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Weltdorf XCII

Hello, Freunde des Weltdorfs XCII,

tramp, tramp, tramp, the boys are marching,
Cheer up comrades they will come,
And beneath the starry flag
We shall breathe the air again,
Of the freeland in our own beloved home.

Tramp, Tramp, Tramp, die Jungs marschieren,
Seid hoffnungsfroh Kameraden, sie werden kommen,
Und unter der sternenbedeckten Flagge
Werden wir wieder die Luft atmen,
Des freien Landes unserer geliebten Heimat.

(Populäres amerikanisches Lied aus dem militärischen Jahre 1864)

Unfein, vom Namen auf den Träger zu schließen, doch wir leben in ruppigen Zeiten. Wenn die amerikanischen Jungs im Auftrag Trumps gegen das Böse marschieren – es können auch stellvertretende Raketen sein –, erteilt BILD Generalabsolution.

„Trump“ bedeutet auch Trumpf. Selbst die schallende Trompete war einst eine Trumpete. BILD hat nur auf die erste günstige Gelegenheit gelauert, um sich zur deutschen Militär-Trumpete zu entwickeln. Julian Reichelts vernichtende Anfangskritik an Trump: aus den Augen, aus dem Sinn:

„Trump verändert die Welt, in der wir leben. Der mächtigste Mann der Welt hat dem Konzept der Fakten den Krieg erklärt, und es ist spürbar, wenn man sein Weißes Haus betritt. Seine Zeitrechnung beginnt mit ihm. Er kennt keine historischen Bündnisse, Verpflichtungen und Traditionen. Er ist sich selbst die Stunde null. Er ist sein Maßstab. Was er sagt, ist. Was er nicht sagt, ist nicht. Was nicht sein soll, darf in seiner Gegenwart nicht gesagt werden. Er ist geschichtslos, bis auf seine

eigene Geschichte. Das ist nicht der Westen, den Amerika symbolisiert. Das ist nicht, wofür wir stehen. So beginnt die Dunkelheit. „In der Dunkelheit stirbt die Demokratie“ ist seit Trumps Amtseinführung der neue Slogan der „Washington Post“. (BILD.de)

Helden der Geschichte werden über Nacht geboren. BILDs Warnschuss vor den Bug hat der amerikanische Präsident reumütig zur Kenntnis genommen – und sofort in die Tat umgesetzt. Trumps deutscher Pädagoge lobt ihn über den grünen Klee:

„Jedes Kind, jedes Baby ist wundervoll und verdient unseren Schutz vor den Waffen, die wir als Lektion aus der Geschichte geächtet haben. Wenn wir die Schwächsten nicht schützen, öffnen wir die Tore zur Hölle. Das sollte Syrien uns gelehrt haben. Seit gestern schläft Schlächter Assad nicht mehr sicher. Das macht die Welt ein wenig besser. Und auch wenn es vielen nicht in ihr Weltbild passen mag: Das ist Donald Trumps Verdienst.“ (BILD.de)

Jedes tote Opfer verdient ein Klagelied. Doch in Deutschland gibt es mittlerweilen Opfer verschiedener Qualitätsstufen. Man müsste von Opfer-Klassen sprechen – oder von schamloser Benutzung der Opfer zu politischen Zwecken.

Die erlesensten Opfer sind die Ermordeten von Terroristen oder fremdgläubiger Tyrannen. Dann gibt es regelrechte TV-Gottesdienste mit heldenhaften Journalisten vor dem höllischen Ort: „Direkt hinter mir sehen Sie …“. Die kleinste Petitesse, die nicht im Ton bestürzter Tapferkeit erwähnt werden müsste: Gibt es Fahndungsfotos von dem Täter? Wie ist die genaue Geographie des Tatorts? Was sagen die verantwortlichen Polizisten? Die Reaktionen der Bevölkerung, die „das Unfassbare“ vor der Kamera stammeln müssen – obgleich wir alle vom Tod umfangen sind und der Terror alle westlichen Hauptstädte heimsucht.

