Kategorien
Tagesmail

Umwälzung LXVII

Hello, Freunde der Umwälzung LXVII,

„Die Schreie, die Schreie. So lange ich lebe, werde ich niemals die Schreie vergessen. (…) Sie waren überall um uns herum. Schnappten nach Luft und starben, während sie im Wasser um sich schlugen. Am schlimmsten waren die Tode in unserem Rettungsboot. (…) Im Laufe der nächsten Stunden starben drei von ihnen direkt vor unseren Augen. Sie hörten auf zu zittern, wurden ganz still und schlüpften lautlos unter die Wasseroberfläche.“ Das sind nur ein paar Ausschnitte aus dem eine Stunde und 44 Minuten langen Hörbuch „Titanic – 24 Stunden bis zum Untergang“. Es erschien am 9. März und hat es mittlerweile auf die Bestsellerliste geschafft. Ein Erzähler schildert darin den Untergang der „Titanic“ – aus Sicht des zwölfjährigen Jimmy. Untermalt wird die Erzählung von Wassergeplätscher, Stimmengewirr und (meist) trauriger Musik. Empfohlen wird die Lesung für Kinder ab acht Jahren! (BILD.de)

Im Kinderzimmer und in der Kunst wird der Untergang vorbereitet. Hier der Untergang der Titanic, stellvertretend für den Untergang der gesamten Gattung. Die Schweden rüsten sich bereits für den nächsten Krieg, amerikanische Prepper für die ultimative Katastrophe, Biblizisten für die Apokalypse.

Prepper (abgeleitet von englisch to be prepared, deutsch ‚bereit sein‘ bzw. dem Pfadfinder­gruß: englisch Be prepared, deutsch ‚Allzeit bereit‘) bezeichnet Personen, die sich mittels individueller Maßnahmen auf jedwede Art von Katastrophe vorbereiten.“

„Seid allezeit bereit“ ist der Wachruf der Christen, jeden Augenblick für die Ankunft des Herrn präpariert zu sein.

„Darum wachet, denn ihr wisst weder Tag noch Stunde! Deshalb sollt auch ihr bereit sein. Denn der Sohn des Menschen kommt zu einer Stunde, wo ihr es nicht mehr meint. Sehe, ich komme wie ein Dieb in der Nacht. Selig, wer wacht, damit er

nicht nackt einhergehe und man seine Schande sehe. ... und wer auf dem Dach ist, der steige nicht hernieder, etwas aus seinem Hause zu holen; und wer auf dem Felde ist, der kehre nicht um, seine Kleider zu holen. Weh aber den Schwangeren und Säugerinnen zu der Zeit!“

Unauffällig wandelt sich die Moderne zur Survival-Epoche. Fortschritt wird zum technischen Notausstieg für wenige – die andern: die überflüssigen Massen, Maschinenstürmer und Digitalidioten sollen in den Abyssus! Survival-Bibeln sind längst dabei, die Menschen für den Wettkampf um Sein oder Nichtsein in den bevorstehenden Horror-Zeiten zu präparieren.

Die Kunst bildet die Spitze der Bewegung. Hollywood lässt sich von niemandem übertreffen in der Vorbereitung auf das Ende. Heilige Schriften sind die Vorlagen ihrer endlosen Armageddon-Ausmalungen:

  • The Day After, USA 1983
  • Threads, GB 1984
  • Überleben, USA 1993
  • Camp der Abenteurer, USA 1996
  • Auf Messers Schneide
  • Cast Away, USA 2000
  • Wolfzeit F, D, A 2003
  • Into the Wild, USA 2007
  • I am Legend, USA 2007
  • The Road, USA 2009
  • The Book of Eli, USA 2010
  • 127 Hours, USA 2010
  • A lonely Place to Die – Die Todesfalle Highlands, GB 2011
  • Hell, CH, D 2011
  • Abenteuer Survival,
  • Survival Man mit Les Stroud
  • Meine Frau, die Wildnis und ich
  • Survival Duo,
  • Naked Survival

Die endzeitlichen Bibel-Maschinen laufen ästhetisch auf Hochtouren. Das eschatologisch imprägnierte Kollektiv-Es des christlichen Abendlands erzwingt seine Visualisierung und Verbalisierung. Greifen wir Book of Eli heraus:

