Kategorien
Tagesmail

Weltdorf LIII

Hello, Freunde des Weltdorfs LIII,

Gott sei gepriesen, Trump hat die Türen eingetreten. Nun stehen wir, wo wir schon lange stehen müssten: im Zentrum des Geschehens, in der Halle der Grundsatzfragen.

Trump kann nur philosophisch besiegt werden. Das Schlachtfeld der Macht beginnt mit dem Schlachtfeld der Gedanken. Siegt ein Gedanke, wird er zur Waffe. Da jede Macht auf Gedanken beruht, kann sie letztlich nur durch Gedanken besiegt werden. Wer will, dass humane Gedanken die Welt regieren, muss für humane Gedanken sorgen. Wohl können Waffen denkende Menschen vernichten. Dennoch ist jede Waffe nur ein Instrument in den Händen inhuman denkender Menschen, die nur durch die Kraft humaner Gedanken zur Einsicht kommen können – ohne, dass sie vernichtet werden müssen.

Der Feind kann nur besiegt werden, wenn er nicht mehr als Feind dienen muss. Jede Untat beginnt ihre verhängnisvolle Karriere als menschenfeindlicher Gedanke. Wer jene verhindern will, muss diesen durch Menschenfreundlichkeit durchdrungen haben. Je mehr der ideelle Kampf der Geister im hiesigen Tümpel der Unwiderlegbaren und Wahrheitslosen als dogmatische Besserwisserei denunziert wurde, je mehr nahm der Kampf der Waffen überhand.

Wer sich nichts mehr zu sagen hat, wer mit Argumenten nicht streiten kann, der muss zu Molotow-Cocktails oder allesüberrollenden Lastwagen greifen, um sich eine Bühne des Todes zu schaffen. Durch Gesetzesverschärfungen kann der IS nicht überwunden werden. Todenhöfer hat in FREITAG Selbstverständliches ausgesprochen – das bei uns …

… selbstverständlich nicht sein darf:

„Der IS ist eine Ideologie. Ideologien kann man nicht erschießen. Trotzdem bekämpfen die USA und zuletzt auch Russland den IS in erster Linie mit Bomben. Obwohl sie wissen, dass diese Strategie Hauptursache des explosionsartigen Erstarkens des Terrorismus im Mittleren Osten ist. Weil in der Regel 90 Prozent der Bomben-Opfer Zivilisten sind, sind die Kriege des Westens Terrorzuchtprogramme. Zu Beginn der „Anti-Terror-Kriege“ 2001 gab es in den Höhlen des Hindukusch einige hundert international gefährliche Terroristen. Heute gibt es im Mittleren Osten mehr als 100.000. Von den endlosen Massakern des Westens im Irak und in Syrien liest und hört man bei uns kaum etwas. Die amerikanischen Gräueltaten passen nicht zu unserem Selbstverständnis als „Verteidiger westlicher Werte“. Sogar unsere Kanzlerin schwärmte am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, von der „Befreiung“ Mosuls. Ahnungslosigkeit, Zynismus, doppelte Moral? Der amerikanische Systemkritiker Noam Chomsky nennt die USA „Weltmeister im Erzeugen von Terrorismus. War es nur ein Versprecher, als der damalige US-Generalstabschef Colin Powell nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion seufzte: „Mir gehen die Dämonen aus. Mir fehlen die Schurken“? Oder hatte er für einen Augenblick durchblicken lassen, wie wichtig Feindbilder für die US-Außenpolitik sind? Der Philosoph Jean-Paul Sartre hat das Phänomen der unterschiedlichen Maßstäbe, die an Krieg und Terror angelegt werden, in den 60er Jahren am Beispiel des Algerienkrieges analysiert. Resigniert stellte er fest: „Wir verstehen nicht, dass ihre Gewalt unsere eigene Gewalt ist, die wie ein Bumerang auf uns zurückschlägt.“ (Freitag.de)

Warum wird die Welt durch Technik und maschinellen Fortschritt beherrscht? Weil wir für wahr halten sollen, dass Technik und Fortschritt all unsere Probleme lösen werden. Einerseits sollen wir überzeugt sein, unsere Probleme niemals lösen zu können, andererseits blind daran glauben, dass Maschinen alle Probleme pro nobis lösen werden. Der Mensch soll zugleich omnipotent und impotent sein. Diese Spaltung seiner Persönlichkeit wird ihn in den selbstverschuldeten Ruin führen.

