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Neubeginn XLV

Hello, Freunde des Neubeginns XLV,

Na Welt, wie geht’s denn so?

Welt (erstaunt): das willst du gar nicht wissen. Seit wann interessieren sich Menschen für meine Befindlichkeit?

Freudig klingt das nicht. Du wirst dich doch nicht vernachlässigt fühlen?

Na ja, die zunehmenden Hitzewallungen. Menopause – fürchte ich.

Du klingst ja wie ein Weib. Und ich dachte, du wärst nicht unterzukriegen. Schluss mit dem sinnlosen Gebären? Du wirst dich doch nicht übernommen haben?

Bürschlein! Gehörst du nicht zu denen, die mir die letzten Haare vom Kopf fressen?

Hoppala, wir werden dich doch nicht überschätzt haben? Ein bisschen Tumult im Kinderzimmer – und schon machst du schlapp?

Wenn euch Naseweisen sonst nichts einfällt, macht ihr auf Spott. Du scheinst ein bisschen vergessen zu haben, wer von wem abhängig ist.

Das wird doch keine Drohung sein? Hast du noch immer nicht kapiert, dass wir schon auf dem Absprung sind? Es gibt noch mehr Mütter im Universum, die schöne Töchter haben.

Muss ich jetzt eifersüchtig werden, ihr Himmelsstürmer?

Ich fürchte, du bleibst ewig eine Helikoptermutter. Du kannst nicht loslassen.

Wie kann man‘s am besten im Weltall getroffen haben wie ihr – und dennoch so unzufrieden sein? Da muss ich was falsch gemacht haben mit

eurer Erziehung.

Jetzt nicht übermütig werden, du Allerbeste. Kann es sein, dass wir uns selbst erzogen haben? Ich will dir nicht zu nahe treten, aber du bist Natur – wir sind Geist.

Interessant, du aufgewecktes Männlein. Dann belehre mich, ich höre. Den Geist habt ihr nicht von mir? Darf ich raten, von wem ihr ihn habt?

Du hast noch immer nicht begriffen, wer – wen. Wer Amboss ist und wer Hammer.

Lass es raus, sag‘s mir endlich – bevor du platzt.

Ach ja, wer spottet hier über wen? Glaubst du im Ernst, dich gibt es seit ewig und drei Tagen?

Wenn ich schon eure Vorstellungen enttäusche, wird’s Zeit, dass ihr eure eigenen Sprüche erfüllt. Warum merk ich nichts davon? Im Prahlen seid ihr schon lange Weltmeister.

Okay, du willst es nicht anders. Ich wollt‘s dir schonend beibringen: wir sind Sternenstürmer und du – winzige und belanglose Erde am Rand des Universums – bist nur unsere Absprungbasis. Will das endlich in deinen Kopf? Aber nein, du stellst dich dumm. Ich sag‘s ungern: wie ein Weib eben. Und Tschüss.

Zeit, Abschied zu nehmen. Mit der Hymne der Sternensucher. Der Mensch hat eine unstillbare Sehnsucht nach den Sternen, verkündete ein deutscher Mitarbeiter Wernher von Brauns am amerikanischen Raketenprogramm.

O Welt, wir müssn dich lassen, wir fahr dahin die Straßen ins ewig Vaterland.
Den Geist wolln wir aufgeben, unser Leib und Leben legen in Gottes gnädig Hand.

Die Zeit ist nun vollendet, der Tod das Leben endet, Sterben ist unser Gewinn.
Kein Bleiben ist auf Erden, das Ewge muss uns werden; mit Fried und Freud fahrn wir dahin.“

Ein Wesen, das sich für grenzenlos hält, muss die Grenzen der Erde überwinden. Ein Wesen, das sich für unendlich hält, muss die Endlichkeit seiner irdischen Existenz durchbrechen. In Cap Canaveral trafen sich deutscher und amerikanischer Gigantismus und feierten Hochzeit. Unendliche Gedanken verschmolzen mit grenzenloser Technik.

„Weil es unendlicher Tätigkeitswille ist, kann das absolute Ich darin nicht verharren, Ich zu sein. Es setzt sich ein Nicht-Ich als Schranke seiner selbst, um sie fort und fort zu überwinden und sich damit seiner selbst als Tätigkeitswille bewusst zu werden. Dieser Vorgang spielt sich in der Vielheit der endlichen Vernunftwesen ab. In ihrem Anschauungsvermögen kommt die Sinnenwelt zustande. Sie zu überwinden, erleben sie als geheimnisvoll in ihnen auftretende und sie mit Weltgeiste verbindende Pflicht. Dies ist der Sinn der Identitätsphilosophie vom Ich und Nicht-Ich.“ (Fichte)

Fichtes Ich ist wie Gott vor Erschaffung der Welt. Es muss sich eine Welt, ein Nicht-Ich als Material seines Willens, als Widerstand schaffen, um seine Energie abzuarbeiten und durch Besiegen eines störrischen Gegenübers seine Allmacht zu beweisen. Der störrische Gegner ist die Sinnen- und Menschenwelt, die er beherrschen muss. Die Natur muss er unter Kontrolle seiner Vernunft bringen.

