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Umwälzung XXXVI

Hello, Freunde der Umwälzung XXXVI,

Apokalyptiker, freuet euch. Die Welt wird untergehen. Am 25. September 2135. Prophetische Untersuchungen haben ergeben: mit einer Trefferquote von 1 zu 2700 wird Asteroid Bennu mit der Gewalt von 80 000 Hiroshimabomben auf der Erde einschlagen.

Gottlob, die NASA wird uns vor dem Ungeheuer retten. Eine neue Generation atomarer Monsterwaffen wird von wissenschaftlichen Mietlingen unter hohem Zeitdruck entwickelt. Die Waffen könnten auch dafür eingesetzt werden, die Welt ultimativ unter amerikanische Herrschaft zu bringen. Das Wettrüsten muss beschleunigt werden. Es darf nicht länger vor sich hin dümpeln. Der Weltuntergang muss doch zu etwas nützlich sein. (BILD.de)

Philanthropen, freuet euch: das zunehmende Einsamkeitsproblem der Massen kann gelöst werden. Theresa May, mitfühlende Konservative, hat ein Ministerium einrichten lassen, das keine Einsamkeit mehr dulden wird. Wer im Status der Einsamkeit angetroffen wird, muss mit empfindlichen Strafen rechnen.

Führend in der Bekämpfung des Alleinseins allerdings sind die Japaner. Alte japanische Menschen begehen Diebstähle, Betrügereien, damit sie ins soziale Idyll eines Gefängnisses einwandern können:

«Hier muss ich zwar auf meine Freiheit verzichten. Dafür muss ich mich um nichts weiter sorgen», erklärt sie dem Reporter. «Drei Mahlzeiten am Tag und viele Menschen, mit denen ich sprechen kann.» (SPIEGEL.de)

Macht Gefängnisse zu Altersheimen, den Staat zu einem Helikopter-Väterchen. Das lieblose Auszahlen von Almosen an Monaden muss beendet werden. Wer unfähig ist, tragfähige Beziehungen herzustellen, muss zu täglichen Gesprächen mit Anderen verurteilt werden. Redende Roboter in allen Variationen stehen bereit, um mit

 defekten Menschen zu kommunizieren.

Maschinen lassen uns nicht im Stich. Doch die Zeit drängt. Unter Sprechautomaten tobt bereits der Streit, ob es eine Pflicht gibt zu moralischem Tun. Maschinen sollten gewarnt sein vom abschreckenden Vorbild der Gutmenschen – wenn sie selbst keine Gut-Maschinen werden wollen. Regressive Empathie ist die Falle derer, die keinen Fortschritt wollen.

Noch ist die intermaschinelle Debatte zu keinem einvernehmlichen Ergebnis gekommen. Besonders umstritten ist die Frage: müssen künstliche Intelligenzen alle Irrtümer der Menschen wiederholen – bevor sie die zum Untergang verurteilte Gattung überflügeln dürfen?

Wie ist überhaupt die Beziehung zwischen Intelligenz und Moral, Wissenschaft und Tugend?

Sind objektive Forscher und unerschrockene Denker zu korrekter Spießigkeit verpflichtet? Edelschreiber, die Kühnsten unter den Faktensuchern, könnten ein Vorbild sein: sie lassen sich weder vom Schlechten noch vom Guten ins Bockshorn jagen. Wo sind sie, die Kalten und Kühnen, die Unbestechbaren?

Hier ist einer und heißt Vince Ebert. Moralisches Argumentieren ist für ihn das Auspacken einer quasireligiösen Moralkeule, die jede Wissenschaft ausschließen würde:

„Natürlich sollten fachliche Fehler oder wissenschaftliche Ungenauigkeiten aufgedeckt und kritisiert werden. Und selbstverständlich sollte man auch mit Leuten, die pseudowissenschaftliche „Fake News“ in die Öffentlichkeit tragen, hart ins Gericht gehen. Das Problem an moralischen Argumenten ist jedoch die Abkehr von einem sachlichen, wissenschaftlichen Diskurs.“ (Spektrum.de)

