Kategorien
Tagesmail

Neubeginn LXXVIII

Hello, Freunde des Neubeginns LXXVIII,

L-U-T-H-E-R. Das Urbild aller deutschen Heroen, Führer und Söhne der Vorsehung, wortmächtiger Kämpfer gegen die Lügen seiner Zeit, wird 500 Jahre danach mit Lügen gefeiert. Ein enormer Fortschritt: von katholischen zu ökumenischen, von konfessionellen zu nationalen Lügen. In einem staatsfinanzierten Musical, übertragen von einem staatstreuen Sender, wird der Reformator

„in einer tausendstimmigen Apotheose zum Führer der westlichen Welt, zum Vorkämpfer der Aufklärung, zum Schutzpatron des Individuums, zum Ritter des Gewissens, zum Erfinder der intellektuellen Emanzipation von Autoritäten, zum Edelsten aller Sterblichen, der sich aber dabei auch noch im Ton mäßigen kann. „Ich will selber denken!“ (ZEIT.de)

Alles gelogen. Er verfluchte die Aufklärung der Renaissance und des Humanismus, unterwarf das autonome Gewissen einem schrecklichen Gott und verwandelte die Abhängigkeit von Priestern in totale Abhängigkeit von einer unfehlbaren Schrift. Die klerikalen Mittler zwischen Mensch und Gott transformierte er in einen papiernen Papst, dessen Offenbarungen wortwörtlich befolgt werden mussten. Jahrhunderte später radikalisierte sich die buchstäbliche Unfehlbarkeit zur subjektiven Deutungswillkür, die es allen Geistbegabten erlaubte, die Heilige Schrift jeder unheiligen Zeitgeistphilosophie zu prostituieren.

„Ich will selber denken“: Luther als Vorläufer Kants auszugeben, ist der helle Wahn. Mündigkeit ist nach Kant die Fähigkeit, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. „Habe ich ein Buch, das für mich Verstand, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen.“ Freies Denken ist für Luther strengstens verboten. Seine Verteidigungsrede vor dem

Kaiser beschließt er mit den Worten:

„Da ich durch die von mir angeführten Schriften überwunden bin und mein Gewissen gefangen ist in den Worten Gottes, kann ich und will ich nichts widerrufen – weil gegen das Gewissen zu handeln weder sicher noch heilsam ist. Ich kann nicht anders, hier stehe ich, Gott helfe mir. Amen.“

Hinter diesen Worten steht ein Zitat aus dem zweiten Korintherbrief:

„Denn die Waffen unsrer Ritterschaft sind nicht fleischlich, sondern mächtig vor Gott, zu zerstören Befestigungen; wir zerstören damit die Anschläge und alle Höhe, die sich erhebt wider die Erkenntnis Gottes, und nehmen gefangen alle Vernunft unter den Gehorsam Christi und sind bereit, zu rächen allen Ungehorsam, wenn euer Gehorsam erfüllt ist.“

Wer diese Stellen nicht kennt, ist ein religiöser Ignorant. Wer sie kennt und ins Gegenteil verkehrt, ist ein Lügner. Wenn solche Lügen im Namen der Kirche, abgesegnet von Politik und Medien, verkündet werden, blind geglaubt von einem Publikum, das sich christlich nennt, ist die christliche Religion zu einem nationalen Lügengebäude geworden. Wenn ein solches Lügengebäude zur Rühmung eines Mannes benutzt wird, der sich gegen die Lügen seiner Zeit gewendet hat, handelt es sich um ein nationales Lügenwerk in zweiter Potenz.

Für naive Gemüter ist Lügen amoralisch. Kein Problem für Deutsche, die sich zu einem Kartell der Moralverhöhner zusammengeschlossen haben.

Historiker Münkler, leidenschaftlicher Machiavellist in der langen Tradition deutscher Machiavellisten, will Moral strangulieren und unter Kuratel „strategischen Denkens“ stellen. Auch sein italienisches Vorbild lehnte Moral nicht generell ab. Der listige Fürst sollte sie einsetzen, wenn sie der Erhaltung und Vermehrung seiner Macht diente.

