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Weltdorf LXVIII

Hello, Freunde des Weltdorfs LXVIII,

ein Nichtereignis mit obligatorischen Quasselbeilagen. Das Establishment hatte Betriebsfest und feierte das Wiedersehen von prächtig und mächtig. Lag da nicht vertraulich eine bunte Hand auf Merkels grauen Schultern? Ein lockerer Mensch hatte keine Berührungsängste mit der Macht und wusste, dass auch seine Kanzlerin geliebt werden will. Die Bundesratsversammlung ist eine fröhliche Begegnungsstätte von ungeliebten Gewählten und bewunderten Ungewählten. Graue Mäuse und BürgerInnen: Betreten verboten.

Deutschland funktioniert. Friktionsfrei. Leise schnurrend wie eine Limousine. Da lachen alle Freunde der geölten Postdemokratie. Man sagt post, um das garstige anti zu vermeiden. BILD-Wagner, in hohen Nöten wegen seines geliebten Amerika, das er nicht mehr wieder erkennt, ist wieder getröstet. Auf sein Vaterland ist Verlass – wenn‘s drauf ankommt:

„Niemand war erregt. Es war, wie bei einer Schlüsselübergabe bei Nachmietern. Es war schön, wie alles über die Bühne lief. Kein Pomp, keine Königskrone, sachlich, modern, geschäftsmäßig. Gauck übergibt an Steinmeier. Wir Deutschen können glücklich sein, dass keine Bomben explodierten bei der Präsidentenwahl und kein Chaos ausbricht, auf den Straßen. Deutschland ist ein großartiges, cooles Land.“ (BILD.de)

Das Singen der ersten Strophe der Nationalhymne wäre jetzt angebracht. Doch völkische Selbsthasser verbieten es, sie lieben ihre Frauen, aber nicht ihren Staat.

Tanit Koch, BILD, hält echte Wahlen für überholt:

„Kungelei“, „Abgekartet“, „Geschacher“ – alles Begriffe, die vor der Bundespräsidenten-Wahl zu hören waren. Doch Demokratie verlangt nicht zwingend nach Kampf-Abstimmungen. Unverzichtbar hingegen: Glaubwürdigkeit.“ (BILD.de)

Völker der Welt, schaut auf dieses Land. Hier werden alte Zöpfe abgeschnitten. Hier wird der Fraktionszwang nationalisiert. Die GagroKo legt in kungelndem, abgekartetem Geschacher fest, wer gewählt werden muss. Dann darf das

 wahlkämpfende Regietheater nach Drehbuch über die Bühne gehen: Wir spielen Demokratie – ganz neu. Ohne alten Ballast, ohne Rituale zeitaufreibender Scheinkämpfe.

Ad rem, heißt die Losung künftiger Algorithmen-Demokraten. Wahlen an sich werden bald überflüssig sein. Die Besitzer aller Weltdaten wissen ohnehin besser, wen die Datenträger wählen werden, als diese selbst. Vertrödeln wir nicht die Zeit mit künstlicher Ignoranz, wenn wir weitaus mehr über uns wissen könnten als alle Epochen der Geschichte zusammen.

Zu kämpfen gibt es ohnehin nichts mehr. Die Zeiten lästiger Wortgefechte sind vorbei. Trump, unser aller Vorbild, planiert bereits die universitären Schwätzerfakultäten – gefolgt von Japan. Bei uns fällt der Groschen immer später. Wir brauchen den transatlantischen Plagiatseffekt. Wozu benötigen wir Wissenschaften, die mit erhobenem Zeigefinger alles besser wissen wollen? Die uns an Zeiten erinnern, die wir längst überwunden haben? Mit Ballast der Geschichte geben wir uns nicht mehr ab. Wenn der Euro im Kasten klingt, die deutsche Seele in den Himmel springt.