„Die Natur soll uns immer durchschaubarer und durchsichtiger werden bis in ihr geheimstes Innere, und die erleuchtete und durch ihre Erfindungen bewaffnete menschliche Kraft soll ohne Mühe dieselbe beherrschen und die einmal gemachte Eroberung friedlich behaupten.“ (Fichte)

„Hier trägt Fichte das Hohelied des Fortschrittsglaubens vor, an dem der von den Errungenschaften des Wissens und Könnens lebende neuzeitliche Geist seit der Renaissance dichtet. Wie der biederste Rationalist ist er überzeugt, dass die Natur der lange widerspenstig bleibende Büffel ist, der zuletzt doch unter dem Joch gehen wird.“ (A. Schweitzer)

Hegels Philosophie scheint das genaue Gegenteil zu Fichtes Denken. Fichte will die Welt neu aus seinem Geist erschaffen, Hegel will alles lassen, wie es ist – um mit allem zu verschmelzen. Philosophie hat nicht darüber zu richten, wie Dinge sein sollen, sondern nur konstatieren, wie sie sind und verstehen, wie sie geworden sind.

„Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig.“ (Hegel)

Wir haben die Wirklichkeit nicht nach unseren Idealen zu gestalten, sondern sollen nachvollziehen, wie sie entstanden ist, um sich mit ihr zu identifizieren. In ihr waltet der Geist Gottes. Indem er den Entstehungsprozess im Geiste nachvollzieht, überwindet der Mensch alle Gegensätze. Das Nichts wird zum Sein, das Griechische zum Christlichen, der Mensch zu Gott, das Böse zum Guten. Alle Gegensätze lösen sich in Wohlgefallen auf. Am Ende herrscht eitel Freude und Harmonie. Der Dualismus des Werdens wird zum Monismus des herrschenden Weltgeistes.

„Die Eule der Minerva (das Symbol der Wahrheit) beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug“. (Hegel)

Erst, wenn die Dinge ins Lot gekommen sind, kommt der Philosoph hinterdrein und stellt fest: alles in Butter. Moralisches Verbessern der Welt ist so unsinnig wie unmöglich.

Fichte will alles in titanischer Gottgleichheit neu erschaffen, Hegel will alles absegnen, wie es ist. Zwei unvereinbare Gegensätze? Nur dem Augenschein nach. Indem der Denker die Gesetze des Werdens von A bis O in sich nachvollzieht, wird er mit dem Geschauten eins. Durch Einswerden mit dem Sein wird auch er zu Gott. Titanische Tatkraft und kontemplatives Erkennen kommen zum selben Ergebnis: zum gottgleichen Wesen. Seins-Erschaffen und Seins-Gehorsam sind nur verschiedene Erscheinungsweisen der gottähnlichen deutschen Seele.

Sich in die Dinge hineinmeditieren ist nicht minder aktiv, als die Dinge aus seinem Innern hervorzubringen. Das sind die beiden Seiten des deutschen Wesens. Einerseits wie gelähmt den Dingen zuschauen, als ob man nicht bis Drei zählen kann; andererseits zuschlagen, dass die Fetzen fliegen. Kleine Betrügereien werden verbissen verfolgt und bestraft, große Verbrechen – im Bereich der Banken und Tycoons – können unbehelligt passieren.

„Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“. Noch vor kurzem wurden Erkenntnisse der Volksweisheit als paranoide Verschwörungstheorien abserviert. Heute hat die Wirklichkeit alle Verschwörungen in den Schatten gestellt. Die Auto-Affäre hat die BRD als nationales Korruptions-Kartell entlarvt. Von Verbrechen der Fremden fühlen sich die Deutschen bedroht, bei Riesen-Verbrechen der Einheimischen drücken sie die Augen zu.

