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Neubeginn XXXIX

Hello, Freunde des Neubeginns XXXIX,

Problemlösung durch Problemverdrängung – das ist neudeutsche Gemütlichkeit, die sich alles unter den Nagel reißt, was nicht niet- und nagelfest ist.

„Probier’s mal mit Gemütlichkeit, mit Ruhe und Gemütlichkeit
jagst du den Alltag und die Sorgen weg.
Und wenn du stets gemütlich bist und etwas appetitlich ist,

dann nimm es dir egal von welchem Fleck.“

Ulf Poschardt, dem leitenden Psychotrainer des Springer-Verlags, ist ein Stein vom Herzen gefallen. Seine Lektionen, sein Vorbild, seine Ermunterungen, sind WELT-weit angekommen. Die Deutschen hatten ein Einsehen, nahmen Abschied von ihrer geliebten Angst und folgen Poschardts Kurs der Problembewältigung durch „Lässigkeit, Humor und Stil.“

„Die neue Pew-Studie bestätigt: Weder Zuwanderung noch Arbeitslosigkeit treiben Deutschlands Bürger um. Die neue Nüchternheit zentriert das einst politisch extreme und unruhige Land in der Mitte. Die neue Angstnüchternheit der Deutschen zentriert das einst politisch extreme und unruhige Land in der Mitte. Das wiederum verdeutlicht, wie sehr eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik der Garant für soziale und politische Stabilität sein kann. Evolutionsbiologen warnen, dass sowohl zu viel wie zu wenig Angst gefährlich sein kann. Die Deutschen sind auf dem Weg zu einer funktionalen Balance ihrer Angstverwaltung.“ (WELT.de)

Jetzt aber nicht ins Gegenteil verfallen und angstfrei in die Zukunft vagabundieren! Angst muss funktional verwaltet werden, dann werden wir auch die Autokrise mit Bravour überwinden. Erfolgreiche Wirtschaft löst alle Probleme, und die

Kanzlerin – lässig und stilvoll beim Höhenwandern – ist die Tiefentherapeutin ihres Volkes.

Zu viele Ängste schwächen die Leistung, zu wenige machen tollkühn – haben Evolutionsbiologen herausgefunden, die diese Erkenntnis beim griechischen Evolutionsphilosophen Aristoteles hätten nachlesen können.

Nüchterne Menschen brauchen eine funktionale Gefühlsverwaltung – und schon schwirren die Exportzahlen in die Höhe, stürzen andere Nationen in Schulden, ruinieren das internationale Gleichgewicht der Kräfte – was die Deutschen aber nicht beunruhigen muss. Leben sie doch psychisch stabil und in sich verankert in der Mitte des Seins, Angsthase links, Versager rechts, das Mutterkind in der Mitten. Damit wäre auch das Problem des Historikers Götz Aly, der die Deutschen als Volk ohne Mitte sieht, weitgehend gelöst.

In der Mitte sein, heißt Selbstbewusstsein haben. Die Mitte zwischen zwei Extremen ist Klugheit, sagte Platons Schüler. Man nehme zwei Extreme, entferne sich gleichweit von ihnen – und schon ist man klug und weise. Doch woher Extreme nehmen und nicht stehlen?

So unklug sind die Deutschen nicht, dass sie nicht schon beizeiten für links-extrem und rechts-extrem vorgesorgt hätten, um sich, gleich weit von beiden entfernt, behaglich in der Mitte einzurichten. Die Deutschen sollen das moderne Volk der Mitte werden, nachdem die Chinesen den bedauerlichen Fehler begingen, allzu weit nach links auszurasten. China zu weit links, Amerika zu weit rechts: da bleibt nur Deutschland als Führungsnation in der Weltenmitte.

Der Baum des Lebens stand mitten im Garten Eden – ergo befinden sich die Deutschen im Paradies, während die anderen Völker sich außerhalb des Sündenwalls mit Staatsschulden, Arbeitslosigkeit, Zukunfts- und Klimaängsten herumzuplagen haben. Und mitten in der Mitte sitzt die Mutter der Nation auf dem Baum des Lebens und verteilt paradiesische Früchte an ihr dankbares Volk. Und wenn sie nicht gestorben sein wird – keine Angst, alles deutet auf mittlere Unsterblichkeit –, wird sie ihrem Volk bis weit über den Vorruhestand als Prophetin der Mitte erhalten bleiben.

