Kategorien
Tagesmail

Umwälzung II

Hello, Freunde der Umwälzung II,

selbst wenn Merkel ginge – nichts würde sich ändern. Es ist der deutsche Nationalcharakter, der sich ändern muss.

In der Welt gibt es viele kluge und einfühlsame Köpfe, doch sie haben keine Macht. Die Mächtigen hingegen agieren ohne Gerechtigkeit und Einfühlsamkeit.

Revolutionen sind ohne Sinn. Machteliten werden ausgetauscht – die Macht der Starken über Schwache bleibt.

Demokratie ist langfristiges Abschaffen jeglicher Macht zugunsten öffentlichen Streitens und friedlichen Abstimmens. Solange Demokratien von militanten Nichtdemokratien bedroht werden, sind sie selbst zur defensiven Militanz genötigt – wenn sie nicht überfahren werden wollen. Deshalb muss Außenpolitik zur globalen Innenpolitik werden. Einzelnen Nationen kann nur geholfen werden, wenn allen geholfen wird.

Umwälzung will keinen Austausch der Machteliten, sondern die Zertrümmerung aller Macht und den Beginn eines weltweiten Dialogs über die Frage: Wohin will die Menschheit?

Die Nachkriegsgeschichte unter der Leitidee des UN-Völkerparlaments stand unter der Devise, ein Weltdorf zu errichten, als sei es eine planetarische Demokratie. Internationale Konflikte sollten ohne Krieg und Kriegsgeschrei beigelegt werden. Mit dem Ende des Kalten Kriegs schien die Möglichkeit eines demokratischen Weltgeistes nahe herbeigekommen.

Das erschreckte die Eschatologen des Westens, die unverrückt an die Wiederkunft ihres Herrn und an ein apokalyptisches Finale der Heilsgeschichte glaubten. Eine friedliche Weltgemeinschaft kraft menschlicher Vernunft hätte alle christlichen Dogmen über den Haufen geworfen. Biblizistische Fanatiker zwangen die USA zum Abbau

demokratischen Denkens und zum Rückfall in einen unversöhnlichen religiösen Dualismus.

Francis Fukuyama, der die Frechheit besaß, den Vorschein einer demokratischen Weltrepublik zu erblicken, wurde als gefährlicher Phantast demontiert. In Amerika waren es glühende Anhänger des Weltgerichts, in Deutschland Befürworter einer machiavellistischen Machtpolitik, die Fukuyamas vernunftgeleitetes Menschenbild mit Hass und Spott zertrümmerten. Der Mensch musste ein irreparables sündiges Wesen bleiben, das ohne Hilfe von Oben zu keiner humanen Weltordnung fähig sei.

Fukuyamas Demontage wurde zur Zeitenwende, zum Widerruf der Weltdorf-Utopie und zum Beginn einer Rückkehr zur religiösen Aufspaltung der Menschheit in Erwählte und Verworfene. Der Westen, unter der Ägide des puritanischen Amerika, benötigte zu seinem Seelenheil einen unversöhnlichen Feind.

Die Epoche der politischen Vernunft wurde beendet, der Glaube an eine zwiegespaltene Heilsgeschichte kehrte triumphierend zurück. Der Glaube, lange Zeit durch Demokratie gebändigt, riss sich los von der Bevormundung durch weltliche Vernunft und verwandelte Weltpolitik in ein heilsgeschichtliches Endzeitspektakel.

Richard Perle, einflussreicher Sprecher der amerikanischen Neokonservativen, formulierte im Jahre 2003 in einem Artikel des britischen SPECTATOR, nicht nur Saddam Husseins Regime stünde vor dem Ende, sein Fall werde auch die Vereinten Nationen zu Fall bringen:

„Es werde nicht die gesamte UNO, aber die Vorstellung der UN als das Fundament der „Neuen Weltordnung“ sterben. In den Ruinen des Iraks seien auch die intellektuellen Trümmer der liberalen Einbildung zu besichtigen, es gäbe Sicherheit durch internationales Recht, administriert von internationalen Organisationen. Es sei eine „gefährlich falsche“ Idee, nur der UN-Sicherheitsrat könne die Anwendung von Gewalt legitimieren. Auffallend ist die Dichotomisierung in Gut und Böse, die auch nach dem Ende des Kalten Krieges das Weltbild der Neocons bestimmt. (Wiki, „Neokonservatismus“)

Die Deutschen, im Wahn, ihre christlichen Werte ausreichend entmythologisiert zu haben, folgten der amerikanischen Kursänderung. Schröders Weigerung, sich am Krieg gegen den Irak zu beteiligen, blieb ein Zwischenfall ohne Folgen. Trump war nicht der erste, der die Grundwerte der amerikanischen Demokratie zu Fall brachte. Es war bereits Dabbelju Bush, der seinen wiedergeborenen Glauben zur Richtschnur einer neopuritanischen Weltpolitik erklärte.