Die christliche Kultur ist verdorben durch das pro nobis: stellvertretend für uns wird Gott durch seinen Sohn unsere Sündenmisere beheben. Wir haben Gott erfunden, der einen Sohn erfinden musste, der eine Kirche mit klerikaler Unfehlbarkeit erfinden musste, um auf vielen Umwegen unsere Probleme zu lösen. Da Religion unsere Erfindung ist, sind wir es selbst, die uns aus Sünden befreien. Dennoch glauben wir, zur Selbsterlösung unfähig zu sein, damit wir unser Schicksal in die Hände eines allmächtigen Gottes legen. Auf Umwegen sollen wir uns helfen, ohne zu sehen, dass wir selbst es sind, die unsere Probleme lösen.

Wie wir Gott erfanden, um uns indirekt zu erlösen, haben wir Maschinen erfunden, um uns indirekt – und doch am eigenen Schopf – aus dem Sumpf zu ziehen. Die Maschine ist für den modernen Christen, was der Sohn für den Vater, der Vater für den Menschen ist. Der Mensch sagt zur Maschine, was der Vater dem Sohn sagte: „Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen gefunden habe.“

Die Voraussetzung aller Voraussetzungen der Selbsthilfe ist der Glaube des Menschen an seine Fähigkeit, sich selbst zu helfen. Jeder Glaube ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Wer an Gottes fremdbestimmte Hilfe glaubt, wird alles tun, um die selbstbestimmte Hilfe des Menschen zu unterbinden – und sich einem fremden Gott auszuliefern. Und wenn er bis an den Sankt Nimmerleinstag warten müsste.

Durch Spaltung seines Ichs in einen allmächtigen Gott und einen ohnmächtigen Sündenkrüppel macht sich der Mensch zugleich stärker und schwächer als er ist. Seine Mischung aus fiktiver Allmacht und realer Ohnmacht führt letztlich zur Ohnmacht. Er entzieht sich alle Energie, um sie einem fiktiven Gott zu überlassen. Damit verpufft er seine Energie, die er zur Selbstrettung bräuchte, in das Nichts eines kindischen Wunsch-Reichs. Sein fassbar-empirisches Ich schwächt er bis zur suizidalen Selbstvernichtung.

Aus all diesen Gründen kann Technik kein neutrales Instrument sein, mit dem der Mensch Gutes oder Böses tun kann. Technik ist kein Messer, mit dem man Brot schneiden oder einen Feind aufschlitzen kann. Technik dient der indirekten Selbsterlösung, die dem Menschen gleichzeitig verbietet, sich direkt zu erlösen. (Erlösen soll hier Synonym von Problemlösen sein.)

Völlig sinnlos, das Mantra zu wiederholen: Technik ist eine Gefahr, aber auch eine Chance. Von uns hinge ab, was wir aus ihr machen. Was Technik ist, haben die Abendländer bereits im Mittelalter entschieden. Jede Fortschrittsepoche bis heute hat diese Entscheidung bekräftigt und unterstrichen. Der technische Fortschritt hat sich an die Stelle des moralischen und erkennenden Fortschritts gesetzt. Die geistige Lernfähigkeit wurde abgesetzt zugunsten einer rein technisch-wissenschaftlichen.

Der christliche Glaube verurteilt das autonome Lernen des Menschen als hybrides Rühmen. Mittelalterliche Mönche ersetzten das moralische Selbstlernen durch technischen Fortschritt, der in der Lage sein soll, den Sündenfall zu revidieren und das Kommen des künftigen Reiches Gottes herbei zu nötigen oder zu beschleunigen.

Diesen Gedanken hat Marx im Vorwort zu seinem Kapital wortwörtlich übernommen. Der revolutionäre Mensch ist zu nichts anderem fähig, als die Geburtswehen des kommenden Reiches der Freiheit zu beschleunigen oder zu verlangsamen. Marx, der den Menschen zum Gestalter seines Schicksals emanzipieren wollte, erniedrigt den Menschen zum Vollstrecker einer automatischen Heilsgeschichte. In dieser Hinsicht bleibt Marx der christlichen Erlöserreligion treu.

