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Neubeginn V

Hello, Freunde des Neubeginns V,

Gute Nacht!
Schlummert, bis der Tag erwacht!
Schlummert, bis der neue Morgen
Kommt mit seinen neuen Sorgen!
Ohne Furcht! Die Mutter wacht.
Gute Nacht! (frei nach Theodor Körner)

Deutschland ist zur Ruhe gekommen. In der Mitte ist Ruh, in allen Wipfeln spürest du kaum einen Hauch. Warte, Deutschland, balde ruhest du auch.

„Deutschland hat seine Mitte gefunden“, jubelt Ulf Poschardt in der WELT.

„Gemeinsam haben Christdemokraten und Sozialdemokraten fast 65 Prozent der Stimmen geholt, das ist das eigentlich Erstaunliche. Denn, und das ist auch erstaunlich, das alles ist das Ergebnis eines großen bürgerschaftlichen Engagements. Deutlich mehr Menschen als vor fünf Jahren sind an diesem Sonntag in Nordrhein-Westfalen zur Wahl gegangen. Und diese höhere Wahlbeteiligung hat sich nicht an den Rändern, bei den Extremen, sondern in der Mitte niedergeschlagen. Am Ende findet die Auseinandersetzung in Deutschland noch immer in der Mitte statt. Das ist gut, für ein Land in der Mitte Europas.“ Schreibt Jochen Arntz in der BLZ.

Giovanni di Lorenzo muss aus einem parallelen Universum stammen. Alles entwickle sich immer schneller. Vor kurzem noch sei Schulz die Hoffnung der SPD gewesen, doch in wenigen Wochen sei die Entzauberung erfolgt. Dabei bewegt sich nichts, außer den Beschleunigungen technischer Monstren. Die Mitte ist das Ende aller wirklichen Veränderungen. Vor allem die Medien wollen alle Fenster und Türen schließen – und Mutter Merkel in Bewunderungsstarre anbeten. Wie Schulz

tickt, war bekannt, seine Entmythologisierung voraussehbar.

Der Verlust der Mitte war das Werk des „autonomen Menschen der Neuzeit“. Der autonome Mensch „habe ein gestörtes Verhältnis zu Gott, da er in seiner Kunst nicht mehr ihm diene; zu sich selbst, da er sich mit Misstrauen, Angst und Verzweiflung betrachte; zu seinen Mitmenschen, da der Mensch in der Kunst auf das Niveau der übrigen sichtbaren Dinge herabgedrückt werde; und zur Natur, da er sich nicht mehr als Krone der Schöpfung über sie erhebt, sondern sich mit ihr solidarisch erklärt.“ (nach Hans Sedlmayr, Verlust der Mitte)

Man staune: wer sich mit der Natur solidarisch erklärt, hat die Mitte verloren. Man staune erneut: wer ein gestörtes Verhältnis zu Gott hat, hat den „Humanismus“ verraten. Humanismus ist für Fromme nicht der Glaube an den humanen Menschen, sondern die Unterwerfung unter einen inhumanen Gott, der alle Menschen verflucht, die ihm den Gehorsam verweigern.

Die „Merkel-Raute“ sei längst zum Symbol der bürgerlichen Stabilität geworden. (Arntz)

Bürger sind jene Schichten des Volkes, die nach oben bewundern und nach unten verachten. Sie zählen sich zu den Gewinnern des nationalen Wettbewerbs. Stabilität aber ist das Gegenteil von dynamischer Mobilität. Wie sich die Bewunderung des Stillstands mit der Raute Merkels verträgt, die blind an technischen Fortschritt glaubt und alle Arbeitsplätze vernichten will, welche durch intelligente Maschinen ersetzt werden können – also auf alle –, wird verschwiegen.

Die Raute kann auch ein anderes regelmäßiges Meditationssymbol sein, etwa die mandelförmige Mandorla.

