisten. Sie braucht weder Leitideen noch alternative Ziele. Nur die Taktik des Immerweiterso muss sie fortsetzen. Das Publikum wird es zu schätzen wissen, dass es von gedanklichen Höhenflügen verschont bleibt.

Alle anderen Parteien, die Merkels C-Partei verdrängen wollen, müssten aber die gegenwärtige Gedankenflucht beenden, um ihren fortschreitenden Verfall zu beenden. Wer sein Erbe nicht von der Stunde der Geburt an rekonstruiert, um seine dunklen Ecken auszumisten, der wird die Last seiner Vergangenheit nicht abwerfen.

Dank Trumps nützlicher Idiotenarbeit zerlegt sich das Gebäude des Westens bis auf die Grundmauern. Er selbst brachte keine einzige Verschlagenheit ins Spiel, die nicht seit Jahr und Tag im westlichen Repertoire vorhanden gewesen wäre. Aber versteckt hinter Phrasen der Korrektheit.

Wer ihm etwas entgegen setzen will, muss sich nicht sinnlos auf „Spurensuche“ machen, wie es die Journalisten tun, indem sie per Zufall durch die Länder streichen. Die wirklichen Spuren liegen im kollektiven Gedankenreservoir der Menschheit und sind in unzähligen Büchern festgehalten. Tagesschreiber ignorieren alles, was gewesen ist und wundern sich, dass sie nicht verstehen, was sich aus dem Vergangenen entwickelt hat.

Trump ist ein Durcheinanderwerfer, der seine Gegner und Feinde irritiert und schockiert, um seinen Auftrag für Volk und Himmel durchzusetzen. Ohne biblische Hintergründe sind seine diabolischen Taten im Namen Gottes nicht zu verstehen. Eine seiner Marionetten verflucht Justin Trudeau bereits in die Hölle:

„Dessen ungeachtet drohte auch Trumps Handelsberater Peter Navarro Trudeau mit dem Jüngsten Gericht. „Es gibt einen besonderen Ort in der Hölle für alle ausländischen Führer, die gegenüber Donald Trump arglistige Diplomatie betreiben und versuchen, ihn in den Rücken zu stechen, wenn er zur Tür geht“, sagte Navarro.“ (Sueddeutsche.de)

Ein Fehler, wenn man diese Aussagen für hohle religiöse Metaphorik halten würde. Auch der Hass Trumps auf seinen engsten Verbündeten in Kanada darf man in biblischer Bruderrivalität à la Kain und Abel vermuten. Da muss einer besonders eifersüchtig sein auf den beliebten sonny boy Trudeau, dem die Herzen der Europäer zufliegen, während der alte Löwe aus dem Weißen Haus missmutig die ganze Welt provozieren muss, um sich zu erklären, warum er nicht beliebt sein kann.

Viele Kommentatoren sprechen vom Verfall des Westens. Davon kann keine Rede sein. Nur die Über-Ich-Zensur wird beseitigt. Trump betont: Amerika zuerst, Amerika allein. Und Merkel? Die Loyalität zum eigenen Land käme zuerst. Dann erst die EU. (Wo bleibt in diesem System die bedingungslose Loyalität zu Israel?) Die EU müsse Trump eine geschlossene Antwort geben. Womit?

Trump betont die egoistischen Wirtschaftsinteressen seines Landes. Merkel – tut dasselbe. Vielleicht mit anderen Methoden, die Ziele sind die gleichen. Wenn die Interessen eines EU-Landes mit denen aller anderen Verbündeten unlösbar verknüpft sind – wie kann man da die Loyalität zum eigenen Land trennen von der gesamteuropäischen? Wenn Europa untergeht, wird Deutschland für sich nicht überleben.

Es geht um Weltwirtschaft. Welchen Sinn hat eine Weltwirtschaft ohne funktionierende Weltgemeinschaft? Wenn Völker in Unfrieden leben, kann Wirtschaft keinen Frieden schaffen. Im Gegenteil. Da Wirtschaft ein erbarmungsloser Wettbewerb ist, übernimmt sie in hohem Maße die Funktionen des Krieges. Das eigene Land soll durch Wirtschaft gestärkt, die anderen geschwächt werden.

Merkel faselt von einem Win-Win-System. Dann wäre Wirtschaft ein edler Wettbewerb, von dem alle Nationen profitieren würden. Absurder kann die Einschätzung der Wirtschaft nicht sein. Nebenbei: wo bleiben die abendländischen Werte als Antwort auf Trump? Wo ist die Wertegemeinschaft des Westens geblieben? Hat sie sich still und heimlich aus dem Staub gemacht? Um welche Werte ging es denn?

