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Neubeginn II

Hello, Freunde des Neubeginns II,

„der Arbeiter ist auf die Straße, aufs Pflaster geworfen … Das macht die Arbeitslosigkeit, die schreckliche Arbeitslosigkeit, die in den Mansarden die Totenglocke läutet. Panik hat alle Industrie zum Stillstand gebracht, und das Geld, das feige Geld, hat sich versteckt.“ (Emile Zola)

Was ist der Unterschied zwischen politischen Wunderkindern und Populisten? Es gibt keinen … außer der Kleinigkeit, dass Wunderkinder Erfolg haben und das Bestehende verteidigen, indem sie es „energiegeladen nach vorne bringen“. Ach ja: und dass sie von den Eliten gehätschelt und angebetet werden – bis, bis sie versagen: dann bricht man ihnen das Genick. Einen „Schulz-Effekt“ gibt es nicht, er ist zu 99% ein Daumen-rauf-runter-Effekt schreibender Prätorianer.

Ach ja, Populisten verheißen einen arktischen Wintereinbruch für Andersdenkende, Wunderkinder verheißen – Wunder für alle, was sonst? Wunderkinder müssen versprechen, die „gespaltene Nation zu erneuern, zu einigen, ja sie zu versöhnen“. Mit weniger geben sie sich nicht ab. Würde ihnen dies wunderbarerweise gelingen, hätte das Volk keinen Anteil an seiner Erneuerung, Einigung, Rettung und Versöhnung – außer, dass es Erneuerung, Rettung und Versöhnung passiv über sich ergehen ließ. Die höchste analytische Einsicht der Medien lautet: Nationen sind in der Mitte gespalten. Weshalb sie gespalten sind, ist keiner Bemerkung wert.

„Eine neue Seite unserer langen Geschichte wird heute Abend aufgeschlagen. Ich möchte, dass es eine der Neuentdeckung von Hoffnung und Vertrauen ist.“ (Macron)

Ein Mensch soll die uralten Wunden einer Nation zum Verschwinden bringen. Selbst allmächtigen Göttern blieb es bislang versagt, ihre Kreaturen, die sie höchst selbst entzweiten, miteinander zu versöhnen. Die Zeit der Politik geht zu Ende. Es kommen die religiösen SinnstifterInnen im Gewande der Politik. Sie haben keine politischen

 Ideen – die allesamt unter Utopieverdacht stehen –, sondern Himmelsbotschaften, mit denen sie gesamtpsychische Besänftigungs- und Beruhigungsmittel ausgeben.

Demokratische Ideen müssen von Mehrheiten umgesetzt werden, Botschaften sind die Leistungen weniger, die ihre Heilsversprechen gnadenhaft nach unten durchsickern lassen.

„Macron verspricht, mit Demut regieren zu wollen: Ich werde euch mit Liebe dienen“.

Das wird doch nicht liebedienerisch sein?! Wo Liebe herrscht, ist Demut nicht weit. Merkels neue Demutsagenda beginnt, Europa anzustecken und zu überrollen. Das Wort Liebe würde sie allerdings nie in den Mund nehmen, so weit geht die selektierende Nächstenliebe der Pastorentochter („Gott sieht den Einzelnen an“) nun auch wieder nicht. Das Volk ist für sie jenes Ungeheuer, das sie mit Hilfe des Herrn solange zähmen muss, bis er selbst auf der Weltbühne erscheint. Vor Gott & Merkel ist das Volk nicht gleich. Da müssen die Erlöser schon genau hinschauen, bevor sie mit ihren Wohltaten Perlen vor die Säue werfen:

„Und indem er säte, fiel etliches an den Weg; da kamen die Vögel und fraßen’s auf. Etliches fiel in das Steinige, wo es nicht viel Erde hatte; und ging bald auf, darum daß es nicht tiefe Erde hatte. Als aber die Sonne aufging, verwelkte es, und dieweil es nicht Wurzel hatte, ward es dürre. Etliches fiel unter die Dornen; und die Dornen wuchsen auf und erstickten’s. Etliches fiel auf gutes Land und trug Frucht, etliches hundertfältig, etliches sechzigfältig, etliches dreißigfältig. Wer Ohren hat zu hören, der höre!“

Da gibt es noch einen anderen kleinen Unterschied zwischen Galliern und Neugermanen.

