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Weltdorf XVIII

Hello, Freunde des Weltdorfs XVIII,

seht, welch ein Mann! Dem Westen reißt er den moralischen Schleier vom Gesicht. Der kolonisierte Osten wusste ohnehin schon immer, dass christliche Imperialisten Scheinheilige sind, die nicht tun, was sie predigen und nicht predigen, was sie tun.

Was ist tief verschleiert und zeigt dennoch ein sogenanntes Gesicht? Der Westen. Die einen tragen den Schleier vor dem Gesicht, die anderen hinter ihm, woraus der abendländische Konflikt zwischen Sein und Schein entstand. Was ist ehrlicher: Sein, das sich verbirgt – oder das zum Schein ein Gesicht zeigt, um den Schleier zu verschleiern?

Bei der verschleierten Muslimin genügt es, die Hülle wegzureißen, um ihr wahres Gesicht zu erkennen. Beim Westen kommt man gar nicht auf die Idee, etwas enthüllen zu müssen, gibt er sich doch transparent bis ins Mark. Das Gesicht des Westens ist der Schleier, der so tut, als wäre er keiner.

Was gehört zu den Lieblingsformeln westlicher Edelschreiber? „Er gibt sich“. Er gibt sich kämpferisch, furchtlos, verletzlich, … Was sich gibt, ist nicht, wie es sich gibt. Realität ist Schein. Wahrheit gibt es nicht oder ist für Menschen unerreichbar.

Seht, welch ein Mann! Er nimmt die Schuld auf sich, dem Westen zu zeigen, wie er „wirklich“ ist. Von Schein-Liebhabern wird er gesteinigt, von Wahrheitsbefürwortern verteidigt. Die Welt steht auf dem Kopf: Schein-Liebhaber gelten als Liebhaber der Wahrheit, Wahrheitsbefürworter als heuchelnde Verteidiger des Scheins.

Seht, welch ein Mann! Thomas Gottschalk würde ihn bewundern, wenn der Bösewicht Entertainer wäre: mit welchen Frechheiten er die Öffentlichkeit unterhält und amüsiert! Darf Unterhaltung, was Politik nicht darf? Darf sie mit Verruchtem und Bösem kokettieren, das Politik bekämpfen muss?

Seht, welch ein Mann! Den Westen bewegt, reizt und unterhält er, dass alle Entertainer vor Neid gelb werden. Die Guten und Frommen wollen mit

Teuflischem unterhalten werden. Der Teufel ist Alleinunterhalter des Schöpfers, den er mit verruchten Kaspereien zum Lachen bringen würde – wenn JENEM das Lachen nicht längst vergangen wäre:

Mephisto zum Herrn:

„Mein Pathos brächte dich gewiss zum Lachen,

Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.“

Der Herr zu Mephisto:

„Ich habe deinesgleichen nie gehasst:

Von allen Geistern, die verneinen,

Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.“

Seht, welch ein Mann! Im Alleingang reißt er dem Westen die moralische Maske vom Gesicht. Den Nobelpreis für Entlarvung hätte er verdient. Hat er dem Westen nicht unfreiwillig die Chance gegeben, sich der Frage zu stellen: Schein – oder Sein? Wollen wir weiterhin teuflisches Schalk-Theater spielen, dabei die Guten mimend – oder endlich zugeben, dass wir hinter der Maske des Guten das Böse verstecken? Jenes Böse, das christliche Religion ihren Gläubigen vorschreibt? Solange Christen ihr Böses leugnen, verleugnen sie ihre Religion:

„Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, wohnt nichts Gutes. Wollen habe ich wohl, aber vollbringen des Guten gelingt mir nicht. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. So ich aber tue, was ich nicht will, so tue ich dasselbe nicht; sondern die Sünde, die in mir wohnt.“

Warum entsetzt sich eine christliche Welt über die Bestätigung ihres Dogmas, dass das Böse die Welt beherrscht? Müsste sie sich nicht bestätigt fühlen in ihrem Glauben an das Böse, wenn Trump seine pechschwarze Seele öffnet? Müsste die Welt nicht Hillary vorwerfen, die verlogene Rolle der Guten zu spielen? Kann es doch im Leben der Frommen nichts Gutes geben! Das Gute, das sie will, tut sie nicht, aber das Böse, das sie nicht will, das tut sie?