Die Kanzlerin ist Hauptagitatorin des Korruptions-Kartells – das unter Wahrung einer scheinbaren Legalität nicht minder verwerflich ist. Kein empörter Aufstand des Wahlvolks, wenn sie sich im Wahlkampf als entschiedenste Gegnerin der Automanager aufbläst. Merkels Wurschteln ist eine Synthese aus Fichte und Hegel. Sie gibt sich höchst energisch – beim servilen Befolgen heilsgeschichtlicher Notwendigkeiten.

Gegner der Moral ächten die ethischen Reformer der Realität als überhebliche und gefährliche Zwangsbeglücker, während sie in amoralischem Aktivismus – der sich als Passivität ausgibt – die Herrschaft der Herrschenden absegnen. Was ohnehin geschieht, erhält einen himmlischen Passierschein. Moral ist amoralisch, während Amoral moralisch sein soll.

Die Wirklichkeit wird immer mehr zur inszenierten Kunst, da Kunst sich den Gesetzen der Moral entziehen soll. Der Künstler darf nicht moralisch sein und muss die Geschehnisse durchwinken, weil er seine Realität gottgleich aus seinem Innern gebären soll: Hegel und Fichte in dialektischer Harmonie. In jahrhundertelangem Untertanengehorsam alles schlucken, um in Torschlusspanik die Welt nachträglich zusammenzuschlagen.

Marx stellt seinen Lehrer auf den Kopf, um dessen Lehre in Fichte‘scher Spiegelschrift peinlich genau zu kopieren. Die revolutionäre Ungeduld der Veränderer hat sich so lange zu gedulden, bis die allmächtige Geschichte gnädig geruht, das Signal zum Losschlagen zu geben. Die Heißsporne vollenden nur, was die Geschichte ohnehin getan hätte – nur etwas langsamer oder beschleunigter. Die Deutschen glühen vor Eifer, wenn sie auf der rechten Seite der Geschichte stehen. Das ist das Zentrum ihres Mitläufertums. Sie laufen im Sog der allmächtigen Geschichte. Widerstand wäre für sie blasphemischer Trotz gegen den göttlichen Willen.

Heute nicht anders. Alle Parteien wollen die Deutschen zukunftsfest machen. Die Mitläufer sollen sich rüsten, sich dem Unvermeidlichen, was auf sie zukommt, freiwillig unterzuordnen. Das nennen sie modern. Schon jetzt sollte man sich darauf einstellen, eine neue Marktnische ausfindig zu machen, um in Zukunft sein Geld zu verdienen. Morgen wird es keine traditionellen Arbeitsplätze mehr geben. Je früher man sich der Roboterzukunft beugt, umso agiler hat man seine Mobilität unter Beweis gestellt.

Merkel ist die devote Magd einer despotischen Zukunft. Wer sich dem Gesetz der Geschichte verweigert, ist ein Dinosaurier. In hechelnder Fügsamkeit unter allmächtige Geschichtsgesetze fühlen sie sich als dynamische Avantgarde. „Was uns erwartet, was auf uns zukommt“: sind beliebte Schlagzeilen aus dem Standardrepertoire der Edelschreiber. Mitten im Strom schwimmen – und sich dennoch als flotte Anführer des Unveränderbaren geben: das ist deutsche Untertanen-Herren-Mentalität.

Wenn die Menschheit das Endliche als unerträglich empfindet, muss sie die Fesseln des Irdischen abwerfen und ins Unendliche abdüsen – um dort denselben Gesetzen des Naturausbeutens und Profitmachens zu folgen wie auf Erden. Hat sich was geändert?

„Wem gehört der Weltraum – und wer darf darüber bestimmen? Luxemburg hat darauf jetzt eine Antwort: Luxemburg. Seit Anfang August gilt dort ein Gesetz, das Unternehmen erlaubt, im All nach Rohstoffen zu schürfen und diese zu behalten. Die USA haben bereits 2015 für US-Unternehmen ein ähnliches Gesetz erlassen.

Was sie nicht haben, wird bereits jetzt verscherbelt. Jedes Land fühlt sich berechtigt, im Alleingang die Pfründe des Weltalls sich unter den Nagel zu reißen.

„Deshalb könnten Länder auch nationale Gesetze über den Weltraum erlassen. «Wenn ein Staat eine Lizenz zum Bergbau vergibt, kümmert er sich auch darum, dass die Natur respektiert und alles sauber hinterlassen wird».“ Lesen wir in der TAZ.

