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Weltdorf XXXVIII

Hello, Freunde des Weltdorfs XXXVIII,

beginnt nun das Leben, von dem wir träumen? Es beginnt die Epoche des Trumputinismus – die Weltkraken überwinden die nationalen Schranken und verhaken sich ineinander, um die letzte Stufe der planetarischen Machtkonzentration einzuläuten: die Entscheidungsschlacht um die finale Tyrannei über alle Völker.

Nationen werden zu Instrumenten der dynastischen Kraken, die sie kaltblütig benutzen, um ihre Siegeschancen zu erhöhen. Oberhalb der Nationen installieren die Weltkraken die faktische Weltregierung, um die globale Macht einer winzigen Minorität zu etablieren.

Trump gebietet über Kapitalien, Liegenschaften und Unternehmen in aller Welt. Jede Vereinbarung mit einer fremden Regierung muss gleichzeitig dem eigenen Gewinnstreben dienen. Für die Familiendynastie ist die eigene Nation nur der wohl kalkulierte Poker-Einsatz im Spiel um die Erdherrschaft. EINPROZENT der Milliardäre erweitert seine Geldmacht zur politischen Monopolgewalt über alle Völker.

Putin wird zum religiösen Führer Russlands, das sich von Trumps Motto: Amerika über alles, inspirieren ließ, um die russische Erlöserglorie wieder zur Geltung zu bringen.

„Der russische Imperialismus hatte schon immer religiöse Züge. Dostojewski schrieb im späten 19. Jahrhundert, nur die russische Seele habe die Kraft, die ganze Welt zu einen. Das sei Russlands Berufung und Schicksal: einen spirituellen Weg zu eröffnen für den Rest der Welt. Stalins Weg war die säkulare Welterlösung. Der Moskauer Patriarch Kyrill predigt in genau dieser Denktradition, wenn er sagt: »Nur Russland vertritt noch die wahren christlichen Werte. Alle westlichen Nationen führen die Welt in den Abgrund.«“ (ZEIT.de)

Nur westliche Blindheit kann Trump ideologie- oder religionsfreie Handlungsprinzipien attestieren. Amerika wieder groß machen: das ist der Auftrag, die

Aura Neu-Kanaans wiederherzustellen. Der Glaube an die amerikanische Sonderstellung über allen Völkern (Exzeptionalismus), an die Manifest Destiny, an die offensichtlich göttliche Bestimmung, an Gottes eigenes Land, war die Grundlage des amerikanischen Willens zur führenden Weltmacht.

1845 schrieb ein New Yorker Journalist über die „offenkundige Bestimmung der Nation, sich auszubreiten und den gesamten Kontinent in Besitz zu nehmen, den die Vorsehung uns für die Entwicklung des großen Experimentes Freiheit und zu einem Bündnis vereinigter Souveräne anvertraut hat.“ „ Manifest Destiny war nie eine bestimmte Politik oder Ideologie; es war ein allgemeiner Begriff, der Elemente des amerikanischen Exzeptionalismus, Nationalismus und Expansionismus in einem übergreifenden Sendungsbewusstsein vereinigte. In dieser Tradition ist auch die Erforschung und geplante „Eroberung“ des Weltraums zu sehen.“

In Amerika verwandelte sich die christliche Religion endgültig in eine weltliche Politik, die mit einer religiösen verschmolz. In Alteuropa dominierte noch die augustinische Trennung von weltlich-teuflischem und klerikal-göttlichem Staat. In Amerika wurden irdisches und überirdisches Reich Gottes zur Einheit.

Christlicher Glaube beschränkt sich keineswegs auf innerliche Sensationen: Gott ist Herrscher der Welt, die Frommen sind seine Statthalter auf Erden. Wann wird das ultimative Reich Gottes anbrechen? Für Europäer nach dem Untergang der sündigen Welt, für Amerikaner hat das Reich Gottes längst begonnen: Amerika ist das verheißene Neu-Kanaan, das seine Herrschaftsansprüche über alle Welt geltend macht.

Amerika ist das Land der Guten, Sowjetrussland war das Reich des Bösen. Die Völker der Welt mussten sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen wollten.