Nach Francis Bacon führt der technische Fortschritt – „Wissen ist Macht“ – zur „schrittweisen providentiellen (vorsehungs-mäßigen) Erlösung durch Aufklärung. Bis schließlich in Fergusons „Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft“ der Fortschritt selber, gradlinig und unausweichlich, als kollektive Selbsterlösung der Menschheit erscheint.“ (Friedrich Wagner)

Autonome Aufklärung und heteronome Erlösung gehen eine verhängnisvolle Kopulation ein und gebären die Missgeburt einer indirekten Selbsterlösung, die weder selbstbestimmt noch wirkliches Problemlösen ist. Das Abendland ist eine Chimäre aus theologischer Fremderlösung und griechisch-autonomen Methoden, die die Erlösung ins Werk setzen sollen.

Was die Engländer aus Glauben und Ratio zusammenbrauten, setzten die deutschen Romantiker auf der Ebene schwärmerischer Spekulation fort. Die englische Selbsterlösung durch Technik verwandelt sich auf deutschem Boden zum Glauben an den „Übermenschen.“ Der jetzige Mensch ist nicht der Gipfelpunkt der Schöpfung. Für Romantiker ist der Mensch nur eine Übergangsform, die ein „vollkommenes Wesen, das sie den Engel der Zukunft nannten, vorbereitete.“

Als enttäuschte Kantianer sinken sie zum Hass gegen das ganze Menschengeschlecht herab, bis sie ihre Ansprüche an den Menschen „auf den „Zukunftsmenschen“ übertragen, die jetzige Menschheit hassen, verachten und dennoch in Hoffnung schwelgen konnten.“ Christus war der „Erstling der Zukunftsmenschen, das Vorbild, das nur durch Wiedergeburt des alten Adam – oder der alten Menschheit – erreicht werden kann.“ (zitiert bei Ricarda Huch)

Der amerikanische Traum ist der Traum der Romantiker vom engelgleichen Zukunftswesen, das das Reich Gottes bringen wird. Dieser romantische Engel ist die amerikanische Intelligenz-Maschine, die Gottes eigenes Land erlösen wird (America first). Alle Träume der deutschen Romantiker werden in Silicon Valley zur technischen Herausforderung.

Der Urtraum aller Träume ist der Traum von der Unsterblichkeit. Für Romantiker ist Unsterblichkeit dem Menschen ein erreichbares Ziel. Nicht dem ordinären Menschen, sondern dem Übermenschen, der in Silicon Valley als technisches Genie definiert wird. Die Zitate einiger Romantiker könnten von Ray Kurzweil sein:

„Nicht nur der phantasievolle Ringseis sagte: “Der Tod ist nicht natürlich, er kommt nur bei allen vor“; auch der alte Reil, ein Gelehrter, tat gelegentlich den Ausspruch, das Sterben sei nicht als notwendig nachzuweisen. Unabhängig voneinander behaupteten Justinus Kerner und Baader, allen Ernstes, der Tod hänge mit der Geschlechtsliebe zusammen, sei mit ihr entstanden und würde mit ihr verschwinden. Einmal würden keine Kinder mehr erzeugt werden, meinte Baader, und der Mensch unsterblich sein.“ (Huch)

Alle Gedanken entstammen dem Neuen Testament oder dem Kirchenvater Augustin, für den durch sündig-lustvollen Geschlechtsverkehr die Erbsünde an die nächste Generation übertragen wird. Nur eine vollständig lustfreie Kopulation würde die Erbsünde löschen. Da Sex ohne Lust aber nicht vorstellbar war, blieb nur eine Konsequenz: die Zeugung von Kindern einzustellen.

Diesen garantiert sündenfreien Traum versucht Silicon Valley durch Erfindung technischer „Übermenschen“ zu realisieren. Da sündige Geschlechtsliebe den Tod verursacht habe – der Tod ist der Sünde Sold – kann man in der Zukunft der Übermenschen auf Frauen und Kinder verzichten. Die neuen, von der Erbsünde unberührten Kinder, sind – die Maschinen, die dem Menschen, nein, dem Manne, die Unsterblichkeit bringen werden.