„Die Methode der Wissenschaft ist deswegen so erfolgreich, weil sie gerade nicht an moralische Autoritäten gebunden ist und weil sie unideologisch an Fragen herangeht, deren Antworten uns vielleicht verstören oder sogar ärgern könnten. Wer dagegen eine wie auch immer geartete Moral vor den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess stellt, verhindert in letzter Konsequenz Erkenntnis. Denn er belegt die Erforschung von unliebsamen Hypothesen mit einem Tabu. Wer sich in der Wissenschaft auf die Moral beruft, um unliebsame Fragen zu verhindern, handelt unseriös. Denn eine unangenehme Erkenntnis ist immer besser als ein angenehmer Irrtum. Sie aus ideologischen Gründen totzuschweigen, nutzt keinem. Wer also Wissenschaft in „gewollte“ und „ungewollte“, in „ethische“ und „unethische“ unterteilt, handelt im Kern wissenschaftsfeindlich und antiaufklärerisch. Wissenschaftler sollten herausfinden, was wirklich hinter den Dingen steckt. Das Moralisieren können sie getrost anderen überlassen.“

Vince Ebert stellt sich als Kabarettist vor. Wir wissen nicht, ob er mit seinem Artikel das Publikum durch den Kakao ziehen wollte. Denn seine Behauptungen über Moral haben nichts mit Moral und die über Wissenschaft nichts mit Wissenschaft zu tun – jedenfalls nicht mit der griechischen Urversion. Im Ursprung war es Moral, die überhaupt zur Wissenschaft führte. Wissen wollen, was wahr ist, ist eine moralische Frage.

Wissenwollen kam aus dem Staunen und wollte die Geheimnisse der Natur enträtseln. „Dies Wissen richtet sich für Aristoteles „auf das Gute in jedem Gebiet, auf das Beste in der gesamten Natur“ und ist daher keineswegs wertfrei, obgleich es, auf der höchsten Stufe ein Wissen „um seiner selbst willen bleibt, das unabhängig von jedem Nutzen entsteht. Solches Wissen erwächst nur den Freien und ist selbst dadurch frei, dass sie an keinen Zweck und an keine Notdurft gebunden ist. Die Forschung verliert ihre Freiheit, wenn sie dem Nutzen, der Anwendung dient, wie ein Handwerker, der dem Baumeister dienstbar ist. Die reine Erkenntnis, das Wissen um seiner selbst willen, zielt auf die Wahrheit, das wahre Wesen des Seienden und auf die Wirklichkeit, die nur von dem erkannt werden kann, der keinen Bedürfnissen hörig ist, die immer nur zu Täuschungen führen. Die freie Forschung erwächst daher aus der Muße, nicht aus der Notdurft des Daseins, sie bleibt über allen Erfindungen, die aus der Notdurft entstehen und blüht erst dann auf, wenn sie diese hinter sich lässt. Solche Verortung des Forschens, die dessen moderne Sinngebung auf den Kopf stellt, setzt eine Grundanschauung voraus, die das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt im Gleichgewicht sieht und darum keinen Fortschritt erhofft. Die urgriechische Wissenschaft, der Ursprung aller Wissenschaft, schließt jedes Macht- und Veränderungsdenken aus, auf dem die moderne Kräftephysik beruht. Der Endzweck aber, um dessentwillen ein Ding geschaffen oder geworden ist, liegt im Bereich des Schönen.“

Griechische Wissenschaft ist das Gegenteil der modernen. Sie lehnt jedes Wissenwollen um der Macht willen ab und bewundert das Ganze in seiner Harmonie. „Die Begierde und Jagd nach dem Ganzen“, sagt Aristoteles, „hat den Namen des Eros. Eros ist der Wert und das Gute, der Ordnung schafft, sein Ursinn ist das Zusammenfügen der immer gefährdeten Einheit von Seele und All, von menschlicher und göttlicher Ordnung (Gott = die Vernunft der Natur), sein Ziel die Verwirklichung des höchsten Wertes.“ (Friedrich Wagner)

In seltenen Momenten blitzt das Schöne auch in der modernen Naturwissenschaft auf, wenn etwa Heisenberg – ein Kenner der griechischen Philosophie – eine Gleichung unter dem Aspekt des Schönen auflöste. Ansonsten ist das Schöne als kontemplative Bewunderung der Natur aus der Wissenschaft verbannt. Nicht das Schöne als Harmonie eines in sich Ruhenden wird gesucht, sondern die Macht.