Inzwischen ist Russland zum orthodoxen Glauben zurückgekehrt. Noch weiß Amerika nicht, wie es auf diese Rückkehr zum Glauben reagieren soll. Obama verwies Putin in die Kreisklasse, Trump hingegen könnte Putin als gleichberechtigten Partner anerkennen – um gemeinsam alle anderen Rivalen um die Weltherrschaft auszuschließen.

Der Dritte im Bunde der Weltgiganten ist China – das nicht weiß, wie es seine welthistorische Rolle definieren soll. Das alte China, lange Zeit größte Macht der Welt, ruhte in sich als Reich der Mitte und hegte nicht die geringsten Ambitionen, sich imperialistisch zu gebärden. Diesen mangelnden Dynamismus, die Liebe zur statischen Kontemplation, hassten die Westmächte und zwangen das Land, seine Grenzen zu öffnen und sich dem Wirtschaftswettbewerb zu unterwerfen.

Mit dem Import des Marxismus, mit der späteren Übernahme der Profitökonomie handelten sich die Chinesen gewisse Handlungsmaximen der westlichen Heilsgeschichte ein. Niemand weiß, ob China sich auf seine alte in sich ruhende Philosophie besinnen oder zum christogenen Machtanspruch überlaufen wird.

Russland und Amerika nähern sich an als auserwählte Nationen, rivalisieren aber gleichzeitig um den Titel der Auserwähltheit. Es kann nur ein Land geben, das vor Gott erwählt sein kann. Reichtum und politische Macht sind für Amerikaner sichtbare Beweise ihrer Erwähltheit.

„Die amerikanische Religion überließ sich einer optimistischen Anschauung über Gottes Absichten mit der Welt und einer Gleichsetzung der Absichten mit denen der Amerikaner. Die Religion verlor ihren übernatürlichen und außerweltlichen Charakter. Die evangelischen Bekenntnisse erweiterten den Glauben an Werke zum Glauben an ökonomische Werke. Die von der evangelischen Religion geforderten Tugenden trugen ihre Früchte in einem Wohlstand, den man als einen Beweis für solche Tugenden nahm. In vielen Abhandlungen über amerikanische Religion ist Wohlstand nicht nur ein Beweis der Tugend – sie ist Tugend. Es handelt sich nicht mehr darum, zuerst nach dem Reiche Gottes zu trachten und zu erwarten, dass einem der Wohlstand nachträglich zufällt. Wohlstand, materieller Erfolg, Glück in dieser Welt ist das Reich Gottes. Was frühe Christen für die nächste Welt versprachen, was andere große Religionen versuchten, ihren Anhängern verächtlich zu machen, ist für manche Amerikaner (die in diesem Punkt den Engländern um einen Sprung voraus sind) das Ziel der Religion. Die Christliche Wissenschaft weigert sich, jene düstere Ansicht des Lebens zu akzeptieren, welche die Erfahrung vieler Hunderter von Generationen zur zweiten Natur der menschlichen Rasse gemacht hat.“ (D.W. Brogan, Der amerikanische Charakter, 1947)

Der amerikanische Philosoph Adrian Daub definiert den Exzeptionalismus seines Landes fälschlich als Zeichen der Aufklärung. Aufklärung kennt keine Sonderrollen, alle Menschen und Völker sind vor der Vernunft gleich. Abwegig ist Daubs Charakterisierung von Trump als Vertreter eines ideologie- und religionsfreien Machtderwischs, der keineswegs die Gegenaufklärung repräsentiere oder moralische Werte propagiere. Trumps Moral ist die archaische des Erfolgs, der nichts verboten ist, was zum Siege führt. Griechen hätten vom Naturrecht der Starken gesprochen, christliche Theologen reden von der Antinomie Gottes:

„Diese Wahl ist kein Triumph der Gegenaufklärung, des Klerikalen oder des Wertekonservativen. Trump huldigt keinen Werten, hat mit Religion nichts am Hut. Billiges Entertainment, taumelndes Wir-Gefühl und eine geradezu mephistophelische Lust an der Zerstörung treibt seine Anhänger an. Alles was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht. An Wahrheit hat Trump kein Interesse“. (ZEIT.de)

Amerika war nie ein idealtypischer „Leuchtturm der Aufklärung“. Von Anfang an spürte es in seinem Fleisch den vernunftfeindlichen Stachel des Glaubens, der immer dominant wurde, wenn das Land in Krisen geriet. Die Trennung von Staat und Kirchen ruhte auf der Einheit von Glauben und Politik. Kein Zufall, dass Biblizisten Trump wählten und Kirchen ihn öffentlich unterstützten.