In der christlichen Dogmatik ist das Böse verabscheuenswert – aber nützlich. Ja heilsnotwendig. Das Böse muss bekämpft als auch bedient und erhalten werden. Ja, was denn nun?

Wer so fragt, denkt mit dem Satz des Widerspruchs. Für den christlichen Glauben gibt es keine endgültigen Widersprüche. In Gott werden alle Thesen und Antithesen zu versöhnten Synthesen. Die göttliche Synthese aller Konflikte, Streitigkeiten und Widersprüche ist die Allversöhnung von allem mit allem am Ende der Tage – mit Ausnahme der Verworfenen im höllischen Feuer. Widersprüche sind Oppositionen des Teufels gegen Gott. Doch das Teuflische ist notwendig, um den Geschichtsprozess voranzubringen. Ohne Reibung und Kampf gibt es keinen Fortschritt. Gäbe es den Teufel nicht, würde die Welt stille stehen.

„Gott habe – so die Kirchenväter – den Teufel deshalb nicht vertilgt, damit wir mit ihm kämpfen, in beständiger Wachheit erhalten werden, um nicht in Trägheit zu versinken. Die Tugend könne nicht erkannt werden, wenn es keine Laster gäbe, sie könnte nicht vollkommen sein, wenn sie nicht durch das Gegenteilige geübt würde. (Heute würde man von motivieren sprechen.) Gott habe darum das Böse nicht vertilgt, damit die Tugend möglich werde. Denn wenn die Tugend darin besteht, mit dem Bösen zu kämpfen, so leuchtet ein, dass es keine Tugend gäbe, wenn das Laster und das Böse nicht existent wären. Damit die Tugend vollkommen werden könne, habe Gott ihren Gegensatz bestehen lassen.“ (Gustav Roskoff, Geschichte des Teufels)

Widersprüche sind Instrumente des Teufels, um den Menschen in die Irre zu führen. Dabei sind sie nur die List der Vernunft oder die unsichtbare Hand Gottes, um mit Hilfe eines teuflischen Instruments den guten Endzweck zu erreichen.

Selbst Kant, der kategorische Prediger des Guten, ist von der Notwendigkeit des Bösen zur Erreichung eines guten Endzweckes überzeugt. Das Böse verrät „also wohl die Anordnung eines weisen Schöpfers und nicht etwa die Hand eines bösartigen Geistes, der in seine herrliche Anstalt gepfuscht oder sie neidischerweise verderbt habe.“ (Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht)

Den bedingungslosen Imperativ zum Guten gibt es bei Kant nur, wenn man seine Geschichtstheorie außer Acht lässt. Die Deutschen haben Kant längst ausgemustert, doch im Kampf gegen Moralisten sind sie Kantianer geblieben. Wer nur Gutes erstrebt, Böses aber ausrangieren will, der verleugnet den Fortgang der Geschichte. Er ist ein Feind der Moderne, eines ewigen Wirtschaftswachstums, des Fortschritts der Technik ins Unsterbliche. Wohlstand und technische Erleichterungen nimmt er hin, ohne Leistungen dafür zu erbringen. Er will ein Parasit der Entwicklung des Menschen ins Gigantische sein.

Wenn Widersprüche willkommen sind als teuflische Antriebsmittel des Fortschritts, dürfen sie nicht ausgerottet werden. Einige Aufklärer hatten energisch gegen einen willkürlich gnädigen und verdammenden Gott gekämpft. Aber nicht gegen dessen Widersacher, den Teufel. Der wurde in eine unentbehrliche Motivations-Energie verwandelt. Ohne das Böse keinen zivilisatorischen Erfolg und keinen Sieg über Konkurrenten.