Die atmosphärische Wende um 180 Grad war eine Abkehr von der moralischen Autonomie des Einzelnen und dem Imperativ der Menschen- und Völkerrechte.

„Die Menschen brauchen Religion. Sie ist ein Bindemittel moralischer Tradition. Sie spielt eine entscheidende Rolle. Nichts kann ihre Stelle einnehmen. Ich glaube nicht, dass über Sittlichkeit auf der privaten Ebene entschieden werden kann. Ich denke, man braucht öffentliche Führung und öffentliche Unterstützung für einen moralischen Konsens. Die durchschnittliche Person hat instinktiv zu wissen, ohne viel darüber nachzudenken, wie sie ihre Kinder großzieht“ schrieb Irving Kristol.

Die Neokonservativen traten nach außen „als strikte Gegner jeder Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion und als Verfechter der US-amerikanischen Vorherrschaft auf.“

Wir sehen: America first, ist keineswegs die Erfindung eines Immobilienhändlers. Bereits den Neocons wird nachgesagt, ihre anfänglich demokratisch klingenden Slogans seien

„lediglich Vorwände für materiell inspirierte imperiale Bestrebungen; sie hätten de facto die Monroe-Doktrin − mit der im frühen 19. Jahrhundert Nord- und Südamerika zur ausschließlichen Interessenssphäre der USA erklärt wurden − zur Schaffung ihres projektierten „Neuen Roms“ kurzerhand auf den gesamten Planeten ausgedehnt.“

Amerika, das neue Rom? Weshalb kommt dann niemand auf die Idee, den römischen Kapitalismus als geheimes Vorbild für Washington zu diagnostizieren?

Pardon, Kapitalismus ist eine so exzellente Einrichtung, dass nur die Moderne sie erfunden haben darf. Historiker stehen Gewehr bei Fuß, um alle Wiederholungen der Geschichte zu verneinen. Wo kämen wir hin, wenn wir aus der Geschichte lernen wollten? Stünden dann die Historiker nicht in der Pflicht, zu Aufklärern der Gegenwart zu werden?

Da schütteln sie sich vor Grauen. Nein, alles muss unvergleichlich sein, damit der Mensch seine Geschichte nicht als Lerngeschichte betrachten kann. Wer sich täglich neu erfindet, steht nicht unter Wiederholungsgefahr und kann aus seinen Versuchen und Irrtümern keine Folgerungen ziehen. Die Geschichte wird zur Abfolge unendlich vieler, unvergleichlicher Augenblicke. Der Augenblick aber ist – nach Kierkegaard – die orgastische Begegnung des irdischen Jetzt mit der Ewigkeit. Wenn Geschichte zur unendlichen Kohabitation des Irdischen mit dem Himmlischen verklärt wird, kann eine schnöde Lerngeschichte des Menschen keine Rolle mehr spielen.

Das alte Rom wurde von den ersten Christen als Hure Babylons verteufelt. Obgleich der römische Staat in religiösen Dingen außerordentlich tolerant war, wurde er von den Christen als Satanswerk abgelehnt. Mit ihrer Staatsfeindlichkeit waren Christen die Vorläufer der heutigen Selbstmordattentäter – wenn auch nicht mit Sprengstoffgürteln, sondern mit der flehentlichen Bitte an Gott, den heidnischen Staat in der Hölle zu versenken, weil er es wagte, falschen Göttern zu folgen.