In obligaten Ökumene-Gottesdiensten fragen Theologen, die sonst den Willen Gottes aus dem Effeff kennen: wie konnte Gott solch eine barbarische Tat zulassen? Antwort: wir wissen es nicht, es wird aber schon seine Richtigkeit haben. Im Hintergrund lauern Politiker, die das Entsetzen benutzen, um noch härtere Gesetze anzukündigen, die Überwachung der Gesellschaft noch mehr zu verschärfen, den Hass gegen Fremde noch mehr zu schüren.

Kinder, die in weit entfernten Ländern Hungers sterben, weil der Westen mit räuberischem „Freihandel“ die Überlebenskraft ihrer Eltern ruiniert, werden nicht zur Kenntnis genommen. Die eigenen Opfer werden verschwiegen, die Opfer der Anderen missbraucht, um deren Verruchtheit ins Teuflische zu dämonisieren. Wie viele Tote gibt es bereits in Syrien?

Es muss ein ausgesuchtes, spezifisches Erlebnis sein, das die Erleuchtung auslöst. Kein politisches Wissen, das zur politischen Tat animiert, sondern ein Bild, ein ganz gewisses Bild, dem man ikonografische Illumination zuschreiben kann. Du sollst dir ein Bildnis und Gleichnis machen, auf dass dein träger Verstand in Wallung kommt. Jenes berühmte Kinderbild vom vietnamesischen Krieg der Amerikaner, das die weltweite Empörung auslöste.

Nun lauern sie auf das Bild, das die Offenbarung bringen soll. Tägliches Lesen der Gazetten mit der kalten Vernunft bringt es nicht – so die verdrängte Selbstverachtung der Medien, die dem Bild-Kult zugrunde liegt. Was sie wissen, worüber sie täglich informiert werden, was ihr Urteilsvermögen ihnen sagt: lass fahren dahin. Was sie nicht sehen, glauben sie nicht. Dabei geht es nicht um ordinäres Sehen. Das Sehen muss an seine existentielle Grenze geraten: „Solche Bilder kann ich kaum noch betrachten.“ Es muss unerträglich geworden sein, damit … Damit was? Damit das Außerordentliche geschehe.

Was ist das Außerordentliche? Dass nicht mehr geredet und geschwallt wird, sondern die Tat erfolgt. Welche Tat? Nicht mehr die friedensstiftende, Gräben überwindende Tat, um dem Morden ein Ende zu machen. Kindisch, blauäugig, theoretisch oder idealistisch der, der noch an solche Taten des versöhnlichen Wortes glauben kann. Einmal kommt die Stunde, in der der Arier barhäuptig vor seinem Gott steht – und zur heiligen Tat schreiten muss. Die rechte Zeit, der Kairos der Faust, muss zeigen, wen Gott mehr liebt: die verruchten Feinde oder die Guten, die viel zu lange geduldig, gutgläubig und langmütig waren.

„Das Bild des Vaters, der seine mit Giftgas ermordeten Zwillinge auf dem Arm hält – es ist für mich so schlimm wie das Foto des kleinen, vor Schmerzen schreienden vietnamesischen Mädchens, das nach einem Napalm-Angriff nackt aus seinem Dorf rennt. Ausgerechnet US-Präsident Trump – und eben nicht der so beliebte Ex-Präsident Obama – ist der Einzige, der wie ein anständiger Mensch agiert.“ Kommentiert Marion Horn in BILD am Sonntag.

Schreitet sie nun zur Tat? Ermahnt sie ihre geliebte Kanzlerin, nicht länger zu schweigen oder Entsetzen nur zu signalisieren – ohne den Amerikanern mit Kanonendonner zu Hilfe zu kommen? Eilt sie mit Plakaten auf die Straße? Ruft BILD seine riesige Leserschaft zur Demonstration auf?

