Kategorien
Tagesmail

Umwälzung LXVIII

Hello, Freunde der Umwälzung LXVIII,

„ein Affe Gottes, von gelber Farbe, Verkörperung der sieben Todsünden Stolz (Luzifer), Habgier und Geiz (Mammon), Wollust (Asmodeus), Zorn (Satan), Völlerei (Beelzebub), Neid (Leviathan) und Trägheit (Belphegor)“. Für Kant war er „die Idee des absoluten Egoismus“.

Von wem ist die Rede? Von Trump oder vom Teufel?

„Da müssen wir theologisch nachbessern.“

Gottesgelehrte zeigen uns den rechten Weg zum nervus rerum der Zeit: „Theologen scheuen sich heute vor der Frage, ob der Teufel existiert. Diese Frage müssen wir aber wieder diskutieren. Gott ist kein Sugardaddy. Wir sollen ihn fürchten und lieben, wie Luther im kleinen Katechismus sagt.“ (WELT.de)

Der Teufel konnte jede Gestalt annehmen. Er war unberechenbar und erfand sich täglich neu. Urchristen nannten ihn Antichrist. Vom wahren Christus war er kaum zu unterscheiden.

„Wenn dann jemand zu euch sagt: Seht, hier ist der Messias!, oder: Seht, dort ist er!, so glaubt es nicht! Denn es wird mancher falsche Messias und mancher falsche Prophet auftreten und sie werden Zeichen und Wunder tun, um, wenn möglich, die Auserwählten irrezuführen. Ihr aber, seht euch vor! Ich habe euch alles vorausgesagt.“

Der Unterschied zwischen Christ und Antichrist wurde nirgendwo erklärt. So wenig wie heute der Unterschied zwischen Populisten und demütigen Kanzlerinnen. Beide benutzen die gleiche Hoffnungssprache. Beide versprechen das Paradies. Die einen im Hier und Jetzt, die anderen im Danach: erst müssten wir das uns zugeteilte Maß an Unheil ertragen, bis wir das Heil verdient hätten. Der Triumph Trumps, die

Demut Merkels sind nur zeitverschobene Etappen des Gleichen auf dem Weg ins Heil.

Die Wiederkehr des Teufels hat viele Vorteile. Das Böse der Welt muss nicht mehr erklärt noch bekämpft werden. Es kann nicht bekämpft werden, denn es ist unbesiegbar. Es muss nicht erklärt werden, denn es ist unerklärbar. Seine Unerklärbarkeit erklärt alles.

Die Aufklärung hat versucht, die Übel der Welt mit Vernunft zu kurieren. Schließen wir das Kapitel der Aufklärung. Das Böse ist das Überkomplexe, das nur geklärt werden kann durch numinose Unerklärbarkeit.

„Das Problem ist nur: Nur weil der Teufel seltener im Messbuch vorkommt, scheint sich das Böse in der Welt noch nicht nennenswert verringert zu haben. Not und Leid, Gewalt und Sünde bleiben menschliche Realität. Nur dass der Mensch für alle Untaten, für die man früher den Teufel oder, noch früher, Gott selbst zumindest mitverantwortlich machen konnte, heute selber geradestehen muss, als der neue, der vermeintlich vollständig rationalisierbare Teufel.“

Eigenartig: die moderne Sicht der Dinge besteht gewöhnlich aus Leugnung der Konstanz und aus Nichtwiederholbarkeit des Gleichen. Geht’s aber ans Eingemachte, ans Böse, darf sich seit Eva nichts geändert haben. Bei den Gläubigen geht’s nicht um den Teufel im Messbuch, sondern um den realen in der Wirklichkeit.

Begriffe wie Aufklärung und Vernunft nehmen die Edelschreiber nicht gern in den Mund. Für ihre Ohren klingen sie wie Gotteslästerung. Dass der Verfasser von der Entwicklung des Abendlandes nichts verstanden hat, zeigt seine abstruse Rede vom Menschen als „vollständig rationalisierbaren Teufel.“

Ratio ist Vernunft. Ein rationaler Teufel wäre ein Widerspruch im Beiwort. Rationalisieren ist tun, als-ob etwas rational wäre. Die Moderne rationalisiert ihre Machtbegierde mit der Behauptung, ihre Eigensucht sei rational. Homo öconomicus muss ein homo rationalis sein, der nichts unterlässt, um seinen eigenen Untergang zu rationalisieren.