Der Kapitalismus unternimmt alles, nicht nur, um die Familien des Pöbels durch allseitige Lösung zu zerstören, damit keine weiteren Plebskinder gezeugt werden. Sondern, um die wahren Kinder der Zukunft zu erfinden: die genialen IQ-Maschinen, die für die Unsterblichkeit der Erwählten sorgen werden. Nur die EINPROZENT sind die Ausnahme von der Regel. Da sie zu den engelgleichen Übermenschen gehören, werden sie viele Kinder haben, denn vom Gesetz der Erbsünde sind sie befreit. Für Erwählte gilt immer noch: seid fruchtbar und mehret euch. Die Erde ist euer Erbe und Eigentum.

Der technische Fortschritt gilt als ehernes Gesetz der Evolution, dem zu widerstehen eine schreckliche Blauäugigkeit wäre. Was auf uns zukommt, kommt unvermeidlich auf uns zu.

Merkwürdig aber, dass dieses Gesetz nur im christlichen Abendland zu finden ist. Andere Kulturen kennen dieses Gesetz nicht. Mittlerweilen allerdings haben die Gesetze des Westens den Planeten erobert. Ob die westlichen Geschichtsgesetze von anderen Kulturen wirklich akzeptiert oder nur äußerlich angenommen wurden, wird die Zukunft zeigen. Vorstellbar wäre, dass nach dem Ende der Aufholjagd die nichtchristlichen Kulturen wieder zu den Philosophien und Naturreligionen ihrer Vergangenheit zurückkehrten und den Gesetzen des Westens die rote Karte zeigten.

Dass der Fortschritt systematisch die Natur zerstört, tangiert das biblizistische Amerika nicht. Ohnehin mündet der Fortschritt in die Apokalypse, deren schrecklicher Zerstörungsgewalt nur Erwählte entgehen werden.

Von all diesen Geschichtsgesetzen fühlen sich die Deutschen unberührt. Der Jubiläums-SPIEGEL brachte einen Artikel über die „Umwelt“ von Johann Grolle, der vor allem auf die Übertreibungen der ökologischen Prognosen der 70-Jahre hinwies. Das Ozon-Loch wurde gar durch gemeinsame Anstrengung geschlossen. Dass die Lungen der Welt, die Urwälder in Brasilien, Sibirien und überall auf der Welt, in immer hektischerem Tempo abgeholzt werden, ist für Deutsche unwichtig. Wer das Waldsterben, die atomare Verwüstung überstand – muss der nicht apokalypsefest sein? Witzlinge werden nicht müde zu behaupten: ich habe bereits so viele Weltuntergänge überstanden, was soll mir noch passieren?

Da es uns in den gemäßigten Zonen noch relativ gut geht, werden die Gefahren der Klimakatastrophe, des Wassermangels, der Humusknappheit, der Überdüngung, der gewaltigen Stürme und Überschwemmungen regelmäßig verniedlicht oder ausgeblendet. Trotz gewaltiger CO2-Emissionen ist es zur Mode der Erfolgreichen geworden, nach Belieben in der Welt herumzudüsen. Dass man durch aufsummierte private Maßnahmen die Ausmaße der auf uns zukommenden Erdkatastrophe reduzieren kann, geht in kein bürgerliches Gehirn, das ständig vom System faselt, welches mit Privatmoral nichts zu tun habe. Doch es gibt kein politisches System, das nicht die Summe aller privaten Verhaltensweisen wäre.

Für technische Fortschrittler gilt überhaupt keine Moral. Auch die deutschen Romantiker verwarfen Moral zugunsten ästhetischer und futurologischer Schwärmereien. Es dominieren die angeblichen Heilsgesetze der Geschichte, die alles, was sich ihnen in den Weg stellt – vor allem die Moral diverser Geschichtsverleugner – platt walzt.