Nichts tut sie. Edelschreiber sitzen in kostbaren Beobachtersesseln und lassen sich demokratisch bedienen. Von jenen, die sie sonst verachten, wenn sie wegen jeder Kleinigkeit die Straßen verunsichern.

„Nirgendwo in Deutschland auch nur eine einzige Großdemo für Frieden in Syrien. Keine Unterschriftenaktionen an unsere Politiker. Keine Mahnwachen vor der russischen Botschaft. Keine Ostermärsche gegen Giftgas in Syrien. Nichts.“ (BILD.de)

Plötzlich wird der „peinliche Typ mit den gelblichen Haaren“ – welch tiefsinnige Analyse einer Weltgefahr – zum Retter der syrischen Krise, ja zum potentiell „großen Präsidenten“. All dies verdanken wir einem geweihten Bild und der heiligen BILD, die Trump mit großen Worten gewarnt hatte. Und tatsächlich. Trump ging in sich, gelobte Besserung und schritt zur Tat. Überwiegende Zustimmung in deutschen Medien, wenn auch verknüpft mit dem pflichtgemäßen Hinweis, in Zukunft bitteschön nicht mehr so wankelmütig und unberechenbar zu sein.

Welch eine Wendung durch Gottes Führung. Obama begann als Messias und endete als lethargischer Versager. Sein Nachfolger begann als Irrsinn auf zwei Beinen und könnte als Retter der Welt in die Geschichte eingehen. Deutschland hat sein geliebtes und bewundertes Amerika wieder.

Die Berliner Regierung namens Merkel kann fortfahren in kriecherischem Nachempfinden – das Bombardement sei „nachvollziehbar“ –, ohne dass sie daran denkt, sich am ordinären Waffengang zu beteiligen. Die deutsche Dauerheuchelei ist gerettet, der Große Bruder in Washington wird’s schon richten.

Auch Brinkbäumer, Chefredakteur des SPIEGEL – der sich immer mehr zu BILD mit Goldrand entwickelt –, will da mit Beifall nicht kargen:

„Der amerikanische Präsident Donald Trump hat scharf und richtig reagiert. Trumps Befehl war deshalb richtig, weil Feldzüge mit Sarin nicht ohne Antwort bleiben dürfen; weil der Westen nicht viele Jahre lang und dann eben noch ein bisschen länger einem Völkermord zusehen darf.“ (SPIEGEL.de)

Feldzüge mit Sarin müssen gerächt werden. Feldzüge, auf denen nur gequält, gefoltert und enthauptet wird, hingegen nicht?

Verständlich, dass Nachkommen schrecklicher Vergasungstäter gegen den Einsatz von Gas übermäßig reizbar sind. Muss erhöhte Sensibilität aber nicht einher gehen mit übermäßiger Abgestumpftheit gegen alle anderen Unmenschlichkeiten dieser Welt? Schreckliche Fragen, die hier nicht ungestellt bleiben dürfen: Sarin-Opfer sollen geahndet werden, andere Opfer aber dürfen folgenlos verrecken? Dient das ungeheure Verbrechen der Deutschen inzwischen als Rechtfertigung, gegen alle anderen Übel der Welt gleichgültig und unempfindlich zu werden?

Für deutsche Medien war es nicht weiter berichtenswert, dass Trump seinen Vergeltungsschlag mit einem aufwendigen Einsatz von Theologie rechtfertigte.

„«Indem er ein tödliches Nervengas verwendete, hat Assad das Leben hilfloser Männer, Frauen und Kinder ausgelöscht. Es war ein langsamer und brutaler Tod für so viele. Sogar wunderschöne Babys wurden brutal ermordet bei dieser sehr barbarischen Attacke. Kein Kind Gottes sollte jemals so einen Horror erleben», sagte der US-Präsident. Vier Mal bezieht er sich in seinem kurzen Statement auf Gott. Das tun US-Präsidenten, wenn sie ihr Volk hinter eine Militäraktion bringen wollen“. (RP-Online.de)

Hier erkennen wir die Scharniere der deutsch-amerikanischen Symbiose. Die Deutschen benötigen eine elitäre Opferfrequenz, um eine Intervention von ihrer Schutzmacht zu fordern, die Amerikaner brauchen eine Verletzung des Heiligen, um im Namen Gottes dreinzuschlagen. Diese Arbeitsteilung funktionierte bis zu Obama, dem besten Freund der Kanzlerin, der ihre subkutanen Hilferufe schlicht überhörte.