Max Weber beschrieb die Geschichte des Abendlandes als Rationalisierung und Entzauberung, ohne zu erkennen, dass Vernunft sehr wohl ihren Zauber hat. Den Zauber des Nüchternen, Verständigen und Humanen.

Für Carl Friedrich von Weizsäcker, der die Naziherrschaft als Ausgießung des Heiligen Geistes erlebte, war Entzauberung die Abschaffung aller heidnischen Naturgötter in Wald und Flur. Ihr folgte das Regiment des naturfeindlichen Schöpfers der Genesis. Erst in der naturgötterfreien Atmosphäre der christlichen Schöpfung sei Naturwissenschaft möglich gewesen.

Wäre Natur weiterhin von Göttern belebt gewesen, hätte eine naturfeindliche Technik in der Tat keine Chance gehabt. Eine Naturwissenschaft aber, die nicht aus Ausbeutung der Natur besteht, wäre allemal möglich gewesen.

Wo begann die Geschichte der modernen Wissenschaft? Im griechischen Kosmos, der Heimat der Menschen. Noch immer wird heute die Frage gestellt: warum haben die wissenschaftlich denkenden Griechen nicht die moderne Naturwissenschaft entdeckt? Weil schon das Experiment für sie ein unbefugter Eingriff in die Natur war.

Der Unterschied zwischen Ratio und Rationalisierung ist heutigen Führungsklassen unbekannt. Sie dekorieren ihre Irrationalitäten mit schein-rationalen Natur- und Geschichtsgesetzen. Als Naturwesen muss der Mensch egoistisch und gewalttätig sein, also ist gewalttätiger Egoismus die Ratio der Natur.

Vor wenigen Jahrzehnten hatten alle Tiere noch den Ruf rücksichtsloser Eigensucht. Heute weiß die Naturforschung immer mehr von Schwarmintelligenz, Schwarmverhalten und symbiotischer Kooperation zu berichten, die nicht selten bis zur individuellen Aufopferung einzelner Tiere gehen kann.

In frömmeren Zeiten hätte man Gott oder den Teufel für das Böse verantwortlich gemacht? Im Gegenteil. Man hätte sie verantwortlich machen müssen – wenn man der Logik seiner Glaubensaussagen gefolgt wäre. Ist Gott allmächtiger Schöpfer aller Dinge, müsste er auch das Böse erschaffen haben. Dieser Makel durfte nicht sein. Schnell wurde dem Menschen ein freier Wille zugeschrieben, der ihn befähigen sollte, zwischen Gut und Böse zu wählen. Wählte er Böses, war es seine Schuld.

Wie kann man Böses wählen, wenn es von Gott nicht erschaffen wurde?

Noch heute ist Freiheit vor allem die Freiheit zum Bösen. Die Wahl des Guten gilt nur als Gehorsam gegen autoritäre Gesetze. Menschen haben einen freien Willen, auch wenn Gehirndogmatiker ihn unter dem Mikroskop nicht erkennen. Freiheit ist keine Unabhängigkeit von basalen Naturgesetzen. Sie lässt sich nicht als chemisch-physikalische Formel definieren.

Vernunft ist die Fähigkeit des Menschen, die Angebote der Natur zu nutzen, um ein Leben in Selbstbestimmung zu führen. Diese Freiheit lässt sich im Mikroskop nicht nachweisen. Denn alles, was man naturwissenschaftlich nachweisen kann, ist determiniert. Freiheit aber beginnt jenseits der Determinierung. Freiheit ist nur nachweisbar durch moralisches Verhalten. Wer Moral für Nonsens hält, für den kann es nur eine Freiheit für das Amoralische geben. Freiheit ist keine abstrakte Wahl des Guten oder Bösen, sondern die Möglichkeit, aus verschiedenen Erfahrungen prüfend und wägend seine Schlussfolgerungen zu ziehen.