Als neues Volk der Mitte hat Deutschland endlich wieder Anschluss gefunden an seine heroische Tradition, sich von allen minderwertigen Nachbarn gleichweit entfernt zu halten. In seinen Betrachtungen eines Unpolitischen, in denen er seinen antidemokratischen und chauvinistischen Kurs gegen Bruder Heinrich verteidigt, spricht Thomas Mann vom künftigen Volksstaat, „den es zu verwirklichen gelte, der jenseits der westlichen Demokratie und des damit verbundenen Kapitalismus und jenseits des Sozialismus, wie er sich in Russland zu entwickeln im Begriff war, stehe. Mit den Betrachtungen will er die Sonderstellung Deutschlands zwischen Ost und West beweisen, es finden sich daher mehrmals Gedanken von „deutscher Mitte“. Als einer der ersten sprach er auch vom Dritten Reich.“ (Wikipedia)

Armin Mohler erinnert daran, dass die Konservative Revolution den Versuch unternommen hätte, „die gegensätzlichen (antagonistischen) – aus ihrer Sicht nur scheinbaren und „Deutschland spaltenden“ – Begriffe des politischen Spektrums wie „rechts – links“, „konservativ – revolutionär“, „nationalistisch – sozialistisch“, „individualistisch – kollektivistisch“ u. a. zu überwinden und in Gebilden wie einer unklar definierten „Mitte“ bzw. einem „dritten Weg“ (Drittes Reich) aufzulösen bzw. zu integrieren.“ (Wikipedia)

Bei Aristoteles war Mitte noch ein präziser Begriff, weil seine Welt sich in einem stabilen Kosmos befand, weit entfernt von linearer Heilsgeschichte, die alle natürlichen Dinge in ihrer konturierten Bedeutung auflöst und einer neuen Natur entgegen rast. Bei den Griechen gab es keinen Fortschritt, keine Entwicklung der Menschheit ins Unendliche.

Was ist heute die Mitte zwischen grenzenloser Zukunft und erloschener Vergangenheit, zwischen technischer Omnipotenz und einer bedeutungslosen, immer vollständiger überwachten Menschheitsherde? Was kann eine sinnvolle Mitte sein, wenn sie selbst ununterbrochen ins Extreme expandieren muss? Wer befürwortet eine gottähnliche Zukunft im Universum, einen unsterblichen homo Deus, eine Entwicklung intelligenter Maschinen bis ins Todlose? Wenn alle Grenzen verschwimmen, gibt es kein Zentrum mehr.

Wer ist in modernen Gesellschaften am extremsten? Die elitären Mittel- und Oberschichten, die nichts anderes im Kopf haben als globale Reputation, grenzenlosen Reichtum und universelle Macht. In der Mitte sitzen die Konservativen, die – ihrer Eigenwerbung zum Hohn – nichts bewahren außer ihrer Macht, alles niederreißen, um den Anschluss nicht zu verlieren.

Die Mitte wurde zum Abyssus des Hemmungslosen. Die Rechten sehnen sich zurück in ein imaginäres Reich der besten Rasse, einer frommen Unfehlbarkeit oder einer adligen Herrenschicht. Moralische Linke wollen Gerechtigkeit, die zu allen Zeiten dieselbe ist. Marxisten, keine moralischen Linken, glauben wie Christen an dieselbe Heilsgeschichte, die eines Tages das Reich Gottes oder ein Reich der Freiheit bringen wird. Die Konservativen sind zu den größten Antreibern einer zu vernichtenden Vergangenheit und einer ständig neuen Zukunft geworden.

Auf welchen Messen glänzen Merkels Augen am gläubigsten? Auf Industriemessen, die sich erkühnen, die Zukunft der Menschheit zu bestimmen – ohne diese zu befragen. Das nennt sich heute Liberalismus und Individualismus, freie Entscheidungsmöglichkeit des Einzelnen.

Die unerbittlichsten Kräfte, die als erste die Zukunft erringen wollen, um die Gegenwart zu gängeln, sind Extremisten der Mitte, die sich ihre linken und rechten Popanze halten, um sich in den demütigen Mantel des Zuträglichen und Menschenfreundlichen zu hüllen. Wäre es denkbar, dass Merkel eine Volksbefragung abhielte, welche Zukunft die Menschen selbst für wünschenswert hielten?