Mandorla (ital. für „Mandel“) ist ein Fachbegriff aus der Kunstgeschichte und bezeichnet eine Glorie oder Aura rund um eine ganze Figur. Damit unterscheidet sich die Mandorla etwa vom Heiligenschein, der nur das Haupt umgibt.“

„Mandel, dieses spitz-ovale Zeichen der Yoni wird in der orientalischen Kunst benutzt, um das göttlich-weibliche Genital anzudeuten. Mit Mandeln war die Kraft jungfräulicher Mutterschaft verbunden. Die Mandorla wurde – siehe oben – auch in der christlichen Kunst benutzt; als Umrahmung für Darstellungen Gottes, Jesu und der Heiligen, denn die Künstler wussten nicht mehr, was sie früher bedeutet hatte.“ (nach Walker)

Trump, Macron und andere männliche Erlöser präsentieren sich stereotyp inmitten ihrer zahlreichen Dynastien. Merkel, (kinderlose Pastorentochter wie Theresa May), zeigt sich nie mit ihrer angeheirateten Familie. Das verstärkt ihr symbolisches Image als jungfräuliche Mutter, die nur ihre Untertanen als legitime Kinder betrachtet. Untertanen können schnell eifersüchtig werden auf die blutsmäßig verwandte Familie mit zahlreichen Kindern und Kindeskindern. Diese Eifersucht vermeidet die „jungfräuliche Madonna“, die nur für ihre Untertanen präsent sein will. Der regelmäßige Einkauf in „ihrem Supermarkt“ verstärkt den Eindruck: Muttern gehört ungeteilt dem Volk.

(Macron ist ein Zwischentyp: er zeugte noch keine Kinder, heiratete aber gleich seine Lehrerin als „weise Mutter“, die eine zahlreiche Dynastie mitbrachte.)

Der verdrängte Mythos wird zur modernen Politik. Lächerlich für jene, die unter Politik nichts als kaltblütige Machtinteressen verstehen. Merkwürdigerweise werden die Machiavellisten immer kleinlauter, wenn es um das Verstehen gegenwärtiger Tagespolitik geht. Tief, tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Womit wir bei SPD-Schulz angekommen wären. Wer beim Anblick der desolaten Proletenpartei nicht weint, weint nimmermehr. Die älteste deutsche Partei scheint von einem Virus der Selbstzerstörung befallen.

Nach langwierigen internen Gründungs-Auseinandersetzungen um Revolution oder Reform verriet die SPD unter Kaiser Willem ihre internationalen Brüder und Schwestern und stimmte einem Krieg zu, der die Deutschen an die Spitze der Weltherren katapultieren sollte. Am Ende der Weimarer Zeit widerstand sie tapfer Hitlers Ermächtigung, doch ihr Widerstand gegen den Menschheitsverbrecher beschränkte sich auf versprengte Zirkel.

In der Nachkriegszeit profilierte sie sich gegen Adenauers patriarchalen Führungsstil mit dem Slogan „mehr Demokratie wagen“. Nach der einseitigen Westbindung erarbeitete sie sich den Frieden mit der Sowjetunion und dem östlichen Europa. Ohne Brandts vorbildliche Ostpolitik wäre Gorbis Perestroika unmöglich gewesen; ohne Perestroika hätte es wiederum keine Wiedervereinigung gegeben.

Willy Brandt sympathisierte mit der Revolte der 68er-Studentenbewegung – und stimmte dennoch dem Radikalenerlass zu. Gleichwohl schien es, als ob die SPD die ökologischen, kapitalismuskritischen und völkerverbindenden Ideen der Jugend aufnehmen und zum eisernen Bestand der Partei erklären würde.

Mit Helmut Schmidt begann der Verfall. Unter dem Einfluss des Popper‘schen Utopieverbots verhöhnte er die ökologischen und kosmopolitischen „Visionen“ der Jugend als Krankheit und beschränkte sich auf pure Wirtschafts- und Nachrüstungspolitik. Chinesische und sonstige Despoten bewunderte er und hielt es für aussichtslos, bei ihnen für demokratische und menschenrechtliche Ideen zu werben.

Scharping war ohne Profil, Schröder verdankte seine Wahl zum Kanzler dem Überdruss an Kohls überlanger Amtszeit. Seine Hartz4-Reformen schlugen allen Gerechtigkeitsvorstellungen ins Gesicht und degradierten – im Selbsthass derer, die es nach „oben“ geschafft hatten – ausgerechnet die eigene Klientel.