„Sein Ziel ist der Westen der Vereinigten Staaten, mit sich trägt er ein geheimnisvolles Buch. Es ist, so stellt sich im weiteren Verlauf heraus, eine Bibel, von der nach dem Krieg fast alle Exemplare vernichtet worden sind, weil sie als gefährlich eingestuft wurden. Eli offenbart, dass er im Besitz einer King-James-Bibel sei. Inzwischen kommt Carnegie in der Wüstenstadt an und muss feststellen, dass die Bibel in Blindenschrift geschrieben ist. Auf Alcatraz stellt sich derweil heraus, dass Eli den Inhalt der Bibel, die Carnegie ihm abgenommen hat, über viele Jahre hinweg auswendig gelernt hat. Er beginnt, Lombardi den Text Wort für Wort zu diktieren. Die Menschen auf Alcatraz beginnen, mit einer alten Buchdruckmaschine die neue King-James-Bibel zu drucken, von der schließlich ein Exemplar zwischen Tora, Tanach und Koran ins Bücherregal gestellt wird.“ (Wiki)

Selig sind die Blinden, die ihre Schrift auswendig können, um alte Offenbarungen Wort für Wort diktieren und nachdrucken zu können. Nur sie sollen überleben. Tanach ist die jüdische Bibel, Tora der erste Teil des Tanach, Koran die Bibel der Muslime. Die drei Erlöserreligionen bestimmen den Survival-Charakter der Endzeit.

Frauen und Kinder haben im Endkampf nichts mehr zu suchen. Wehe den Schwangeren und Säuglingen.

Die weltvernichtende Wut des Männergottes steht nicht am Anfang der Religionsgeschichte. Sie ist eine Reaktion auf die hinduistische Göttin Kali, die im letzten und vierten Zeitalter zur mütterlichen Zerstörerin wird. Die weibliche Zerstörung der Welt reagiert auf die Verwahrlosung der Welt. In den letzten Tagen wird die Menschheit in einen Zustand geraten, „wo Reichtum Rang verleiht, Besitz die einzige Quelle der Tugend wird, Leidenschaft das einzige Band zwischen Mann und Weib, Betrug die Grundlage des Erfolges im Leben, geschlechtliche Liebe der einzige Weg zur Freude und äußere Verwirrungen mit innerlichem Glauben zusammengeworfen werden.“

Doch das wird nicht das letzte Wort sein. Nach der Zerstörung der ehrlosen Welt wird eine Zeit der finsteren Leere folgen. Dann wird aus dem Schoss der Göttin ein neues Universum geboren werden. Die Frau wird „Leben“ heißen, der Mann „der das Leben begehrt“.

Es sind die patriarchalischen Perser, die die Vorstellung des Weltgerichts irreparabel schrecklich machen. Sie leugnen die mütterliche Wiederherstellung aller Dinge. Bei den Persern tritt ein elementarer Zeitwechsel ein, der die abendländische Moderne bestimmen wird. Die persische Zeit war nicht zyklisch, sondern linear. Schöpfung und Weltgeschichte waren einmalige, unwiederholbare Ereignisse. Die Perser leugneten die nachfolgende Schöpfung einer neuen Welt.

Die nach-hebräischen Juden übernehmen die zeitliche Einmaligkeit aller Dinge. Im Urchristentum gibt es zwar eine zweite Natur – aber nur als lineare Ewigkeit. Die mütterlich-irdische Natur ist ausgelöscht, der Zyklus tot. Es gibt nur einen ewigen Stillstand, gespalten in Himmel und Hölle.

Urchristen erwarten zu Lebzeiten den Erlöser, „sodass sie keinen Sinn mehr darin sahen, zu heiraten und Kinder zu bekommen – einer der Gründe, warum Christen die Hochzeit ablehnten. Eine Mutterschaft würde den Frauen in den letzten Tagen nur Leid bringen.“ Für Paulus ist Verheiratetsein ein notwendiges Übel, dem man am besten entfliehen sollte: „Ich meine nun, dass sei gut um der bevorstehenden Not willen, dass es nämlich für einen Menschen gut ist, unverheiratet zu sein. Die Zeit ist kurz, damit fortan auch die, welche Frauen haben, so seien, als hätten sie keine.“ Seitdem müssen katholische Priester unverheiratet sein. Sie sind die perfektesten Parusie-Erwarter unter den Frommen.

Die endgültige lineare Vernichtung der Welt durch den Männergott ist eine Antwort auf die zyklische Vernichtung und Regeneration durch die mütterliche Kali. Kali vernichtete die Welt, weil Menschen alles ruiniert hatten. In der biblischen Schöpfung ruinieren die Menschen die Erde als Folge ihres Abfalls von Gott.