„Europa und die Welt schauen heute auf uns, und sie erwarten, dass wir den Geist der Aufklärung verteidigen, die an so vielen Orten bedroht ist.“ (BILD.de)

Aufklärung? Das Wort kennt Merkel nur, wenn die Plagiate ihrer früheren Ministerin Annette Schavan aufgeklärt werden müssen. Ist Aufklärung nicht jene Leistung des Kopfes, dem alle leidenschaftlichen Gefühle unbekannt sind?

Während französische Aufklärer den Sermon der Priester angriffen, verwarfen deutsche Romantiker die gefühlsfeindliche Aufklärung Kants und stürzten sich in ein Meer der Erbaulichkeiten. Aber auch die französische Aufklärung blieb letztlich nicht verschont, religiöse Elemente für unabdingbar zu erklären. Der linke Gesellschaftskritiker Saint Simon kritisierte die Jenseitsillusionen des Christentums, doch auf religiöse Tiefenschichten wollte er nicht verzichten. Die Verabschiedung des Glaubens hatte eine psychische Leere hinterlassen: „Es waren tiefere, lebendigere und gleichzeitig strengere Kräfte notwendig: eine lebendige Religion. Saint Simon entdeckte zu seiner Überraschung, dass das ursprüngliche echte Christentum die Inspiration und Stärke besaß, um die Fähigkeit des Lebens zu verwirklichen und das begeisternde Gefühl einer dynamischen Erfüllung und Bruderschaft zu geben.“

Wenn der französische Wundermann und die engelgleiche deutsche Mutter sich der Demut ergeben, darf ein deutscher Grüner, der den Abwärtstrend seiner Partei stoppen will, sich der Attraktivität der Demut nicht entziehen – und verabschiedet sich vom „Moralismus der Grünen“:

„Als Minister verzichtete Habeck auf Rechthaberei. „Bereit zur Demut“ müssten Grüne sein, schrieb er in einem Grundsatztext und lehnte sich damit an den anderen grünen Erfolgsgaranten an, Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg.“ (WELT.de)

Was ist der Effekt des neuen Demuts-Machiavellismus, der sich in europäischen Staaten epidemisch ausbreitet?

„Tatsächlich sagen fast 90 Prozent der Menschen im Norden, sie fühlten sich bei der Kanzlerin „in unruhigen Zeiten“ gut aufgehoben. Und mehr als ein Viertel der Wähler haben die CDU laut Meinungsforschern nur wegen Merkel gewählt. Das nennt man wohl Merkel-Effekt.“ (SPIEGEL.de)

Die neuen Wundermänner und -frauen verbreiten das Wohlgefühl ozeanischer Geborgenheit – unabhängig von mühsamen politischen Taten und Reformen. Das Gefühl ist ein Geschenk von oben, die ersehnte Belohnung für malochenden Leistungsterror. Was Ökonomen nie verstehen werden: der Mensch lebt nicht von Mammon allein. Es muss auch eine Prise obrigkeitlicher Zuwendung dabei sein.

Die Vernünftler der Moderne stehen noch immer im Entzugsmodus tiefer Gefühle und betrachten sich selbst als emotionslose Rechenmaschinen. Ergo sind sie kaum gewappnet gegen Gefühlsverlockungen ihrer alten Religion. Vernunft halten sie für eine gefühlskalte Angelegenheit, die sie mit Leasing-Gefühlen ihrer alten Religion erwärmen müssen. Besonders bei den Franzosen ist der Dualismus aus abstrakter Begrifflichkeit und religiösen Sättigungsbeilagen scharf ausgeprägt. Daher ihr Schwanken zwischen laizistischer Ratio – und pseudoreligiöser Verehrung ihrer grande nation.