Lucas Wiegelmann wehrt sich, die Abschaffung des Teufels der Aufklärung zuzuschreiben. Es muss das Werk der Kirche sein, die den Gehörnten nicht mehr ertragen konnte.

„Das Zweite Vatikanische Konzil setzte eine Liturgiereform in Gang, der die allermeisten Erwähnungen Satans im Gottesdienst zum Opfer fielen. Der Teufel, der alte Feind, der das Verderben der Menschen im Sinn hat und das Böse hervorbringt, war nämlich eigentlich längst abgeschafft. Im Laufe einer langen Entzauberung der Welt seit der Aufklärung ist der gefürchtete Versucher von einst geschrumpft zu einer bloßen bizarren Erinnerung an einen längst versunkenen Glaubenskosmos voller bemitleidenswerter Irrationalitäten, ein Relikt des rührenden Aberglaubens, das heute allenfalls noch als Handpuppe im Kindergarten und als Pausenwitz fürs Priesterseminar benötigt wird, aber sicherlich nicht mehr in der ernsthaften Theologie oder gar – horribile dictu – im Gottesdienst und in der Seelsorge.“

In kirchlichen Glaubenslehren war der Teufel nie abgeschafft. Er wurde nur aus den Bedrohungsszenarien der Predigt in den Hintergrund geschoben, bis man den Eindruck hatte, er sei abgeschafft. Dasselbe Vexierspiel bei der Hölle. Als die Kirchen den Kampf gegen die Vernunft zu verlieren drohten, gingen sie mit ihren teuflischen Einschüchterungen auf Tauchstation und passten sich äußerlich der aufgeklärten Zeitphilosophie an.  

Die Theologie machte aus ihrer Niederlage eine Tugend und begann in den 60er-Jahren zu behaupten, Demokratie und Menschenrechte seien Früchte der biblischen Gottebenbildlichkeit. Nicht viel später kam die Behauptung dazu, auch Ökologie sei nichts anderes als Bewahrung der Schöpfung. In Dreistigkeit lassen sich Gottesgelehrte von niemandem übertreffen.

Unter dem Schutzschild des biblischen Glaubens der Siegermächte hatte die Unverfrorenheit der Kirchen ein leichtes Spiel. Im Übergang zum Dritten Reich hatten die Deutschen das seit der Romantik lädierte Erbe der Aufklärung längst in einen eschatologischen Glauben verwandelt. Nach dem Krieg wollten sie glauben, dass ihr demokratisch sanierter Glaube sehr wohl mit dem Glauben der Sieger vereinbar sei. Hatten Bischöfe und Pastoren in den Vorkriegsjahren noch nationalsozialistische Gottesdienste gefeiert, fiel es den Deutschen leicht, das weltliche Gepräge ihres Glaubens auszutauschen. Aus dem Führer als Sohn der Vorsehung wurde die manifest destiny des importierten amerikanischen Glaubens.

Die Geschichte der klerikalen „Marketing- und Kommunikationsstrategien“ ist noch nicht geschrieben. a) Bist du in der Minderheit: halte dich an die Ideologie der Mehrheit. b) Bis du es geschafft hast, durch staatlichen Religionsunterricht, christliche Parteien und „abendländische Werte“, aus denen du alles Heidnisch-Griechische entfernt hast, die Meinungsführerschaft der Nation zurückzuholen. c) Hast du das Glück, dass die Euphorie der UN-Charta-Weltpolitik an Kraft verliert, uralte Konflikte wieder ans Tageslicht kommen, globales Weltdorfdenken zurückfällt in nationale Abschottung und Feindschaft, kannst du getrost deine Furcht- und Schreckensinstrumente aus dem Keller holen. Der verunsicherte Westen, ratlos über die Gründe seines demokratischen Verfalls, greift erleichtert nach jener Erklärung, die ihm aus fernen Tagen des Kindergottesdienstes bekannt ist: es muss der Gottseibeiuns sein, der uns wieder einmal ob unserer Sünden abseits führt. Den Teufel spürt das Völkchen sehr wohl, wenn er es mit Wirtschaftskriegen und atomaren Fernraketen bedroht.