Der katholische Religionsphilosoph Romano Guardini lehnte keineswegs die christliche Vaterschaft für die erbarmungslose technische Zivilisation ab, die „auch die Menschenvernichtungsmaschinen einschließt. Der Mensch der christlichen Zeit hat dem antiken gegenüber eine Dimension des Geistes und der Seele mehr; eine Fähigkeit des Empfindens, eine Schöpferkraft des Herzens und eine Kraft des Leidens, die nicht aus natürlicher Begabung, sondern aus dem Umgang mit Christus hervorgehen. Daraus folgt etwas Weiteres: die größere Freiheit zum Guten und zum Bösen. Das Christentum hat den Menschen auf eine Ebene der Handlungsfähigkeit gehoben, auf welcher er, wenn er gut wird, besser als der Heide, wenn aber böse, dann schlimmer als dieser ist. Das Gute wurde zur vollen personalen Mündigkeit. Doch die gleiche maximale Selbstentfaltung gilt für das Böse. Erst im Bösen ist der Glaube zu seiner ganzen Fruchtbarkeit frei geworden und hätte damit einen Charakter der Geschichte erklärt, der sonst nicht zu verstehen ist.“

Der christliche Glaube kann keine Moral sein, die die Kräfte der Unmoral durch Einsicht überwinden will. Beides, das Gute und das Böse, steigert er ins Unerträgliche. Wie kann man noch vom Guten sprechen, wenn es dem Bösen nur als Feigenblatt dienen muss? Wer Gutes und Böses gleichzeitig wachsen lässt, eliminiert das Gute, weil es ihm geradezu verboten ist, das Böse zu besiegen. Faust betrog den Betrüger Mephisto, um dessen Fähigkeiten in den Dienst seiner Erlösungsbedürfnisse zu stellen.

Von diesem faustischen Pakt träumen heute noch alle Frommen, um ihre Machtgelüste zu rechtfertigen. Vergeblich. Sie geben sich gemäßigt, sagen gesittet guten Tag, doch ihre Taten sind von schroffer Erbarmungslosigkeit. Ihre Technik will die Menschheit mit Waffen und Überwachungsmaschinen unterwerfen, ihre Wirtschaft den Reichtum der Welt in wenigen Händen konzentrieren.

Poschardt betet die Leistungsstärksten, die Kühlsten und Bedenkenlosesten an, die er in der Mitte ansiedelt, damit er ihre Macht unterstützen kann. Die Ängstlichen verachtet er. Dabei wären Ängste durchaus in der Lage, die Gefahren der Gegenwart zu erahnen. Sie dürften sich nur nicht funktional verwalten, sondern müssten sich verstehen lernen, um sich selbst auf die Spur zu kommen. Poschardt will den humanoiden Roboter, den Maschinenmenschen, der seinen irrationalen Gefühlen gebietet, wie er seine Computer dirigiert.

Kann Wirtschaft alle psychischen Probleme lösen? Wenn sie die Absicht hätte, die Menschen gerecht zu behandeln, könnte sie viele Unsicherheiten und Ängste minimieren. Genau das will Poschardt nicht, der die wachsende Kluft zwischen Reich und Arm für richtig hält. Um die Frage nach Gerechtigkeit abzutun, haben die Reichen die Mär erfunden: erst eine wachsende Wirtschaft, die sie immer reicher macht, könnte Almosen für die Armen abwerfen. Das ist das Matthäus-Prinzip als Neoliberalismus: wer hat, dem wird gegeben, wer nichts hat, dem wird noch genommen, was er hat.

Hätte eine humane Wirtschaft die Absicht, die Grundbedürfnisse des Menschen nach materieller Sicherheit und psychischer Akzeptanz zu befrieden, wäre sie tatsächlich fähig, viele psychische Defekte der Menschen zu reduzieren. Genau diese Wirtschaft lehnt Poschardt als linke Träumerei ab. Nie werden die Profiteure des jetzigen Kapitalismus der Idee eines BGE zustimmen – mit Ausnahme weniger Milliardäre, die die Heerscharen der Überflüssigen von der Revolution abhalten wollen.

Die jetzigen Gesellschaften rauben den Heranwachsenden die Würde, die das Grundgesetz ihnen bedingungslos zuspricht. Sie akzeptieren den Menschen nicht als Menschen, sondern verlangen von ihm eine vorgängige Leistung, um ihn nicht als Menschen, sondern als Leistungsträger anzuerkennen.