Im saturierten Westen hat sich noch nicht herumgesprochen, dass die Flüchtlingsströme die Folgen grassierender Klimaerhitzung, des Wassermangels und zunehmend unfruchtbarer Böden sind. Die wirksamsten Maßnahmen, Millionen von verängstigten Menschen in ihren Heimatländern zu halten, wäre eine wirksame globale Ökologie – und keine lächerlichen Polizeiüberwachungen und Grenzabschottungen.

Man kann nicht erkennen, dass Merkel und ihr Kabinett von solchen Erkenntnissen berührt wären. Ein Kabinett ist schließlich kein philosophisches Seminar zur Rettung der alten Welt, sondern eine Lokomotive auf der rasenden Fahrt in die neue.

Was bringt uns die neueste Technik auf der High-Tech-Messe CES in Las Vegas? Hören wir den dauerbegeisterten SPIEGEL, der in Fragen des Fortschritts keinerlei Kritik kennt, obgleich er Aufklärung auf seine Fahne geschrieben hat. Aufklärung hat für das renommierte Blatt mit philosophischer Kritik nichts zu tun. Wenn sie etwas aufdecken und recherchieren, dann empirische Ungesetzlichkeiten und sonstige Verbrechen. Dass man mangelhaftes, widersprüchliches und irrationales Denken historisch und logisch unter die Lupe nehmen kann, hat sich unter den Schreibern, die dem bloßen Tag verpflichtet sind, noch nicht herumgesprochen.

„Das estnische Start-up Natufia hat einen elektronisch gesteuerten Kräutergarten gebaut. Das Gerät sieht aus wie ein ungewöhnlich beleuchteter Weinkühler, im Inneren leuchten kräftige Pflanzenlampen. Denn statt Weine optimal zu lagern, werden in diesem Schrank Kräuter und Salate gezüchtet. Vollelektronisch gesteuert, natürlich, mit einer App – und ganz ohne Erde.“ (SPIEGEL.de)

Zuerst wird der menschliche Garten zerstört. Dann kommen die Neuerfinder des Seins aus dem Nichts und präsentieren eine lächerliche Kopie der zerstörten Natur. Das Ganze nennen sie Fortschritt.

Fast alle deutschen Medien betätigen sich als enthusiastische Werbekolonnen für das, was den Markt beflügeln und Arbeitsplätze vernichten soll. Das Urgesetz muss bewahrt werden, dass Wirtschaft endlos wachsen muss, auch wenn die ganze Welt unterginge.

In der TAZ erschien ein Artikel von Kai Schlieter, der wohltuend aus der Reihe schert und wichtige Dinge unmissverständlich bei Namen nennt: „Der digitale Totalitarismus. Das Freiheitsversprechen des Internets ist tot. Derzeit erleben wir, wie digitale Revolution und Neoliberalismus vollends miteinander verschmelzen. Verdeckt von der Graswurzel-Folklore entstanden allerdings die heutigen Oligopole des Silicon Valley. So supermächtig, dass sie sich selbst als Regenten der neuen Weltordnung begreifen und mit dem Politischen in Konkurrenz treten. Auf dem Kontinent Facebook leben bereits 1,9 Milliarden Bewohner. Doch Mark Zuckerberg lässt sich nicht wählen. Er ist der König. Mit Google und Facebook existieren Bewusstseinskonzerne, die mehr Einfluss auf das haben, was Menschen in aller Welt denken, als jede Organisation zuvor. Mit dem Neoliberalismus entstand eine Ideologie, die unabhängig von politischen Gesellschaftsordnungen funktioniert und die an die Logik der digitalen Technologie anknüpften konnte. Den Preis einer immer größeren Ungleichheit und Ausbeutung der Natur zahlt die Mehrheit der Menschen an eine digitale Elite.“ (TAZ.de)

Die Spieltheorie John von Neumanns, auf der alle digitalen Maschinen beruhen, hat mit Spiel nichts zu tun. Schon gar nichts mit Schillers Satz: der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Das war die Grundlage des homo ludens von Johan Huizinga. Der spielende Mensch ist bei ihm ein „Erklärungsmodell, wonach der Mensch seine Fähigkeiten vor allem über das Spiel entwickelt: Der Mensch entdeckt im Spiel seine individuellen Eigenschaften und wird über die dabei gemachten Erfahrungen zur Persönlichkeit. Spielen wird mit Handlungsfreiheit gleichgesetzt. Es setzt eigenes Denken voraus. Das Modell besagt: Der Mensch braucht das Spiel als elementare Form der Sinn-Findung.“