Bei der Eröffnung der Berliner Filmfestspiele beklagte Iris Berben, Doyenne der Darstellergarde, den mangelnden politischen Widerstand ihrer Zunft. Drehte sich um – und ließ sich als Wahlmarionette der Parteien vorführen. Selbst Comedians, die kritisch zur Politik sein wollen, betrachteten es als Ehre, ihre professionelle Distanz an der Garderobe abzugeben. Hape Kerkeling, frommer Pilgersmann auf dem Sankt Jakobsweg, unterstützte die christlichen Abendländer. Hurz. Den Tagesbeobachtern fallen solche Kleinigkeiten nicht auf, zählen sie sich doch selbst zum Establishment. Roland Nelles, SPIEGEL, ist froh über das reibungslose Funktionieren des Establishments:

„Antiintellektualismus, Elitenverachtung, der Kampf gegen seriöse Politiker sind groß in Mode. Die Rechtspopulisten haben das Wort Establishment zu ihrem zentralen Kampfbegriff gemacht. Sie laden den Begriff negativ auf, subsumieren darunter alle, die in der Demokratie seit Jahren politische Verantwortung tragen und anders denken als sie. Höchste Zeit also für ein antizyklisches Loblied auf das Establishment.“ (SPIEGEL.de)

Nelles – außer Rand und Band. Elitenkritik ist keine Elitenverachtung. Sie ist oszillierender Zorn. Selbst wenn es Verachtung wäre: soll man lieben, wer einem ausnimmt, wer sich als Klasse der Wissenden aufbläht, die Welt spaltet und die Schwachen ins Elend treibt? Eliten sollen die inkorporierte Intelligenz sein? Tragen sie Verantwortung für die Welt, wenn man deren beschleunigten Lauf in die Apokalypse betrachtet?

Regelmäßig erscheinen angsterregende Klimaartikel in den Gazetten, doch im Politgeschäft kommen diese Alarmmeldungen nicht vor. Da geht es weiter mit Schönwettermeldungen, als lebten wir im Garten Eden. Merkels „tröstet, tröstet, mein Volk“ ist zur Suada der Edelschreiber geworden. Sie selbst gehören zum Establishment und vermissen Dankbarkeit für ihre Hütehundrolle, die sie mit aufgeregtem Bellen verwechseln.

Als der SPIEGEL sein 70-jähriges Jubiläum feierte – wen lud er ein zum Fest? Eine repräsentative Abordnung seiner Leser? Mitnichten. Sie lassen sich nur von jener Creme de la Creme belobigen, zu der sie strengste Distanz halten müssten. Merkel wird eingeladen, plaudert in der allerheiligsten Stube Schmankerl über die Mächtigen. Doch der SPIEGEL hat Verschwiegenheit vereinbart. Noch immer herrscht das Arkanum machtbewusster Religionen. Der Pöbel hat vor der Tür zu warten, das Establishment hütet die Geheimnisse der Macht. Dabei berichten sie über diese Deklassierung im fürsorglichen Paschaton: liebe Kinder, wollet doch verstehen, dass wir euch nur schonen wollen.

Waren die Dinge wichtig, über die die Kanzlerin berichtete? Dann raus damit, dann gilt das Gesetz der Whistleblower. (Kein Wunder, dass Snowden keine energische Unterstützung mehr erhält.) Waren sie unwichtig – warum werden sie der Öffentlichkeit vorenthalten? Weil die Kungler sich schämen über die Nichtigkeiten, die sie im hohen Ton austauschten?

Wir oben – gegen die da unten. Dieses Gesetz gilt inzwischen in allen Demokratien der Welt. Wer das Privileg des Verschweigens hat, gehört zu den Mächtigen. Die anderen stehen deklassiert vor der Tür. Es ist das Gefühl des snobistischen Ausschließens, das die Massen nicht mehr ertragen. Demokratie heißt vor allem: keine Geheimnisse und keine Geheimnisträger. Die Massen können noch nicht artikulieren, was sich seit Jahrhunderten in ihrem gedemütigten Unbewussten angehäuft hat. Sie sollen es gar nicht erst lernen.

Warum sind Pöbelschulen zur Produktion von Dummheit verpflichtet? Es wäre zu fragen, wer wirklich die geistesabwesenden Klassen sind. Eine der besonders intelligenten Fragen ist das Rätsel, warum die Massen den Aufsteiger Trump wählten, obgleich es doch offensichtlich war, dass er die Interessen seiner Wähler düpieren würde.