Brinkbäumer bemerkte zwar den erhöhten Religionsaufwand, aber er analysiert ihn nicht. In bester deutscher Tradition erteilt er einen Tadel: bitte keine demonstrative Religion in der Tagespolitik. Dass Religion in Amerika ein politogener Faktor ist, wird im aufgeklärten Deutschland missbilligend ignoriert:

„Trumps Erklärungen waren zwar seltsam, da allzu pathetisch und allzu religionsbeladen, aber er hat besser reagiert als sein Vorgänger Barack Obama, der eine „rote Linie“ gezogen und damit Giftgasangriffe gemeint hatte, aber dann doch nichts tat, als Assad mit Giftgas morden ließ.“ (SPIEGEL.de)

Der SPIEGEL hält es für richtig, von zwei gleichzeitig erschienenen Sachbüchern aus Amerika dem demokratiefeindlichen eine große Bühne zu schaffen, das zu tapferem Widerstand aufrufende Buch von Timothy Snyder hingegen als populistische Wichtigtuerei abzumeiern.

„Seine Thesen klingen apokalyptisch und mitunter platt, im schlimmsten Fall klingen sie in der Rückschau irgendwann prophetisch. Wer einen eloquent formulierten und vielschichtig durchdachten Forschungsbeitrag erwartet, dürfte trotzdem enttäuscht werden. Snyders Anti-Populismus-Anleitung liest sich, als wäre sie eigens für Populisten geschrieben. Ein Beipackzettel für den korrekten Gebrauch von freiheitlicher Demokratie.“ (SPIEGEL.de)

War Trumps Raketenangriff gerechtfertigt? In einem Gespinst verdeckter Koalitionen, verborgener Instrumentalisierungen und hinterlistiger multipler Endzwecke kann eine Tat nur richtig sein, wenn sie das gesamte Gespinst zerstört und für nachhaltige Klärung im Dienst eines friedlichen Finales sorgt. Trump müsste erst durch berechenbares Folgeverhalten die Richtigkeit seiner Erleuchtungstat nachträglich beweisen.

Merkwürdige Parallele zu Merkels samaritanischer Errettungstat der Flüchtlinge – die sie durch eine konträre Folgepolitik erheblich schwächte und in ein bigottes Licht rückte. Im christlichen Westen muss die Not so lange anwachsen, bis nur noch ein singuläres höheres Ereignis die Malaise lindern kann. Ein bisschen weiße Salbe allerdings ist keine Langzeit-Therapie.

Der fromme Mensch muss lange scheitern, er muss die Schwierigkeiten so hoffnungslos aufstauen lassen, bis er die Nötigung empfindet, sich an einen göttlichen Nothelfer zu wenden. Das ist der Sinn der Rede vom Komplexen, das durch einfache Formeln nicht auflösbar sei. Seinem Gott muss man gelegentlich die Chance geben, mit unsichtbarer Hand den Sündenpfuhl seiner Erwählten ein wenig zu entwässern. Die Gesamtentwässerung erfolgt am Ende aller Tage.

Ist Trump kein Freund der Menschen, aber ein Wohltäter und Freund der Kinder?