Das Spiel hat keinen anderen Zweck als die Mechanismen des Alltags zu durchbrechen, die Phantasie und Erkenntnisfähigkeit des Menschen anzuregen. Kindliches Erkennen ist spielerisches Erkennen, weshalb kapitalistische Schulen das Erkennen der Jugendlichen niemals fördern können. In Schulen wird nicht der homo ludens zum Selbstdenken gereizt, sondern der homo öconomicus zum Funktionieren gedrillt.

Neumanns Spieltheorie ist die Kunst, den Wettbewerb gegen andere zu gewinnen, indem man sich klar macht, welche Gedanken und Finten den Konkurrenten bewegen. Wenn ich besser weiß, was den Gegner bewegt, als er selbst, kann ich ihn übertölpeln.

„Im Unterschied zur klassischen Entscheidungstheorie beschreibt die Spieltheorie Entscheidungssituationen, in denen der Erfolg des Einzelnen nicht nur vom eigenen Handeln, sondern auch von den Aktionen anderer abhängt (interdependente Entscheidungssituation).“

„Neumanns Spieltheorie, die alle strategischen Spiele von Brett- und Kartenspielen über ökonomische und politische Machtspiele bis zu strategischen Spielen im engeren Sinne umfasst und ihre Planung in mathematische Formen bringt, fasziniert gerade die Kriegstheoretiker, weil sie durch mathematisch fassbare „Massen-Gesetzlichkeiten“ exakte Kalkulationen mit Hilfe von digitalen Maschinen verspricht. Da die Atomstrategie wie die Kernrüstungsforschung der Kybernetik und der Computer bedarf, reißt sie den Abgrund zwischen Wissenschaft und Menschen noch weiter auf, indem sie die Überwachung der undurchsichtigen Mächtebewegungen auf elektronische Anlagen überträgt, die als Verantwortungsautomaten fungieren.“ (Wagner)

Der Mensch in seinem vollautomatischen Auto hat keine Verantwortung mehr. Er handelt nicht, er lässt handeln. Verantwortungsabschiebung ist das wesentliche Ziel des Fortschritts. Zuerst macht der Fortschritt alles überkomplex. Dann bietet er dem Menschen an, ihn von der Verantwortung für das Überkomplexe zu entlasten. Wenn Roboter die Herrschaft über die Erde übernommen haben, werden die Menschen zu fügsamen Schachfiguren im Wettkampf der Giganten, der durch listige Anwendung der Spieltheorie entschieden wird. Der Mensch wird zur Spielfigur im Kampf jener technischen Supergehirne, die er selbst entwarf. Die Zauberlehrlinge werden zur Beute ihrer eigenen Alpträume.

Das Zentrum des digitalen Fortschritts ist die Mathematik, die bei Platon die Königin aller Wissenschaften war. Durch die Erhebung der Zahl zum Prinzip der Welt wurde bei Pythagoras die „Vielheit der Dinge zum geordneten Kosmos und diesem musste auch das Menschenleben entsprechen. Im Privaten wie in der Gesellschaft. Das war das Grundgesetz der pythagoreischen Ethik und Politik, die in der Gerechtigkeit gipfelte.“ (Wilhelm Nestle)

Was für ein Abstieg von der mathematischen Gerechtigkeit eines Pythagoras zur digitalen Mathematik der Neuzeit, die nur ein Ziel kennt; die Macht über den Menschen. Der Begriff Gerechtigkeit kann von spieltheoretischen Algorithmen nicht codiert werden. Humanität würde die Laptops aller politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger zur Explosion bringen. Pythagoras‘ Mathematik ruhte in der Ordnung des Kosmos oder der vollendeten Natur. Die Mathematik der dauerkonkurrierenden Zocker der Gegenwart destruiert die primäre Natur und will eine sekundäre schaffen, die die Vernichtung der ursprünglichen voraussetzt.