„Wenn man die neuen Kriege analysiert, muss man leider feststellen, dass die humanitäre Hilfe aus dem Westen an der Fähigkeit zur Kriegführung keinen ganz unwesentlichen Anteil hat. Womit fahren denn die Freischärler im Südsudan oder in der Zentralafrikanischen Republik durch die Gegend? Mit Toyota-Pick-ups, auf die sie hinten ein MG oder einen Raketenwerfer montiert haben. Und wer hat den Pick-up bezahlt? Die gutherzigen Leute von den Hilfsorganisationen, die an das Selbstbestimmungsrecht der Völker glauben. Ich bin nicht dafür, sich von der Moral zu verabschieden. Ich plädiere nur dafür, sie unter die Kuratel strategischen Denkens zu stellen. Gerade in Deutschland glauben viele, wenn man sich nur am moralisch Richtigen und am Recht orientierte, dann würde alles gut. Dass gerade die Moral in der Politik durchaus antagonistische Folgen haben kann, wird gern übersehen.“ (SPIEGEL.de)

Es soll amoralisch sein, an das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu glauben? Dazu kein Widerspruch von alerten SPIEGEL-Interviewern? Glauben die Westler eigentlich noch an ihre eigenen Werte? Oder glauben sie, dass diese Werte nur für sie gelten und nicht für „unterentwickelte Völker“, die der Demokratie unwürdig seien?

Wer nicht hinschaut, wo seine Spende landet, ist nicht moralisch, sondern beschränkt. Wer nicht hinschauen und kontrollieren darf, hat keine Spende zu geben. Almosen, welche die politische Lage der Almosenempfänger ignorieren, sind, wie alles politisch Unverantwortliche, ein Verhängnis und keine rationale Hilfe. Hilfe verpflichtet nicht zur Dummheit.

Christlich motivierte Hilfe dient primär nicht dem Empfänger, sondern dem Geber. Geben ist seliger denn Nehmen. Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Sie sollen nicht den leidenden Menschen helfen, sondern dem Erlöser, dem eigentlichen Empfänger der Wohltat. Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr MIR getan.

Welch tückisches System: der Kapitalismus beraubt legal und illegal die Menschen, rafft ungeheure Schätze zusammen – und schaut untätig zu, wie Millionen Menschen verkommen. Dann werfen sie einige Almosen ab – ohne dazu beizutragen, die unwürdigen despotischen Verhältnisse zu verändern – und wundern sich, dass sich das globale Elend nicht verringert, sondern ausweitet. Zuerst zerschlägt man jemandem die Knochen im Leibe, dann verpasst man ihm ein kleines Pflaster.

Kein Mensch, der noch bei Verstand ist, glaubt, dass alles sofort gut wird, wenn moralisch gehandelt wird. Wenige Tropfen Moral in einem riesigen See der Unmoral kann den See nicht auf einen Schlag sanieren. Das ist ein langwieriges Tun, setzt voraus, dass die Menschheit sich auf eine gemeinsame Moral einigt und amoralische Machthaber zum Teufel jagt. Moralisches Handeln kann die Verhältnisse nur peu à peu verbessern.

Moralisches Tun hat nur dann antagonistische (widersprüchliche) Folgen, wenn die Handelnden keinen Einfluss auf die Endfolgen ihrer Taten besitzen. Dann liegt der Erfolg ihrer moralischen Anfangshandlungen in der Hand skrupelloser Machiavellisten, die auf jedem Blümchen herumtrampeln, bis es unkenntlich geworden ist.

Man höre und staune, selbst am Recht sollen Demokraten sich nicht orientieren. Dann wäre es besser, dass die groß herumtönenden Schlechtmenschen in Deutschland sich jeder moralischen Empörung über Trump & Co enthielten.

Ihren Kindern predigen sie Moral und Gesetz, sie selber erlauben sich großzügig Dispens von ihren eigenen Forderungen. Immigranten, die deutsches Recht brechen, sollen schleunigst aus Deutschland entfernt werden? Und wer dies fordert, räumt sich selbst das Privileg gesetzloser Taten ein? Und solche Bigotterien im hellen Licht der Öffentlichkeit? Wie tief wollen die elitären Heuchler noch fallen?

Luther war alles andere als ein Moralist. Zur Erringung der Seligkeit waren moralische Handlungen – „Werke“ – untauglich. War der Mensch wiedergeboren, war er keinesfalls zur eindeutigen Moral verpflichtet. Alles, was aus Glauben kommt, war heilig und gut – und wenn es Mord und Totschlag wäre. Wie war Luthers Hauptdevise? Sündige tapfer, wenn du nur glaubst.

Luther war Antinomiker (Antinomie = ohne Gesetz). Christliche Antinomiker sind Machiavellisten im Namen des Himmels. Welch eine Verhöhnung der Menschheit, auf „abendländische Werte“ stolz zu sein – und gleichzeitig den kategorischen Imperativ an die Wand zu knallen. Sind Werte unmoralisch? Sind abendländische Werte die Lizenz zum Betrügen, Lügen, Ausbeuten und Verhungern lassen?

