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Umwälzung LX

Hello, Freunde der Umwälzung LX,

„UND DIE israelische Öffentlichkeit? Man mag sich fragen: Gibt es die überhaupt? Einige lokale Kommentatoren fragen schon: Haben sich die israelischen Bürger in bloße Untertanen verwandelt? Offensichtlich befindet sich Israel auf dem Kriegspfad. DIE MEISTEN Leute in Israel glauben jetzt, dass Bibi der Große, Benjamin Netanjahu, tatsächlich Trump an der Leine hätte. Bibi hätte einen so magischen Griff auf Trump, dass der amerikanische Präsident Israels Führung folgen müsse.“ (Uri Avnery)

Über Nacht zerfällt die freie Welt in Philosemiten und Antisemiten – wenn man die bislang geltenden Definitionen zugrunde legt. Antisemitismus wäre demnach

a) die Überzeugung, Juden wären die Herren der Welt: „Netanjahu hat Trump an der Leine“.

b) die Überzeugung, Juden würden vor keiner Gewalt zurückschrecken, die Herrschaft der Welt zu erringen. „Offensichtlich befindet sich Israel auf dem Kriegspfad.“ Da der „Schwanz mit dem Hund wedele“, Netanjahu also Trump nach Belieben hinter sich herzöge, müsste Amerika den möglichen Krieg Israels gegen den Iran unterstützen. Mit unabsehbaren Folgen.

Uri Avnery scheint mit dem Feuer zu spielen. Will er seine LeserInnen zum Glauben verführen, die dubiosen „Protokolle der Weisen von Zion“ seien mittlerweile politische Wahrheit geworden? In dem vermutlich russischen Schriftstück werden, laut Wiki, drei Kennzeichen des jüdischen Willens zur Weltherrschaft beschrieben:

„… eine Kritik am Liberalismus, die angeblichen Pläne des „Weltjudentums“, die Weltherrschaft zu übernehmen, und das künftige jüdische Weltreich. Der Sprecher bekennt sich zu einem kruden Machiavellismus und zur Parole „Der Zweck heiligt die Mittel“, die bislang vor allem den Jesuiten unterstellt wurde. Die Demokratie sei eine schädliche Regierungsform, da Freiheit und Gleichheit mit der

menschlichen Natur nicht zu vereinbaren seien.“ (Wikipedia.org)

Die politische Weltlage scheint über Nacht die Wahrheit der Protokolle der Weisen zu bestätigen. Noch nicht als faktische Unbezweifelbarkeit, sondern erst in Form zwingender Deutung potentieller Entwicklungen.

Jene Mächte, die sich der amerikanisch-israelischen Achse widersetzen und den Atomvertrag mit dem Iran nicht verlassen wollen, wären dann das Lager der Antisemiten. Denn sie mutmaßen, halten es für sehr wahrscheinlich, geben sich heimlich überzeugt, dass Israel Amerika nach Belieben am Nasenring hinter sich herzieht und mit Hilfe der Calvinisten – die glauben, dass die Juden sich demnächst zu Christus bekehren – die Herren der Welt werden wollen. Oder bereits schon sind.

Amerika wäre dann das letzte verbliebene Land treuer Philosemiten, das, Hand in Hand mit Israel, einer Welt entlarvter Antisemiten gegenüberstünde.

Seltsamerweise werden diese Themen und Verdächte von keinem Politanalytiker angesprochen. Je realistischer die Vermutungen scheinen, je mehr werden sie tabuisiert.

BILDs Attacken gegen das Lager der Amerika-Israel-Gegner hüten sich, diese vorbelasteten Begriffe auch nur anzudeuten, obgleich sie mit aller List und Tücke die Assoziationen der Leser in diese Richtung lenken wollen. „Deutschland hat ein Haltungs-Problem“, heißt es etwa in dezenter Umschreibung. Der Name der Kanzlerin bleibt unbehelligt, obgleich Merkels Parteilichkeit mit den „Iran-Freunden“ besonders anrüchig sein müsste. Galt sie bislang nicht als bedingungsloseste unter allen loyalen Freunden Israels? Müsste sie demnach nicht besonders scharf als entlarvte Heuchlerin angegriffen werden?