Der Neoliberalismus begann seine Herrschaft in Europa und deformierte die soziale Marktwirtschaft. Anstatt die unerledigten Konflikte zwischen Marx und Bernstein aufzuarbeiten, verfielen die Aufsteiger dem indiskreten Machtvirus Hayeks, der die Opfer der kapitalistischen Raubbauwirtschaft zu Schuldigen ihrer eigenen Misere erklärte. Die Genossen wollten der Welt beweisen, dass auch sie zu mammonistischen Helden geeignet seien und schämten sich für alle Loser, die sie als ehrloses Lumpenproletariat glaubten bestrafen zu müssen.

Nahles, zuständige Ministerin für Hartz4-Zahlungen, hat keine Probleme, ihre „Kunden“ als ehrgeiz- und antriebslose Abhängige – um nicht zu sagen: Parasiten des Staates – zu diffamieren. Weshalb sie auch das BGE aus „persönlichen Gründen“ ablehnt. „Die Ministerin erteilte dem Modell jedoch eine klare Absage: «Es widerstrebt mir persönlich.» Sie wolle weder von ihrem Ehemann, noch von ihren Eltern noch vom Staat Geld annehmen. «Ich möchte unabhängig sein.»“ (ZEIT.de)

Von wem erhält die Ministerin ihr Gehalt? Nicht vom „Staat“? Ist der Staat nicht die vom Volk gewählte Regierung? Will Nahles in einer Demokratie vom Volk unabhängig sein? Was sollen jene Frauen, die sich um ihre Kinder kümmern und also von ihren Männern abhängig sind, von der Verachtung der Ministerin halten? Mütter, die sich der kapitalistischen Inklusion verweigern, hält Nahles für unemanzipiert.

Noch immer herrscht in der SPD die Religion der Arbeit, die im Neuen Testament – unter Androhung der Todesstrafe – befohlen wird: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“. Arbeit als Herrscherin und Zerstörerin der Natur: Marxens Bewunderung des welterobernden Kapitalismus ist auch heute noch das Dogma einer „Arbeiter-Partei“, der die Arbeiter längst abhanden kamen. Und die das Grundprinzip der Ökologie vor allem als Feindschaft gegen ihre heilige Arbeit verstanden. Dass Wirtschaft dem Leben, nicht Leben der Wirtschaft zu dienen hat: das haben die Verächter der Muße und Lebensfreude bis heute nicht begriffen.

Die gesamte europäische Linke steht kurz vor der Selbstauslöschung. Hollande ist der letzte Name in der Reihe vieler europäischer Linker, die nie wussten, was sie eher sollten: den nationalen Reichtum der Reichen vermehren oder die Armut der Armen verringern. Als ob sie Angst hätten, vom säuerlichen Geruch der Elenden angesteckt zu werden, wenn sie sich mit ihnen solidarisch erklären. Auch sie wollen von der Gloriole der Erfolgreichen umstrahlt werden.

Der Begriff Gerechtigkeit, Kern aller sozialistischen Bewegungen des Abendlandes, wurde bei ihnen schändlicherweise zu einem Nichtbegriff. Damit verrieten sie alle europäischen Streiter um ein lebenswertes Leben von der griechischen Polis über unendlich viele Gruppen im Mittelalter bis zur Gegenwart. Platons faschistische Gerechtigkeits-Politeia kann kein Vorbild sein für Verfechter eines gleichwertigen Lebens für alle. Gleichheit vor dem Gesetz ohne Gleichheit materieller und psychischer Glückschancen wird zur Gleichheitsfarce oder zur demokratischen Bigotterie.

Konservative Vertreter der Macht müssen nichts beweisen. Was sie verteidigen und bewahren, liegt vor aller Augen. Die Beweislast liegt auf Seiten der Angreifer. Wer etwas ändern will, muss nachweisen, dass die existierenden Verhältnisse die „Würde des Menschen“ schänden. Der Würde-Artikel des Grundgesetzes ohne präzise Bestimmungen der materiellen und psychischen Würde ist eine Leerformel.

Es geht nicht um eine läppische Identität des Kontostandes auf den Groschen genau. Es geht um das Lebensgefühl aller Menschen, keinem anderen Menschen an Würde und Wert unterlegen zu sein. Das erst bringt den Reichtum individueller Begabungen zur Entfaltung – die in ihrer Verschiedenheit alle gleich viel wert sind. Dass verschiedene Begabungen himmelweit verschiedene Entlohnungen verdienen, sind willkürliche Bewertungen, von jenen erfunden und zum Gesetz erklärt, die sie zu ihrem Vorteil nutzen.