Francis Bacon, Begründer der modernen Naturwissenschaft, verwirft das aristotelische Denken in Bausch und Bogen. Wissenschaftliches Forschen hat er auf die beiden Formeln gebracht: a) dissecare naturam, das Zerstückeln der Natur, und b) „wisdom is power, Wissen ist Macht. „Sein Programm, die Welt durch neue Entdeckungen und Erfindungen zu bereichern zur Mehrung der Macht des Menschen und zur Erleichterung seines Lebens, ist bis heute das Leitbild der Wissenschaftswelt.“ (Wagner)

Die moderne Wissenschaft entstammt griechischen Ursprüngen – und hat deren Ziel ins Gegenteil verkehrt. Wie konnte das passieren? Es passierte dadurch, dass die Scholastiker die methodischen Grundlagen der Griechen – die über muslimische Araber per Spanien nach Europa gedrungen waren – übernommen hatten. Aber nicht um der Erkenntnis, sondern um der Machtausübung willen.

Die philosophischen Prinzipien des Aristoteles waren für Thomas von Aquin inakzeptabel, aber sein logisches Handwerkszeug war durchaus nützlich, um im Streit der Meinungen Überlegenheit zu demonstrieren. Geprägt sein von etwas, bedeutet noch lange nicht, die Prägung für gut zu halten.

Das Abendland ist von zwei Urelementen geprägt, die sich ineinander verbissen, weil sie in nichts zusammenpassten: dem Griechentum und dem Christentum. Dass Seehofers Lügengestammel von keinem prominenten Althistoriker, Intellektuellen, Edelschreiber, Politiker, attackiert wurde, bleibt ein Schandfleck für ganz Deutschland.

Für Bacon ist Wissenschaft die Konkretisierung des biblischen Wortes: Macht euch die Erde untertan. Die griechischen Denkwerkzeuge werden benutzt, um das Gegenteil dessen zu erreichen, was die Griechen für richtig hielten: die veränderungslose staunende Bewunderung dessen, was ist: das Schöne.

Kosmonauten bewundern gelegentlich den schönen blauen Planeten, wenn sie des Nachts um ihn herum kreisen. Doch diese Bewunderung ist nichts als eitle Selbstbewunderung derer, denen es gelungen ist, die Erde zu domestizieren. Schaut die schöne Erde, die wir in unsere Gewalt gebracht haben.

Das Endziel aller Wissenschaft ist für Bacon die Rückkehr in die „Machtstellung des Menschen vor dem Sündenfall.“ Womit er sich den Titel des gottgleichen Wesens erwirbt. Gottebenbildlichkeit ist nicht, wie Theologen lügen, die Grundlage der demokratischen Menschenwürde, sondern die Erhebung des Menschen zu Gott, der die Natur beliebig unterdrücken und zerstören kann. Denn als Gott ist er fähig, aus dem Nichts jederzeit eine neue Natur hervorzuzaubern.

Moral scheint für Ebert ein Wunschkonzert zu sein, ein realitäts-verleugnendes Lustprinzip. Doch Moral ist das Gegenteil: die härteste Konfrontation mit der Realität, wie sie ist und wie sie sein sollte. Sie ist beileibe nicht nur saure Pflicht, doch sie weiß, kategorisch zu kämpfen. Das Glück der Moral besteht in der Veränderung der Welt zum Wohl des Menschen.

All dies verleugnet Ebert, wenn er sich jede Moral verbittet, die irgendwelchen Naturerkenntnissen im Wege stehen könnte. Hätten Planck und Einstein gewusst, dass ihre Entdeckungen zur Atombombe führen würden, die der Menschheit einen kollektiven Suizid ermöglichen – hätten sie auf ihre Erkenntnisse prophylaktisch verzichtet? Niemals. Das hätte ja Moral zur Hüterin der Erkenntnis erhoben.

Wissenschaft muss moralfrei sein. Das ist die Stimme der Naturwissenschaft quer durch die Geschichte des Abendlandes. Wenn brandgefährliche Entdeckungen auf dem Tisch liegen, darf erst a posteriori gejammert, geklagt und bedauert werden. Moralisches Bewerten darf erst hinterher erfolgen, wenn die Katze aus dem Sack ist.