Wäre der Verdacht richtig, hätte BILD sich in eine Sackgasse manövriert. Das Blatt ist abhängig von einem Publikum, das die Strategie der Vertragstreuen mehrheitlich unterstützt. Würde BILD aus seinem Herzen keine Mördergrube machen, müsste es die gesamte deutsche Regierung, die komplette deutsche Industrie und die Mehrheit der Bevölkerung als eine zur Kenntlichkeit entlarvte antisemitische Riesenhorde versenken.

Das wäre zugleich ein medialer Suizid auf offener Szene. Aus ordinären Quotengründen scheint BILDs Nibelungentreue gegen Netanjahu unerwartet ins Wanken zu geraten. Selbst dem Springer-Verlag scheint das pekuniäre Hemd näher als der gesinnungstreue Rock. Reichelts Frontsprache blieb auffällig moderat. Blome musste sich als Prophet outen und seinem Publikum hoch und heilig versichern, niemand müsse Angst haben: der befürchtete Krieg werde nicht eintreten.

Träfen die obigen Antisemitismus-Definitionen zu, wäre die westliche Welt über Nacht judenfeindlich geworden – und niemand dürfte die brandgefährliche Diagnose aussprechen. Die einen nicht, weil sie jeden Antisemitismus-Verdacht brüsk von sich wiesen, die anderen nicht, um das noch glimmende Bodenfeuer nicht in eine rasende Flammenhölle zu verwandeln. Da sich solche Stimmungen nicht über Nacht ergeben, hieße das: latent war der Westen schon lange in erheblichem Maße antisemitisch. Erst die Kriegsgefahr hat die latente in eine manifeste Gefahr verwandelt.

Kein Zufall, dass der militanteste Artikel zur internationalen Verdüsterung im Springer-Verlag erschien. Hier gibt es kein Wenn und Aber. Claus Christian Malzahn ist bewaffnet bis an die Zähne. Ein falsches Wort – und er drückt ab. Ab jetzt wird kein Pardon gegeben. Die Zeiten des besserwissenden und friedenssäuselnden Sprechens sind vorüber:

„Auf billige Ratschläge aus Europa kann der jüdische Staat gut verzichten. Wer den Frieden Israels sichern will, sollte pazifistische Appelle für sich behalten. Sie haben mit der Realität des Landes nichts zu tun. Die Bundesregierung sollte keinen Zweifel daran lassen, auf welcher Seite sie in dem heraufziehenden Konflikt steht. Stattdessen aber beklagt die Kanzlerin allgemein die wachsende Kriegsgefahr in Nahost und trauert einem Atomdeal hinterher, dessen Belastbarkeit schon bei Abschluss bei Weitem nicht nur von amerikanischen Falken und Neocons infrage gestellt worden ist. Wer den Frieden Israels sichern will, sollte deshalb naseweise pazifistische Appelle für sich behalten. Sie haben mit der Realität dieses Landes und seiner Überlebensfähigkeit nichts zu tun. Israel kann am 14. Mai vor allem deshalb seinen 70. Geburtstag feiern, weil es seinen eigenen Instinkten stets mehr vertraut hat als billigen Ratschlägen aus Europa.“ (WELT.de)

Diese Worte lassen keine Unklarheiten aufkommen. Kritik ist billiger Ratschlag, pazifistisch instinktlos und irreal. Verglichen mit dieser bellizistischen Wut, die viel untergründigen Antisemitismus verdrängen muss, ist die AfD ein Nonnenkloster. Einen solchen kriegs-fanatischen Kommentar hat es seit Dezennenien in Deutschland nicht mehr gegeben. Pazifisten, zieht euch warm an, ab morgen werdet ihr als Antisemiten angezählt.

Das Land der Opfer wird instrumentalisiert zum Land der Unfehlbaren, dem man gehorchen muss wie Lutheraner der von Gott gegebenen Obrigkeit. Die „Verantwortung“ für die Holocaustsühnung wird, anstatt tätige Reue zu üben, zur neuen Schuld. Verbunden mit dem hinterhältigen Gedanken, wenn auch die Opfer schuldig werden, wiegt die eigene Schuld nicht mehr so viel.