Welch eine professorale Logik! Münkler verweist auf mögliche antagonistische Folgen moralischen Handelns. Wären ihm nicht-antagonistische Folgen amoralischer Handlungen lieber? Der Amoralist, der genau weiß, dass er Böses will und Böses erreicht – wäre dies das leuchtende Vorbild des Moralgegners? Dann sind sie verdammte Heuchler, wenn sie Merkels Einlassen der Flüchtlinge für gut heißen. Vermutlich aus keinem anderen Grund, als dass sie nicht zur Sympathisantengruppe der AfD gezählt werden wollen. Bei diesem doppelbödigen Spiel der politischen und intellektuellen Eliten wundern sie sich über das Aufkommen rechter Bewegungen, die nichts anderes sind als moralische Empörungen – mit wahllos unmoralischen Handlungen.

Was ist der Generalunterschied zwischen Ober- und Unterklassen? Oberklassen erfanden Moral – oder ließen sie durch Priester erfinden –, um sie dem niederen Volk als Fußketten zu verpassen. Für sie selbst galten die Forderungen der Moral nicht. Eliten sind – gemäß ihrem göttlichen Vorbild – frei zu wahllosem Tun. Ihre Freiheit ist amoralisches Tohuwabohu oder beliebige Anwendung von List, Tücke, Gewalt und Unterdrückung.

Die Freiheit der Gleichen hingegen, die eigentliche demokratische Freiheit, ist auf Gegenseitigkeit gegründet: handle so, wie du willst, dass man dich behandelt.

Innerliche Freiheit, unsichtbare Gedanken sind frei: die Deutschen betrachteten sich lange als politische Idioten (Privatleute), die einsam und allein vor Gott standen. Alles andere war ihnen verwehrt. Dank eines Reformators, den Merkel als Erfinder der Toleranz und demokratischen Würde betrachtet, wurden die Deutschen zu Untertanen einer absoluten Obrigkeit.

Jedermann sei untertan der Obrigkeit, denn es gibt keine, die nicht von Gott wäre. Jede Obrigkeit, gleich welchen Glaubens oder Regierungsform, ist von Gott eingesetzt. Man hat ihr zu gehorchen, wie man Gott unbedingt gehorchen muss. Nach Paulus und Luther ist jede Obrigkeit theokratisch legitimiert – und sei sie noch so heidnisch oder verwerflich. Jeder abendländische Totalitarismus ist christlicher Abstammung. Hitler, Stalin, Mussolini, Franco: alles theologisch legitimierte Despoten.

Seit Erfindung des „Naturrechts der Schwachen“ – oder der demokratischen Gleichheitsrechte – spielen die Eliten ein Doppelspiel. Solange sie an der ungewählten Macht waren, verlangten sie vom Volk strikte Moral, die nicht für sie selbst galt. Wollten sie Macht in funktionierenden Demokratien, mussten sie tun, als ob sie die offizielle Moral für richtig hielten, während sie nach Möglichkeit ein doppeltes Spiel spielten. Vor den Kulissen moralisch, hinter ihnen hemmungslos amoralisch.

Alle unterdrückten Völker ahnten oder wussten, dass ihre adligen Unterdrücker moralisch scheinen wollten, um real tun und lassen zu können, wie ihnen beliebte.

Machtlose Unterklassen sind wie Kinder. Sie kennen nur gebotene Moral und verbotene Unmoral. Dass es Menschen gibt, die bewusst ein hintertriebenes Spiel treiben, ist ihnen lange unfasslich. In dem Moment, wo sie die Bigotterie ihrer Herrschaftsklassen endlich zur Kenntnis nehmen, beginnt ihr Aufstand gegen die Zyniker und Heuchler.

Diese Erfahrungen, die sich das Volk lange verbot, weil es naiv an seine Autoritäten glauben wollte, verdichteten sich zum Spruch: die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Die kleine Kassiererin wird wegen drei Euro verurteilt, die großen Verbrecher der Bankenkrise lässt man laufen. Je mehr der Pöbel sein erstauntes Nichtglaubenkönnen der elitären Heuchelei ablegen kann, umso mehr neigt er zur Empörung nach dem Motto: was die können, können wir schon lange.

Die Oberen wehren sich gegen die Anschuldigungen der Untertanen durch die Gegenattacke: alles nur Verschwörungstheorien des „kleinen Mannes auf der Straße“, der nur in Spießerkategorien denken kann. Dann warnen sie vor dem Moralisieren der Gutmenschen.