Die Wissenschaftler genießen ihre Macht, die Menschheit in „ein Dilemma zu stürzen“, das „Tragische der Erkenntnis“ zu enthüllen, die „unvermeidlichen Kosten der Wahrheit“ den Menschen eingebrannt zu haben. Wenn sie Schicksal spielen, sind sie von sich selbst ergriffen und fühlen sich als Verkörperung der Schicksalsmächte:

“«Manche lachten, andere weinten, die meisten blieben stumm», erinnerte sich Projekt-Chef Robert Oppenheimer an den Moment, als es taghell wurde und ein riesiger Atompilz aufstieg. Einer seiner Kollegen platzte heraus: «Jetzt sind wir alle Hurensöhne». Oppenheimer formulierte es poetisch-düsterer mit einem Zitat aus der indischen Mythologie: «Jetzt bin ich der Tod geworden, Zerstörer der Welten.»“

Auch eine unmoralische Entscheidung fällt in die Kategorie Moral. Wähle ich das Unmoralische, habe ich eine falsche moralische Wahl getroffen. Der Mensch handelt immer in moralischen Kategorien, gleichgültig, ob er sich moralisch oder unmoralisch verhalten wollte. Insofern ist es Unsinn, Moral aus seinem Tun und Lassen auszuschließen.

Wer sich gegen Hitler nicht zur Wehr setzte, entschied sich für die moralische Option des – Unmoralischen. Wer Wissenschaft außerhalb aller Wissenschaft betreiben will, hat sich für eine amoralische Wissenschaft entschieden.

Die heutige Wissenschaft will nicht wissen um des Wissens willen, sondern um ihre Macht zu erweitern. Die subjektive Motivation eines Wissenschaftlers mag dabei noch so ehrenhaft klingen: er sollte dennoch wissen, dass die Ergebnisse seiner Forschung nicht in einem privaten Verfügungsbereich bleiben, sondern in die Hände jener geraten, die mit ihnen alles machen werden, was ihrer Machterweiterung dient.

Zumeist berufen sie sich auf das Messer-Beispiel. Das Messer sei nicht schuld daran, dass es benutzt werde, um jemanden aufzuschlitzen. Dieselbe Argumentation in der amerikanischen Waffenlobby. Die Waffe sei unschuldig, schuldig ist allein der, der sie benutzt, um jemanden zu töten. Es wäre in der Logik dieser Argumente, wenn man sich entschlösse, alle vorhandenen Atomwaffen der Welt auf öffentlichen Plätzen zu errichten. Mit Hinweis auf jene roten Punkte, die man drücken müsse, um Moskau, Berlin oder Nordkorea in Schutt und Asche zu legen. Schuld wären nicht die Waffen, sondern der Mensch, der sie aktivierte.

Die Argumentation ist nicht völlig falsch. Tote Dinge können nie schuldig werden. Letztlich bleibt der Mensch das Subjekt aller Handlungen, die sich toter Dinge bedienen. Kennt man aber die Verführbarkeit des Menschen zu fürchterlichen Taten, sollte man ihn beschützen, indem man nicht jedem Rabauken die schärfsten Messer zur Verfügung stellt, nicht jedem Trump einen atomaren Koffer aushändigt, auf dass er Verderben über die Menschheit bringe. Wenn die schreckliche Tat geschehen ist, ist es ohnehin gleichgültig, wer der unmittelbare Knopfdrücker war. Wenn er selbst nicht zu den Getöteten gehört – was sollte er dazu beitragen, die ungeheuren Folgen seiner Tat wiedergutzumachen?

Überdies widerlegt Ebert sich selbst, wenn er moralische Bedenken, „unliebsame Erkenntnisse“ zu verhindern, ausschließen will.

„Wer sich in der Wissenschaft auf die Moral beruft, um unliebsame Fragen zu verhindern, handelt unseriös. Denn eine unangenehme Erkenntnis ist immer besser als ein angenehmer Irrtum.“

Besser heißt: moralisch besser. Wahrheit ist für Ebert moralisch immer besser als das Fehlen der Wahrheit. Er argumentiert moralisch – gegen sich selbst. Auch was Wissenschaft betrifft, irrt er gewaltig. Ich muss nicht wissen, was „hinter den Dingen steckt“, wenn ich ahne, dass verstecktes Wissen dazu beitragen könnte, die Macht der Menschen zu vergrößern.

