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Neubeginn VI

Hello, Freunde des Neubeginns VI,

welch eine Brüskierung der Kinder: die New York Times nennt den amerikanischen Präsidenten infantil. Infans heißt das Kind. Kinder, besetzt die Chef-Redaktion, bis der Herausgeber euch auf Knien um Verzeihung bittet.

„Infantilismus zeigt sich in der psychologischen Definition meist in Form von hemmungslosen, undisziplinierten, emotionalen Verhaltensweisen wie beispielsweise Trotz, Egozentrismus und Imponierverhalten, oder allgemeiner im Fehlen einer altersentsprechenden Selbstreflexion und dementsprechend meist in einer sozialen und/oder emotionalen Unreife. Aber auch eine erlernte Hilflosigkeit ist eine Form von Infantilismus. Infantilismus kann zum Beispiel bei kognitiver Behinderung vorkommen, aber auch als Abwehrverhalten gegenüber Mitmenschen und Frustrationen.“

Kognitive Behinderung könnte bei Trump hinhauen. Aber erlernte Hilflosigkeit? Gibt es denn eine nicht erlernte Hilflosigkeit? Der Mensch will stets unschuldig sein und alle Verantwortung anderen aufbürden. Seinem Schöpfer darf er keine Schuld geben, also bleibt – die Natur. Natürliche Gene aber offerieren nur Möglichkeiten. Der Geist ist es, der aussucht, entwickelt und bestimmt. Kein Geist, der nicht erlernt wäre. Auch die schlimmste Dressur ist Lernen, wenn auch unter Gewalt.

Vor kurzem nannten sie den Goldenen Mogul im Weißen Haus – narzisstisch. Narziss, Jüngling und noch halbes Kind, war von einer schönen Gestalt im Wasser so berückt, dass er sich in dasselbe stürzte und ertrank. Dass er selbst der Schöne war, wusste er nicht, er hatte noch kein „Selbst“.

Noch hat man nicht die Botschaft vom freiwilligen Tod des Meisters aller Klassen im Swimming Pool in Mar-a-Lago vernommen. Dass Trump ein Freund des Wahren, Guten und Schönen wäre, hat nicht einmal Tochter Ivanka behauptet. Dass man einen schönheitsberauschten, selbst-losen Knaben vergleichen kann mit dem

mächtigsten Mann der Welt, der beim Dessert auf den roten Kriegsknopf drückt, zeigt die nicht mehr zu überbietende Begriffsraserei des Westens. Wie sie die Natur mit Plastik überschwemmen, so die Menschheit mit einer Sintflut an Wörtermüll.

Nach narzisstisch nun infantil. Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Und wie sind Kinder? „Hemmungslos, undiszipliniert, emotional, trotzig, egozentrisch, emotional, imponierend, hilflos und geistig behindert.“ Da muss der Herr eine wahre Höllenhorde fürs Himmelreich auserwählt haben.

Auch emotional, hört, hört, sollen sie sein! Hat man schon Schrecklicheres unter emotionslosen Pfarrerstöchtern vernommen? Es müssen exquisite Seelenkenner und Kinderfreunde sein, die solche diagnostischen Begriffe in die Welt setzen.

Von politischen Deformationen dürfen Politiker nicht heimgesucht werden. Sonst müsste man Wirtschaft und Politik auf Neurosen und Psychosen absuchen. Wahlweise können die führenden Klassen mit theologischen (Erbsünde) oder psychischen Defekten (Narzissmus, Infantilismus) geschändet werden, damit das Feld des Kapitalismus rein und unbefleckt bleibe. Wer sich im Bereich des Erfolgs auszeichnet, muss seelisch pumperlgsund sein. Ist er‘s nicht, kann es auf keinen Fall an seiner ökonomischen Leistungsfähigkeit liegen – denn nichts ist erfolgreicher als der Erfolg.

Da müssen externe Hexenelemente wie Seele, unglückliche Kindheit, Bedürfnis nach Geborgenheit, Charakterdeformationen, ins Geld-Revier gedrungen sein, um das Opfer mit glühenden Zangen zu zeichnen.

Entweder sind Kinder engelgleiche Unschuldswesen oder Satansbrocken. Dass sie Plagiate ihrer Umgebung sind, wenn sie nicht lernen durften, mit dem eigenen Kopf zu denken, muss unterschlagen werden. Alles entstammt der Umgebung, nur seelische Defekte müssen selbst verfertig sein. Wie wär‘s zur Abwechslung, die Charakter-Eigenschaften „hemmungslos, undiszipliniert, egozentrisch, prahlerisch“ als Kennzeichen des Kapitalismus zu nehmen?