Der Reichtum der Nationen beruht auf der Arbeit aller Mitglieder, also muss er auf alle verteilt werden. Wirtschaftsgesetze sind keine Naturgesetze. Sie sind von Menschen erdacht, also auch von ihnen zu verändern.

Es war eine riesige Verblendung der ersten Ökonomen, in Imitation Newtons die menschengemachte Wirtschaft als Ensemble natürlicher Gesetze zu definieren. Der Unterschied zwischen Natur- und Geisteswissenschaften ist jedem Kind eingängig: was der Geist tut, hat er selbst zu verantworten und kann jederzeit verändert werden, was Natur hervorbringt, ist Sache der Natur und so unveränderlich wie sie.

Es war eine gigantische Eitelkeit, den Kapitalismus als Erfindung des Abendlandes auszuzeichnen. Die Abendländer haben nichts erfunden, sie haben das Übernommene nur variiert und ins Groteske vergrößert. Es war eine riesige Fehlleistung Max Webers, den Puritanismus als Schöpfer des Kapitalismus zu glorifizieren. Er hat die überkommenen Techniken des ungerechten Wirtschaftens nur ins Grenzenlose ausgeweitet.

Es war eine gewaltige eurozentrische Überheblichkeit von Marx, die Anfänge des Kapitalismus in der Antike vollständig zu negieren (obgleich er eine Dissertation über Epikur und Demokrit verfasste). Er hätte auf Schritt und Tritt entdecken können, dass es kein menschliches Tun geben kann ohne zugrunde liegende moralische Gebote in ihrem Widerspruch zwischen Naturgesetz der Starken und Naturgesetz der Schwachen. Also zwischen Machtallüren und allgemeinen Menschenrechten. Marx wollte Kolumbus des Kapitalismus sein, der seinen geschichtlichen Triumphzug bis zur Selbstzerfleischung durchführen wird. Bis die Geschichte so in Widerspruch mit sich gerät, dass sie den Reichen das Handwerk legen muss, um den Entrechteten und Enterbten das Reich der Freiheit zu überlassen.

Marxens Geschichte war eine bloße Variante der christlichen Heilsgeschichte, allerdings nicht von geistigen, sondern von materiellen Elementen beherrscht. Der Mensch ist nicht Herr seines Schicksals, sondern kann das Rad der Geschichte nur ein wenig beschleunigen. Frei und moralisch wird er erst im Reich der Freiheit. Solange er dorthin unterwegs ist, muss er alle Methoden – auch die unmoralischen – anwenden, um die automatisch fahrende Lokomotive anzufeuern.

Was ist Kapitalismus?

a) Technisch ein System vernetzter Wirtschaft, das die archaische Autarkie der Jäger und Bauern ablöst.

b) Moralisch das Ende wirtschaftlicher Gerechtigkeit. Mit welchen Mitteln die Ungerechtigkeit hergestellt wird, ist zweitrangig.

Es gibt eine primitive Ausbeutung durch körperliche Gewalt, es gibt eine hochzivilisierte durch undurchdringlich scheinende Komplexitäten. Das Ergebnis ist dasselbe: eine Klasse erhebt sich über die andere und beansprucht, sie durch größeres Herrschaftswissen ausbeuten zu dürfen. Das Recht der Starken halten die Starken ebenfalls für Gerechtigkeit.

Mit der ersten sozialen Frage entstehen zwei sich ausschließende Vorstellungen von Gerechtigkeit. Die Starken empfinden es als Affront, wenn die Schwachen sich anmaßen, sich als ebenbürtige Wesen aufzuspielen. Die Schwachen empfinden es als Hohn, wenn die Starken ihre zufällige Stärke als Legitimation ausgeben, auf Kosten der Schwachen ein sorgenloses Leben führen zu dürfen.