Ein Gleichnis hilft vielleicht. Ein Hund brach durch die Eisdecke und konnte sich nur noch mit den Vorderläufen festklammern. Ein hilfswilliger Mann robbte sich auf dem Bauch an das notleidende Tier heran. Wie reagierte der Hund auf die ausgestreckte Hand seines Retters? Er biss hinein. Notleidende und Verzweifelte sind zur rationalen Dankbarkeit nicht mehr fähig. Sie greifen nach jedem Strohhalm im Modus der Vernichtung, auch wenn es ihr Verderb sein könnte.

Es geht nicht nur um soziale Deklassierung durch Klufterweiterung zwischen Armen und Reichen. Es geht um wortlose Verachtung, um dauerpräsente Geringschätzung, um blasierte Herabstufung des mündigen Volkes zu einer quantité négligeable. Macht hat, wer bestimmen kann, mit wem er spricht – und wen er durch Verstummen zum Nichts erniedrigt.

Ein amerikanischer Präsident, vor wenigen Wochen noch mächtigster Mann der Welt, zeigt sich im Ruhestand auf dem märchenhaften Besitz – eines Milliardärs. Der ganzen Welt demonstriert er, dass der krisenhafte Zustand der Welt ihn nicht davon abbringen kann, den wohlverdienten Lohn seiner politischen Amtsperiode aufs vortrefflichste zu kassieren. Nachträglich zeigt er, zu welcher Klasse er sich zählt.

Deutsche Politiker im Ruhestand denken keinen Deut anders. Kaum verlieren sie ihre Macht, trifft man sie in den Vorstandsetagen reicher Konzerne. Ließ sich Schröder nach seiner Abwahl ein einziges Mal im Ortsverein seiner Partei blicken? Sie sitzen behaglich auf ihren Polstern und spielen Elder Statesmen. Sie haben die lukrative Pensionsnische gefunden, kassieren für ihr ehemaliges Machtwissen und denken nicht daran, ins normale Leben ihrer Parteimitglieder zurückzukehren. Joschka Fischers Lieblingsrolle ist das Ausstoßen düsterer Kassandrarufe. Dass sie im Ruhestand alles besser wissen wollen, verrät eine indirekte Selbstkritik an ihrer einstigen Politrolle.

Jean Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission seit 2014, wirft das Handtuch lange vor dem Ende seiner Dienstzeit. Eine EU mit flagranten Problemen – hat er nicht erwartet. Anstatt sich reinzuknien und das europäische Friedensprojekt mit aller Kraft zu retten, gibt er sich überfordert und signalisiert frühzeitige Resignation. Den schäbigen Rest seiner Amtszeit wird er als „lame duck“ verbringen.

An allen Ecken der Gesellschaft schotten sich die Reichen vom Pöbel ab. Wann hat man Warren Buffett das letzte Mal in der New Yorker U-Bahn gesehen? Sie haben Hubschrauber und Flugzeuge, treffen sich in hermetisch geschlossenen Luxusinseln. Selbst den Weltuntergang wollen sie, weitab von den überflüssigen Massen, in unterirdischen chambres séparées überleben.

Wer den Weltuntergang riskiert oder aktiv herbeiführt, kennt den Noah-Effekt. An versteckten Orten mitten in der Wüste, streng getrennt von sichtbaren Häusern, bereiten sie sich darauf vor, eine neue Epoche der Weltgeschichte zu beginnen. Es gibt schon viel zu viele Cretins auf der Welt, die der Natur die Haare vom Kopf fressen. Es muss einen harten Schnitt geben. Die Geschichte muss von vorne beginnen – mit wenigen Lieblingen des Schicksals.

„Um für die Apokalypse gerüstet zu sein, bauen sich US-Milliardäre Bunker mit Fünf-Sterne-Komfort – teils am Ende der Welt, teils gerade da, wo man es nicht vermuten würde. Besonders beliebt ist ein unterirdischer Fünf-Sterne-Bunker in Kansas mitten in der Wüste. Wo genau? Pssst, das darf ich hier nicht verraten.“ (Sueddeutsche.de)

Wieder bilden die Medien ein Komplott mit den Mächtigen. In ihrer Mittlerfunktion stehen sie nicht zwischen den Klassen, sondern sind machthungrig nach oben fixiert. Wär‘s anders, hätte der Neoliberalismus nicht die geringsten Chancen gehabt, die Länder ins Verderben zu stürzen. Offenen Auges sehen sie zu, wie Millionen Menschen verderben und verhungern.