So entstand eine merkwürdige Asymmetrie. Gott wurde abgeschafft oder in einen Gott der Vernunft verwandelt. Das aber hätte den linearen Aufstieg des Guten und die perfekte Überwindung des Bösen erfordert. Dies war unmöglich, solange das Böse als Antrieb zum Guten benötigt wird. Damit war der Kampf des Guten gegen das Böse gebremst. Ein bisschen gut, ja natürlich, aber bitte nicht zu viel davon, es schädigt die Konkurrenzfähigkeit der Wettbewerber.

Der gegenwärtige Kampf gegen Gutmenschen fürchtet um das BIP der eigenen Nation im Wettkampf gegen alle anderen Staaten. Moralisten sind für ehrgeizige Siegertypen unzuverlässige Volksgenossen, die lieber auf der faulen Haut liegen, als sich für Volk und Vaterland einzusetzen.

(Sachsenchef Tillich spricht unentwegt von Vaterland. Da wundern sie sich, wenn Frauen und Mütter als Freiwild der „Väter“ angesehen und missbraucht werden. Wozu sind jene nütze, wenn sie nur überflüssige Bälger werfen und das heimische Nest gemütlich gestalten wollen, anstatt ins feindliche Leben zu eilen, um die Gegner vor sich herzutreiben? Der vorbildliche Leistungsträger des Kapitalismus ist der enthauste, allseits mobile und überall einsetzbare Mensch.)

Viele Aufklärer waren von der völligen Überwindung des Bösen und dem eindeutigen Sieg des Guten überzeugt. Das Böse sollte nicht mit Gewalt bezwungen werden – das wäre totalitäre Zwangsbeglückung –, sondern durch emotionale und vernünftige Einsicht, die den Menschen durchdringt und das Gute nicht als Pflicht empfindet, sondern als Freude am Dasein.

Bei Kant allerdings war die Überzeugung vom Sieg des Guten durch Einsicht bereits gebrochen. Er brauchte das Böse als Motor des Guten. Bei den Romantikern vollends, seinen Kritikern, wurden Gott und Teufel vollständig rehabilitiert. Der Widerspruch, die logische Ausprägung des Bösen, wurde nicht nur bei Hegel zu einem göttlichen Instrument:

„Hat man nun einmal die Liebhaberei fürs Absolute und kann nicht davon lassen: so bleibt einem kein Ausweg als sich selbst immer zu widersprechen, und entgegengesetzte Extreme zu verbinden. Um den Satz des Widerspruchs ist es doch unvermeidlich geschehen …“ (Novalis)

Das war die Inthronisation der Dialektik, die bis heute die deutsche Wirrnis prägt. Die Dialektik der Griechen – die eine zyklische Polarität war, kein Widerstreit aus Gott und Teufel – wurde zum Kern eines heilsgeschichtlichen Fortgangs verfälscht.

Die Deutschen hatten die Erfahrung gemacht, dass ihre Philistermoral sie zum Opfer aller Nachbarn gemacht hatte. Während andere Staaten durch Macht und List die Welt eroberten, saßen sie auf einem lächerlichen Fleckerlteppich in der Mitte Europas. Höchste Zeit, den selbstzerstörerischen Moralismus zu beenden und die Welt mit weltlichen Methoden zu beeindrucken. Ohne Energie des Bösen war nichts zu machen. Die Dialektik sollte die passiven Quietisten und Pietisten – die Stillen im Lande – davon überzeugen, dass ohne Muskeln und Hellebarden eine europäische Macht nicht herzustellen war. Friedrich Heer:

„Dialektik: hier wird sie wiederentdeckt, als Dialektik des „inneren Lebens“, als Gesetz des schöpferischen Lebens der Persönlichkeit, die sich in ihren Widersprüchen darstellt und ausfaltet.“