Im mütterlichen Kosmos hätten die Menschen es in der Hand gehabt, durch autonomes Handeln die Welt vor dem Verfall zu retten. In der väterlichen wurde Autonomie zur Sünde wider den Geist, die von Gott mit endgültiger Weltvernichtung bestraft wurde.

Dass der Papst sich den Künstlernamen Franziskus beilegte, ist kein Zufall, sondern deutet auf die Endzeit. Die ersten Franziskaner hatten erklärt, dass Christus wirklich auf Erden zurückgekehrt sei: in der Gestalt des Hl. Franziskus, des neuen Messias. Nicht ausgeschlossen, dass der Papst mit seiner Namenswahl auf die eschatologische Beschleunigung der Gegenwart hinweisen wollte.

Kinder der Gegenwart werden mit gemischten Gefühlen empfangen. Die aufgesetzte Freude soll über die Ängste hinwegtäuschen, mit denen die Eltern an die Zukunft der neuen Erdenbürger denken. Konnten wir es verantworten, in Zeiten anwachsender planetarischer Not noch ein weiteres Wesen in die Welt zu setzen, das die Probleme der Überbevölkerung verschärft?

Kurz nach dem Krieg sollten die Kinder alles besser haben. Der Spruch ist spurlos verschwunden. Alle Eltern wären froh, wenn ihre Kinder es demnächst nicht schlechter haben würden.

Kinder sind liebesfordernde, lästige Übel, deren anspruchsvoller Präsenz man sich unter allen Umständen entziehen will. Lasst mich wieder arbeiten, war die flehentliche Forderung einer Mutter, die es kaum schaffte, ihr Kind in einer Kita loszuwerden. „Entfremdete Arbeit“ im Reich der Männer wird der natürlichen Arbeit mit Kindern vorgezogen. Familie wurde – wider alle familienfeindliche Worte des Erlösers – zu einer christlichen Erfindung.

Dass intakte Urfamilien die letzten Reste matriarchalischer Sippen sind, wurde unter historischen Lügen des Christentums vergraben und verdrängt. Das erbärmliche Leben alleinerziehender Mütter ist eine der fluchwürdigsten Taten dieser Gesellschaft. Alleinerziehend sind auch jene verheirateten Mütter, deren Männer täglich in den Kapitalismus flüchten, um die „Verträglichkeit von Beruf und Familie“ fürsorglich ihren Frauen zu überlassen. Wer auf Hartz4 angewiesen ist, erhält nicht mal das Kindergeld, das Besserverdienende bekommen. In kalter Gleichgültigkeit wird es von der „Sozialknete“ abgezogen.

Unglaublich, aber wahr: noch immer gibt es nicht genug Kitas. Viele Milliarden müsste die Regierung für den Bau von neuen Kitas aufwenden. Sie denkt nicht daran, obgleich sie in Geld schwimmt. Das Geld benötigt sie, wenn zockende Banken mal wieder bankrottieren, damit sie die vorsätzliche Pleite mit Profit absolvieren. Ohne benachteiligt zu werden, sollten Eltern selbst entscheiden dürfen, ob sie ihre Kinder abschieben wollen oder nicht. Auch die Kinder sollten das Recht haben, aus der Familie in die Kita, aus der Kita in die Familie zu wechseln. Da es nicht heißt: im Schweiße ihres Angesichtes sollen sie Kinder erziehen, müssen sie im Schweiße ihres Angesichtes malochen gehen. Wer die göttliche Strafe auf sich nimmt, darf sich gehorsam und befreit fühlen. Was dagegen ist Leben mit Kindern? Ein strafwürdiges Vergnügen, das verboten werden muss.

Wer seine Kinder selbst erziehen will, gerät immer mehr in den Verdacht einer volksschädigenden Parasitenexistenz. Arbeit ist, was Männer tun, wenn sie ihr Leben einer fremdgesteuerten, lohnabhängigen Fron unterstellen. Erwerbsunabhängige Arbeit ist dolce far niente.