Moralisieren ist nicht moralisches Handeln, sondern so tun als ob. Es ist nichts anderes als bewusstseinsloses machiavellistisches Handeln. Die Oberen wissen, dass sie heucheln. Die Unteren halten sich selbst dann noch für moralisch, wenn sie das Gegenteil von dem tun, was sie zu tun glauben. Moralisieren ist der dumpfe Machiavellismus der kleinen Leute. Sie sind so überzeugt von ihrer Moral, dass sie nicht im Traum dran denken, sie könnten von ihren Überzeugungen abweichen.

Die Oberen sind Virtuosen der bewussten Doppeldeutigkeit. Sie wissen, was sie tun. Die Kleinen halten sich für moralisch unverwundbar. Ihr Ego ist viel zu gering, als dass sie es wagen würden, gegen heilige Moralforderungen zu verstoßen. Letztlich ist es ihre Furcht vor ewiger Strafe, die sie davon abhält, offiziell gegen Anforderungen ihrer ehrfurchterweckenden Autoritäten zu verstoßen. Die Religionen haben die naiven und erlösungsbedürftigen Unterklassen wesentlich mehr geprägt als die Oberklassen, die auf Erlösung verzichten konnten. Lebten sie doch selbst im Olymp auf Erden.

Der Wahn gegenwärtiger Medien ist inzwischen so weit gediehen, dass sie die Anklage gegen die Eliten als Verschwörungstheorien diskreditieren. Dabei ist die Erfindung männlicher Hochkulturen von Anfang an nichts anderes als die Einrichtung von Hierarchien mit winzigen Cliquen allgewaltiger Herrscher. Die Geschichte des Patriarchats begann als Teilung der Gesellschaft in zwei Teile: der Oberschicht mächtiger Männer und dem Rest der Gesellschaft, bestehend vornehmlich aus Frauen und Kindern.

„Um herrschen zu können, mussten die Männer die Macht der Frauen auf drei Ebenen brechen: sie mussten die Bande der wechselseitigen Zuneigung zwischen Mann und Frau zerstören und durch ein Machtverhältnis ersetzen, die Bande des Zusammenhalts unter den Frauen sprengen und schließlich die Liebesbande zwischen Mutter und Kind zertrennen.“ (M. French, Jenseits der Macht)

Die Schwäche des gegenwärtigen Feminismus besteht im zwanghaften Streben der Frau in die Machtreviere der Männer, um ihr Selbstwertgefühl ausgerechnet durch die Anerkennung männlicher Autoritäten zu erhöhen. Anstatt durch Erringen politischer Macht in jedweder Form die Herrschaftsstrukturen der Männer zu destruieren und eine humane Wirtschaftsform zu entwickeln.

Solange die Nationen im militanten Geschwisterstreit um Macht und Erfolg lagen, war die Doppelung der Moral in interne Anständigkeit und externe List und Tücke noch nachvollziehbar. Jetzt aber, wo das Weltdorf so zusammengewachsen ist, dass die Menschheit ihre globalen Probleme nur zusammen oder gar nicht lösen kann, ist die Gabelung in private Moral und politische Amoral selbstzerstörend geworden.

Als die Deutschen ihre Kleinstaaterei endlich beendeten und sich zur politischen Macht zusammenschlossen, kippte ihr dialektisches Gemüt sofort ins Gegenteil. Ihre innerlichkeitsfixierte Selbstamputation schlug um in bedenkenlose Bismarck‘sche Realpolitik.

„Die einzige Grundlage eines großen Staates ist der staatliche Egoismus. Wenn ich einen Feind in der Gewalt habe, so muss ich ihn vernichten. Wenn ich einem Teufel verschrieben bin, so ist es ein teutonischer. Ohne mich hätte es drei große Kriege nicht gegeben. Wären 80 000 Menschen nicht umgekommen. Das habe ich indes mit Gott abgemacht.“ Worte des eisernen Kanzlers Bismarck, der die Bergpredigt zur Seite legte, wenn er reale Machtpolitik exekutierte.

Heute maßen sich C-Parteien an, Machtpolitik auf christlicher Basis zu betreiben. Erstaunlicherweise haben sie Recht. Denn christliche Werte sind nicht moralisch. Bismarck war schief gewickelt, als er wähnte, seine Politik sei mit der Bergpredigt unvereinbar. Wie anders hätte er seine egoistisch-imperiale Politik mit seinem Gott abmachen können, wenn er gegen göttliche Forderungen reuelos verstoßen hätte?