Trump ist nichts als Opfer jener Ökonomie, die seit Hunderten von Jahren die Welt erobert, Verlierer deklassiert und die Sieger verroht. Trump ist Opfer der Postmoderne, jener geistigen Verfallsepoche, die sich im Schatten des mammonistischen Siegeslaufs bildete. Die Postmoderne wollte die Moderne zerlegen, doch sie ist deren Höhepunkt – kurz vor dem drohenden Absturz:

„Es gibt keine übergeordnete Sprache, keine allgemeinverbindliche Wahrheit, die widerspruchsfrei das Ganze eines formalen Systems legitimiert. Wissenschaftliche Rationalität, sittliches Handeln und politische Gerechtigkeitsvorstellungen spielen je ihr eigenes Spiel und können nicht zur Deckung gebracht werden. In systematischer Hinsicht stellt Lyotard heraus, dass theoretische und praktische Vollzugsformen von „Vernunft“ unvermittelbar seien. In seinem systematischen Hauptwerk, „Der Widerstreit“, bezieht Lyotard dies besonders auf die Funktionsweisen sprachlicher Verknüpfungsoperationen. Weder theoretische noch praktische Vernunft könnten für eine Brückenbildung aufkommen.“

Entweder ist Wahrheit allgemeinverbindlich oder sie ist eine subjektive Schimäre. In der Postmoderne gibt es weder Wahrheit, noch Vernunft und Moral als menschenverbindende Erkenntnisinstanzen. Nichts ist wahr, alles möglich, vergesst den gestrigen Tag, Moral ist Mode, erfindet euch jeden Tag neu.

Genau daran hält sich Trump, gefügig und devot, wie er von einem grenzenlos ehrgeizigen Vater konditioniert wurde. Als Gehorsamster aller hält er sich peinlich genau an die Regeln der Regellosigkeit: was interessieren mich meine Lügen von gestern? Wahrheit und Vernunft erfinde ich jeden Tag neu – das war das Kerygma aller Medien und Intellektuellen, die dem Neoliberalismus das Feld überließen, indem sie alle allgemein verbindlichen Kriterien prophylaktisch aus dem Wege räumten.

Wie kann man die Wirklichkeit unter die Lupe nehmen, wenn es keinen Maßstab gibt, der von allen anerkannt wird?

Trump, der sich zum vorbildlichen Irrwisch entwickelte, versteht die Welt nicht mehr. Hat er nicht die gottgleiche Anarchie der Geld- und Machtgier zur nie gekannten Perfektion hochgesteigert? Jetzt, auf dem Höhepunkt seines ehrlichen Destruktionskurses, fallen seine intellektuellen Gefolgsleute hinterhältig über ihn her? War nicht ER es, Donald Trump, der den Mut hatte, der amoralischen Welt, die sich zwanghaft mit Moral kostümiert, den Spiegel der Wahrheit vorzuhalten?

Trump ist ein He-man der Postmoderne. Mit willkürlichen Mitteln jenseits von Gut und Böse realisiert er das Eine: die Macht über Kreatur und Natur. Wahrhaftig, er macht sich die Erde untertan.

Der Schritt vom Christen zum Antichrist ist nur ein Wimpernschlag. Wenn das nicht der Gipfel der Dialektik ist – von dem die deutschen Weltmeister in Dialektik keine Ahnung haben, weil sie viel zu feige sind –, dann gibt es keine.

Trumps pfälzisches Blut ist nicht weit entfernt vom schwäbischen Hegel. So oder so, in Trump wurde es Wirklichkeit: am deutschen Wesen wird die Welt genesen. Okay, mit einem kleinen ozeanischen Umweg. Gelegentlich muss der Geist auswandern, um bei sich zu sein. „Es ist überall nirgends als in einem Fremden ein unabhängiges Sein.“ (Hegel)

Gerade die deutschen Edelschreiber und Gourmets des Zeitgeists: wie sie über ihn aufheulten, plötzlich nach Moral, Anstand, Glaubwürdigkeit, Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit schrien. Er habe keinen Maßstab, keine erkennbare Linie, vermutlich nicht mal eine Ideologie, brüllten sie unisono. Er handle nur impulsiv aus dem Bauch.

Eben dies ist die Ideologie postmoderner Vernunftfeinde, die den homo oeconomicus als homo rationalis, den homo politicus aber als Irrläufer der Evolution betrachten. Nicht ohne Hintersinn. Denn der demokratische Staat muss als unfähig gelten, der Logik der Gier etwas entgegen zu setzen. Die Politik der Moderne ist am Ende.