Wer sich als Frau in der Gesellschaft profilieren will, muss raus aus der Familie. Familie ist etwas, was man als notwendiges Übel bezeichnet, von dem man sich so schnell wie möglich lösen muss. Frauen soll es schlecht gehen, die das Heranwachsen ihrer Kinder begleiten – und also geht es ihnen schlecht:

„Chronisch übermüdete Eltern neigen mitunter zu brachialen Maßnahmen. Dass die Vereinigten Staaten bei diesem Feldzug gegen ihren Nachwuchs Vorreiter sind, sei nicht überraschend: „Die Menschen dort müssen viel arbeiten und haben nur wenig Urlaub. Kleinkinder, die nicht richtig funktionieren, stören da nur“.“ (SPIEGEL.de)

Allen Ernstes fragt der SPIEGEL-Autor: „Clever oder Missbrauch?“ Wie immer in ökonomisch unerwünschten Fragen, zählt nicht die Erfahrung, sondern wissenschaftliche Experimente – die in sozialen Existenzfragen allemal Unfug sind. Der Text nennt sogar den Grund:

„Die Wahrheit ist, dass es keine belastbaren wissenschaftlichen Daten darüber gibt, inwiefern derlei rüde Maßnahmen Kindern schaden oder nutzen. Dazu müssten Studien mit ausgewählten Kindern nach dem Zufallsprinzip organisiert werden, die sich bis ins fortgeschrittene Erwachsenenalter fortsetzen – ein Ding der Unmöglichkeit.“

Das hat man schon lange nicht mehr gelesen. Die „Wissenschaftlichkeit“ der Geisteswissenschaften ist eine adoptierte Selbsttäuschung. Quantitative Experimente kann man im Bereich der Natur durchführen, nicht im Bereich des Menschlichen. Kaiser Friedrich Barbarossa ließ, aus wissenschaftlicher Neugier, Kleinkinder in Stummheit aufwachsen, um zu erfahren, welche Ursprache die Babys von sich aus sprechen würden. Das Ergebnis: die Kinder starben. Jede humane These müsste parallel zu ihrer konträren inhumanen getestet werden: ein teuflisches Unternehmen.

Warum gelten keine uralten Erfahrungen mehr? Weil sie nicht gelten dürfen. Eine dogmatisch verkommene Zeitgeist-Skepsis darf nicht zur tiefen Überzeugung werden. Der Vergleich der Erziehungsstile, der Streit philosophischer Meinungen ist eine Einladung zur verhärteten Unentschiedenheit. Man will sich nicht festlegen, weil man nicht parteiisch sein will. Das zeigt sich besonders bei Edelschreibern:

„Man muss als Journalist sogar eine Haltung haben: Es ist unser Job, sich immer wieder eine zu erarbeiten. Genau deshalb finde ich es schwierig, sich an einer Demonstration gegen eine Partei zu beteiligen, über die man noch berichten will. Man ist dann kein Zweifelnder mehr, man wirkt zu­mindest voreingenommen. Es entsteht der problematische Eindruck, wir Journalisten … wüssten genau, was gut und böse ist.“ (TAZ.de)

Es muss schrecklich sein, täglich gegen das Böse in der Welt anzukämpfen, ohne wissen zu dürfen, was gut und böse ist. Noch immer wirkt der Fluch eines Gottes, der dem Menschen unter Widerwillen bescheinigen musste: „Der Mensch ist worden wie unsereiner, dass er weiß, was gut und böse ist.“

Deutsche Journalisten können sich gar nicht gemein machen mit der guten oder bösen Sache, denn sie wissen nicht, was Gut und Böse ist. Ferne sei von ihnen der Verdacht, sie wollten gottähnlich sein. Der Skeptizismus der Medien ist nichts als Feigheit, sich eine eigene Meinung zu bilden und für sie einzustehen.

Gut und Böse sind keine göttlichen Geheimnisse, sondern Einsichten der Menschen, zu denen sie durch Erfahrung und öffentliche Auseinandersetzung gelangen können. Mit solch einer blasierten Erkenntnisverweigerung hätten die Medien im Dritten Reich sich weigern müssen, den Widerstand gegen Hitler zu unterstützen. Sind Menschenrechte keine Wahrheiten, von deren moralischer Qualität sie überzeugt sein dürfen?

Die Welt steht am Abgrund – und die Medien weigern sich, in existentiellen Fragen Position zu beziehen. Es geht nicht um die Frage: Einstein oder Heisenberg. Es geht um die Urfrage, was Humanität bedeutet. Wer sich hier drückt, sollte keine Gelegenheiten erhalten, seine Meinung auf „privilegierte“ Weise der Öffentlichkeit mitzuteilen.