Zuerst verfluchten sie alles nach dem Motto des Herrn: wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Die Ablehnung endete schlagartig, als sie mit dem Bischofssitz von Rom das Erbe des römischen Kaisertums antraten. Alles, was eben noch satanisch war, wurde wie durch Wunder zu Eigenschaften des Heiligen. Als Minderheit bekämpften sie die damalige Wirtschaft, den schlimmsten Kapitalismus aller Zeiten. Kaum an die Macht gekommen, wurde derselbe Kapitalismus zum Gnadengeschenk und Erfolgszeichen der Lieblinge Gottes.

Heute ist Amerika, ja der gesamte christliche Westen, zum Wiedergänger des römischen Weltreiches, des römischen EINPROZENT-Kapitalismus, geworden. Solange Kapitalismus heidnisch war, bekämpften sie ihn als Teufelswerk. Kaum hatten sie ihn in eigene Dienste übernommen, wurde er zum Erfolgszeichen göttlicher Huld. Alles, was aus Glauben geschieht, ist göttlich, alles, was nicht aus Glauben geschieht, ist Werk der Sünde.

Warum verabscheuen die Deutschen die Moral? Weil ihr christlicher Glaube die Moral zur bloßen Gesinnung verfälscht hat. Nicht an objektiven Taten sollt ihr sie erkennen, sondern an der rechten Gesinnung. Diese Gesinnung aber besitzen sie allemal: moralische Taten müssen sie ergo nicht mehr beweisen. Sie gehören zu den guten Bäumen, die gar nicht anders können, als gute Früchte zu produzieren. Ihre Früchte – und seien sie noch so faul – sind per se vollkommen.

Amerika ist zum neuen Rom geworden, das seine brillantesten Zeiten hinter sich hat. Nun beginnt der Untergang Roms, Teil zwei. Wie die römische Herrenschicht degenerierte, sind amerikanische Eliten dabei, sich an Trump ein Beispiel zu nehmen und alle Grundlagen der Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit zu demolieren. Wie das römische Volk vollständig ausgeraubt wurde und durch tägliche Fütterungen über Wasser gehalten werden musste, so sollen die Verlierer der Moderne von Gnadenwerken des Staates und Almosen der Superreichen vollständig abhängig werden.

Kinder? Interessiert das ganze Jahr niemanden. Wenn aber die heilige Zeit kommt, dürfen Kerner & Co ihre christliche Kinderliebe in TV-Ekelsmessen zelebrieren.

Und gib uns unser täglich Brot: ist wörtlich zu nehmen. In der Triumphphase des Neoliberalismus gibt es nur noch Tröge und Näpfe mit Tagesrationen. Dazu die Circenses von Hollywood und den TV-Kanälen. Kein Tag ohne endlose Sportübertragungen und immer gleiche Wettbewerbsspiele, mit den immer gleichen Vips, die die Studios der Sender längst als ihre Wohnzimmer betrachten. Da gibt es noch Steigerungsmöglichkeiten, wenn das Überleben im Dschungel eines schönen Tages zum echten Kampf um Leben und Tod werden wird. Denn Urschema aller Rankings ist das darwinistische Ausscheidungsspiel. Die Evolution gebiert viele Lebewesen, doch nur wenige haben Chancen, davonzukommen.

Selbst Kapitalismuskritiker verteidigen das ökonomische Ausscheidungsspiel mit dem Argument: ist der Kapitalismus nicht trotz aller Mängel die beste aller Wirtschaftsweisen, weil sie vielen Menschen aus der Armut geholfen habe? Die bisherige Lebensart vieler Völker, sich auf naturverträgliche, autarke und stabile Weise zu ernähren und ein zufriedenes Leben zu führen, wird von westlichen Nimmersatten als Armut diffamiert, damit sie kein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn ihre maßlose Ökonomie das Leben vernünftig und bescheiden lebender Völker für immer zerstört.

Das späte Judentum und das Urchristentum revoltierten gegen den heidnischen Kapitalismus der Hellenen, der die damalige Welt beherrschte. Doch die berechtigte Rebellion bediente sich keiner effizienten politischen Mittel, sondern verwandelte ihre Kritik in eine zukünftige Himmelsvision. Die Leidenden warfen alle Sorgen auf IHN, auf dass ER für sie sorge.

Die berechtigte Revolte wurde zur schlimmsten Entmündigung aller Zeiten. Der rebellische Mensch musste sich zum Nichts erniedrigen, seine Hoffnungen ins Phantastische verflüchtigen, um sein Leben mit Himmels-Drogen kümmerlich zu überstehen.