Die Postmoderne: eine verzweifelte Kritik an der Moderne, deren Humanismus, Wahrheit und Vernunft sie ablehnt und als gescheitert betrachtet. Wenn das Gute ins Straucheln kommt, wird nicht nach unguten Gründen des Strauchelns gefragt, um das Gute zu stärken – sondern das Gute selbst wird aus dem Weg geräumt. Euer Humanismus ist gescheitert; werdet inhuman. Eure Vernunft ist gescheitert: handelt unvernünftig. Das Scheitern wird angeprangert, indem es zur Norm erklärt wird – die selbst keine allgemeine Norm sein kann.

Mandeville ernannte persönliche Laster zu politischen Tugenden. Inzwischen ist das Amoralische so mit dem Moralischen verquickt, dass Tugenden und Laster ununterschieden geworden sind. Das Gute wurde zur bloßen Dekoration des Bösen, das zur einzig wirksamen Triebfeder zum Erfolg wurde. Da jeder Erfolg als gut gilt, kann man Erfolg nur lernen, wenn man seine bösen Motive ins Spiel bringt. Die Aufdeckung des verborgenen Bösen ist der Lehrmeister zum Erfolg. Trump macht kein Hehl aus seiner desolaten Charakterstruktur – eben dies ist seine Vorbildlichkeit.

„Nach Lyotard gelingt es beiden „großen Erzählungen“ nicht, eine allgemein verbindliche wissenschaftliche Rationalität zu legitimieren, wie dies etwa die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorien der Aufklärung, des Humanismus und einiger Vertreter idealistischer Philosophie postuliert hatten. Derartige Projekte fasste er unter dem Ausdruck „Moderne“ zusammen. Die spekulativ-philosophische Legitimation zerfalle, indem sie erkenne, dass ihr zentrales Prinzip, das Leben des Geistes, auch nur eine Interpretation unter vielen sei. Die emanzipatorische Legitimation sei unhaltbar, da sie die Verbindlichkeit ihrer eigenen Regeln nicht herleiten könne. Auch könne sie zu ästhetischen und praktisch-moralischen Fragen keine Stellung beziehen. Das Projekt der „Moderne“ sei daher gescheitert. Die „großen Erzählungen“ müssten aufgegeben werden. An ihre Stelle trete eine Vielfalt von Diskursen, die mit je eigenen Regeln der Konstitution und Verknüpfung von Aussagen folgen und mit eigenen Kriterien der Rationalität und Normativität einhergehen können. Lyotard beschrieb diese Diskurse als isolierte Sprachspiele“.

Vernunft & Wahrheit nennt der postmoderne Vordenker Jean-Francois Lyotard „große Erzählungen“. Erzählungen sind erfundene Märchen, die sich nicht darum kümmern, ob sie realistisch, vernünftig oder wahrheitsgemäß sind. Welch trostlose Verirrung.

Nur die Erlöserreligion – die von den Postmodernen mit keinem Wörtchen erwähnt wird – ist eine Erzählung, die allem Menschenverstand derart ins Gesicht schlägt, dass man schon wieder geneigt ist, ihr zu glauben. Kann denn ein Märchen falsch sein, das die Tollkühnheit besitzt, in allen Dingen widersprüchlich und absurd zu sein?

Ich glaube, weil es absurd ist, bekannte ein kühl denkender Kirchenvater. Die masochistische Vernunft vieler Zeitgenossen hält alles für wahr, was ihr ins Gesicht schlägt.

In einem Punkt ist die postmoderne Destruktion wahr: die Moderne liegt im Koma – mitten im Wahn ihrer weltbeherrschenden Macht. Wir müssen von vorne beginnen. Doch die Ursachen des Komas sind nicht humane Vernunft und Menschenrechte, sondern die religiösen Elemente, die sich mit Vernunft und Moral zu einer raffinierten Melange verbunden haben. Die Priester besitzen die Dreistigkeit, das demokratische Ethos als eigene Erfindung auszugeben – obgleich sie jahrhundertelang jeden freien Gedanken als Ketzerei verfolgten, folterten und qualvoll zu Tode brachten.

Wir stehen an der Quelle des Denkverbots, das die neoliberalen Eliten dem Pöbel auferlegen. Die Wirklichkeit ist zu komplex. Sie zu erfassen, übersteigt euren Horizont. Haltet euch an das Malochen und schaltet euer mickriges Gehirn aus. Wenn schon große Philosophen pathetisch Ignoramus et Ignorabimus (wir wissen nichts und werden niemals wissen) riefen, woher nehmen Deklassierte die Unverfrorenheit, in den großen Dingen dieser Welt mitzureden?