Die Deutschen hassten die westliche Vernunft und flüchteten in einen völkisch-illusionären Kokon aus Glauben und Vernunft. Seit dieser „Symbiose“ – die nichts war als ein fauler Kompromiss – sind sie das Problem des Selbstdenkens los geworden. Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, heißt auf neudeutsch: habe Mut, dich deiner abendländischen Grundwerte zu bedienen, dann hast du gleichzeitig deinen Verstand bedient. Das war der Humus für die GAGROKO-Atmosphäre in der Epoche des Neoliberalismus.

Warum erkennen die Deutschen nicht die Ranzigkeit ihrer Kompromisse, die Schädlichkeit ihrer unendlichen Widersprüche, die sie lässig als Einheit definieren? Weil sie bis heute gläubige Anhänger Hegels geblieben sind, der nichts auf der Welt mehr hasste als Widersprüche, die ihn hilflos machten. Also beschloss er, alle Konflikte und Disharmonien der Welt durch eine gigantische Entwicklungsspirale hindurch zu jagen und in eine finale Harmonie münden zu lassen. Ende gut, alles gut – und das Ende fand in Berlin statt, wo heute eine sich ständig widersprechende und alle Widersprüche verächtlich ignorierende Kanzlerin die deutsche Harmonie aller Gegensätze als Triumph feiert.

Als junger Student hatte Hegel das griechische Denken entdeckt – und wurde auf der Stelle einer der schärfsten Kritiker des Christentums mit Hilfe der Weisheit der Welt, die vor Gott eine Torheit ist. Doch die treue Seele seines Kinderglaubens rebellierte und bescherte ihm die psychische Krise seines Lebens. Bei Heraklit entdeckte er den Schlüssel zu all seinen inneren Schwierigkeiten. Der Widerspruch der Dinge widerspricht nicht ihrer Einheit. Was bei Heraklit nur die Natur betraf, übertrug Hegel auf den Widerspruch zwischen Griechentum und Christentum, zwischen Denken und Glauben.

Dialektik hieß das Zauberwort, das alle Antithesen in Wohlgefallen auflöste. Einheit ist das Ziel aller Widersprüche, die sich in der Geschichte der Natur und des Menschen aneinander abarbeiteten, um endlich im Hafen der Harmonie zur Ruhe zu kommen.

Warum sind Menschen anfällig für Dialektik, ja süchtig nach Auflösung aller Widersprüche? Weil sie selbst aus der Harmonie der Harmonien kommen, der utopischen Symbiose mit der Mutter. Die Geburt erleben sie als Vertreibung aus dem Paradies, dessen vollendete Einheit sie auch dem Leben außerhalb der Mutter einpflanzen wollen.

Die Natur hat gewollt, dass der Mensch das Geschenk der Einheit aus eigener Kraft im irdischen Leben verwirkliche. Doch die Männer, die sich den Fähigkeiten der Frauen unterlegen fühlen, kompensieren ihr mangelndes Selbstwertgefühl durch eine rabiate Form der Symbiose: durch Zwangsbeglückung und durch Gewalt über Mensch und Natur. Sie misstrauen der Vernunft, der einzigen Geburtshelferin des irdischen Glücks durch Einsicht und friedfertige Selbstbesinnung.

Vernunft ist die Fähigkeit des Menschen, die Widrigkeiten zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mensch und Natur zu erkennen, ihre Ursachen zu verstehen und durch Verstehen zu überwinden. Vernunft ist Erbin der matriarchalen Harmonie, die als sokratische Mäeutik die Probleme der Gegenwart schrittweise lösen könnte.

Die Suche nach der Wahrheit ist die Suche nach den Gründen der zur zweiten Natur gewordenen Disharmonien, die als Erbsünde das Leben der Menschen destruieren muss. Der Mensch muss unfähig sein, das Glück seines Lebens oder die Lösung seiner Probleme durch Vernunft zu erarbeiten. Der unterlegene Mann hätte sonst keine Berechtigung, den Menschen durch Gewalt zum Vegetieren im Jammertal zu nötigen – als sei Existieren in Schuld und Unfähigkeit die bestmögliche Form irdischen Lebens.