Wie rechtfertigen sie ihre unterlassene Hilfeleistung in monströsem Stil? Durch weltweiten Handel und die Einführung kapitalistischer Effizienz ginge es vielen Menschen besser. Kontinente seien dem blanken Hunger entrissen worden.

Das ist kompletter Unsinn. Die Völker ohne kapitalistische Ökonomie nagten nicht ständig am Hungertuch. Seit undenklichen Zeiten gelang es ihnen, im Einklang mit der Natur ein Leben zu führen, das sie keinen Augenblick mit zweifelhaften Fortschritten des Kapitalismus eintauschen möchten – sofern man ihnen überhaupt die Chance einräumt, sich frei zu entscheiden.

Sie reden von Subsistenzwirtschaft. Subsistere heißt stehen bleiben. Eine statische Wirtschaft steht im Dienst des Lebens und lehnt jede Umkehrung – das Leben stehe im Dienst der Wirtschaft – als pervers und selbstzerstörerisch ab. Eine grenzenlos wachsende „dynamische“ Wirtschaft ist suizidal. Nur mit einer Wirtschaft, die die Grenzen der Natur achtet, hätte die Menschheit eine lebenswerte Zukunft.

„In der Biodiversitäts-Konvention der UNO wird ausdrücklich auf die Abhängigkeit traditionell subsistenzwirtschaftender Gemeinschaften von intakten Ökosystemen hingewiesen, denen sie seit alters her alles Lebensnotwendige entnommen haben. Die Konvention erkennt an, dass ihre Lebensweisen in besonderem Maße nachhaltig sind und die biologische Vielfalt nicht verringern. Im Gegensatz zu industrialisierten Gesellschaften, die nicht unmittelbar auf ein bestimmtes Gebiet angewiesen sind, haben solche Gemeinschaften ein direktes Interesse an der Aufrechterhaltung und dem Schutz dieser Ökosysteme, deren Stabilität sie nie gefährdet haben.“ (Wiki)

Obgleich hier die absolute Überlegenheit der naturnahen Subsistenzwirtschaft anerkannt wird, scheuen sich die Fachleute nicht, die statischen Kulturen als Armutskulturen zu verwerfen. Wer sein Überleben auf Erden nicht selbst gefährdet, gilt – man höre und staune – als arm und minderwertig.

„Obgleich Anfang des 21. Jahrhunderts immer noch mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung (insbesondere in den Entwicklungsländern) durch Subsistenzorientierung ein weitgehend unabhängiges und selbstbestimmtes Auskommen haben, wird diese Strategie der Existenzsicherung etwa von der Weltbank seit Mitte der 1960er Jahre weitgehend ignoriert oder gar mit Armut und Unterentwicklung gleichgesetzt.“ (Wiki)

Ein ungeheurer Skandal, der allen progressiv-dynamischen Gesellschaften den Kopf kosten wird. Dass die verachteten Eingeborenenvölker den ach so überlegenen Fortschrittskulturen völlig überlegen sind, ja sie im Kampf um Sein oder Nichtsein konkurrenzlos überleben werden – wenn sie nicht mit brutaler Macht in die Apokalypse gestoßen werden –, wird heute in jeder ökologischen Debatte verschwiegen.

Warum gibt es keine Alternative zum Kapitalismus? Weil auch die Linken – inklusive der naturfeindlichen Marxisten – die Subsistenzwirtschaft als hinterwäldlerisch ablehnen:

„Selbst in den Augen linker Kritiker des Kapitalismus (wie etwa Andre Gorz) ist allein die Lohnarbeit in Fabriken und Büros gesellschaftlich notwendige Arbeit – der existenzsichernden Subsistenzarbeit wird kein gesellschaftlicher Status zugesprochen.“ (Wiki)

Momentan gibt’s wieder eine Marx-Erweckungsbewegung. Wenn die Deutschen in Verwirrung kommen, kehren sie zurück: sei es zum biblischen Vater aller Dinge oder zum bärtigen Vater der Revolution. Es genügt ihnen, dass die Deutschen es schon immer besser wussten. Was denn aus Jesus und Marx praktisch folgen würde, ist von keinem Interesse. Marx war ein glühender Bewunderer des kapitalistischen Fortschritts. Die Subsistenzwirtschaft der Bauern oder „primitiver Völker“ deklassierte er zur Idiotie des Landlebens. Gero von Randow, ZEIT, hält sich für besonders kompetent, die Werke Marx‘ zu entschlüsseln. Warum? Weil er selbst mal in jugendlicher Verwirrung an die automatische Revolution glaubte.