Ausgerechnet der sanftmütige und so fortschrittlich wirkende Papst Franziskus ist es nun, der beim Teufel Hilfe sucht, um seine apokalyptische Sicht der Dinge in Worte zu fassen.

„Der Teufel sei wie „ein tollwütiger und angeketteter Hund“, dem man nicht zu nahe kommen dürfe, warnte der Papst. „Er ist angekettet. Ja also, gehst du da nicht hin, um ihn zu streicheln? Tu das nicht, denn er beißt dich, er zerstört dich.“ Satan sei so gefährlich, dass man es selbst auf einen bloßen Wortwechsel mit ihm nicht ankommen lassen dürfe. „Mit dem Teufel spricht man nicht, denn er besiegt uns, er ist intelligenter als wir … Er verkleidet sich als ein Engel des Lichts, doch er ist ein Engel des Schattens, ein Engel des Todes.“

Bei Franziskus befindet sich der Teufel nicht im Innern der Menschen, er ist eine ominöse fremde Stimme – die man sich vom Leibe halten kann, wenn man auf Abstand bleibt. Der Kampf gegen das Böse ist kein Kampf mit sich selbst, sondern mit dem „Ganz Anderen“. Das kann alles sein, von Einflüsterungen heidnischer Vernunft bis zu Verlockungen kirchenfeindlicher Abwanderungsbewegungen. Wer bei sich bleibt, dem kann nichts passieren. Mit der Stimme des versucherischen Bösen muss man nicht sprechen, wenn man sich an die Weisungen des Gemeindehirten hält.

Nach Luther ist der Teufel einer, der in rationalen Dingen den Frommen bei weitem überlegen ist. Er kann unendliche eitle und überflüssige Fragen stellen, denen kein Einfältiger gewachsen ist. Heidnische Vernunft ist immer ein Gaukelspiel des Teufels, vor dem man am besten Reißaus nimmt.

Die Rede der Eliten vom Überkomplexen, das die Massen nie verstehen könnten, ist ein Ableger dieser Dämonisierung des natürlichen Erkenntnisvermögens. Der demokratische Rüpel wird immer mehr auf die Stufe der begriffsstutzigen Gemeinde gedrückt, damit er – mit den Worten Jan Fleischhauers – das Maul halten und gehorchen soll. Rechter kann eine politische Position nicht sein. Verwunderlich, dass Fleischhauer noch damit prahlt, mit Rechten zu reden. Redet er mit sich selbst?

Folgte man dem Papst, sollte man nur mit Gleichgesinnten sprechen. Mit teuflischen Wahrheitsleugnern keineswegs. Wer nicht den rechten Glauben teilt, ist ein tollwütiger Hund, den man meiden muss. Auch hier erkennen wir den „säkularen“ Ableger des demokratie-unfähigen Fundamentalismus. Bei jeder nicht-konformen Meinung von „links oder rechts“ stellen sich die Medien die Frage, ob man mit Abweichlern reden soll, reden kann. Das Ergebnis wäre, dass die Meinungsführer nur noch mit Ihresgleichen reden dürften.

Vorbild: die Talkshows der Öffentlich-Rechtlichen, die längst den Zustand inzestuöser Monotonie erreicht haben. Immer das Karussell der Immergleichen, die man mit denselben Showeffekten im Griff hat.

In der Welt kann geschehen, was will: das Programm der TV-Kanäle geht seinen unveränderlichen Gang. Gibt es schwerwiegende Krisen in Italien: wird sich das Programm eines Kanals in einen italienischen Abend verwandeln? Mit Live-Schaltungen nach Italien, Eindrücken und Begegnungen im ganzen Land, Debatten zwischen Menschen aller Schichten und Klassen? Eher geht die Welt zugrunde, als dass ein einziger Kanal die Stimmen der Völker einfinge. Kommt die Sommerpause hinzu, sind die Protagonisten der Sender vollends verschwunden. Im Sommer muss man Italienern zeigen, wer die wahren Herren ihrer Sehenswürdigkeiten sind.