Die Macht männlicher Erlöser beruht auf dem Dogma: der Mensch ist ein lernunfähiger Sündenkrüppel, der ewig auf die Hilfe allmächtiger Götter angewiesen ist. Moderne Eliten gebärden sich wie Gott: sie kreieren die unendliche, den Tod überwindende Zukunft. Alles Gute stammt von ihnen, alles Böse vom abgehängten Pöbel, der nur randalieren und jammern kann, aber unfähig ist, zum Wohlstand der Nation beizutragen und die Komplexitäten des Weltgeschehens zu erkennen.

Ihre schrecklichen Religionskriege, ihre obrigkeitliche Unterdrückung und endlose Leibeigenschaft machten die Deutschen unfähig, ihre Widersprüche zu erkennen und solidarisch aufzulösen. Die Angst vor demokratischer Inkompetenz nötigt sie zur Flucht in schnelle Scheinharmonie: die große Versuchung der Dialektik.

Wenn ich mir nichts zutraue, flüchte ich in einen illusorischen Garten Eden: der Einheit aller gelösten Widersprüche. Das ist der Kern der Volk-Mutter-Symbiose der Deutschen mit ihrer Kanzlerin. Gegen diese Sehnsucht nach psychischer Heimat hat kein linker Unruhestifter eine Chance – zumal er sich nur pro forma veränderungswillig zeigt, im Grunde aber alles beim Alten lassen will.

Hier hülfe nur ein grundlegendes Alternativsystem, das den Menschen einen Ausweg aus ihrer larvierten Existenzangst zeigen könnte. Diese Angst ist Bestandteil der kapitalistischen Welt: der ungewohnte Wohlstand und die neue Macht über die europäischen Verbündeten könne nicht darüber hinweg täuschen, dass die Deutschen – larmoyant, gereizt, jähzornig, stets geneigt, die dünne Schicht der Höflichkeit zu durchbrechen – mit ihrer Existenz unzufrieden sind. Selbst die Reichsten und Mächtigsten befürchten ständig den aggressiven Ausbruch jener Schichten, die sie per Gesetz, List und Gewalt ausplündern und sind erstaunt, dass die Gesetze der konsumierenden Besänftigung noch immer funktionieren. Dennoch ziehen sie sich immer mehr in abgeschlossene Viertel zurück, um den Neid der Besitzlosen nicht unnötig zu reizen.

Woher kommt die untergründige Dauerangst, die schon seit Jahrhunderten das Seelenleben der Abendländer vergiftet?

„Mitten durch die frohe Weltlust, die zügellos durch Sinnlichkeit und Genusssucht des Mittelalters geht, zieht sich gleichsam eine heimliche Todesangst und ein Beben des Gewissens, das bei jedem, auch dem leisesten Geräusch erschrocken zusammenfährt. Von Kanzelrednern, Autoritäten und Gelehrten genährt, drängt sich diese Furcht Leuten jedes Standes und jeder Bildungsstufe auf. Sie einigt Hoch und Niedrig, Fürst und Bettler, Mann und Weib in bussfertiger weltentsagender Gesinnung auf.“ (Ernst Wadstein, Die eschatologische Ideengruppe)

Nur Kleinigkeiten haben sich seit dem Mittelalter geändert. Die weltentsagende Bussfertigkeit hat sich in obszöne „Unbussfertigkeit“ verwandelt, die ihre Scham und Schuld mit Wohlstand und dem Gefühl der Überlegenheit über Mensch und Natur überdeckt. Auch die Reichen haben mulmige Gefühle, die sie durch sektiererische Abgeschlossenheit und hochmütige Überlegenheit zum Schweigen bringen wollen.