Wenn Weltwirtschaft ein WIN-WIN-Wettbewerb wäre, müssten dann nicht alle Beteiligten annähernd gleichmäßig von ihr profitieren? Doch wie sieht die Wirklichkeit aus?

„Der Welthandel wird von den Industrienationen dominiert, insbesondere durch die Europäische Union mit einem Anteil von mehr als einem Drittel. Der gesamte afrikanische Kontinent (ohne Nahost) erreicht hingegen einen Anteil von gerade 2 bis 3 Prozent. Eine zunehmende Rolle im weltwirtschaftlichen Austausch nehmen die so genannten Emerging markets ein – allen voran die Volksrepublik China, aber auch die sog. Tigerstaaten.“ (WIKI)

Wie lange treibt die EU Handel mit Afrika? Wenn die internationale Wirtschaft auch nur annähernd fair wäre, dürfte es in Afrika nicht viele Millionen Menschen geben, die ihre Heimat am liebsten noch heute verlassen würden.

„Auch der Staat gibt in Deutschland viel weniger Geld aus als anderswo. Der Anteil der öffentlichen Investitionen an der Wirtschaftsleistung ist so niedrig wie in kaum einem anderen Industrieland. Für die deutsche Wirtschaft ist das nicht weiter schlimm. Das Ausland ist ja weniger sparsam, das Ausland kauft ein, das Ausland macht Schulden. In Deutschland dagegen freut sich die Bundeskanzlerin über die schwarze Null – und gleichzeitig über die boomende Exportindustrie. Merkel betreibt diese Politik seit Jahren. Jetzt, da in Amerika Donald Trump an der Macht ist, gäbe es einen guten, einen ehrlichen Begriff dafür: Germany first. Fernsehgeräte, Autos, Kühlschränke – alle Welt kauft gern deutsch. Das hat uns reich gemacht, andere zahlten dafür einen hohen Preis. Liegt Donald Trump gar nicht so falsch, wenn er das ändern will?“ (ZEIT.de)

Merkel protestiert gegen Protektionismus. Das ist purer Darwinismus. Schwache Industrien sollen von starken eingestampft werden können – ohne Rücksicht auf nationale Interessen. Dazu gehören die Interessen der Arbeitnehmer, die auf der Straße landen, wenn ihr Betrieb wegen internationaler Konkurrenz schließen muss.

Verheerender ist die Lage auf dem Agrar- und Wohnungsmarkt, wenn Milliardäre aus aller Welt die attraktiven Häuser und Ländereien in anderen Nationen aufkaufen, mit ihnen wuchern, sodass die Schwachen dieser Länder immer schwächer werden.

Die globalisierte Wirtschaft habe schon lange die Epoche des Merkantilismus überwunden, heißt es. Merkantilismus diente absolutistischen Fürsten zur ausschließlichen Bereicherung des eigenen Landes, pardon des Fürstenhofes. Welchen Sinn hat der riesige Exportüberschuss und die schwarze Null, wenn nicht zur primären Bereicherung der Deutschen? Merkelismus ist nichts anderes als verkappter Merkantilismus.

Jean-Baptiste Say, französischer Ökonom und Zeitgenosse Adam Smith‘s, glaubte noch an die Verbrüderung der Nationen durch die aufkommende Weltwirtschaft. Adam Smith träumte vom Reichtum aller beteiligten Nationen. Was ist daraus geworden? Das glatte Gegenteil dieser Visionen.

Noch immer sei der Kapitalismus die effizienteste Weise, um Menschen aus bitterer Armut zu holen, ist zu hören. Aus welcher Armut – und wer wollte von ihr befreit werden?

Die Völker der Welt wurden vom Westen gezwungen, dessen kapitalistische Ökonomie zu übernehmen. Sie wurden nicht gefragt. Wie kann der Westen von Freiheit und Selbstbestimmung reden, gleichzeitig der Welt ein einheitliches Wirtschaftssystem überstülpen? Viele Menschen wären lieber arm – dafür aber frei von ökologischen Plagen des Kapitalismus.

In vielen Ländern entstand ein bestimmter Wohlstand, der dennoch weitaus schwächer war als der des reichen Westens. Die Kluft zwischen Reich und Arm ist dieselbe geblieben. Wer vergleichsweise ärmer ist, besitzt nicht nur weniger: er kann nach Belieben von den Reichen gedemütigt und drangsaliert werden.

Armut und Reichtum sind nicht nur Konsumdaten, sie sind immer Herrschaftsverhältnisse. Müsste nicht jedes Land selbst bestimmen können, ob es an der Weltwirtschaft beteiligt werden will?