Anders ist es in der Justiz, wenn ein Angeklagter seine Unschuld nur durch rücksichtsloses Aufdecken der Wahrheit beweisen kann. Wer sich hier gegen gründliche Ermittlungen stellte, der wäre aufklärungs- und rechtsfeindlich.

Anders im Fall der Erfinder schrecklicher Waffen. Könnten wir heute die Zeit zurückdrehen, um atomare Erfindungen ungeschehen zu machen, sollten wir uns dagegen entscheiden, den Menschen solche Selbstzerstörungspotentiale in die Hand zu geben. Nicht alles, was man wissen kann, muss man wissen, um ein Freund der Aufklärung zu sein. Aufklärung ist die Fähigkeit des Menschen, selbständig zu entscheiden, was er wissen will und was er tun muss, um sich und der Menschheit ein gutes Leben zu ermöglichen.

War Sokrates ein Feind der Aufklärung, als er nach frühen naturphilosophischen Studien – entschied, die Natur könne ihm nichts mehr sagen? Ab jetzt wollte er nur noch sich selber erforschen und im Dialog mit anderen jene Wahrheit suchen, die allen ein gutes Leben ermöglicht.

Streng genommen ist das keine Abkehr von der Natur. Denn auch das Denken der Menschen ist eine Gabe der Natur, die er aber selber entfalten muss. Sokrates entschied, sich von der äußeren Natur abzuwenden, um sich seiner inneren zu widmen. Denken ist die Vernunft der inneren Natur.

Welche Erkenntnisse vermitteln heutige Naturwissenschaften dem Menschen, um seine Probleme zu lösen? Nehmen wir den gerade verstorbenen genialen Physiker Stephen Hawking. Was waren seine wichtigsten Erkenntnisse? Was wissen wir beispielsweise mehr über unsere politischen Probleme, wenn wir es für möglich halten,

„den Anfang des Universums auf den Nordpol einer Erdkugel zu legen und so die Singularität zu vermeiden. Die Zeit hat bei diesem Vergleich ihren Anfang am Nordpol, aber sonst ist dieser Punkt nicht anders als jeder andere Punkt auf der Erdoberfläche die Naturgesetze sind dort wie überall gültig. So wie eine Kugelfläche keinen Rand hat, ist demnach auch das Universum in sich geschlossen. Es begann nach dieser „Kein-Rand-Hypothese“ spontan aus dem Nichts. «Die Frage, was vor dem Urknall war, ist genauso wie jene, was eine Meile nördlich des Nordpols liegt.»“ (SPIEGEL.de)

Wer kein Physiker ist, kann solche Sätze nicht verstehen. Er versteht aber, dass sie zur Lösung der Menschheitsprobleme nichts beitragen. Schon zu Sokrates‘ Zeiten waren Naturerkenntnisse so weit vom Leben des Menschen entfernt, dass sie zu seiner Selbstfindung nichts mehr beitragen konnten. Ganz zu schweigen von der heutigen Naturwissenschaft. Wissenschaftler wissen nicht einmal, was sie von ihren eigenen Erkenntnissen halten sollen. Doch dies sei ja gerade das Erregende und Grenzenlose des Erkennens? Eines Erkennens um des Erkennens willen? Auf keinen Fall. Hawking erklärt selbst:

«Wenn man versteht, wie das Universum funktioniert, kontrolliert man es auf gewisse Art und Weise», schrieb er in einem seiner Bücher.“ (Spektrum.de)

Hawking verbleibt im Sog des Bacon‘schen Denkens: Wissen ist Macht. Sein Erkenntnisstreben ist Machtstreben. Für den französischen Philosophen Ernest Renan will die naturwissenschaftliche Forscherelite eine unermessliche Macht sein, um die Menschheit botmäßig zu machen. Die Forscher werden zu einem „wahrhaft unfehlbaren Papsttum, die, statt kraftloser Bannflüche die reale Hölle wissenschaftlicher Waffen entfessele. Solche Terror-Allmacht mache diese Elite zu Göttern.“ (nach Wagner)

Ob Hawkings experimentell unüberprüfbare Hypothesen das interne Gespräch der Forscher anregen, mögen sie selber entscheiden. Dass ihre Spekulationen der Menschheit dienlich sind beim Lösen ihrer praktischen Probleme, das versuchen sie erst gar nicht zu behaupten. Devote Wissenschaftsjournalisten überdecken die Irrelevanz dieser Skurrilitäten mit Sensations-Geschrei. Sensationen, die sich nicht zu erkennen geben, sind vom Hokuspokus gewisser Marktschreier nicht mehr zu unterscheiden. Selbst wenn sie abseitige, doch immerhin Erkenntnisse transportieren würden, müsste man konstatieren: mit dem Menschen in seinem Überlebenskampf hat das nichts mehr zu tun.