Für Heribert Prantl, den führenden Kommentator der SZ, ist Maria, die Mutter Gottes, eine prophetische Kritikerin ungerechter Verhältnisse:

„Maria ist nicht die demütige heilige Hausfrau, zu der die Prediger sie jahrhundertelang gemacht haben. Da singt die leidenschaftliche, unerschrockene und stolze Maria einen revolutionären Hymnus, der die alten Hierarchien, auch die zwischen Männern und Frauen, infrage stellt. Diese Frau erhebt die Stimme und singt das Lied von der göttlichen Revolution: „Gott zerstreut die Hochmütigen. Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Erniedrigten. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. Maria redet vom Sturz der Gewalttäter. Weil sie, die Erniedrigte, mit Großem gewürdigt wird, so der Eingangssatz des Hymnus, preist sie Gott.“ (Sueddeutsche.de)

Wie alle Apologeten des Christentums selektiert Prantl gewisse Bibelstellen, die seinen Glauben stützen, um alle widersprechenden Stellen zu ignorieren. Allein seine Anything-goes-Hermeneutik verurteilt seine Thesen zur Makulatur. Wer solche Fälschungsmethoden benötigt, um seine heiligsten Überzeugungen zu stützen, der macht sie auf Teufel komm raus zum deutschen Palliativ à la Merkel.

Weihnachten war das identitäre Tröstungsfest der Deutschen. Flüchtlinge und Fremde sind vom höchsten Fest der Deutschen ausgeschlossen. An Weihnachten wird Deutschland zur identitären Republik, die durch sentimentale Stimmung alle Nichtdeutschen aus ihren Reihen verweist.

Wenn der Verfassungsschutz die Identitären observiert, müsste er fast die ganze Nation überwachen. Was in Berlin-Köpenick als weihnachtliches Massensingen im Stadion begann, verbreitet sich zunehmend im ganzen Land. Menschen, die ihre Isolation nicht ertragen, finden kein anderes Mittel, ihrer Einsamkeit zu entgehen, als in anonymen Massen gemeinsam zu singen: Welt ging verloren, Christ ward geboren, freue dich, oh Christenheit. Da müssen sie sich noch ein wenig anstrengen, um die Welt verloren gehen zu lassen und sich ersatzweise ein Phantom zu erträumen.

Den eklatantesten Betrug an der Frau in der Geschichte ihrer endlosen Demütigungen erklärt Prantl zur größten Heldinnentat. Maria sei noch über Marx zu stellen:

„Das Magnificat kann es an Radikalität und Wucht mit dem jungen Karl Marx aufnehmen, der verlangte, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, geknechtetes Wesen ist“. Nur: Was für Marx Vollendung seiner Kritik an der Religion ist, das ist für Maria Anfang des Glaubens an den Heiland. Was bei Marx die Lehre ist, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, das ist für Christen die Lehre, dass Gott Mensch wird, in einem obdachlosen Kind.“

Ist Kritik an der Religion an sich so verwerflich, dass jeder Anfang des Glaubens ihn in den Schatten stellt?

Doch auch Marx war Anbeter einer Heilsgeschichte. Sein Glaube an die Geschichte ist identisch mit dem Glauben an Marias Heilsgeschichte, auch wenn seine Vokabeln der Beschreibung ökonomisch klingen.

Ein Glaube ohne konkrete Folgen ist eine Illusion. Wo bleiben die Taten Marias? Wo bleibt ihre politische Agenda? Sie denkt gar nicht daran, mit ihrem Glauben die Welt zu reformieren. Der Glaube betreibt keine Politik, sondern Symbolpolitik. Und das ist: Beten und Warten, bis die Betenden schwarz werden.

Gregor Gysi, ein Linker, bewundert den Papst, weil er zur Symbolpolitik aufruft. Aufrufen kann jeder, Aufrufen heißt, von anderen erwarten und selbst nichts tun. Sie schwelgen in Reichtum, um in dreister Weise Armut selig zu preisen. Doch sie vergeben sich großmütig. Sind sie nicht allzumal Sünder vor dem Herrn und ermangeln des Ruhmes? Nicht Werke machen selig, sondern der Glaube.