Als ob die ökologische Schändung der Erde nicht das Gegenteil bewiese. Der Wahn der Grenzenlosen wird zum Wahn der Bewusstseinslosen:

«Nebenwirkungen interessieren Länder und Unternehmen nicht, wenn es um Geld geht», warnt Weltraumrechtlerin Mejia-Kaiser. Probleme würden kleingeredet, so auch die drohende Weltraumverschmutzung.“ (TAZ.de)

Während sich die Avantgardisten bereits als Besitzer des Weltraums wähnen – obgleich sie noch gar nicht auf dem Mars sind –, präparieren sich andere zum feurigen Empfang außerirdischer Eindringlinge. Sie handeln, als wüssten sie, dass galaktischer Besuch vor den Toren steht. Versteht sich, dass Außerirdische nur Feinde sein können, die man mit dem Feuerwehrschlauch ins All zurück befördern muss:

„Angesichts der Tatsache, dass viele Ufologen glauben, dass wir uns einer Zeit nähern, in der die Aliens landen werden, ist der Umfang unseres mangelnden Wissens bemerkenswert. Sind sie freundlich oder feindlich? Das müssen auch Feuerwehrleute wissen. Was würde passieren, wenn ein Ufo bei einer Schule abstürzen würde? Wenn die Feuerwehr gerufen würde, weil die Aliens in dem abgestürzten Ufo noch leben?“ (BILD.de)

Zukunfsfeste Erdbewohner rüsten sich zur imperialen Eroberung des Universums und zum irdischen Abwehrkampf gegen Ungeheuer aus dem Weltall.

Dabei kann der Seinsgehorsam konträre Reaktionen hervorrufen. Die einen präparieren sich für eine fantastische Zukunft, die anderen krallen sich an fantastische Mythen ihrer geoffenbarten Religion: die Erde ist mitnichten eine bedeutungslose Kugel. Sie ist noch immer eine Scheibe – wie es in heiligen Büchern nachzulesen ist. Christian Stöcker beschreibt im SPIEGEL die wachsende Gruppe jener, die die Erde als flache Scheibe betrachten.

„Die größte entsprechende Facebook-Gruppe hat fast 90.000 Fans, eine weitere knapp 40.000. Einige davon sind vermutlich eher ironisch am Thema interessiert, es bleibt jedoch eine Tatsache, dass es rund um den Globus Menschen gibt, die nicht an den Globus glauben wollen. Viele von ihnen, wenn auch nicht alle, sind religiös motiviert. Der Autor eines „Flat Earth“-Standardwerkes namens „The Greatest Lie on Earth“ beispielsweise betrachtet die Heilige Schrift als „unfehlbares Wort Gottes“ und einzige wirklich legitime Quelle. (SPIEGEL.de)

Wie üblich in Deutschland, wird der Zusammenhang von Übeln mit der Religion in einem Nebensatz dementiert. Weder Terrorismus, noch der heilige Zorn Trumps, noch die Verdummung der Bevölkerung durch unfehlbare Offenbarungen dürfen mit heiligen Büchern in einen Ursache-Folge-Zusammenhang gebracht werden. Obgleich der Westen seit Jahrtausenden religiös infiziert ist, können Abendländer auf keinen Fall von Religion beeinflusst sein. Höchstens bei trefflicher Nächstenliebe darf der Heilige Geist eine kausale Rolle spielen.

Viele Gegenaufklärer seien religiös motiviert – aber nicht alle. Also müsste es Zufall sein, dass sie an die Unfehlbarkeit der Schrift glauben. Wäre es nicht sinnvoller zu sagen: alle Gegner der Wissenschaft sind Fromme, die an die Unfehlbarkeit der Bibel glauben – auch wenn sie ihren Glauben leugnen oder verdrängen?

Wie können Menschen wissen, ob sie religiös sind, wenn sie nichts über die Religion wissen? Nein, Menschen wissen nicht am besten, was sie sind und was sie glauben. So wenig sie wissen, von welchen Krankheiten sie belästigt werden, so wenig wissen sie, durch welche unbewussten Elemente ihr Ich dominiert wird.

Heute will sich niemand erkennen, wie er ist. Jeder sieht sich, wie er gesehen werden möchte: er muss etwas darstellen. Darstellen ist Inszenieren. Jeder muss eine Rolle spielen. Er hat dynamisch, genial, zukunftsfest und aufstiegsorientiert zu sein. Was dem Bild widerspricht, muss ausgeblendet werden. Sagen wir, 90% seines Innenlebens müssen umgedeutet oder geschwärzt werden.

Die Selbstbeschreibung des sternensuchenden, grenzenlos abenteuernden, risikofreudigen Welteroberers, der sich aufmacht, das Universum seiner Macht einzuverleiben, ist eine Selbsttäuschung. Die Menschen dürfen nicht erkennen, wie sie sind. Das wäre das Ende der Moderne.