„Während einer Rede hört man plötzlich ein Baby schreien. Erst tut Trump so, als sei er begeistert und reagiert euphorisch auf die Geräuschkulisse: „Machen Sie sich keine Sorgen wegen des Babys. Ich liebe Babys. Ich höre es schreien. Ich mag es. Was für ein wunderschönes Baby. Keine Sorge. Macht nichts.“ Von dem Publikum gibt es Applaus. Schließlich redet er weiter. Dann gibt es erneut Baby-Geschrei – und der unberechenbare und cholerische Charakter des Amerikaners zeigt sich. „Ehrlich gesagt habe ich nur Spaß gemacht. Schafft das Baby raus“, fordert Trump. Erneut gibt es Applaus. „Sie hat mir wohl wirklich geglaubt, ich mag es, wenn ein Baby schreit, wenn ich rede“, sagt er spöttisch über die Mutter des Kindes. „Das ist okay. Die Leute verstehen das nicht. Das ist ok“, geht es abfällig weiter.“ (Gala.de)

Ein Mensch ohne erkennbare Moral kann nicht charakterfest sein. Trump ist ein antinomischer Christ par excellence. In dieser Hinsicht ist er seinem Gott erstaunlich ähnlich. Wie die Frommen täglich zu ihrem himmlischen Vater beten müssen, dass er sich verlässlich und berechenbar zeige, so muss die Menschheit hoffen und beten, dass der gottähnliche Tycoon seine Einzeltat durch friedensstiftende Konsequenzen komplettieren möge. In diesem und nur in diesem Kontext wäre die einzelne Gewalttat vertretbar gewesen.

Doch was berechtigt zur Hoffnung, dass der Knecht wechselnder Erleuchtungen, der Weltmeister im täglichen Neuerfinden, die Erkenntnis gewonnen hätte, er müsse sich ändern? Bis heute bestand seine politische Agenda aus einer Reihe unverbundener Singulärtaten. Bis heute hat er sich keinen Deut geändert.

BILDs Rehabilitierung des Irrwischs dient nicht nur der systematischen Trumpisierung der deutschen Gesellschaft. Das Blatt wiederholt jene Epoche Europas, in der das „Wort der bloßen Vernunft“ nichts mehr galt. Die reine abstrakte Vernunft habe sich zur predigthaften Heuchlerin entwickelt. Jetzt aber käme es auf die Tat an. Theoretisches Schwatzen, und sei es über die kostbarsten Dinge wie Menschenrechte, unterstütze nur den Status quo des Inhumanen.

An dieser Stelle verließ Marx die Philosophie – sie habe nur interpretiert, aber nichts verändert – und erfand den Materialismus. Wer die materielle Basis des Lebens verändere, verändere automatisch den Geist der Menschen. Der geistige Überbau sei abhängig vom realen, ökonomischen Unterbau des Menschen.

Verständlich, aber falsch. Keine Norm wird durch Nichterfüllung falsch. Es kann lange Zeit dauern, sich der Norm in einer mühsamen Lerngeschichte anzunähern. Der Gefahr drohender Doppelmoral kann man nur durch selbstkritische Wahrnehmung der Differenz zwischen Sein und Sollen entgehen.

Wer Humanität predigt, als sei sie bereits in vollem Umfang realisiert, der ist ein Heuchler. Wer sie aber politisch fordert, indem er ihre Defizite anspricht, der ist ein ehrlicher Mann.

In ihrer TV-Kritik der Talkshow bei Anne Will wird der linke Politiker van Aken von BILD mit den Worten charakterisiert: „«Nicht erst bomben und dann Fragen stellen, sondern erst in Ruhe wissenschaftlich analysieren. Dann wissen wir, wer es war.» Und dann? Der tut nix, der will nur reden.“ (BILD.de)

BILD will nicht mehr reden, sie will nur noch agitieren. Es wird Zeit, dass etwas Außerordentliches geschieht. Das kann nur eine Gewalttat sein. BILD hetzt für kriegerische Taten – weit hinten in der Türkei oder in Nordkorea. Die Deutschen haben sich den Frieden durch vorbildliches Malochen redlich verdient. Wer sich der neoliberalen Peitsche nicht würdig zeigt, hat den Untergang verdient.

Der frühere Botschafter Kornblum warnte vor Trump: er sei ein „radikaler Pragmatiker“.