Putin hat die Rolle des Gedemütigten überwunden. Mit militärischen Interventionen in der Ukraine und in Syrien hat er seine gleichberechtigte Polarität gegen Amerika zurückerobert. Das zerfallende Europa ist kein ernst zu nehmender Gegner mehr für ihn.

Neues Spiel, neues Glück, neue Liebe. Die muskelbepackten Tändler der Macht bezeugen einander primäre Sympathie. Ob der Abgang des ungeliebten Obama ausreichen wird, um die neue atmosphärische Annäherung auf verlässliche Füße zu stellen, ist nicht sehr wahrscheinlich. Dennoch gibt es gemeinsame Aversionen gegen die „political correctness“ der Europäer – die ohnehin dabei sind, durch eigene Querelen in sich zusammenzubrechen.

Der Begriff political correctness wird – wie alle Politbegriffe – nie klar definiert. Das ist kein Zufall. Undefinierte, frei flottierende Begriffe sind nicht widerlegbar. Kein Pöbel soll imstande sein, den Finger auf die Wunde zu legen, kein Populist fähig, die Defizite der Mächtigen aufzuspießen. Versuchen es die Massen und ihre Verführer dennoch, muss ihnen gesagt werden, dass sie a) die Komplexität der Politik nicht verstehen, b) sich‘s zu einfach machen und c) nur hohle Versprechungen abliefern – denn alle Versprechungen sind hohl, die es wagen, den status quo mit einem Gegenentwurf zu kontrastieren.

Wer im Besitz der Macht ist, glaubt, nichts versprechen zu müssen. Dennoch verspricht er etwas, wenn auch ohne Worte: die Fortsetzung des business as usual. Alles soll bleiben, wie es ist, nur schneller, höher und weiter.

Lächerlich, von Zeiten dauernden Umbruchs zu sprechen. Nichts ändert sich, alle Konstanten der Politik verharren in bleierner Trägheit. Nur die Quantitäten des Unveränderten erweitern sich zu grenzenlosen Versprechungen – die natürlich keine populistischen sein dürfen. Was Etablierten geziemt, geziemt noch lange nicht ihren Herausforderern, die sie Punkt für Punkt imitieren.

EINPROZENT der Superreichen begnügt sich nicht mehr mit der Heuchel-Pose, die Politik gewählter Regierungen zu akzeptieren. Ab jetzt verwandeln sie ihre inoffizielle Dominanz  – mit Hilfe des Milliardärs Trump – in offizielle Weltpolitik. Die grenzenlose Akkumulation des Kapitals nobilitiert sich zur öffentlichen Politik der Gewählten.

Schon erproben die Reichen, die ihn im Vorfeld attackierten, den Kniefall und bieten ihre Dienste an. Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg. In einem Land, das Erfolg gleich setzt mit göttlicher Erwählung, kann kein offiziell Gewählter ein Gottseibeiuns sein. Der Glamour des White House war schon immer die Illumination des Reiches Gottes. Trump will Amerika wie einen Konzern leiten. Der klassische Kapitalismus hat es geschafft: er hat sich die Demokratie untertan gemacht.

Nun beginnen die Gegenbewegungen, und sie haben längst begonnen. Wer gestern die protestierenden Frauen in Argentinien sah, mit welch mitreißender Impulsivität und Furchtlosigkeit sie sich männlicher Gewalt entgegenstellten, wird den Triumph männlichen Größenwahns nicht für das letzte Kapitel der Weltgeschichte halten.

Was ist der riesige Unterschied zwischen den Geschlechtern? Warum hassen Männer ihre Frauen, dass sie sie mit allen Methoden quälen und töten müssen? Sie fürchten ihre Überlegenheit: die Überlegenheit zu leben um des Lebens willen.