Obgleich die heutigen C-Parteien antinomische Christenpolitik betreiben, sind sie dennoch Heuchler. Sie vermitteln nämlich den Glauben, ihre christliche Politik sei eine prinzipielle Agape-Politik. Das ist die Heuchelei: bedenkenlos betreiben sie Bismarck‘sche Interessen- und Machtpolitik, aber im ideologischen Wahn, univalenten Moralwerten zu folgen.

Diese wahnhafte Ideologie teilen alle Parteien, die AfD nicht ausgeschlossen. Dies ist der Boden der sich zunehmend herauskristallisierenden Einheitspartei oder der GaGroKo. Selbst die Linken würden am liebsten am Kabinettstisch der frommen Übermutter Platz nehmen. Selbst für Sahra Wagenknecht, die sich als Atheistin bezeichnet, ist Christentum eine Religion der Nächstenliebe:

„Das Christentum ist die Religion der Nächstenliebe. Eine Gesellschaft, die in erster Linie auf Eigenliebe und Egoismus setzt, in der Reichtum ebenso erblich ist wie Armut, in der die profitabelsten Konzerne die niedrigsten Steuern zahlen, während viele Menschen trotz harter Arbeit nicht mehr zu wirklichem Wohlstand gelangen, ist nicht nur ungerecht, sondern auch unchristlich. Sie muss verändert werden.“ (ZEIT.de)

Viele Atheisten halten ihre eigene Politik für christlicher als die der offiziellen C-Parteien. Viele wurden erst zu Gottlosen aus moralischem Protest gegen die „Unchristlichkeit“ der Christen. Sie halten sich für ehrlicher und „christlicher“ als die offiziellen Renommierchristen, die unter dem Mantel der Nächstenliebe „heidnischen Machiavellismus“ betrieben. Ihr Protest gegen die Kirchen soll ein demütigeres Bekenntnis zur verklärten Bergpredigt ablegen als die selbstgerechte Praxis der „Heuchler und Pharisäer“.

4000 fromme Sänger, uniform gekleidet, rühmten Luther als künftige Leitfigur deutscher Vorbilder. Träte Luther heute als Politiker auf, würden ihn dieselben Medien, die ihn als historische Figur glorifizieren, als charismatisch ausgebufften Populisten an den Pranger stellen. Wenn überall junge adrette Führer aus dem Boden sprießen, wollen auch die Deutschen nicht immer in graue und verwüstete Gesichter blicken. Der nordkoreanische Diktator hätte seine helle Freude an den sozialistisch organisierten Massen-Huldigern eines politischen Führers gehabt. Merkel stapft in den Spuren Honeckers, der auch ein Luther-Jahr feiern ließ.

„Man sagt, Luther war ein Judenhasser“. Mit solch nichtssagenden Sätzen, die eher einem Dementi gleichkommen, ehrte das Pop-Oratorium einen Mann, der von den NS-Schergen als leuchtendes Vorbild ihres entsetzlichen Holocaust-Verbrechens geschätzt wurde. Für Hitler war Luther ein Vorbild. „Indem ich mich der Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn“. Judenhass, der sich nicht mit Worten begnügt, war für den Sohn der Vorsehung gelebtes Christentum. Wie Jesus die Krämer mit der Geißel aus dem Tempel trieb, wollte Hitler die mammonistischen Juden ausrotten, um die Deutschen von der Geißel des Kapitalismus zu befreien.

„Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert“, sangen die verzückten Massen. Ohne zu realisieren, dass das Schwert real gemeint war – und nicht metaphorisch wie in den Verblendungspredigten der Pastoren, die die Schrift zu einem beliebigen Ramschladen verfälscht haben. Dabei wurde der große Hammer gezeigt, mit dem Luther die Verlogenheit seiner Zeit zertrümmern wollte. Jenem Werkzeug, das zur Philosophie mit dem Hammer eines Pastorensohnes führte, dessen Wille zur Macht die Quelle der NS-Ideologie werden sollte. Was Nietzsche im Rausch des Willens zur Macht forderte, wurde im Dritten Reich zur Realität des schlechthin Verwerflichen:

„Die Schwachen und Missratenen sollen zugrunde gehen: erster Satz unserer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen.“

Wie kommentierte die fromme Kanzlerin die lutherische Berserkertat mit dem Hammer? Der Geist der Reformation sei zum fruchtbaren Boden der Toleranz und der demokratischen Würde geworden.

Das deutsche Christentum wurde zur Religion der perfekten heiligen National-Lüge.

 

Fortsetzung folgt.