ARD und ZDF sind das Geld nicht wert, das sie mit Hilfe des Staates einstreichen. Politische Sendungen müssen sich bei ihnen entschuldigen, wenn sie das Schema unendlicher circenses auch nur ein wenig unterbrechen. Politik ist die Ausnahme, die nie zur Regel werden darf.

Wozu politische Aufklärung, wenn der teuflische Heimkehrer die Deutung der Weltverhältnisse im Griff hat: es gibt nichts zu erklären. Der altböse Feind ist noch immer Herr der Geschichte. Auch der Schöpfer will an nichts schuldig sein, weshalb er ein Alter Ego erfunden hat, der alles auf sich nimmt und ihn frei spricht von aller Schuld. Wie der Messias alle Schuld der Menschen auf sich nimmt, um sie vom Tod zu befreien, so nimmt Diabolo alle Schuld seines Herrn auf sich, damit der Bankrott nicht auf den Firmengründer fällt. Jesus ist Erlöser der Menschheit, Satan Erlöser des Schöpfers.

Das ist noch nicht das Ende des Schuldenreigens. Bekennt der Mensch seine Schuld, seine unermesslich große Schuld, so hat er den Teufel in seine Psyche integriert. Er ist kein Fremdling mehr für ihn, sondern eherner Bestandteil seines Wesens: er ist der Teufel. Er muss zugrunde gehen und geboren werden als als neue Kreatur.

Wer hat dich so geschlagen,
Mein Heil, und dich mit Plagen
So übel zugericht‘?
Du bist ja nicht ein Sünder
Wie wir und unsre Kinder,
Von Missetaten weißt du nicht.
Ich, ich und meine Sünden,
Die sich wie Körnlein finden
Des Sandes an dem Meer,

Die haben dir erreget
Das Elend, das dich schläget,
Und das betrübte Marterheer.

Der Mensch ist ein Wurm. Aber so mächtig, dass er seinen Schöpfer ernsthaft beschädigen kann. Im Guten ist er ein Totalversager. Im Bösen kann er sich mit Gott messen. In satanischen Dingen ist er gottähnlich.

Gott schuf Mensch und Natur. An ihrem Elend ist er nicht schuldig, obgleich er es hätte verhindern können.

Der Mensch schafft Maschinen und eine neue Natur, die ihm Macht über Universum und Tod verleihen sollten. Es wird ihm nicht gelingen, sie fehler- und sündenfrei zu halten. Das ahnt er schon jetzt, obgleich er seine Hände prophylaktisch in Unschuld wäscht.

Betrachten wir die neuen Medien. Sie sollten den Menschen mit technischen Mitteln ins neue Paradies bringen. Doch nach wenigen Jahren tritt Ernüchterung ein.

Jaron Lanier, Pionier der High-Tech, vernichtet geradezu das technische Netz der Welt mit seiner gewaltigen Kritik. Er macht sich zum direkten Antipoden von Marc Zuckerberg:

„Im Augenblick aber stehen wir einer erschreckenden, plötzlichen Krise gegenüber. Vor der BUMMER-Ära herrschte die allgemeine Ansicht, dass ein Staat, der einmal demokratisch wurde, nicht nur demokratisch bleiben, sondern auch immer demokratischer werden würde, weil das Volk es so verlangte. Leider ist das nicht mehr der Fall, und zwar erst seit Kurzem. Etwas entfremdet junge Menschen von der Demokratie. Trotz all des hoffnungsvollen Eigenlobs der Social-Media-Unternehmen scheint es so, als ob durch die Schwächung der Demokratie auch das Internet hässlich und betrügerisch geworden ist.“ (SPIEGEL.de)

Wieder einmal erleben wir die Wiederholung der welterlösenden Begeisterung einer neuen technischen Erfindung. Als die atomare Spaltung erfunden wurde, schwelgten die Eingeweihten vom Ende aller Energieprobleme, ja vom Ende aller Weltprobleme. Kaum überblickte man die möglichen Folgen der Atomspaltung, waren die Militärs schon dabei, aus dem Segen einen Fluch zu machen. Atombomben bedrohten das Leben der gesamten Gattung. Dazu hörte man den immergleichen Refrain: Technik ist ein zweischneidiges Schwert. Es hängt immer davon ab, welche Seite man in Anschlag bringt. Mit einem Messer kann man Brot schneiden, aber auch einen Menschen töten.