Sokrates ist das Urbeispiel für einen, der aus seiner theoretischen Unwissenheit kein Hehl machte, aber in moralischer Festigkeit zum Vorbild der Jahrhunderte wurde. In Deutschland am wenigsten.

Kinder sind nicht erwünscht: Kinder sollen ausgeschlossen werden. Aus dem Leben der Lohnabhängigen, Ausgebrannten und Ermatteten. Ihr Geschrei: der verzweifelte Ruf, sich bemerkbar zu machen, eine Rolle zu spielen im Leben der Erwachsenen, wird durch folterähnliche Maßnahmen zum Schweigen gebracht. Auch hier gilt: schrei so viel, wie du willst, bis du die Schnauze hältst – und tu, was die Großmäuligen dir auftragen.

Das Leben mit Kindern darf nicht identisch sein mit isolierter Zurückgezogenheit. Mütter haben das Recht und die Pflicht, in Gemeinsamkeit mit anderen Müttern sich ihren angemessenen Platz in der Gemeinde zu erkämpfen und ihre politische Meinung jedermann und jederfrau um die Ohren zu hauen.

Unsere Gesellschaft besteht aus Arbeit und Aufstieg, behauptete ein kinderloser Wirtschaftsminister in unerhörter demokratischer Stupidität. Das ganze Leben mit Sippe, Kind und Kegel in einer lebendigen politischen Umgebung wird exkommuniziert. Nicht nur jedes Kind, auch jeder Erwachsene braucht ein ganzes Dorf rund um eine belebte Agora, um ein zoon politicon zu sein.

In seinem Buch „Die Stadt“ beschreibt Lewis Mumford, was bereits in homerischen Zeiten einen Marktplatz des Dorfes auszeichnete:

„Auf dem Markte standen die Bürger in Scharen. Ein Streitfall wurde verhandelt. Es stritten zwei Bürger sich wegen eines Bußgeldes eines erschlagenen Mannes. Die Ältesten saßen rings auf geglätteten Steinen im heiligen Kreise und der verkündenden Herolde Stab hielt jeder in Händen. Trat dann hervor, und alle der Reihe nach sprachen ihr Urteil.“

Die Gründung der demokratischen Polis in Athen wäre ohne Agora unmöglich gewesen. Heute sind die Plätze der Stadt zu Verkehrs- und Konsumhöllen verkommen. Kaum ein Viertel mit einem klar erkennbaren Mittelpunkt, wo man sich treffen kann, um miteinander zu spielen, zu feiern und die Probleme der Welt zu besprechen.

Bildung soll die Kluft zwischen Oben und Unten ausgleichen. Gleiche Bildung für alle? Nie gab es einen dreisteren Betrug derer, die gebildet sein wollen, an denen, die sie für ungebildet halten.

„Kinder können noch nicht einmal unfallfrei auf ein Rad steigen“, jammern die Autoritäten, die den Kindern nichts Sinnvolles beibringen – aber es sofort testen müssen. Der Ranking-Zensur-Despotismus der Erwachsenen verhindert jede freie Entfaltung kindlicher Fähigkeiten. Wer Kindern die Freiheit ihrer Entwicklung vorenthält, schließt sie aus der Gesellschaft aus. (SPIEGEL.de)

Niemand hingegen wagt die Behauptung: Autohersteller können noch nicht mal lügen- und betrugsfrei Autos herstellen, die das Leben der Menschheit nicht vergiften. Niemand sagt: Politiker können nicht mal das feierlichste Wort halten, das sie in Wahlkämpfen geschworen haben. Warum sollten Kinder etwas können, was ihnen niemand beibrachte? Was sie tatsächlich können, interessiert keinen Schulmeister: neugierig zu sein, Fragen zu stellen und Widersprüchliches in der Welt der Erwachsenen wahrzunehmen. Dies wird ihnen frühzeitig aus dem Leibe geprügelt, pardon, zensiert.