Vergeblich. Ihr Kampf gegen die Schwachen gehorcht dem Gesetz: Angriff ist die beste Verteidigung. Wer andere mit Vorwürfen und Demütigungen überhäuft, kann selbstkritischen Vorwürfen elegant entgehen. Die panische Angst vor dem ewigen Unheil der Seele ist das unauslöschliche Erbe der Abendländer, auch wenn Schuld und Scham durch Erfolg und Macht verleugnet werden.

Warum jammert und rebelliert ihr? Haben wir euch nicht mit allem reichlich versorgt, damit ihr es besser haben werdet als wir? Die ökonomisch verblendeten Führungsschichten kennen nur materielle Gründe für die Unzufriedenheit. Also rechnen sie den Querulanten vor, es müsste ihnen so gut gehen, dass sie keinen Grund zur Unzufriedenheit haben könnten. Objektiv geht es euch besser als den meisten Völkern der Welt, also verhaltet euch danach.

Merkel hat durch dialektische Symbiose mit ihrem Volk den Status der Unverwundbarkeit erreicht. Sie selbst gibt sich – voller Demut – unfehlbar. Von Durchwursteln spricht kein politischer Beobachter mehr. Unfehlbare wursteln sich nicht durch – in schlafwandelnder Sicherheit gehen sie an Gottes Hand, ob sie Fehler machen oder nicht.

Rastlos rast Angela Merkel durch die Welt. Die Kanzlerin kämpft um ihr Amt. Sie hält sich für unersetzlich. Merkel ist all die kleinlichen Debatten leid. Wie Merkels Innenpolitik ist auch ihre Außenpolitik merkwürdig widersprüchlich. Sie ist fähig zu einem Pragmatismus, der einen manchmal frösteln lässt. Das Drama von Merkels Kanzlerschaft ist die Unfertigkeit. „Fleißig wie ein Bienchen“, wie Merkel einmal sagte, beackert sie die Krisen im In- und Ausland. Aber so, wie sie ihre Arbeit organisiert, hat ihre Kanzlerschaft nie einen Höhepunkt. Merkel kreiert keinen Plan, sondern versucht die Probleme wegzuschaffen, die sich vor der Pforte des Kanzleramts türmen. Außerdem habe sie aufgehört, sich selbst zu zensieren.“ (SPIEGEL.de)

Mag sie noch so planlos oder widersprüchlich sein, im Zweifel gilt Luthers generelle Exkulpationsformel: sündige tapfer, wenn du nur glaubst. Und damit ist Merkel jeder menschlichen Kritik enthoben. Schon im Diesseits spielt sie in einer Liga, die für Gottlose und Arbeitsscheue unzugänglich ist.

Merkel erklärt nichts. Sie hat nichts zu erklären. Je mehr sie erklären würde, umso mehr erregte sie den Verdacht ihrer Untertanen, dass sie es wohl nötig haben müsse, etwas zu erklären. Also schweigt sie stille. Ihre Führungsqualität ähnelt der des Mose: Ach Herr, ich habe eine schwere Zunge. Als Diener Gottes hat er nichts zu sagen, er muss tun, was er tun muss. Mose war ein idealer Führer in Gottes Hand. An diesem Maßstab will auch die Pastorentochter gemessen werden. Heiden plappern; die aber frommen Herzens sind, vertrauen stumm ihrem himmlischen Vater.

Der gottlose Sozialismus war eine Planwirtschaft, weil er glaubte, alles selber steuern zu können. Das aber ist die Freiheit der Kinder Gottes, in grenzenloser „Unreguliertheit“ des Neoliberalismus nichts mehr planen zu müssen. Nur Gott hat Pläne – und die kennt niemand. Also muss man ihm blind vertrauen.

Was ist der Unterschied zwischen Populisten und GottesführerInnen? Populisten sind grobschlächtige Stürmer gegen das Bestehende, Gottes Erwählte sind identisch mit dem Geschick, das der Himmel ihrem Volk beschieden hat. Äußerlich sind sich Populisten und Wunderkinder ähnlich. Wie Christus dem Antichrist zum Verwechseln ähnlich ist, so ist der Populist die Spiegelfigur göttlicher FührerInnen.