Ein Pragmatiker ist ein wendiger Nützlichkeits-Stratege. Wäre er radikal, wäre er ein Dogmatiker oder ein strenger Moralist. Davon ist er weltenweit entfernt – mit Ausnahme seiner Ökonomie-Gläubigkeit und der nationalen Devise: America first. Ob durch Selbstisolierung oder nicht.

Historiker Michael Wolffsohn versteht Trump als „Rache Amerikas am Anti-Amerikanismus“.

In der Krise driften jene Begriffe an die Oberfläche, die nie geklärt wurden und das Leben der Gesellschaften belasteten. Da Trump sich an allen Nationen der Welt rächen will, die Amerika angeblich übertölpelten, müsste die ganze Welt anti-amerikanisch sein. Versteht sich, dass der Begriff von Wolffsohn nicht geklärt wird.

Ist jede Kritik an Amerika Antiamerikanismus – wie jede Kritik an Israel Antisemitismus? Das ist gefährlicher Unfug, da er das Urelement der Demokratie – gegenseitige Kritik – pathologisiert. Wolffsohn hält die „Hau-Drauf-Aktion völkerrechtlich nicht für koscher.“ Dennoch attackiert er das Völkerrecht: „Wenn das Völkerrecht nicht die Völker vor dem Mord retten kann, dann muss die Frage gestellt werden: Ist das Recht für die Menschen da, oder sind die Menschen für das Recht da?“

Ist es möglich, dass ein Historiker nicht weiß, was Recht ist? Autonomes Recht, das Menschen sich selbst gegeben haben, dient immer dem Menschen. Ob richtig oder falsch, müssen die Menschen selbst entscheiden. Insofern ist Recht immer für den Menschen da – auch wenn er sich bemühen muss, die Normen des Gesetzes zu erfüllen. Kein bürgerliches Recht wird das Verbot des Tötens tilgen, nur weil es ständig neue Tötungsaktionen gibt.

Das Recht wäre nicht für den Menschen, sondern der Mensch für das Recht da, wenn es nicht vom Menschen, sondern von Gott stammte. Dann wäre es fremdbestimmt und würde den Menschen zum Gehorsam zwingen, um Seligkeit zu gewinnen und Unseligkeit zu vermeiden. Schon lange agitiert der Gelehrte gegen das Völkerrecht. Zu diesem Thema schrieb er auch das Buch „Zum Weltfrieden“. Warum gibt es immer wieder kriegerische Zerwürfnisse?

„Das politische Denken orientiert sich am Völkerrecht, und das Völkerrecht basiert auf dem Nationalstaatsgedanken. Nicht in Betracht gezogen wird dabei, dass die Grenzen vieler Staaten das Ergebnis reiner Willkür sind, mit dem Lineal gezogen infolge der Entkolonialisierung oder weltpolitischer Interessen, die nichts mit der Bevölkerung vor Ort zu tun haben.“

Das Völkerrecht wurde entworfen, um das Zusammenleben egoistischer und feindseliger Nationen durch Regeln erträglich zu machen. Nicht anders als das interne Recht der Völker, das das Zusammenleben eigensüchtiger und feindlicher Individuen in friedliche Bahnen lenken will.

„«Putin ist mit Assad in eine Sackgasse geraten», stellt Kornblum fest. «Die Zeit war gekommen, wo der Westen was sagen musste. Der ganze Westen steht hinter Trump.»“

Das ist eine erstaunliche Traumtänzerei. Keine Rede, dass der Westen geschlossen hinter Trump stünde. Auch Kornblum gehörte zu den anfänglichen Trump-Kritikern. Und schon hält er dessen Fahne hoch. BILD kann nur entzückt sein.

Der Syrien-Konflikt ist ein stellvertretender Krieg zwischen West und Ost. Für das Lager hartstirniger Westler sind immer die anderen an den Weltkonflikten schuldig. Putin zum Bespiel. Wer hingegen das amerikanische Sündenkonto erwähnt, wie Michael Lüders, der wird von West-Ideologen der „Verschwörung“ geziehen.