Männer betrachten ihr Leben als Mittel zum Zweck. Zum Zwecke ihrer Kreativität, ihrer Unvergleichlichkeit, ihres Erfolgs, ihrer Karriere, ihres unsterblichen Ruhms, ihrer Gottähnlichkeit. Auf diesen Tand können Frauen verzichten. Sie müssen nichts erreichen, um sich vollständig zu fühlen. Sie sind.

Das männliche Motto lautet: wir sind nichts, doch wir werden alles. Das Motto der Frauen: was sollten wir werden, was wir nicht längst sind? Sind wir nicht Menschen, sind wir nicht Kinder der Natur, sind wir nicht vollkommen, da wir vollkommene Wesen zur Welt bringen? Doch, wir werden auch, aber nur, was wir sind. Männer hingegen werden alles, und wenn sie Nichts werden. Fasse es, wer es fassen kann.

Das klingt ungeheuerlich für bußfertige Demutsartisten, die sich als Standardmischungen aus Gut und Böse betrachten. Niemand ist böse, also können wir auch keine Mischungen sein. Allerdings sind wir irrtumsfähig. Irrtümer können schrecklich werden. Da wir irren können, können wir auch lernen. Unsere ererbten Irrtümer und angelernten Bosheiten können wir durchschauen und wieder verlernen.

Schlimmes gibt es genug. Nichts Schlimmeres aber als die Untaten jener, die sich für böse halten – und also böse sind. Was sie glauben, müssen sie tun, um ihren Glauben nicht zu verlieren. Wehe, sie sind nicht so abgrundtief böse, wie sie sein sollen, damit ein männlicher Erlöser benötigt wird.

Nichts Böseres als den Frohbotschaften der Männer zu widerstehen – und sie auszulachen. Mit Maschinen, Macht und Diridari müssen die Männchen ihre Blöße bedecken, damit niemand ihre bubihafte Gottgleichheit verlache.

Wir müssen böse sein, damit wir uns nicht für vermessen halten, wenn wir uns nicht als Teufel empfinden. Die meisten Menschen haben noch keinen Menschen umgebracht. Noch keine Finanzkrise ausgelöst, noch keine Bank ins Wanken gebracht. Nicht mal bewusst lügen können sie. Nicht, weil sie unter Wahrheitszwang stünden, sondern weil sie Angst haben vor der Überwachung eines Gottes, der alles hört und sieht.

Da sie in Gedanken bereits ihre ganze Nachbarschaft ausrotteten, heulen sie über ihre Schuld, ihre unermessliche Schuld. Den kleinen Unterschied zwischen Gedanken und Taten kennen sie nicht. Selbst areligiöse Menschen halten schlimme Gefühle für schlimmer als schlimme Taten.

Kommen böse Taten nicht aus bösen Gefühlen? Gewiss, nur, woher kommen böse Gefühle? Aus der Glaubenspflicht, böse zu sein, um – gut zu sein. Gut, um die Heilandstaten gottähnlicher Männer in Demut zu empfangen. NS-Schergen hielten sich für Tugendapostel, weil sie gehorsam das Böse exekutierten. Nur Deutsche waren fähig, so tugendhaft böse zu sein.

Warum versagen wir im Stoppen der Politik der unbeirrt voranschreitenden Apokalypse? Weil wir zu böse sind: zu apathisch, zu energielos, verdorben bis auf die Knochen. Noch böser aber wäre es, nicht mehr böse zu sein und den ganzen Bösenzauber dorthin zu schicken, woher er kommt: in die Gebetsstuben frommer Männer, die unermesslich einfallsreich sind im Erfinden bösester Bosheiten.

Deutsche Literaturpäpste jubeln über Bücher, die das Böse so genial erfinden, dass sie beim Lesen Mühe hatten, der infamen Logik des Verruchten zu folgen. Wie ergriffen waren sie nach der Lektüre der abgrundtiefen Unermesslichkeit des Bösen.

Was hingegen ist das Gute? Das Gute ist langweilig. Es bietet nichts Überraschendes und Merkwürdiges. Schwer, ja unmöglich, Romane zu schreiben mit diabolischer Doppelbödigkeit, wenn das Gute undramatisch über die Bühne geht.