„Unser Autor, ein Ex-Kommunist, liest das Hauptwerk des Denkers noch einmal – und ist überrascht.“ (ZEIT.de)

Warum von Randow einst von Marx überzeugt war, dann aber – wie viele Karrieristen – von der allein seligmachenden Wahrheit abwich, sagt er uns nicht. Warum gründet er keine neue marxistische Partei, um seine alt-neuen Erkenntnisse in Politik zu übersetzen? Seltsam nur, dass regredierte Marx-Bewunderer am heftigsten gegen orthodoxe Marxisten protestieren.

Warum ist das Gleichnis vom verlorenen Sohn, der nach subjektivem Scheitern wieder zur Wahrheit seiner einstigen Autoritäten zurückkehrt, das noch immer typischste Gleichnis für die wunde deutsche Seele? Weil sie ihre Unfähigkeit markiert, aus Fehlern zu lernen – und kurzschlüssig zum Autoritätsglauben ihrer Kindheit zurückkehrt.

„Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße. Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringet das beste Kleid hervor und tut es ihm an, und gebet ihm einen Fingerreif an seine Hand und Schuhe an seine Füße, und bringet ein gemästet Kalb her und schlachtet’s; lasset uns essen und fröhlich sein! denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an fröhlich zu sein.“

Auf Scheitern stehen himmlische Prämien. Weshalb bibelfeste Amerikaner zum Scheitern geradezu animieren. Der Profit der zweiten Chance stellt den der ersten weit in den Schatten. Auch hier liegt kein Lernen aus Fehlern vor. Gott liebt diejenigen, die ohne ihn nicht leben können. Das genügt zur Aufnahme in den Bund der Seligen.

Warum gibt es keine Alternative zum Kapitalismus? Weil Ex-Marxisten die Grundprinzipien ihrer Konkurrenz gegen die Ausbeuter als a) erpresste Sündenarbeit und als Naturbeschädigung durch technischen Fortschritt befürworten. Arbeit ist für calvinistische Neoliberale eine Sündenstrafe. Aber auch in jedem marxistischen Lehrbuch steht das paulinische Fluchwort; wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Der sündige Mensch gilt als Lustmolch und Arbeitsverweigerer. Also muss er durch Androhen des Hungertodes zur Maloche gezwungen werden.

Der Mensch als Mensch gilt nichts. Erst durch Arbeit kann er sich die Anerkennung seiner Persönlichkeit verdienen. Geboren werden ist kein Verdienst. Die Ich-Anerkennung des Menschen muss durch nachträgliche Arbeit erst mühsam verdient werden. Das entspricht der Pädagogik frommer Eltern, die ihren Kindern sagen: arbeitet im Schweiße eures Angesichtes – dann werden wir euch lieben. Unsere Liebe muss in allen Details des Erfolgs erwirtschaftet und erarbeitet werden.

b) Sündenarbeit kennt keinen Respekt vor der Natur. Macht euch die Erde untertan: die Natur muss dran glauben, dass das Reich der Freiheit, der Gnade schon hienieden errichtet werden kann.

Das Verdienenmüssen von Liebe und Akzeptanz ist eine fundamentale Versündigung an der Autonomie des Menschen. Jeder Mensch hat das Recht, um seinetwillen geliebt zu werden. Der geliebte und anerkannte Mensch strotzt vor Selbstbewusstsein, das sich in selbstgewählten Aktivitäten realisiert. Niemand ist träge und faul von Natur aus. Trägheit ist die Rache der Ungeliebten an ihren Autoritäten, deren Zwangspädagogik sie verabscheuen.

Das BGE könnte eine Umkehr der erpressten Sündenmaloche bewirken. Wer sich akzeptiert fühlt, beteiligt sich freudig an seinen Pflichten zur Erhaltung der Gesellschaft.