Das ist Selbstentschuldung durch schuldig werden lassen. Der deutsche Reflex zur schlechthinnigen Unterwerfung wird justament jenen aufgebürdet, denen man schuld-verhindernde Prophylaxe schuldig wäre. Die Last, in Nachkriegsdeutschland Demokrat zu sein, wird gemildert durch externe Vergötzung der absolutistischen Obrigkeit in Jerusalem.

Doch was ist aus Merkels bedingungsloser Loyalität geworden, die sie in der Knesseth schwor? Merkels feierliche Sätze vom Amtseid bis zur proisraelischen Loyalitätserklärung sind nichts als ein flatus vocis, „ein von der Stimme erzeugter Lufthauch“. Merkel telefoniert mit Rohani, nicht aber mit ihrem israelischen Kollegen. Sie kritisiert Trump, aber nicht Netanjahu. Sie spricht von der Gefahr des Krieges – ohne die möglichen Schuldigen zu benennen.

Antisemitismus kann in Deutschland nicht geduldet werden, so klingen die schneidigen Hilflosigkeiten derer, die Affekte per ordre de mufti verbieten wollen. Das wäre einem Psychiater vergleichbar, der die Depressionen seines Patienten durch Verbot heilen wollte.

Die Deutschen sind ein exportkräftiges Land. An Grundintelligenz aber fehlt es ihnen. Doch seit wann ist Intelligenz die Voraussetzung für ökonomische Tüchtigkeit, die so dumm ist, dass sie sich selber gefährdet?

„Welchen anderen Grund gab es, die Abmachung aufzukündigen? Ich habe von keinem anderen Grund gehört. Die Abmachung hielt den Iran davon ab, mit dem Bau von Nuklearwaffen weiterzukommen. Alle Experten ohne Ausnahme (sogar die israelischen) bestätigen, dass der Iran sich genau an die Vereinbarung gehalten hat. Tatsächlich hat die ganze Welt außerhalb der USA (und natürlich Israels) beschlossen, das Abkommen beizubehalten. Die drei nicht ganz unbedeutenden Mächte Deutschland, Frankreich und Britannien sind der Meinung, die Abmachung müsse aufrechterhalten werden. Ebenso Russland und China, die ja auch nicht gerade kleine Länder sind. Alle außer Israel.“ (Avnery)

Ist es nicht merkwürdig, dass die Absonderlichkeit niemandem auffällt: dass verbündete Länder in Wahrheitsfragen kontradiktorische Haltungen einnehmen und unfähig sind, die Differenzen zu lösen?

Die Vertragstreuen – einschließlich israelischer Experten – beteuern, Iran hätte die Vertragsbedingungen eingehalten. Ihre Gegner beteuern im Tremolo, dass „nicht nur Falken und Neocons“ den Vertrag gebrochen hätten. Versteht sich, dass in Deutschland Beweis und Gegenbeweis nicht in empirischer Akkuratesse gegenüber gestellt werden.

Ohnehin fühlt sich niemand zuständig, zeitgleiche Debatten in einer Talkshow durchzuführen. Anne Will ist nach längeren Osterferien unterwegs in ausgiebigen Pfingstferien. Internationale Politiker sollten sich an Wills kalendarische Präsenz halten. Die teuren TV-Sender haben niemanden mehr, der politische Debatten leiten kann. Politik fällt an allen Feiertagen aus, wo die Stars in der Welt unterwegs sind, um Waisenkinder dekorativ auf den Schoß zu nehmen.

Wie sollen wir deuten, dass komplette Regierungen sich nicht auf Fakten einigen können? Begönne ein Krieg, hinge er mit der Unfähigkeit der Eliten zur Wahrheit ab. Es ist nicht nur Pöbel, der unfähig ist, materielle Fakten wahrheitsgemäß zu erfassen.