In Europa beginnt der Kapitalismus in der homerischen Adelszeit. „Wir finden bereits in den ältesten Zeiten, auf die das volle Licht der Geschichte fällt, im klassischen Altertum, den sozialen Antagonismus der Klassen, den Kampf der Parteien in Gemäßheit der wirtschaftlichen Klassengegensätze und soziale Reformbestrebungen: also alles, was eine „soziale Frage“ ausmacht. Irgendwann einmal gerät der Bauernstand in eine Notlage: durch Missernte, durch Kriegsdienst fürs Vaterland, durch den Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft oder durch preisdrückende Konkurrenz fremden Getreides.“ (Georg Adler, Geschichte des Sozialismus und Kommunismus)

Der Kapitalismus beginnt mit der Erfindung der männlichen Hochkultur. Männer überheben sich über Frauen und Schwache und halten sich für berechtigt, den Unterlegenen ihre Gesetze aufzuzwingen. Es beginnen die Epochen hierarchischer Arbeitsteilung. Die Herrschenden genießen Privilegien, die Beherrschten müssen Gehorsam leisten, widrigenfalls sie bestraft oder getötet werden.

Den Beginn der Hochkultur kann man als Beginn des Patriarchats bezeichnen. „In der Geschichte des Patriarchats hatte das Leistungsprinzip eine präzise Funktion. Es war die Ideologie eines von produktiver Arbeit frei gestellten Raubvolkes, das sich als herrschende Klasse gebildet hatte und diese Herrschaft zu verlieren fürchtete, wenn es nicht täglich beweisen konnte, dass sie den anderen stets überlegen war.“ (Bornemann, Das Patriarchat)

In der Geschichte des Kapitalismus hat sich technisch und methodisch unendlich vieles ereignet – und dennoch blieb das Grundgesetz der einseitigen Beherrschung und Bevorteilung immer das gleiche.

Die weitere Entwicklung des Kapitalismus trennt sich schnell in zwei unvereinbare Wege:

a) In Hellas beginnt eine Lösung der Probleme durch – die Demokratie. Solon war der erste, der einen Ausgleich zwischen Oben und Unten herstellte. Die Polis wurde zur Arena, in der die konkurrierenden Schichten durch philosophischen Streit und mehrheitliche Abstimmung die sozialen Probleme in einem solchen Maße lösen konnten, dass die Polis zum Urmodell der europäischen und amerikanischen Demokratie wurde.

b) Im Heiligen Land führte der Schrei nach Gerechtigkeit zur Etablierung eines Jenseits, in dem alle Probleme am Ende aller Zeiten gelöst werden.

a) Im Land der Demokraten wurde der Mensch zum verantwortlichen Problemlöser seiner Geschichte.

b) Im Lande der Kinder Gottes wurde der Schöpfer zum Erlöser des Menschen, der sich der unverdienten Gnadentat – im Judentum der verdienten Belohnung – zu unterwerfen hatte.

Diese zwei unvereinbaren Modelle, die Probleme des Kapitalismus zu lösen, beherrschen konfliktreich die Geschichte des Abendlandes, mittlerweilen der ganzen Welt.

Schulz ist ein typischer Linker, der die Probleme der Gerechtigkeit nur ein wenig ankratzen, aber nicht gründlich rekonstruieren will. Alle Linken sind zum Scheitern verurteilt, wenn sie nur klägliche Scheinkorrekturen vornehmen, anstatt dem System des Bestehenden eine vollständige Alternative entgegenzusetzen.

Merkel, die das Bestehende als Geschenk ihres Gottes betrachtet, ist ungefährdet, solange die Angreifer Politik nicht als philosophisch radikalen Neubeginn verstehen, um sie durch konsequente Schritte zu reformieren.

Die Zeitgenossen werden von vielen Fragen belästigt, trauen sich aber nicht, sie sich bewusst zu machen. Dennoch erwarten sie dunkel, dass Politiker den ganzen Zustand der Welt untersuchen und bei ihnen ansprechen. Da sind viele Schichten zu einem modernen babylonischen Turm übereinander gehäuft worden und müssen dennoch als verstehbar und lösbar betrachtet werden. Denn sie wurden von Menschen angehäuft. Der Mensch kann verstehen, was der Mensch hervorgebracht hat. Wenn auch in mühseliger Rekonstruktion ihres Werdens.