Doch halt: ist Mitreden nicht der elementare Sinn der Demokratie? Wäre die Postmoderne – als Verächterin des eigenständigen Denkens und Verteidigerin der Eliten – somit eine Feindin der Demokratie?

Sie wäre es nicht, sie ist es. Mitten in den scheinbar besten Jahren der Wohlstandsdemokratie erzählen frustrierte Denker, die sich vom Kärrnergeschäft des demokratischen Alltags abgestoßen fühlen, dass Demokratie eine illusionäre Veranstaltung sei. Weshalb wundern wir uns heute über die Intellektuellen, die am frühesten und radikalsten der Demokratie den Abschied gaben – um wonach zu rufen?

Das wussten sie selber nicht. Um ihrer postmodernen Tristesse treu zu bleiben, hätten sie kein neues Ziel ausrufen können. Ein Ziel ohne Allgemeinverbindlichkeit ist keines, ein Allgemeinverbindliches aber hätten sie niemals propagieren dürfen. Woraus sich ergibt, was das Ziel ihres Nichtziels sein musste: das Ende. Von Sprachspielen spricht Lyotard, indem er einen Begriff von Wittgenstein übernimmt.

Ein berühmter Satz des jungen Wittgenstein verurteilt den Menschen zum Schweigen. Denn das Philosophieren des Abendlands habe, außer Illusionen, nichts gebracht: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“

„Nur wenige Philosophen haben so beißend über das Philosophieren geurteilt wie Wittgenstein in seinem späten Denken. Er hielt die „großen philosophischen Probleme“ letztlich für „Geistesstörungen“, die unter anderem entstünden, „indem man philosophiere“. Sie würden dadurch zu fixen Ideen, die einen nicht mehr loslassen – in der Regel, weil wir uns in einen unzuträglichen Sprachgebrauch verrannt haben. „Es ist eine Hauptquelle unseres Unverständnisses, daß wir den Gebrauch unserer Wörter nicht übersehen“ heißt es in den Philosophischen Untersuchungen, der Hauptquelle seiner späten Philosophie.“

Während Popper die Philosophie als Problemlösen definierte, degradierte ein anderer Wiener das gesamte Denken des Abendlandes zur Fata Morgana. Das war der Dolchstoß der Philosophie in den eigenen Rücken. Spiele mit Worten, Sprachspiele ohne Sinn und Verstand: das ist der Totalbankrott jener Vernunft, die einst einen Sokrates dazu bewegte, das Leben für glücksfähig zu halten: nur ein unüberprüftes Leben sei nicht lebenswert.

Gegenseitiges Überprüfen unseres Denkens – das kritische Miteinander in der Polis – macht das Leben zu einem glücklichen. Es gibt viele deutsche Gelehrte, die Sokrates für einen Verächter der Demokratie hielten. Wurde er nicht von einem demokratischen Volksgericht zum Tode verurteilt? Zog er sich nicht zurück, weil er es für gefährlich hielt, dem Pöbel zu widerstehen?

Halten zu Gnaden: er hielt das Urteil für falsch, aber er akzeptierte es, weil es gesetzmäßig war. Dem Vernunftgesetz müsse man unter allen Umständen gehorsam sein, auch wenn man scheinbar von ihm geschädigt würde. Kein zugefügtes Leid könne einem besonnenen Menschen schaden. Wenn jeder das Gesetz verfluchen würde, nur weil er einen kurzfristigen Schaden davon trüge, würde das rationale Gerüst der Demokratie zusammenfallen.

In der Tat, es kann gefährlich werden, in einer ressentimentgeladenen Volksstimmung Widerstand zu leisten. Dennoch hatte auch sein zurückgezogenes Philosophieren den unbeirrbaren Zweck, viele Menschen durch eigenständiges Denken zu kompetenten Demokraten zu machen. Indem er seine durchdringende Verteidigungsrede hielt, nahm er die Volksrichter ernst. Denn er behandelte sie wie lernfähige Wesen. Es fehlte nicht viel und er hätte eine Mehrheit von seiner Unschuld überzeugt. All dies durch die Macht des persönlichen Vorbilds und einer rationalen Streitkunst, die das Sprechen nicht für Allotria hielt.

Spiele können sinnvoll sein, wenn Kinder spielerisch das Leben lernen. Wenn Sprachspiele aber nur Tändeln und Täuschen sein sollen, ist der kindliche Ernst des Spielens dahin.