Einerseits soll jede neue Technik den Menschen erlösen. Andererseits gibt man sich enttäuscht, wenn das neue Beglückungsmittel nichts anderes kann, als das Verderben der Menschheit zu beschleunigen. Wenn Technik ein Mittel ist, dessen Gebrauch vom Menschen abhängt, so kann nur die moralische Qualifikation der Menschheit über ihr Glück und Unglück entscheiden. Just diese moralische Qualifikation aber sollte durch technischen Fortschritt überflüssig gemacht werden.

Dieses vertrackte Spiel spielen die Abendländer seit etwa 800 Jahren. Noch immer verstehen sie nicht, dass es sich um ein Jüngstes-Gericht-Spiel handelt. Sie haben den Ehrgeiz, mit Technik den menschlichen Faktor auszuschalten. Eben der ist es, der ihre gottgleichen Erfindungen benutzt, um sie immer mehr an den Abgrund zu führen. Was ist das Ziel des Ganzen? Dass die Menschen endlich ihre Erlösungsbedürftigkeit erkennen und vor Gott niederknien: wir sind so genial und schaffen es einfach nicht.

Technische Genies, im Nebenberuf moralische Kretins, bestimmen das Weltgeschehen. Die Welt bewundert ihre Brillanz und ihren Erfolg als Beweise ihrer Führerqualität. Ein deutscher Führer musste rhetorisches Charisma haben, heute müssen technische Führer algorithmisches Charisma nachweisen. Ihnen wird zugejubelt wie einst Deutschlands wichtigster Edelschreiber Frank Schirrmacher dem amerikanischen Unsterblichkeitsforscher Ralph Kurzweil zujubelte. Schon heute wären solche Hosianna-Rufe unerträglich. Die Genies werden froh sein, wenn man ihnen demnächst nicht zuschreit: kreuziget sie.

Auch bei Thomas Schmid ist bereits die Wahrnehmung angekommen, dass die gute Seite des Christentums beginnt, sich zu verabschieden, während die böse dabei ist, zurückzukehren, um die Herrschaft der Despoten zu stützen:

„Diese menschenfreundliche Deutung des Christentums erlebte in den vergangenen Jahrzehnten einen ungeahnten Siegeszug. Die Kirchen waren nicht länger Advokaten der Reichen und Mächtigen, sondern eher der Armen und Schwachen. Sie huldigten dabei, zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage, einem unbedingten Universalismus, der Ausnahmen und Abstriche mit hoher moralischer Geste ablehnte: Alle Menschen sind Brüder, der Fernste ist der Nächste. Noch sind es nur zwei Mitgliedstaaten der EU, Ungarn und Polen, in denen das unbarmherzige Christentum regierungsoffiziell und staatsbildend ist. Doch die Zeichen mehren sich im Zuge einer allgemeinen Tendenz zum Autoritären und zu altvorderen Weisheiten. In Deutschland sind es die AfD und ihr intellektuelles Hinterland, die ein im Prinzip Fremde ausschließendes Verständnis von „Abendland“ pflegen. Die Christen ohne Barmherzigkeit kündigen gewissermaßen alle Versuche auf, tragfähige Elemente eines weltweiten Gesellschaftsvertrags zu schaffen. Sie sind nicht „abendländisch“, sondern weit, weit vormodern.“ (WELT.de)

Was bei Schmid noch nicht angekommen ist: beide Versionen der Frohen Botschaft sind identisch. In guten Zeiten geht die Kirche mit Liebe hausieren, in bösen muss Liebe Hass und Feindschaft rechtfertigen. Die Rechtfertigung böser Taten mit guten Absichten pflegt man seit Platon – Faschismus zu nennen. Solange der Teufel das Werkzeug Gottes bleibt, bleibt Gott teuflisch.

 

Fortsetzung folgt.