Der anfängliche Schulz-Hype war die plötzlich explodierende Hoffnung, nun käme einer, der die unformulierten Fragen der Menschen ans Tageslicht befördern könnte. Wer sich heute anschickt, die dunklen Fragen der Menschen zu erhellen, gilt als arroganter Populist. In Wirklichkeit muss jeder Politiker diese Aufgabe zu lösen versuchen, wenn er seinen Beruf nicht verfehlen will. Stellvertretend für das Volk sprechen, kann er nicht; seine Vermutungen aber soll er dem Volk als mäeutische Fragen präsentieren. Das Volk entscheidet, von welchen Interpreten es sich verstanden fühlt – indem es die vorgelegten Hypothesen mit dem eigenen Kopf zu durchdenken beginnt. „Vordenker“ können nur Geburtshelfer sein. Jeder Citoyen bringt seine Gedanken autonom zur Welt.

Schulz war von der Rolle, als er sich in die Falle des Erlösers locken ließ. Ich bin kein Zauberer, erklärte er mit schrecklichem Gesicht. Wer hat ihn genötigt, sich als Zauberer zu gebärden? Jeder Erlöser muss damit rechnen, dass er ans Kreuz genagelt und verhöhnt wird.

„Und zogen ihn aus und legten ihm einen Purpurmantel an und flochten eine Dornenkrone und setzten sie auf sein Haupt und ein Rohr in seine rechte Hand und beugten die Kniee vor ihm und verspotteten ihn“: Na, du großer Zauberer, dachtest du wirklich, dass wir dich für den Erlöser hielten? Sind wir bescheuert, einen Menschen für Gott zu halten? Die Entzauberung war die überfällige Erdung eines Mannes, der sich über Nacht für ein übernatürliches Wesen hielt.

Die SPD ist von Sinnen. Jahrelang schlüpfte sie devot bei Merkel unter, um rechtzeitig zum Wahlkampf ihre Differenzen zu bemerken und lauthals ins Publikum zu rufen. Wer soll diesen Gesinnungswandel für glaubhaft halten? Oberschlaumeier ist Sigmar Gabriel, der das vergiftete Geschenk der Kandidatur seinem Genossen zuschanzt, damit dieser auf die Schnauze fällt und er als Außenminister fröhlich durch die Welt düsen kann.

Die Deutschen wollen a) keine Veränderung und b) eine grundsätzliche Veränderung.

In einem Wahlkampf, der den Namen verdiente, müssten solche eklatanten Widersprüche angesprochen und bewusst gemacht werden. Dann erst könnten sich fruchtbare Gespräche und scharfe Streitgespräche entwickeln. Schulz sollte endlich aufhören, sich penetrant für hart arbeitende Malocher einzusetzen – anstatt für leidenschaftliche Demokraten. Harte Arbeit ist der Sinn des Lebens nur in einem Gulag.

Seit langem hat die SPD alle Grundsätze einer vitalen demokratischen Partei eingebüßt. In einem SPIEGEL-Artikel werden die Maximen von Johano Strasser zitiert:

„Allzu gern würde ich glauben, dass dies meine SPD ist: eine Versammlung kritischer, selbstständiger Köpfe, klar in ihren Grundsätzen und unerschütterbar in ihrem Engagement für die Mühseligen und Beladenen, aber jederzeit bereit, sich der veränderten Realität zu stellen, diskussionsfreudig, misstrauisch gegenüber hohlen Phrasen und bombastischen Inszenierungen, an nichts als der Wahrheit interessiert und mutig, wenn es darum geht, das schlechte Bestehende zu verändern. Johano Strasser glaubt zu wissen, dass die Sehnsucht nach einer Partei, wie er sie sich vorstellt, „in vielen meiner Genossen schlummert“. (SPIEGEL.de)

Vermutlich werden Strassers Maximen, die für jede Partei selbstverständlich sein sollten, von den Partei-Oberen als blauäugige Idealismen verhöhnt. Im Grunde hat die SPD Angst, selbständige Verantwortung zu übernehmen. Sie will nichts anderes sein als Juniorpartner der Mutter.

Eine Partei hat zuerst ihr individuelles Profil zu schärfen. Alles weitere muss sie dem Willen der Wähler überlassen. Koalitionsgeflüster vor der Zeit darf das Eigenprofil nicht in vorauseilender Unterordnung unkenntlich machen.

Solange die SPD die Festung Merkel mit Platzpatronen bedroht, kann sich die Kanzlerin in ihrer Symbiose mit den Deutschen wie in Gottes Hand fühlen.

 

Fortsetzung folgt.