Hängt es mit der modernen Leugnung einer objektiven Wahrheit überhaupt zusammen? Gibt es keine Wahrheit, kann sie auch nicht festgestellt werden. Fake-News können nicht die Erfindung Trumps sein, wenn ganze Regierungen zwischen Lügen und Wahrheiten nicht mehr unterscheiden können – oder wollen.

Nun rächt sich das postmoderne Leugnen des Wahren. Wenn alles nur relativ wahr ist, benötigen wir Kriege, um eins und eins wieder zusammenzuzählen. Wozu brauchen wir Wahrheit? Um beispielsweise Kriege zu vermeiden. Man müsste sich nur darauf einigen, ob man exakte Fakten auf den Tisch legt oder der beliebigen Phantasmagorie überlässt.

Nun rächt sich die Vernichtung der politischen Moral. Politik dürfe nicht mit „Moralin“ verseucht werden, so Wolffsohn e tutti quanti. Politik sei nichts als Interessenpolitik. Wer freilich nur moralfreie Interessen kennt, kennt nur die List, falsche Interessen vorzuheucheln und richtige zu verbergen.

Edelschreiber, die Moral verteufeln, verteufeln die Gegner Amerikas und Israels als amoralische Lumpen. Wir haben den Zenit der Doppelmoral erklommen. Ist Philosemitismus keine Moral, Antisemitismus nicht das Gegenteil von Moral? Wer nur moralfreie Interessen vertritt, ist ein Machiavellist.

„Machiavelli könnte als Urvater aller Fake-News gelten, denn er erlaubt Betrug in der Politik nicht nur, er gebietet ihn geradezu.“ (ZEIT.de)

Und dennoch wird Machiavellis Lügen in der ZEIT verteidigt. Lügen ist erlaubt, wenn es höheren Zwecken dient.

„Doch diese Täuschung ist bei ihm nicht Selbstzweck, sie bleibt an höhere Ziele gebunden. Und dieser höchste Zweck ist die militärische Expansion und damit heute zu Recht verpönt. Ein politischer Theoretiker des 16. Jahrhunderts taugt eben nur bedingt als Beispiel für die Gegenwart; er denkt und schreibt in einer anderen Zeit mit deren anderen Werten und Mentalitäten.“

Wenn militärische Expansion verboten wäre, wäre auch Israels gesamte Besatzungspolitik verpönt. Dann könnte es keine einzige deutsche Gazette geben, die Israels militärische Landnahme absegnen dürfte. Die ultraorthodoxe Gier, das ehemalige biblische Reich in seiner vollständigen Größe zu erobern, dürfte keine Legitimation sein für Netanjahus eiserne Bereitschaft zum Unfrieden.

Lügen ist nie Selbstzweck. Es will sich den einen Vorteil zu Lasten eines anderen erschleichen. Weshalb andere Zeiten immer andere Moralauffassungen haben sollen – obgleich abendländische Werte angeblich urchristliche-jüdische sind – ist nur Historikern verständlich, die sich weigern, aus der Geschichte für die Gegenwart zu lernen. Sie sprechen von Historismus. Hätten sie Recht, müsste man das Studium der Geschichte aus dem Kanon wissenschaftlicher Fakultäten ausschließen. Historische Bildung wäre l’art pour l’art oder nutzloses Wissen für Jauchs Quizfragen.

Nicht nur Malzahn erwähnt die amerikanischen Neokonservativen. Auch sein Kollege Wergin verweist auf sie als Befürworter einer militaristischen Weltpolitik. Sei es zum demokratischen Regimewechsel, sei es zur Ausweitung der eigenen weltpolitischen Geltung:

„Die Worte des Präsidenten sind von den Neokonservativen wie Reuel Marc Gerecht von der Foundationfor Defense of Democracies (FDD) aufmerksam registriert worden. Die Idee der Befürworter dieser politischen Strömung, positiven Wandel in Nahost durch den Sturz autokratischer Regime herbeizuführen, war durch das Desaster des Irakkriegs in Misskredit geraten. Nun jedoch wittern sie Morgenluft. Noch ist es nur eine kleine Gruppe von Außenpolitikexperten, die tatsächlich eine aktive Politik zum Sturz des Mullah-Regimes empfehlen. Aber sie haben nun gewichtige Mitstreiter in der Regierung mit Mike Pompeo, dem neuen Außenminister, und dem neuen Nationalen Sicherheitsberater John Bolton.“ (WELT.de)