Was will der Fortschritt der missbrauchten Algorithmen? Die fortschreitende Vernetzung von allem mit allem. Der Joghurt ist mit dem Thermostat, der mit dem sprechenden Pullover vernetzt, welcher sich mit Hilfe eines mechanischen Butlers dem Besitzer anbietet. Wenn alle Dinge zu sprechen beginnen und miteinander kommunizieren: welche Welt erhalten wir?

Schauen wir nach Japan, die ein entspanntes Verhältnis zu Robotern haben. Der Grund liegt in ihrer animistischen Religion. Alle Dinge sind belebt. Führt die digitale Vernetzung wider Willen zur Animisierung der Welt? Das wäre das Gegenteil der Mechanisierung durch seelenlose Maschinen. Die Frage muss erlaubt sein, ob die Japaner in ihrer Übernahme des westlichen Maschinenkults nicht allzu gutmütig waren und den entscheidenden Unterschied wohlwollend übersahen.

„Animisten“ betrachten jeden noch so kleinen Teil der Welt, der von ihnen als beseelt aufgefasst wird, als einen Ehrfurcht gebietenden Kosmos, der der Seele der mosaischen Religionen vergleichbar ist.“

Pardon, die mosaische Religion kann nicht animistisch sein. Denn:

„Die Vorstellung der Beseeltheit der Objektwelt ist auch im japanischen Volksglauben noch zu finden: Gebrauchs- und Alltagsgegenstände und vor allem weggeworfene Dinge können zum Leben erwachen. Kennzeichen von Glaubenssystemen mit einer animistischen Basis sind: das Fehlen von allmächtigen, monotheistischen Göttern, das Fehlen von Metaphysik: Es sind gerade unmittelbare Naturerscheinungen, die selbst beseelt sind, und mit denen der Mensch auf verschiedene Weise kommunizieren kann. Die Diesseitsorientierung und das daraus resultierende Verhalten hat in erster Linie die Sicherung der Existenz im Diesseits zum Ziel.“

Mit anderen Worten: die animistische Beseelung beruht auf einer vollkommenen Natur, die keinem Jenseits untertan ist. Der allmächtige Schöpfer im Alten Testament hingegen verflucht sein missratenes Werk, das er mit allen Menschen, Tieren und Vögeln vertilgen will. Eine animistische Natur will nicht herrschen, sondern nur sein, damit der Mensch in ihr zur Ruhe kommt. Die vernetzte Kumpanei der Maschinen will Macht über Mensch und Erde. Fortschritt will Natur unterjochen und ausbluten.

Was abzusehen war, ist eingetreten: Silicon Valley beginnt mit Trump zu kungeln.

„Viel zu lange hat sich Silicon Valley in seiner Rebellenpose gefallen, geglaubt, dass, nur weil man sozialdemokratisch wählt, die eigene Technologie naturgemäss auch Werte wie Fortschrittlichkeit, Toleranz und Transparenz stützen würde. Was nun geschieht, ist natürlich Fortschritt – nur eben in die falsche Richtung. Ausgerechnet Trump, der die Regierung zurückbauen will, wird wohl im Hintergrund die Überwachung der Bürger ausbauen. Wenn die Technologiekonzerne des Silicon Valley es mit der besseren Welt je ernst gemeint haben, werden die nächsten Jahre sie in eine Sinnkrise stürzen. Kommt die Sinnkrise nicht, dann war es mit dem «Don’t be evil» nie so weit her.“ (NZZ.de)

Google-Chef Eric Schmidt hat das eigene Motto «Don’t be evil» lächerlich gemacht. Gelegentlich sagte er, „er habe das Motto früher „für die dümmste Regel aller Zeiten“ gehalten. Schließlich könne man in keinem Buch nachlesen, was böse sei und was nicht.“

Woher sollten die Fortschrittlichen wissen, was gut und böse ist, wenn Fortschritt alle Moral planiert? Der Sinn der jetzigen Grundlagenkrise wäre es, sich weltweit auf gut und böse zu verständigen. Kein Job für geniale Maschinen, die in Grundfragen des Menschen der dümmsten Regel aller Zeiten folgen.

 

Fortsetzung folgt.