Symbolpolitik ist Vertrösten auf den Sankt Nimmerleinstag. Symbolpolitik ist das genaue Gegenteil jeder konkreten und nachweisbaren Politik. Auch Merkels Lavieren ist Symbolpolitik – im trügerischen Gewand konkreter Politik: Symbolpolitik in zweiter Potenz.

„Er übet Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Stuhl und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und läßt die Reichen leer. Er denkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel wieder auf, wie er geredet hat unsern Vätern, Abraham und seinem Samen ewiglich.“

Wo hat er die Gewaltigen zerstreut, wo die die Niedrigen erhoben? Alles nur Hoffnung der Art: am Hoffen und Harren erkennt man den Narren. Und sollte er dennoch geholfen haben, dann nicht den Menschen insgesamt, sondern wenigen Prädestinierten, Patriarchen seines Lieblingsvolkes. Gerade dies ist keine Gerechtigkeit, sondern göttlicher Darwinismus. Viele sind berufen, wenige auserwählt. Demokratische Gerechtigkeit gilt für alle – oder sie ist keine.

Prantl zitiert Jesaja, den gewaltigsten aller Propheten, mit einer Vision des vollkommenen Lebens. Der Text endet mit den berühmten Naturphantasien:

„Wolf und Lamm sollen weiden zugleich, der Löwe wird Stroh essen wie ein Rind, und die Schlange soll Erde essen. Sie werden nicht schaden noch verderben auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR.“

Natur wird als Reich der Erbarmungslosigkeit geschildert, das erst von Gott zu einem naturlosen Paradies erlöst werden muss. Natur ist grausam, also muss sie künstlich pazifiziert werden, damit sie makellos scheint. Nicht anders in den Versen der Bergpredigt:

„Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie? Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen möge, ob er gleich darum sorget? Und warum sorget ihr für die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist wie derselben eins. So denn Gott das Gras auf dem Felde also kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr euch tun, o ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden? Nach solchem allem trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr des alles bedürfet.“

Nicht Natur ist fähig, sich zu ernähren, sondern Gott. Nicht Menschen sollen für sich sorgen: Gott sorgt für sie, als seien sie unmündige Säuglinge. In der sündigen Welt ist Arbeit ein Fluch, den Gott aus seinem Garten Eden verbannt, weil Er für alle sorgt. Im Paradies gibt es folgerichtig keine Arbeit mehr: der Traum der Trägen und Unglücklichen. Bei Jesaja werden Tiere entmündigt, beim Bergprediger der Mensch. Der Heide muss arbeiten, der Fromme darf im Garten Eden wie ein göttlicher Parasit leben.

Natur ist nichts, der Mensch ist nichts: Gott ist alles in allem. Dem Menschen wird unterstellt, er wolle ein passives Leben in Schlaraffenland führen: ohne Lust an der Arbeit, ohne Erkenntnis der Natur, ohne das Selbstwertgefühl, sich und seine Lieben ernähren zu können.

Autonome Menschen sind fähig, ein beglücktes Leben zu führen – wenn, ja wenn man sie nur ließe. Wenn Mächtige ihnen nicht die Butter vom Brot stehlen würden. Wenn allmächtige Götter sie nicht zu Faulpelzen und Nichtskönnern erniedrigen würden, die um das tägliche Brot betteln müssten.

Dass Jesajas Visionen mit unserer Erde nichts zu tun haben, beweisen die ersten Verse:

„Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, daß man der vorigen nicht mehr gedenken wird noch sie zu Herzen nehmen; sondern sie werden sich ewiglich freuen und fröhlich sein über dem, was ich schaffe. Denn siehe, ich will Jerusalem schaffen zur Wonne und ihr Volk zur Freude, und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk.“

Die Verheißungen beziehen sich nicht auf diese Erde, sondern auf eine neue. Die alte Erde muss vernichtet werden, damit die neue an ihre Stelle treten kann. Eben dies ist die geheime Agenda des modernen Fortschritts, der mit immer neuen Maschinen und grenzenloser Naturzerstörung die alte Erde vernichten muss, um eine neue aus dem Hut zu zaubern – oder nicht.

Im Moment ihrer größten Hoffnung werden alle Hoffnungen der Gläubigen zu Nichts werden. Auch hier geht es nur um das heilige Volk. Demokratischer Politik geht es um alle. Auch dem biblischen Neoliberalismus geht es nur um Privilegierte, die von der Evolution willkürlich selektiert werden.