Wie anders wäre Weltgeschichte verlaufen, wenn Adam und Eva ihren Ungehorsam nicht als Sünde anerkannt, sondern ihrem Gott fröhlich ins Angesicht widerstanden hätten: Jetzt schaust aber, wie wir zu unseren Schandtaten stehen, die keine sind! Nicht der Ungehorsam war das Urböse, sondern das Zugeständnis, dass der Ungehorsam böse war.

Was ist political correctness? Das langweilige Gute. Von Kretschmann bis von der Leyen gibt es die GagroKo der herrlich Unkorrekten, die in allen Dingen durch die Finger gucken. Gut sein und hochnäsig mit dem Guten hausieren gehen, das ist satanisch.

Jetzt haben sie ein schlechtes Gewissen, dass sie den Pöbel mit Gutem beschämten. Also erscheinen sie im Büßermantel der Heuchler: sind wir doch allzumal Sünder im Herrn. Nein, wir sind nicht die Besseren, heucheln sie – und wollen selbst beim Heucheln besser sein als der Pöbel. Gewöhnlich muss der Shitstorm bedingungslos an den Pranger – weil er so unflätig böse ist.

Muss Trump zum Inbegriff des Bösen werden, weil er zu Bosheiten griff, die bei Machiavelli – den alle deutschen Gelehrten, Münkler voran, als Buch der Weisheit rühmen – als staatserhaltende Tugenden galten?

Seltsam, dass das Gute nicht mehr gesellschaftsfähig war, als in den USA ein Entertainer tat, was er seit Jahren in TV demonstriert. Sie kannten ihn alle, taten aber überrascht, als er agierte, wie sie ihn kannten. Müssten sie ihn nicht loben, weil er ihnen das bisschen politische Unkorrektsein erst beibrachte? Endlich einer, der die verlogenen Höflichkeits- und Anstandsformeln hinter sich warf. Er sollte den Nobelpreis für Authentizität kriegen.

Der Held ihrer bösen Korrektheit entstieg der Fiktion und hüpfte schnurstracks in die Realität – und schon ward er von seinen Fans gesteinigt. Sie fühlten sich entlarvt, dass einer sie beim Wort nahm und das Wort eins zu eins in Wirklichkeit übersetzte. Nun stehen sie da mit ihrer pennälerhaften Bewunderung des Mephisto, den sie jetzt verfemen müssen, weil er von der Bühne ins volle Leben sprang.

Das Böse auf der Bühne kann nicht böse genug sein, sonst verlassen sie unter Absingen schmutziger Lieder ihre Loge. Wenn aber einer diesseits der Bühne es wagte, ihnen nicht Guten Tag zu sagen, fühlen sie deutlich den Untergang des Abendlandes. Ach, die Welt ist böse. Entweder, weil sie böse ist oder es aber wagt, gut zu sein. Die Schlimmsten sind die Guten. Das wissen alle Guten, die es mit dem Gutsein nicht übertreiben.

Politik muss von allem Zwang zum Guten befreit werden. Wo kämen wir hin, wenn wir fremde Nationen wie befreundete behandelten? In der Politik müssen Interessen exekutiert werden. Interessen sind böse Absichten gegen Andere – denn die Anderen sind auch nicht besser zu uns. Moral ist nur für die Kinderstube. Wenn Erwachsene ihre Wettkämpfe durchführen, ist Moral das Unanständigste, das ihnen zugemutet werden kann. Wo kämen wir hin, wenn es beim Konkurrenten kein Verlass gäbe auf seine Verruchtheit?

Ja, ihr tölpelhaften Gutmenschen, was wisst ihr von der Bosheit der Welt? Ihr werdet aus allen Wolken fallen, wenn ihr die Wirklichkeit entdeckt. Was ist die Lieblingsrolle deutscher Gelehrter? Ihren einfältigen Schützlingen beim Bier die illusionslose Realität vermitteln. Da machen sie große Augen, die Bürgerlümmel, die schon mit zwölf die schlimmsten Computerspiele rauf und runter spielten.