Was wollen die Neokonservativen in Amerika? Sie betonen die Wichtigkeit der Religion:

Religion „sei in jeder Zivilisation richtigerweise „durch moralische und religiöse Tradition definiert, und es ist ein Eingeständnis moralischen Bankrotts zu behaupten, dass das, was das Gesetz nicht ausdrücklich verbietet, deshalb schon moralisch erlaubt ist“, schreibt Kristol in den 1980er Jahren. „Die Menschen brauchen Religion. Sie ist ein Bindemittel moralischer Tradition.“

Gewalt ist erlaubt und geboten, um imperiale Ziele zu erreichen:

„Die amerikanische Weltordnung ist zu wohlwollend, besonders im Vergleich zu Alternativen wie der islamischen Theokratie oder dem chinesischen Kommunismus. Der amerikanische Imperialismus kann neue Hoffnungen auf Freiheit, Sicherheit und Wohlstand mit sich bringen.“

Sie weigern sich, ihre politischen Ziele festzulegen. Sie wollen alles offen halten:

„Was wir genau erschaffen, wissen wir nicht.“

Trumps Unberechenbarkeit ist nicht seine Erfindung. Wer Macht hat, soll nicht ausrechenbar sein, er würde ja seine Macht beschränken. Wie Gott durch Unberechenbarkeit allmächtig ist, so seine Jünger auf Erden.

Wer ist der große Vordenker der Neocons?

„Als wichtiger Theoretiker für die Neokonservativen gilt der Philosoph Leo Strauss. Vielfach wird Strauss’ Einfluss dafür verantwortlich gemacht, dass der Neokonservatismus sehr ausgeprägte Züge des Machiavellismus aufweist. Insbesondere geht auf Strauss die Idee des „Mythos“ zurück (insbes. Religion und Nation). Dieses Konzept ist eng verbunden mit Strauss’ Ansatz, dass das Volk von der Elite belogen werden müsse. Dies ergibt sich aus Strauss’ tiefem Misstrauen gegen bzw. seinem Entsetzen über die liberale Gesellschaft. Der politische Mythos sei zwar nicht wahr, aber eine „notwendige Illusion“. Notwendig sei dies, weil die individuelle Freiheit die (einfachen) Menschen dazu verleite, „alles“ in Frage zu stellen, was dann die Gesellschaft insgesamt zerstören würde. Die Elite müsse diese Lügen öffentlich vertreten und leben, privat müssten sie diese natürlich nicht glauben.“ (Alle Zitate aus Wiki)

Leo Strauss war Schüler Carl Schmitts, eines Rechtsgelehrten aus dem Dunstkreis der Nationalsozialisten, dessen Devise lautete: Recht ist ein Instrument der Macht. Platons heilige Lüge im Dienst der faschistischen Politeia wurde von Machiavelli als Methode des Fürsten übernommen. In dieser Tradition stehen Strauss und seine neokonservativen Schüler, die nicht nur Dabbelju Bush, sondern auch Trump beeinflussten. Für Strauss war Freiheit des Volks ein Dekadenz-Phänomen. Kein Volk sei in der Lage, sich selbst zu regieren, es müsse von erwählten Eliten regiert werden – ohne dass sie es bemerken. Sie sollen das trügerische Gefühl der Autonomie haben, in Wirklichkeit aber unbemerkt gelenkt werden.

Nach seinen provokativen Anfangsfragen lässt Avnery offen, wen er für Pudel und Schwanz hält. Eins aber lässt er nicht offen: dass er scharfe Kritik an der israelischen Gesellschaft übt.