Eine Chancengleichheit per Bildung kann es nicht geben. Erstens wird kein Mensch gleich geboren, zweitens wird er in ungleiche Verhältnisse geworfen, drittens ist Ausbildung zum Aufstieg keine Bildung. Schon gar nicht Bildung zu einem obligatorischen Aufstieg. Aufstieg wohin? Ist das Höhenplateau der Rücksichtslosesten ein Eldorado der Seligen?

Der Kapitalismus empfängt das Neugeborene mit dem misstrauischen Spruch: Du willst ein Menschlein sein? Beweise es, indem du unsere entfremdeten Kitas, denkfeindlichen Schulen und Universitäten absolvierst, dir einpauken lässt, was wir für dich vorgesehen haben, damit du ein tüchtiger Maschinist und Börsenhai wirst. Kannst du unseren Forderungen, aus welchen Gründen auch immer, nicht genügen, bist du für uns kein Mensch, sondern ein Parasit, ein Versager, ein Verlierer der Moderne, ein Abschaum der Menschheit. Sei froh, wenn wir dich nicht verhungern lassen, dich lediglich als Almosen-Empfänger aus der Mitte entfernen und dich am Rande der Gesellschaft verkümmern lassen.

Götz Werner ist ein Milliardär, der mehr von der Würde des Menschen verstanden hat als die Mehrheit der mittig Aufgestiegenen. Ohne Zwang zur Arbeit würden die meisten Menschen zu Faulenzern: das ist das stereotype Argument derer, die von Humanität nichts verstanden haben. In einem Interview der BLZ antwortet Werner:

„Leute, die für Nichtstun Geld bekommen, gab es aber immer schon, den Adel im Mittelalter zum Beispiel. Faulpelze gibt es auch heute. Tatsächlich aber ist das gegenteilige Phänomen viel verbreiteter. Nämlich, dass Menschen ungeheure gesellschaftliche Leistungen erbringen, ohne dafür bezahlt zu werden: Sie erziehen Kinder, pflegen Angehörige, arbeiten in Vereinen und Bürgerinitiativen oder engagieren sich anderweitig ehrenamtlich. Das zeigt einesteils die Bereitschaft der Menschen zu sinnhafter, für das soziale Gefüge wertvoller Arbeit. Andernteils verringert ein bedingungsloses Grundeinkommen ungerechte Schieflagen. Zum Beispiel stünden Frauen, die ihr Leben lang hart für ihre Familie gearbeitet haben und deshalb keine eigenen Rentenansprüche erwerben konnten, mit einem Grundeinkommen viel besser da.“ (Berliner-Zeitung.de)

Es ist der monströseste Skandal der Moderne, dass Männer ihre Arbeit als „Erwerbsarbeit“ definieren dürfen, die allein des Lohnes würdig sei. Auch Marxisten sind Anhänger dieser naturschändenden Arbeitsreligion. Dass Frauen durch Gebären und Erziehen der Kinder die Überlebensfähigkeit der Gesellschaften garantieren, ist keiner Bemerkung wert.

Unverständlich, dass 50% der Menschheit diesen Riesenbetrug mitmachen und sich ins Männerjoch spannen lassen. Stets unter der Devise, Erwerbsarbeit und familiäres Leben seien vereinbar. Immer deutlicher wird, dass nicht nur berufstätige Mütter, sondern auch Väter die Doppelbelastung der Arbeit und Erziehung nicht mehr ertragen. Von außen besehen, ist alles möglich, weil die psychischen Defekte aller Beteiligten vertuscht werden. Allmählich erst trauen sich die Eltern, über ihr Ausgebranntsein zu berichten:

„Wie beim beruflichen Burnout liegen auch hier typischerweise drei Symptome vor. Zuerst kommt die Erschöpfung. Der Elternteil fühlt sich leer, am Ende seiner Kräfte. Als Nächstes folgt die emotionale Distanzierung. Es fehlt an Energie, um sich in der Beziehung zum Kind zu engagieren. Man ist weniger aufmerksam, legt nicht mehr so viel Wert darauf, was das Kind erlebt und empfindet. Und dann – eventuell auch schon vorher oder gleichzeitig – schwindet die Leistungsfähigkeit und die Identifikation mit der Elternrolle. Man geht nicht mehr darin auf, fühlt sich nicht mehr als guter Vater oder gute Mutter. Zwei dieser drei Symptome genügen, um von einem Burnout zu sprechen.“ (Spektrum.de)

Es gibt keine Verträglichkeit von Leben und Kapitalismus, von Familie und außengeleitetem Beruf, von demokratischem Engagement und Aufgeriebenwerden rund um die Uhr. Weder für Mütter noch für Väter. Am Ende der Leidenskette stehen die Kinder, denen vorgesäuselt wird, die Erwachsenen würden alles tun, um ihre Zukunft zu sichern. Gab es je Gesellschaften mit gigantischeren Lügen?