Es blieb nicht beim inneren Leben und der privaten Persönlichkeit. Bismarcks Einsicht, dass ein Staat mit Hilfe der Bergpredigt nicht regiert werden könne, wäre ohne romantische Inthronisation der Dialektik nicht möglich gewesen. Und schon erwachten die politischen Größenphantasien der Deutschen, die sich im nächsten Jahrhundert in zwei Weltkriegen niederschlagen sollten. In Heines berühmten Worten: „Der Deutsche ist lange das Hänschen gewesen. Er dürfte aber wohl bald der Hans aller Hänse werden. Es geht ihm, wie es vielen dummen Kindern gehen soll, er wird leben und klug seyn, wenn seine frühklugen Geschwister längst vermodert sind und er allein Herr im Hause ist.“

Merkel & Schäuble wollen die führende Macht Europas sein. Das geht nicht mit sanftmütigen Moralpredigten – obgleich gelegentliches Almosenverhalten dem Ansehen der Macht nur nützen kann. Merkels störrische Rechthaberei in Wirtschaftsfragen – inzwischen gegen fast alle Ökonomen des Westens, man muss bereits von einem ökonomischen Sonderweg der Deutschen sprechen – geht nicht zufällig einher mit dem Abschied von jeder rationalen Logik und der Wiedereinführung der Dialektik als rhetorisches Machtmittel.

Merkel glaubt die Lizenz zu besitzen, sich ständig widersprechen zu dürfen, ohne dass man ihr einen Strick daraus drehen darf. Da besteht bei Deutschen ohnehin keine Gefahr. Logik und unmissverständliche Schriftauslegung haben sie längst über Bord geworfen. In diesem Tohuwabohu kann die Kanzlerin ihre ursprüngliche Samariterpolitik ins völlige Gegenteil verkehrt haben und dennoch dreist behaupten, sie habe die Grundsätze ihrer Flüchtlingspolitik in keinem Punkt verändert. Die Anhänger der Merkelsekte schauen nur auf ihre einmalige Helferpolitik; die längst erfolgte Abschottung und Einmauerung Europas wird von ihnen nicht mehr zur Kenntnis genommen.

Obgleich Merkel eine unverantwortliche „Verantwortungspolitik“ betreibt, wird sie von ihren Fans als „Gesinnungspolitikerin“ verteidigt. Nun fährt sie nach Afrika, um die Fluchtgründe vor Ort einzudämmen. Natürlich solistisch, Brüssel will von ihren Alleingängen nichts wissen. Das Motiv der Reise steht in krassem Widerspruch zu ihrer bisherigen Mitleidpolitik:

„Ich handele nicht aus Mitleid, sondern aus meinen eigenen, aus unseren gemeinsamen Werten und Interessen heraus.“ (TAZ.de)

Sind Interessen und Werte nicht Widersprüche? Zu „unseren gemeinsamen“ Werten gehört nicht mehr das Mitleid? Da muss der Petrusbrief eine falsche Offenbarung erhalten haben:

„Endlich aber seid allesamt gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, freundlich. Vergeltet nicht Böses mit Bösem.“

Was tut Merkel, um afrikanischen Staaten zu helfen, damit deren Menschen nicht mehr zur Flucht nach Europa gezwungen werden?

„Den Entwicklungsländern wird die Pistole auf die Brust gesetzt: Entweder sie unterzeichnen das Freihandelsabkommen oder ihr Marktzugang zur EU wird eingeschränkt. Ein Blick in das Vertragswerk zeigt: Es zwingt Afrika, seine Märkte fast komplett – bis zu 83% – für europäische Produkte zu öffnen, ohne schützende Zölle. Afrikanischen Staaten sind Handelsschranken im globalen Wettbewerb untersagt.“ (Netzfrauen.org)

Merkel vergilt „Böses mit Bösem“. Zur Strafe, dass afrikanische Staaten ihre Flüchtlinge nach Europa schicken, um Europa zu destabilisieren, wird ihre ohnehin malade Wirtschaft durch Knebelverträge noch mehr geschwächt.