Die frühchristliche Frau empörte sich gegen alle Formen männlicher Unterdrückung. Nicht nur der wirtschaftlichen. Doch die Verheißung ihrer Rettung wurde zur schlimmsten Unterdrückung der Frau. Sie flüchtete vor dem irdischen Mann in den Schutz des himmlischen – und kam aus dem Regen in die Traufe. Nie war der Hass des Mannes gegen das Weib größer als in der Minderwertigkeit der Frau unter dem männlichen Ebenbild Gottes.

„Ich lasse euch aber wissen, daß Christus ist eines jeglichen Mannes Haupt; der Mann aber ist des Weibes Haupt; Gott aber ist Christi Haupt. Ein jeglicher Mann, der betet oder weissagt und hat etwas auf dem Haupt, der schändet sein Haupt. Ein Weib aber, das da betet oder weissagt mit unbedecktem Haupt, die schändet ihr Haupt, denn es ist ebensoviel, als wäre es geschoren. Will sie sich nicht bedecken, so schneide man ihr das Haar ab. Nun es aber übel steht, daß ein Weib verschnittenes Haar habe und geschoren sei, so lasset sie das Haupt bedecken. Der Mann aber soll das Haupt nicht bedecken, sintemal er ist Gottes Bild und Ehre; das Weib aber ist des Mannes Ehre. Der Mann ist nicht geschaffen um des Weibes willen, sondern das Weib um des Mannes willen.“

Das Weib ist zweite Wahl – und dem Mann, dem Ebenbilde Gottes, in allen Dingen unterlegen und untertan. Auch die von Prantl bewunderte Revolutionärin Maria wird von ihrem eignen Sohn zum belanglosen Instrument Gottes erniedrigt:

„Und da es an Wein gebrach, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben nicht Wein. Jesus spricht zu ihr: Weib, was habe ich mit dir zu schaffen?

„Da er noch also zu dem Volk redete, siehe, da standen seine Mutter und seine Brüder draußen, die wollten mit ihm reden. Da sprach einer zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und wollen mit dir reden. Er antwortete aber und sprach zu dem, der es ihm ansagte: Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder? Und er reckte die Hand aus über seine Jünger und sprach: Siehe da, das ist meine Mutter und meine Brüder! Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mein Bruder, Schwester und Mutter.“

„Denn ich bin gekommen, den Menschen zu erregen gegen seinen Vater und die Tochter gegen ihre Mutter und die Schwiegertochter gegen ihre Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert.“

Keine Frau, kein Familienangehöriger ist etwas wert – nur die Gläubigen, die der Herr erwählt. Im Christentum zählt die Frau nichts. Nur der Mann, der als Ebenbild des göttlichen Mannes das Oberhaupt der Frau ist.

Dies wird von einem deutschen Starkommentator in höchsten Tönen gerühmt. Die medialen Kritiker Merkels mögen die Kanzlerin attackieren, wie sie wollen. Das ändert nichts daran, dass sie die fromme Ideologie der Gescholtenen in allen Dingen teilen. Die Deutschen sind froh, dass eine erwählte Magd Gottes für ihr weltliches Heil wirkt und betet. Sie sollte es nur unauffälliger und effizienter tun.

Die Deutschen glauben – indem sie sich ihres Glaubens schämen. Sie entfliehen den sichtbaren Kirchen, in der Hoffnung, einer besseren, unsichtbaren Kirche anzugehören, wo sie – ohne frommes Brimborium – gute Menschen sein können.

Nationalcharakter der Deutschen ist ein glaubensloser Glauben, eine irreligiöse Religion, eine aufgeklärt sein wollende Frömmigkeit.

Fundamentalistische Amerikaner wissen noch, was sie glauben. Sie kennen ihre Schrift. Von ihrem Präsidenten fordern sie eine biblische Politik. Amerika zuerst, die Gläubigen zuerst, die weißen Gläubigen zuerst, die männlichen weißen Gläubigen zuerst, die reichen männlichen weißen Gläubigen zuerst.

Amerikaner und Deutsche zusammen – sind das Traumpaar des westlichen Christentums. Wenn Gott für sie ist, wer kann wider sie sein?

 

Fortsetzung folgt.