In Wittgenstein, Lyotard und anderen Vernunfthassern ist der sokratische Beginn der Selbsterforschung, des Streitens auf der Agora, des Überzeugens mit Argumenten, des präzisen Fragens nach Gründen, des Verstehens der eigenen und fremden Position ad absurdum geführt. Die Edelschreiber der Gazetten verherrlichten jahrzehntelang die Philosophie der glitzernden Selbstdestruktion. Der Wohlstand der Nachkriegsjahre, die problemlos funktionierende Demokratie: das Lebensgefühl der meisten war wie ein Schlaflied in gesättigten Zeiten. Wozu noch flammende Plädoyers zur Belebung der Demokratie?

Das Selbstverständliche wurde zur unerträglichen Leichtigkeit des Seins, das mit Vergeblichkeit und Untergangsstimmung dramatisiert werden musste, um nicht in Wohlleben zu ersticken. Risiko, das Spiel mit dem Gefährlichen und Morbiden, wurde zum Kick der Saturierten. Was für Pubertierende Computerspiele mit Mord und Totschlag, war für Großdenker die Verherrlichung der philosophischen Selbstzerstörung. Wer sich permanent unterfordert fühlt, muss sich selbst herausfordern, um sich nicht als Leiche zu empfinden.

Und plötzlich war alles vorbei, obgleich sich alles im Untergrund lange angekündigt hatte. Wer wissen will, was Menschen wirklich bewegt, darf nicht nur Zahlen und Konjunkturzyklen betrachten. Zahlen sind Masken vieldeutiger Gefühle. Ökonomie ist Psychologie in quantitativen Begriffen.

Hartz4 ist kein Zahlenwerk, sondern ein Akt der Demütigung. Milliardäre sind keine glücklichen Menschen – sonst würden sie auch andere Menschen glücklich sehen wollen. Wenn das Glück der einen in hämischer Genugtuung über das Unglück der anderen besteht, kann es kein wahres Glück sein.

Kinder sind nicht glücklich, wann andere Kinder heulen. Jedes unglückliche Kind, das sie in der Welt bemerken, lässt sie am liebenden Kosmos der Erwachsenen zweifeln – deren Zuneigung sie lebensnotwendig benötigen, weshalb sie ihre Zweifel an den Eltern unterdrücken müssen.

Kindisch ist nicht kindlich. Beides nicht infantil. Infantil können nur Erwachsene sein, die ihre kindlichen Zweifel an der Welt nie bearbeiten konnten und sich nachträglich an der Welt rächen, indem sie alles in verbissenen Klamauk – und gnadenlosen Wettbewerb verwandeln. Jede Konkurrenz müssen sie gewinnen, um ihre Überlegenheit durch Herstellen vieler Unterlegener zu begründen. Wenn ich den anderen besiege, brauche ich eine Legitimation, um meine Überlegenheit zu rechtfertigen.

Die postmoderne Kritik an der Moderne war keine erkenntnisfördernde Kritik, sondern ein wütender Akt mit der Abrissbirne – die alles Denken und Tun, alle Kritik an inhumanen Verhältnissen, alle Versuche, der Selbstzerstörung der Gattung zu entgehen, mit einem einzigen Rundumschlag von der Tenne fegte. Operation gelungen, Patient tot.

Wer Wahrheit, Vernunft und Moral verwirft, verfügt über keine verbindliche Sprache. Mit seinen demokratischen Brüdern und Schwestern kann er sich nicht verständigen. Wer sich nicht verständigen kann, hasst seine Nächsten wie sich selbst. Wem es nicht gelingt, das Herz des Anderen zu erreichen, dessen eigenes Herz ist nicht mehr lebensfähig – und wenn es noch so viel Erfolg in der Welt hätte.

Trump ist ein Glücksfall für die Welt. An seinem irren Tun könnte sie die eigene Irrnis entdecken, mit der sie – hinter dem Schirm des Gegenteils – biedermännisch-brandstiftend kokettiert. Die Despoten der Welt haben das Über-Ich-Spiel kalter Rationalität satt. Sie entdecken ihre Macht, die Fassaden der Vernunft mit täglichem Tohuwabohu über den Haufen zu werfen.

Noch scheint Deutschland eine Insel der Glückseligen. Der Eindruck trügt. Auch unsere Politiker widersprechen sich von Tag zu Tag, wurschteln sich durch Skylla und Charybdis und agieren konzeptlos in eine hohle Zukunft.

Nur eines unterscheidet sie von anderen: ihren Irrsinn verkaufen sie als Gebot der Nächstenliebe, mit deren Weihrauch-Schwaden sie ihr Volk narkotisieren.

 

Fortsetzung folgt.