Merkels Plädoyer für freie Weltwirtschaft bedeutet Freiheit für die Reichen und Starken und Unfreiheit für die Unterlegenen. Warum sollte Amerika nicht selbst bestimmen, welche Wirtschaftsweise es bevorzugt? Der müsste man nicht zustimmen – und hätte doch kein Recht, dem anderen Land ein Wirtschaftssystem aufzuzwingen, das den Amerikanern nicht entspricht. Das wäre globaler Wirtschafts-Faschismus.

Allein durch ihre Exportstärke ist die deutsche Wirtschaft noch immer kolonialistisch geprägt, denn aus egoistischem Interesse pfuscht sie in die inneren Verhältnisse anderer Länder.

Diese einseitige Exportstärke hat keinerlei Chance in einer zukünftigen Weltordnung gleichberechtigter und wohlhabender Länder. Je mehr andere Länder aufholen, umso abwegiger muss der penetrante Vorsprung eines Landes sein. Wer Frieden haben will, muss friedlich in sich ruhende Völker der Welt als Partner haben wollen.

Deutschland ist von zukünftigen Weltwirtschaftskrisen besonders bedroht, wenn andere Länder den deutschen Export nicht mehr benötigen. Der deutsche Wohlstand ist in hohem Maße gefährdet, die Welt wird nicht ewig deutsche Autos kaufen. Schon gar nicht, wenn sie mit lügenhafter Propaganda verkauft werden.

Je früher wir uns umstellen und mit ausgeglichenen Völker-Bilanzen leben können, desto unabhängiger werden wir.

Nicht ungezügelte Weltwirtschaft darf das Ziel der Zukunft sein, sondern eine durchwachsene Mischung aus naturverträglicher Industrie: Autarkie so viel wie nötig, damit wir nicht von anderen abhängig bleiben – und Export so viel wie ökologisch zulässig. Exportieren heißt immer transportieren. Und Transport ist Umweltverschmutzung.

Ungeheuer und selbstgefährdend, dass der Begriff Autarkie in den Wirtschaftsdebatten unterschlagen wird. Weil Fichte eine autarke Wirtschaft in faschistischem Rahmen wollte, wurde Autarkie schlechthin mit Faschismus identifiziert.

Autarkie ist keine totalitäre Maßnahme des Staates, sondern bedeutet Selbstgenügsamkeit: Nach Aristoteles sei für ein Leben in Autarkie wichtig, dass man sich mit dem zufriedengebe, was man erreichen könne.

Es ist eine flagrante Fehlentwicklung, wenn ausgerechnet eine darwinistische Wirtschaft die Welt miteinander verbinden soll, die friedliche und demokratische Globalisierung hingegen immer mehr zerstückelt wird. Sich zufriedengeben mit dem, was man in nationalem oder europäischem Rahmen erwirtschaften kann, ohne die Welt mit überflüssigen Dingen zu überschwemmen, wäre eine Schubumkehr der jetzigen Wirtschaftsideologie, die nicht nur vorhandene Bedürfnisse befrieden, sondern stets neue Bedürfnisse kreieren will. Dem liegt der Wahn zugrunde, der Mensch sei ein unendliches Wesen.

Eine humane Wirtschaft der Zukunft muss der Erkenntnis verpflichtet sein, dass der Mensch ein endliches Wesen ist. Ein ökologisches Leben in Eintracht mit der Natur wird ohne Einschränkungen nicht möglich sein. Wir müssen uns vom Wahn grenzenloser und ständig neuer Bedürfnisse befreien. Selbstgenügsamkeit ist keine Askese. Sondern die Erkenntnis: genug ist genug, genug ist besser und gesünder als übermäßig.

Sich begnügen mit dem, was man selbst herstellen kann, ist kein Nationalismus. Allzu oft wurde autarke Wirtschaftspolitik in den Dienst nationalistischer Regimes gestellt, die Krieg gegen andere Länder führten, von denen sie nicht abhängig sein wollten. Es wäre an der Zeit, Selbstgenügsamkeit als Voraussetzung für wahres Interesse an anderen Ländern zu erkennen. Wer Verbindung mit anderen Ländern nur will, um sie wirtschaftlich auszubluten, will keine Weltwirtschaft, sondern betreibt aggressiven nationalen Egoismus – im Gewande einer heuchelnden Globalwirtschaft.

Merkel und Trump haben dieselben Ziele: zuerst Wir, dann vielleicht die anderen. Diese Reihenfolge muss zur Gleichzeitigkeit werden. Erst, wenn für alle gesorgt ist, ist auch für uns gesorgt. Wer nicht für die ganze Menschheit eintritt, gefährdet seine eigene Existenz.

 

Fortsetzung folgt.