„So alsdann jemand zu euch wird sagen: Siehe, hier ist Christus! oder: da! so sollt ihr’s nicht glauben. Denn es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen und große Zeichen und Wunder tun, daß verführt werden in dem Irrtum (wo es möglich wäre) auch die Auserwählten.“ „Und ich sah ein anderes Tier aufsteigen aus der Erde; das hatte zwei Hörner gleichwie ein Lamm und redete wie ein Drache. Und es übt alle Macht des ersten Tiers vor ihm; und es macht, daß die Erde und die darauf wohnen, anbeten das erste Tier, dessen tödliche Wunde heil geworden war; und tut große Zeichen, daß es auch macht Feuer vom Himmel fallen vor den Menschen; und verführt, die auf Erden wohnen.“

Verglichen mit Merkel & Macron, dem neuen deutsch-französischen Traumpaar, sind Populisten à la Le Pen oder Petry die reinsten Stümper. Niemand wagt es, die etablierten Machthaber als Populisten zu bezeichnen. Populisten sind Störenfriede, die es wagen, an den heilig gesprochenen Verhältnissen Kritik zu üben. Der Inhalt der Kritik ist dabei völlig belanglos. Sie könnte inhaltlich noch so richtig sein: allein dadurch, dass sie wider die gotterwählte Obrigkeit anzutreten wagt, entlarvt sie sich als Ausgeburt der Vorhölle.

Macron hat nur eine kurze Zeit, seine parteilose „Bewegung“ in eine verlässliche Partei umzuwandeln. Vieles wird davon abhängen, in welchem Maß Merkel und Schäuble ihre wirtschaftliche Würge-Politik lockern werden. Anne Will stellte nicht mal die Frage, warum die deutsche Kanzlerin in Frankreich immer verhasster wird.

(Nebenbei: die ARD&ZDF wird zur entpolitisierten TV-Schande. In politreichen Zeiten machen alle Talkshows Urlaub in der Karibik. Ausländische Themen werden fast nur von deutschen Teilnehmern besprochen. Nichtdeutsche Experten – außer Galionsfiguren wie John Kornblum – sind fast nicht zu sehen. Alles bleibt provinziell und fremdenallergisch. Nach dem bewährten Motto: Germany first wurden gestern bei Caren Miosga zuerst die Wahlen in Schleswig besprochen, bevor das Thema Frankreich gnädig thematisiert wurde. Will war dreist genug, das lästige und quotenarme Thema abrupt abzubrechen, um einer bleichen Verteidigungsministerin die Bühne zur perfekt inszenierten Reue- und Bußeshow zur Verfügung zu stellen. Der Presseclub dachte nicht daran, über die ungeliebten Nachbarn zu sprechen. Auch Plasberg hat heute Besseres vor. Schon einen Tag danach gilt für die deutsch-französische Freundschaft: aus den Augen, aus dem Sinn. Wer sich unseren Maßstäben nicht fügt, soll zusehen, wo er bleibt. „Ein echter deutscher Mann kann keinen Franzen leiden, doch ihre Weine trinkt er gern.“)

Wundermänner und Mägde Gottes sind Grabredner der Demokratie. Probleme der Demokratie werden von demokratischen Mehrheiten gelöst – oder nicht gelöst. Je mehr die Völker auf Lichtgestalten, Charismatiker, Wunderkinder, demütige Madonnen und Mütterfiguren konditioniert werden und je mehr sie sich diese Entmündigung gefallen lassen, desto rasanter fahren die Demokratien in den Abyssus.

Frag nicht, was der Staat für dich tun kann? Unsinn, in Demokratien gibt es keinen Staat. Frag dich, was du für das Gemeinwesen tun kannst. Dann kannst du sehr wohl fragen, was du von ihm erwarten darfst. Geben und Nehmen sind für ein zoon politicon identisch.

 

Fortsetzung folgt.