Dem Kapitalismus liegt eine menschenfeindliche Psychologie zugrunde. Die Wurzeln der Wirtschaft sind nicht ökonomisch, sondern gründen in psychologisch-philosophischen Grundsätzen. Die gesamte Wirtschaft des Kapitalismus wie des Sozialismus gründet in zwei grundfalschen Negationen der Lehre vom Menschen:

A) Der Mensch ist von Natur ein spontan wirkendes und denkendes Wesen. Er hat die Fähigkeit, die Naturgabe in einem lebenslangen Akt in selbstbestimmtes Tun und Denken umzuwandeln.

B) Nur eine Subsistenzwirtschaft, die die Grenzen der Natur akzeptiert, hat eine reelle Überlebenschance. Auf welchem Niveau sich die statische Wirtschaft einrichten muss, um ihre ökologischen Grundlagen nicht zu zerstören, muss durch Versuch und Irrtum erkundet werden.

Geirrt haben wir uns mittlerweilen gefährlich genug. Wir müssten endlich unsere Grenzen festlegen. Nicht so, dass die Mächtigen das größte Stück vom Kuchen absahnen und die anderen zu kurz kommen. Der Freihandel der Gegenwart ist die Freiheit der Starken, die Schwachen mit ungeheurer Finanzgewalt in die Knie zu zwingen. Seit 500 Jahren werden nicht-christliche Völker vom Westen ausgebeutet. Früher mit militärischer, heute mit ökonomischer Omnipotenz.

Die Schlussfolgerungen aus den beiden Grundfehlern sind zwingend: Wirtschaft ist keine Disziplin eines fremdschädigenden Egoismus. Nur durch Kooperation kann sie eine völkerverbindende Solidarität herstellen. Alle Rankings und Zahlenvergleiche zur bloßen Selbstbespiegelung einer Nation auf Kosten anderer müssen eingestellt werden. Nur zwei Fragen sind zwingend zu beantworten: a) auf welchem Niveau wirtschaftlicher Aktivitäten wird die Menschheit satt? b) Kann dieses Niveau erarbeitet werden, ohne die Natur nachhaltig zu beschädigen? Wahrscheinlich müssen wir uns zukünftig einschränken. Das würde der Gesundheit fetter Planetarier nur nützen.

Warum linke Parteien in aller Welt regelmäßig scheitern, liegt an ihrer Unfähigkeit, die Ebene polemischer Alltagsformeln zu verlassen und zu einer philosophischen Grundsatzbesinnung durchzudringen. Im Bereich der Macht muss man Kompromisse schließen. Wer von vorne beginnen will, muss kompromisslose Wahrheit suchen.

Bevor es die Grünen als Partei gab, wurde der ökologische Gedanke in allen Variationen vielfältig durchdekliniert. Nicht das Sein bestimmt das Bewusstsein, sondern das angstfreie Denken: Alles prüfet, das Beste behaltet. Es gibt kein neues System, weil es überhaupt keine Systeme gibt. Es gibt nur Gedanken, die zur Tat werden.

Grundsätzliche Fragen werden von den neuen Hoffnungsträgern der SPD nicht gestellt. Beide wollen ein Neues, ohne die Mängel des Alten zu benennen. Schulz ignoriert mit Herrenpose die Fehler der schändlichen Hartz4-Verordnungen, Steinmeier will die katastrophale Kurnaz-Affäre nicht bereinigen. Der eine brabbelt von Gerechtigkeit, der andere von Demokratie. Wie wollen sie klären, was sie wollen, wenn sie unfähig sind, die Fehler der Vergangenheit präzis zu benennen und zu korrigieren?

Was ist Demokratie? Das Rechtfertigen des eigenen Tuns im Streitgespräch der Agora.

Die Konservativen misstrauen allem freien Denken. Sie verlassen sich auf Gott und ihre Institutionen, die ihnen Moral und Denken vorschreiben. Die Linken sind unfähig, ihre verblüffenden Übereinstimmungen mit den Konservativen wahrzunehmen. Sie plagiieren ihre Gegner – in der Pose der Rebellion.

 

Fortsetzung folgt.