Das ist nicht die Gesellschaft, von der wir träumen, schrieb Sibylle Berg im SPIEGEL, die sich bislang mit Tugendpredigten nicht hervor tat. Der amerikanische Traum decouvriert sich gerade als Alptraum einer beschädigten Gesellschaft. In Silicon Valley werden alle Algorithmiker auf die Kunst des Träumens verpflichtet. Utopien des Guten sind bei ihnen verpönt, doch Träume von trump-freien Gesellschaften gelten als Offenbarungen.

Haben die Griechen ihre humane Moral erträumt oder erdacht und durchstritten? Sind Demokratien nicht dazu da, die Moral der Fürsorge in politische Realität zu verwandeln? Man muss sich schämen, das Gute wünschenswert oder erlernbar zu nennen. Wer wird seine Widersprüche aufdecken, um mit sich in Einklang zu kommen? Wir sind nun mal ambivalente Gut-Böse-Kotzbrocken und damit Basta, schrieb der SPIEGEL.

In der Tat, die Wirklichkeit ist widersprüchlich genug. Es gibt keinen Widerspruch, den es nicht gäbe. Nur: was hat dies mit der Möglichkeit zu tun, unsere Widersprüche zu entlarven, um eindeutiger und geradliniger zu werden? Widersprüche sind, sie sollen aber nicht sein. Das Leben ist überzeugender, wenn wir sagen, was wir tun und tun, was wir sagen. Wollen wir mit unseren Widersprüchen unsere Kinder infizieren? Stellen wir sie nicht zur Rede, wenn sie uns anlügen? Was aber, wenn sie uns unsere Bigotterien um die Ohren schlagen? Keilen wir dann zurück: wir seien nun mal unvollkommen und die Realität ist ihre eigene Norm?

Gibt es keine Unterschiede mehr zwischen Ist und Seinsollen? Dann wäre die schlechte Wirklichkeit das Nonplusultra unserer dämonischen Träume. Hört auf zu träumen. Nein, was die gloriose Zukunft anlangt, kann nicht genug geträumt werden. Der Traum vom Himmel ist erst der Anfang, prahlte ein Vorzeigestudent im amerikanischen Land der Träume. Träumt er noch immer – nach dem Sieg von Trump? Heißt es jetzt: wir träumten nicht ekstatisch genug? Wir hätten noch leidenschaftlicher träumen müssen?

Doch was heißt: wir? Gibt es beim Träumen nur ein kollektives Wir? Gibt es keine Individuen mehr? Wessen Träume sind „unsere“ Träume? Müsste es dann nicht vorbildliche Träumer geben, die der Staat als Vorträumer engagieren sollte, damit wir wissen, was wir zu träumen haben?

Vermutlich gibt es Eliten- und Pöbelträumer. Fricke fordert im SPIEGEL echte Eliten, die den Konjunktiv beherrschen und einen SPIEGEL-Kommentar in luzider Ambivalenz und vorbildlicher Widersprüchlichkeit herunterträumen. Fricke kann außengeleitete Fachidioten nicht von selbstdenkenden Demokraten unterscheiden. Hat der elitäre Edelschreiber noch nie von der platonischen Herrschaft der Weisen gehört, den Eliten jener gedankenreichen Jahre? Das war, mit Verlaub, die Erfindung des Urfaschismus.

In Demokratien gibt es keine Eliten, außer jenen, die vom Volk gewählt werden und eine gewisse Zeit zeigen können, was sie zu bieten haben. Sie kriegen einen limitierten Elitenvorschuss. Werden sie ihren Versprechungen gerecht, haben sie die Chance, noch einmal gewählt zu werden.

Doch Vorsicht vor Eliten, die sich als Dauerklassen einrichten. Dann spaltet sich das Volk und der Pöbel wird zu borniert, um die Qualität der Eliten auch nur zu ahnen. Entweder wir erhalten dann eine Priester-, Technokraten- oder Magnaten-Herrschaft. Oder die Dummen lernen die Eliten durchschauen und werden selbst zu Eliten. Was anders soll das Geschwätz von der Gleichheit durch Bildungschancen bedeuten?