Wenn Kinder benachteiligt sind und ausgeschlossen werden aus der Gesellschaft derer, die sich das Recht anmaßen, auszuschließen, wird die Schuld – den Kindern und ihren Eltern gegeben. Hätten sie doch was Vernünftiges gelernt, dann müssten sie nicht mit Mindestlohn in Gettovorstädten ihr Leben fristen:

«Der Versuch, soziale Ungleichheit allein durch Umverteilung zu senken, ist gescheitert», sagt Marcel Fratzscher. Darüber hinaus bleiben ohne gute Bildung für alle Potenziale ungenutzt, die Wirtschaft und Gesellschaft dringend brauchen, um den Fachkräftebedarf zu decken, die Digitalisierung und den demografischen Wandel zu meistern. Aus ökonomischer Sicht hilft Bildung, den Wohlstand zu mehren und zu größerer Gerechtigkeit beizutragen. Sie ist das wirksamste Mittel, um soziale Ungleichheit zu verringern. «Langfristig ist eine Bildungspolitik, die allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft gute Bildungschancen verspricht, die beste Sozialpolitik.»“ (Sueddeutsche.de)

In einer kapitalistischen Gesellschaft wird umverteilt? Das wäre ja das Neueste. Es geht gar nicht um Umverteilung, es geht um Gerechtigkeit. In einer gerechten Gesellschaft dürfte es niemals zu solchen Einkommens-Unterschieden kommen wie in der unsrigen. Durch jahrhundertalte ungerechte Verteilungstricks zwischen Oben und Unten wird den Kleinen vorenthalten, was ihnen zusteht. Eine gerechte Gesellschaft erkennt man daran, dass Kinder aller Schichten mit Kindern aller Schichten problemlos zusammentreffen, spielen und Freundschaften schließen könnten.

Dem SZ-Artikel geht es gar nicht um Bildung, sondern um Aus-Bildung im Dienst der Arbeitgeber. Nie wurde der Begriff Bildung dreister verfälscht als in der heutigen Drill-Gesellschaft. Wollen die Aufgestiegenen behaupten, sie seien gebildet? Was wissen Politiker über die griechischen Grundlagen der Demokratie? Über Autonomie und Heteronomie? Über Marx und Hayek? Über die „deutsche Bildung“? Über den Gegensatz von Erlöserreligion und Aufklärung? Was wissen Zetsche und Diess über Perikles und Solon? Was wissen die Medien über die Herkunft des postmodernen Relativismus? Über den Unterschied von Experiment und Erfahrung? Von berechtigter Skepsis und unerschütterlicher moralischer Integrität? Sie können nicht mal zwei Sätze ohne drei eklatante Widersprüche formulieren.

Was die gleichberechtigten Chancen der Kinder am meisten gefährdet, beschreibt der folgende Artikel über die Gettoisierung der Städte:

„Demnach hat in gut 80 Prozent der Städte die räumliche Ballung von Menschen, die Hartz-IV-Empfänger sind, stark zugenommen. Am stärksten war sie dort, wo viele Familien mit kleinen Kindern und bereits viele bedürftige Menschen leben. In 36 Städten gibt es inzwischen Quartiere, in denen mehr als die Hälfte aller Kinder von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II leben. Diese Entwicklung kann sich negativ auf die Lebenschancen armer Kinder auswirken. „Das Ideal einer sozial gemischten Stadt ist schon lange dem Ziel gewichen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.“ Als langfristigen Ausweg für die Kommunen empfehlen die Autoren der Studie, Neubauten in besseren Wohnlagen mit strikten Auflagen für einen Anteil von Sozialwohnungen zu versehen.“ (WELT.de)

Durchmischung der Wohnungsverhältnisse wäre ein Index für eine durchmischte Gesellschaft. Wenn jeder jeden treffen kann, könnte sich jeder mit jedem auseinander setzen. Ist Merkel gebildet genug, um solche Zusammenhänge zu verstehen?

Frauen sollen leiden: das war der leitende Gesichtspunkt des männlichen Abendlandes seit Jahrtausenden. Wer sich anheischig machte, das Dasein der Frauen und ihrer Kinder zu erleichtern, der „widersetzte sich dem göttlichen Fluch über Eva“. Wer Frauen und Kinder glücklich machen wolle, der „verhärtete sich gegen Gott“.

Alleinstehende Mütter müssen deshalb noch heute leiden und ihr Leid an ihre Kinder weitergeben, die ihr Leid an ihre Kinder weitergeben. Also müssen Kinder durch industriegelenkte Drillnormen in ihren Fähigkeiten beeinträchtigt und korrumpiert werden. Kinder sollen Algorithmen und Facebookgesetzen gehorchen, auf keinen Fall dürfen sie gebildet sein.

Bildung ist „Klarheit im Denken und Reden, Entschlossenheit und Tatkraft im Handeln.“

Eine solche Bildung würde die gegenwärtige Gesellschaft in die Luft sprengen. Nur sie könnte den Untergang der Titanic verhindern.

 

Fortsetzung folgt.