Die Fortschrittsreligion beherrscht die Köpfe der Zeitgenossen, weil diese zur Selbstbesinnung nicht fähig sind. Unentwegtes Beschleunigen soll die Karriere-Sklaven derart in Atem halten, dass sie im Spiegel ihr Konterfei, aber nicht ihr Ich erkennen. Die Moderne ist eine Epoche des alles überwuchernden Es.

Trump ist einer der wenigen, die tun, als ob sie ihr Innerstes nach außen stülpten und ohne Scheu der Öffentlichkeit vorlegen würden. Müsste man bei solcher Transparenz nicht mit Leichtigkeit diagnostizieren können, wes Geistes Kind der Selbstdarsteller ist?

Stellt er sich dar, wie er ist – oder betreibt er ein Illuminationstheater? Halt, kann man sich überhaupt verstellen, wenn die eigenen Worte und Taten in Überfülle der Öffentlichkeit präsentiert werden? Und dennoch gibt es Fachleute, die es sich verbieten, eine Diagnose zu stellen, obgleich das Verhalten des „Patienten“ eine Gefahr für die ganze Welt bedeutet.

Seelenexperten beziehen ihre Charakterkriterien nicht aus der Realität, sondern aus der vagen Mythologie. Trump soll ein eitler Jüngling sein, der sich aus Bewunderung seiner eigenen Schönheit ins Wasser stürzte. Wäre Trump ein solcher Narzisst, wäre er nur für sich eine Gefahr, hätte er nur Augen für bezaubernde Schönheit. Goldglitter um sich sammeln, verrät keinen Sinn für Schönheit. Frauen unsittlich berühren, ist keine Bewunderung ihrer Schönheit.

Fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein, um einen Menschen als Narzissten zu bezeichnen:

– Ein grandioses Gefühl eigener Bedeutung

– Fantasien von grenzenlosem Erfolg und eigener Brillanz, Macht oder Schönheit

– Glaube an die eigene Außergewöhnlichkeit

– Einforderung übermäßiger Bewunderung

– Anspruch auf bevorzugte Behandlung

– In zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisches Verhalten

– Mangel an Empathie, fehlende Bereitschaft, Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen oder sich damit zu identifizieren

– Häufig neidisch auf andere, zugleich überzeugt, andere seien neidisch auf sie

– Zeigt sich arrogant und hochmütig (Sueddeutsche.de)

Nichts davon trifft auf einen griechischen Hirtenknaben zu.

Weil sie sich sklavisch einer Berufsregel unterordnen – keine Diagnose ohne eigene Untersuchung –, verletzen sie die demokratische Urpflicht, sich über alle politischen Dinge ein Urteil zu bilden und öffentlich zu streiten.

Indem sie ihre Kriterien nicht der Wirklichkeit entnehmen, sondern sich aus ihren gelehrten Fingern saugen, stellen sie Verhalten als etwas dar, das mit der Realität nichts zu tun hat. Was ist Trump, wenn nicht der Paradefall eines Kapitalisten? Ein Neoliberaler wie aus dem Lehrbuch? Indem Psychiater eine weltfremde Diagnose stellen, verweigern sie sich der Analyse der wirklichen Welt.

Man müsste den Kapitalismus analysieren, um Trump zu beschreiben. Doch die Gesellschaft ist tabu. Die Seele muss in einer parallelen Welt zu Hause sein. Wie Denker, die das Denken bedenken und nicht die Wirklichkeit, diagnostizieren Seelenkenner Fabelwesen, um der Konfrontation mit der politischen Wirklichkeit auszuweichen.

Das Psychogewerbe, zuständig für Selbsterkenntnis, ist zu einem Gewerbe der Realitätsverleugner geworden. Wie Fromme in religiöse Märchen flüchten, flüchten Seelenexperten zu Fabelwesen der Vorzeit, um sich aus dem politischen Schlamassel rauszuhalten.

Na Welt, wie geht’s denn so?

Auch wenn ich dich enttäusche: mir geht’s nicht schlecht.

Du spielst Theater. Glaub ja nicht, dass ich dir das abnehme.

Hab ich erwartet. Beurteilst du doch alles, wie du dich selbst – nicht beurteilst. Sonst müsstest du dich ja mal selbst kritisch beäugen. Höre: seit ich sehe, wie deine Gattung nichts unterlässt, um sich hier aus dem Staub zu machen oder sich auf Nimmerwiedersehen ins Weltall zu verziehen, geht’s mir von Tag zu Tag besser. Na los, wo bleibt dein höhnisches Lachen?

Die Antwort – kennt nur der Wind.

 

Fortsetzung folgt.