Der SPIEGEL ist nicht immun gegen post-demokratische Versuchungen. Das liegt in der Tradition deutscher Intellektueller, die noch nie etwas vom Pöbel hielten. Eine Mär, dass die Deutschen Bewunderer der Griechen gewesen wären. Sie hielten nichts von der athenischen Demokratie, nichts von Sokrates, der nichts von Eliten hielt, sondern jeden provozierte, selbst ein besserer Demokrat zu werden. Platon hingegen war das Leitbild der Deutschen durch die Jahrhunderte. Der wollte den Pöbel beglücken durch staatlich geprüfte Weise, die alle Macht im Staate hatten. So sehr verachtete er die Abgehängten, dass er sie zwanghaft beglücken wollte.

Die platonische Akademie war das Silicon Valley von Athen. Hier schreit keiner, dass neunmalkluge Bürschlein (auch hier spielen Frauen keine Rolle) alles besser wissen wollen als andere. Besonders was die Zukunft und das Glück der Menschheit betrifft. Wie glücklich sollten wir uns schätzen, dass exzellente Altruisten wie Bill Gates mit Brosamen unsere Welt erlösen, Nächstenliebende wie Zuckerberg uns die Moral sozialer Medien vermitteln und Todesüberwinder wie Kurzweil uns in die Unsterblichkeit entlassen. Wozu noch ordinäre Politik, wenn es hehre Geister gibt, die jede Politik durch binäre Codes überflüssig machen?

Das gilt hierzulande als Technikfeindschaft, wenn gefragt wird, welche Technik nicht die Eintracht mit der Natur zerstört.

Überhaupt ist in Neugermanien alles hübsch auseinander sortiert. Wirtschaft hat nichts mit Ökologie, Moral nichts mit Demokratie, Fortschritt nichts mit freiem Willen, Religion nichts mit schnöder Politik zu tun – was nicht bedeutet, dass Religion nicht die Politik bestimmen sollte. Kardinal Wölki beklagte, dass es Menschen in unserer Gesellschaft gibt, die mehrere Jobs haben und dennoch mit ihrem Geld nicht auskommen. Die Frage, ob er damit nicht einen Mindestlohn gefordert habe, wies er ab: das sei Sache der Politik. Fromme Sprüche ohne politische Konsequenzen, um die hohen C-Politiker nicht in Verlegenheit zu bringen.

Desgleichen die Flüchtlingspolitik à la Merkel: wie der barmherzige Samariter führt sie eine einmalige Hilfsaktion durch, um alle Folgelasten beim nächstbesten Fremden gegen Geld abzuladen. Wer das nötige Kleingeld besitzt, lässt helfen. Wozu haben wir gute Freunde in der Türkei, wenn nicht zur Kasernierung all jener Fremden, die wir ablehnen?

Wir sind gegen Nationalismus und Rassismus, befürworten aber den unbarmherzigen Wettstreit der Nationen. Um zu den Dauersiegern des sozialdarwinistischen Wettbewerbs zu gehören, müssen wir unsere Kinder und Jugendliche zu uniformen Angepassten trimmen. Wer ständigen Wettbewerb will, will auch die nationalistische Überlegenheit der Deutschen in allen Dingen. Eine solche Haltung nannte man vor nicht allzu langer Zeit Rassismus. Biologische Überlegenheit wird heute ersetzt durch technokratische und ökonomische Überlegenheit.

Wir brauchen Eliten? Wirtschaftliche Eliten wählten die besten Eliten-Universitäten. Elitestudenten sollten sich durch folgende Fähigkeiten auszeichnen:

„Dabei ging es neben dem reinen Fachwissen vor allem um sogenannte Soft Skills, von den Autoren so zusammengefasst: Anpassungsfähigkeit, Teamfähigkeit, Motivation, Flexibilität, Kommunikationsstärke, Druckresistenz.“ (FAZ.NET)

Die Eigenschaften fugenloser Unterordnung, Anpassung und Funktionstüchtigkeit waren früher die Eigenschaften von – Sklaven. Sklaven waren für Aristoteles beseelte Werkzeuge.

Von welcher Gesellschaft träumen wir? Von einer alle Konkurrenten überrollenden Gesellschaft mit perfekt funktionierenden Sklaven? Das wäre der Höhepunkt des Alptraumes von einer freien und gerechten Gesellschaft. Gott sei uns Sündern gnädig.

 

Fortsetzung folgt.