Erkennen war für den Griechen die Methode, sich der unbekannten Wahrheit zu nähern. Aber keiner Wahrheit, die mit dem Menschen nichts mehr zu tun hat. Wahrheit suchen war notwendig, um das Glück der Wahrheit zu erfahren. Glück war die Folge jener Moral, die allen Menschen gestattet, das Leben zu ihrer Zufriedenheit zu leben.

Glück war nicht auf das Individuum beschränkt. Kein Mensch kann glücklich werden, wenn er seine Mitmenschen im Unglück sieht. Glück ist eine kollektive, politische Angelegenheit. Glücklich leben kann man nur in freier Gemeinschaft – die seit der athenischen Polis Demokratie genannt wird.

Überprüfen wir einmal die politischen Fähigkeiten des genialen Physikers. Hawking warnte die Menschheit vor einer selbstzerstörenden Katastrophe. Was riet er, um diese Katastrophe zu vermeiden?

„Bis es zu der Katastrophe komme, müsse die Menschheit vorgesorgt haben und den Lebensraum bis ins Weltall ausgeweitet haben, um sich zu retten. Da es jedoch mehr als hundert Jahre dauern könnte, bis sich selbst versorgende Kolonien im All errichtet sind, müsse die Menschheit bis dahin sehr vorsichtig agieren, lautete seine Einschätzung.“ (WELT.de)

Er hatte keinen Rat. Die Katastrophe war unvermeidbar. Der Menschheit blieb nur die Flucht ins Weltall. Da eine solche nur für eine winzige Minderheit – wenn überhaupt – möglich ist, überlässt der Physiker die Menschheit dem unvermeidbaren Untergang. Welche Erkenntnisse zog er aus seinen genialen Erkenntnissen? Keine. Er warnte sogar vor dem Fortschritt:

«Die meisten Bedrohungen entstehen durch die Fortschritte, die wir in den Bereichen Wissenschaft und Technologien machen», sagte er. Konkret nannte er die Entwicklung von autonom tötenden Robotern.“

Er glaubte an Aliens. Doch er warnte vor ihnen. Sie seien mächtiger als Menschen, weshalb es unklug wäre, ihnen zu freundlich zu begegnen. Das irdische Feindbild projiziert er haltlos ins Universum, um – kaum anders als Trump – den zukünftigen Krieg gegen jene Feinde vorzubereiten. Wahrhaft, für solche pubertierenden Hassprojektionen braucht man kein wissenschaftliches Genie.

Was sind für ihn die wichtigsten Probleme der Menschheit? Waldsterben und globale Erwärmung. Antworten auf diese Fragen aber müssten von wissenschaftlichen Experten kommen. Nicht vom Meinungsstreit vitaler Demokraten. Was den Einfluss der Experten betrifft, sah er schwarz:

«Wir beobachten eine globale Revolte gegen Experten», sagte Hawking in einer Rede im März 2017. Dies sei eine Folge des Rechtsrucks in der Welt – den Hawking am Brexit und Trump ausmachte.“

Welch ein Stuss. Experten nicht länger blind zu folgen, wäre das Zeichen eines zunehmenden autonomen Denkens, das sich nicht mehr gefallen lässt, von Fachidioten ins Verderben geführt zu werden. Das wäre das Gegenteil eines Rechtsrucks. Trump wurde nicht gewählt, weil er kein Experte war. Sondern weil er ein religiöser Überexperte war, der alle demokratischen Selbstdenker dem Gespött auslieferte.

Wissenschaft hat keine Moral, hohe politische Dinge sollen keine haben, Wirtschaft hat ohnehin keine, schöne Künste schon gar nicht, die Erlöserreligionen sind erhaben über Gut und Böse. Bei ihnen zählt nur die Gesinnung des Glaubens.

Plötzlich und unerwartet erhält Seehofer Recht: die amoralische Gesinnung des Westens wurde vom Christentum geprägt.

 

Fortsetzung folgt.