Der kollektive Schwindel betrifft nicht nur die ungerechten Wirtschaftverhältnisse. Der ganze Bereich der Zukunft ist ein einziger Kokon aus Illusionen. Zuerst sehen Experten – wenn sie sich ihr Gehirn noch nicht gänzlich amputieren ließen – ein gewaltiges Problem:

„Namhafte Wissenschaftler sagen überzeugend voraus, dass die vom Menschen geschaffenen Systeme der künstlichen Intelligenz ab einem bestimmten Punkt eine Art eigenes Bewusstsein entwickeln könnten. Experten schätzen, dass dies Mitte des Jahrhunderts der Fall sein kann, und bezeichnen dieses Bewusstsein als Singularität. Technische Systeme mit „Selbstbewusstsein“ würden sich wie der Mensch durch Streben nach Teilhabe und Selbsterhalt auszeichnen. Da ist es naheliegend, dass sich diese Technik gegen den Menschen wenden könnte, um den eigenen Fortbestand zu sichern. Hier sehe ich das Hauptproblem.“ (WELT.de)

Doch wenn sie aufgefordert werden, sich endlich zur Wehr zu setzen und nicht immer zu schwatzen, kommt der künstliche Aufschrei:

„Die Politik befindet sich in einem Zustand der Ohnmacht gegenüber der technischen Selbstbefähigung.“

Wider alle Regeln der Logik beharrt der Experte auf der Pflicht, sich zu wehren:

„Ich bin ein Verfechter von Humanismus und Aufklärung. Sich jetzt einfach dem Schicksal zu ergeben und zu resignieren geht nicht. Man darf aber auch nicht so naiv wie Marc Zuckerberg sein, der die Risiken der Vernetzung nicht wahrhaben will.“

Dann folgt das stereotype Geseire, auch Risiken seien Chancen; das Rad könne man ohnehin nicht zurückdrehen. Konkretisiert wird nichts. Welche Chancen jeder hat, bleibt im Dunkeln. Die Klimax des Absurden klingt, als ob jeder sich für beschränkt halten müsse, wenn er es nicht versteht:

„Unser Ziel muss es also sein, dass wir uns an der Grenze der maximal möglichen Komplexität bewegen, ohne diese zu überschreiten. Diese Balance an der Grenze des Möglichen zu finden ist die zentrale Herausforderung, vor der wir stehen“.

Wie weit noch würde der Experte die gefährliche Entwicklung begleiten und rechtfertigen?

„Das weiß ich noch nicht. Und ich denke, dass es den meisten Menschen ebenso geht. Die meisten von uns wissen nicht, was sich da genau abspielt – wie also sollen wir Entscheidungen treffen. Ich versage mich da nicht grundsätzlich. Wichtig ist jetzt erst einmal, dass wir über diese Dinge einen Dialog in der Mitte unserer Gesellschaft führen. Wir dürfen dieses Feld weder den Eliten noch den Populisten überlassen. Vielleicht steht am Ende dieser Entwicklung ja doch auch ein gottähnliches, unsterbliches Wesen – ein Homo Deus.“

Die pflichtgemäße Attacke gegen Populisten, die nur Ängste erzeugen würden, darf nicht fehlen. Welche Ängste jedoch ein Experte entfacht, der mit aufgeklärter Kritik beginnt, mit stupider Ignoranz fortfährt und in glorioser Verherrlichung eines homo Deus endet – das bleibt unbefragt und unkommentiert.

Die neudeutschen Paradiesvögel wollen ihre gerade noch vorhandenen, minimalen, kaum erwähnenswerten Restprobleme lösen, indem sie diese verdrängen, verharmlosen und als nicht existent erklären. Noch immer beanspruchen sie die Gnadenformel externer Erlöser: vergib uns, wir wissen nicht, was wir tun.

Wer nicht weiß, was er wissen könnte, nicht tut, wozu er fähig wäre, hat sich die todessüchtige Quittung seiner Ignoranz redlich verdient.

Was aber wird aus unseren Kindern? Es wird Zeit, dass eine planetarische Generation heranwächst, die den Illusionisten der Mitte das Handwerk legt.

 

Fortsetzung folgt.