So Kornblum: „«Zu sagen, dass der Westen an allem Schuld ist, was in Syrien passiert ist, das ist eine Verschwörungstheorie», sagt Kornblum. Lüders wehrt sich: «Das hat aber keiner gesagt!» Kornblum: «Doch, das haben Sie gesagt!» Lüders streitet weiter ab: «Nein, das habe ich nicht!» Da gibt ihm Kornblum den Gnadenstoß: «Es ist der Untertitel Ihres Buches!» Tatsächlich: Das Buch heißt «Die den Sturm ernten: Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte»“. Feixend kommentiert BILD: „Künstlerpech!“

Es ist wie beim Antiamerikanismus: Kritik am Westen ist noch lange keine Verschwörungstheorie. Dass man den jahrhundertealten Imperialismus des Westens noch immer verdrängen kann, spricht gegen die dringend notwendige Fähigkeit des Westens, sich durch Selbstkritik zu erneuern. Nicht nur Grenzen werden geschlossen, Mauern und Stacheldrahtzäune errichtet: das Denken des Westens wird in rapidem Tempo chauvinistischer, aggressiver und selbstgefälliger. Schon werden die Nestbeschmutzer an den Pranger gestellt.

Nur nebenbei, der Untertitel von Lüders Buch: „Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte“, ist nicht identisch mit dem Satz: der Westen ist alleinschuldig. Schuld tragen auch andere Nationen. Das ändert dennoch nichts daran, dass der Westen der Hauptschuldige am Ost-West-Konflikt ist. Die Deutschen können die Aussagen anderer nur noch nebulös deuten, den präzisen Sinn des Buchstabens können sie nicht erfassen. Die Entwertung der Begriffe zu Seifenblasen haben sie den Theologen zu verdanken.

Von der Leyen vertritt – was sonst – Merkels Wisch-und-Weg-Politik. Gleichgültig, ob Trumps Militärattacke richtig sei oder nicht, auf jeden Fall stehe fest: Deutschland wird sich nicht beteiligen. Das ist die bekannte Heuchelei der Merkel-Regierung. Wenn sie ihre Teilnahme verweigert, müsste sie – um glaubhaft zu sein – Trump scharf kritisieren. Tut sie es nicht, gäbe es für sie keinen Grund, sich vor der Partizipation an der Militäraktion zu drücken.

„Ziemlich viel anti-amerikanischer Kampftalk“: das ist BILDs Resumee der Will-Debatte. Wie sie jede Kritik an Israel als Antisemitismus diffamiert, so diffamiert sie jede Kritik an Amerika als Antiamerikanismus. Kein Zufall, dass Antiamerikanismus lange Zeit als sekundärer Antisemitismus galt.

So werden Kritik und Selbstkritik, die erkenntnisleitenden Urelemente einer Polis, als blinde Hassregungen dämonisiert. BILD entwickelt den militanten Ehrgeiz, zum deutschen Brückenkopf des Trumpismus zu werden.

Auch in Amerika fallen trump-kritische Medien reihenweise um und werden über Nacht zu Bewunderern des Raketen-Präsidenten:

„Nichts verkauft sich so gut wie Krieg. Auch jetzt wieder: Begeistert stürzen sich die US-Medien auf Donald Trumps Syrien-Abenteuer und machen sich so zu Komplizen des Weißen Hauses – auch wenn diese neueste Trump-Realityshow streckenweise so billig inszeniert ist wie eine Seifenoper. Bilder, Szenen, Schlüsselreize: Trump, Meister der Manipulation, bediente sich altbewährter Symbolik, um Amerikas Kriegslust zu schüren.“ (SPIEGEL.de)

BILD lässt sich vom amerikanischen Kriegsfieber anstecken. Tramp tramp tramp, in transatlantischer Harmonie marschieren BILD & Trump.

 

Fortsetzung folgt.