„Weder in der Knesset noch in der Regenbogenpresse noch im Fernsehen gibt es eine wahre Opposition gegen Bibi. Die große Mehrheit der Menschen in Israel – und überall sonst – stehen stramm, wenn das Wort „Sicherheit“ fällt. OK, Bibi mag ja ein bisschen korrupt sein, er mag ja hier und dort ein paar Bestechungen annehmen, aber er ist nun einmal unser Oberbefehlshaber! Er schickt unsere Jungs in die Schlacht! Drum Heil dem Befehlshaber!“

Verbale Nähe zum Heil des Führers wäre in Deutschland ein antisemitisches Sakrileg. Man kann Avnery nach gewohnter Schablone zum jüdischen Selbsthasser erklären. Man könnte sich aber mal die Frage stellen, was diesen aufrechten Mitbegründer Israels bewogen haben muss, seine Enttäuschung mit solch aufrüttelnden Assoziationen in die Welt zu rufen.

Michael Wolffsohn liebt die Formel: Ich als Jude Das klingt, als ob Judesein nicht individuell, sondern kollektiv wäre und der Historiker für alle Juden sprechen könne. Für deutsche Schein-Philosemiten gibt es nur den einen wahren Juden. Das ist Netanjahu mit seiner immer religiöser und neokonservativer werdenden Militanz. Wer sich dieser Politik verweigere, könne kein echter Jude, ja, er müsse ein Antisemit sein.

Das ist eine machiavellistische Lüge, die – ob bewusst oder nicht – den hämischen Versuch unternimmt, alle Juden als Plagiate Netanjahus zu verunglimpfen. Die Deutschen sollen den Eindruck erhalten, Israel sei zu einem fundamentalistischen Kollektiv verkommen. Dieser manipulative Eindruck ist vermutlich eine der Ursachen für den wachsenden Antisemitismus in Deutschland. Je antisemitischer die deutschen Massen, inklusive der hinzukommenden Muslime, umso heller leuchtet der moralische Stern des Springer‘schen Philosemitismus, des Gipfels deutscher Moral – die auf keinen Fall eine Moral sein darf.

Auf diesem Weg wird Deutschland immer schizophrener. Regierung und Parteien unternehmen alles, um den pathologischen Eindruck ständig zu verschärfen.

Um ihre schein-philosemitische Haltung zu begründen, wählt BILD inzwischen die Methode, exemplarische jüdische Menschen vorzustellen. Auf keinen Fall zufällig ausgesuchte oder gar israelkritische Juden. Es sind Siedler aus den besetzten Gebieten, die über die Maßen idealisiert werden. Um solchen Vorbildern eine neue Heimat zu bieten: dafür habe sich die gewalttätige Expansionspolitik doch nun wahrlich gelohnt – oder nicht?

«Wir wollten, dass unsere Kinder in einer starken Gemeinschaft aufwachsen. An einem Ort, wo die Menschen aufeinander achten.» Natürlich kennt Yehuda die Debatte um die Siedlungen, ein Problem ist das für ihn nicht. «Italiener, Franzosen und Deutsche leben dort, wo ihre Großeltern gelebt haben – wir nicht», meint er. Und erklärt: «Unsere Vorväter haben hier gelebt – und nach vielen Generationen sind wir zurück. Das Comeback ist immer etwas besonderes, deswegen spricht die ganze Welt darüber.»“ (BILD.de)

Es geht nicht um die Großeltern der Siedler, sondern um mythische Vorfahren, über die ein heiliges Buch erzählt. Mythen sind keine historisch nachweisbaren Akte. Das Bewundern illegaler Landnahme aus religiösen Gründen ist ein faschistischer Akt. Denn alles Nichtdemokratische ist faschistisch.

Gleichzeitig verflucht BILD Putins Landnahme auf der Krim ohne Wenn und Aber. Mit denselben Worten wie die der jüdischen Siedler verteidigen die Russen die Rückeroberung der Halbinsel:

„Unsere Vorväter haben hier gelebt – und nach vielen Generationen sind wir zurück. Das Comeback ist immer etwas besonderes, deswegen spricht die ganze Welt darüber.“

Wie will Deutschland seiner wachsenden Bigotterie entkommen?

 

Fortsetzung folgt.