Merkels Siegerpolitik wäre ohne die Macht ihrer dialektischen Widersprüche nicht möglich. Von logischer Folgerichtigkeit hat sie sich für immer losgesagt. Die Übereinstimmung von Wort und Tat kann sie nicht mehr verfehlen. Wer alles und das Gegenteil sagen darf, ist immer mit sich im Reinen.

Mögen Trumps und Merkels Amoralitäten sich inhaltlich unterscheiden, im Prinzip sind sie vertauschbar. Wer in Gottes Geist regiert, muss weder Widersprüche scheuen noch Böses vermeiden. Wir sind Amerika, lautet Trumps Botschaft: noch immer die erste Macht der Welt. Wir sind die Guten und Erwählten, nichts ist uns verboten. Wir handeln in der Vollmacht des Geistes.

Trump degradiert Frauen und behandelt sie wie einst absolutistische Fürsten ihre weiblichen Untertanen nach dem göttlichen Recht des jus primae noctis – dem Recht zur ersten Nacht. Merkel degradiert alle schwächeren Staaten zur Gefolgschaft und zwingt ihnen eine deutsche Sonderweg-Ökonomie auf. Bei Trump gab es einen Aufschrei. Immerhin ein Fortschritt. Vor wenigen Jahren wären seine Unflätigkeiten keine einzige Schlagzeile wert gewesen. Für Merkels mitleidlose „Hilfs“politik, die eine weitere Degradierung und Schwächung der afrikanischen Staaten bedeutet, gibt es in deutschen Medien nicht die geringste kritische Resonanz. Im Gegenteil, man bewundert ihren tapferen Madonnengang in mörderischer Hitze.

Wer ist Trumps deutsches Pendant? Kein einziger Deutscher, der mit einem Auge nach Amerika schielt, um seinen Kurs durch Gottes eigenes Land bestätigen zu lassen, kann sich mit dem bulligen Milliardär messen. Die deutsche Politelite ist stolz darauf, ihre protestantische Gesinnungspolitik abgelegt und sich einem interessegeleiteten Pragmatismus verschrieben zu haben. Sie alle halten sich für gewiefte Mini-Trumps, wenn auch nicht (nur) in vulgären sexuellen Dingen. Wirtschaftlich dagegen ist alles erlaubt, vom Ausbeuten und Grapschen bis zum obszönen Vergewaltigen der fremden Wirtschaft. Ein unvermutetes Pendant Trumps ist der fromme Katholik Kretschmann, der seine grüne Partei – vor penetrantem Moralisieren warnt:

„Dabei geht es um den Kern von Moral. In der Tradition Kants sollten wir daran festhalten, dass unser kollektives Handeln verallgemeinerbar sein muss, im Hinblick auf unsere Gesellschaft und, so würden wir Grüne hinzufügen, im Hinblick auf zukünftige Generationen. Zugleich aber ist der Mensch, wie Kant sagt, „aus krummem Holz geschnitzt“. Wir sind keine Heiligen und werden es auch dann nicht, wenn man uns dazu machen will. Wir sollten daher das Moralisieren lassen. Anstatt Vorgaben für das gute Leben und die individuelle Lebensgestaltung zu machen, sollten wir uns auf den Kampf für eine gute Ordnung der Dinge konzentrieren.“ (ZEIT.de)

Moralisieren soll das Gegenteil einer „guten Ordnung der Dinge“ sein? Genau dies ist Moral. Kants Einführung des radikalen Bösen (weshalb Goethe ihm zürnte) hinderte ihn nicht, den Menschen zur Erfüllung des Guten aufzufordern. Das krumme Holz der Humanität war kein Freifahrtschein zum Bösen. Im Gegenteil. Kants Begründung in deutscher Gelehrtenprosa:

„Böse Handlungen sind nach Kant individuell verschuldet und müssen trotz des allgemeinen Hangs individuell verantwortet werden. Zurechnungsfähig ist aber für Kant nur das, was durch eigene Tat geschieht. Der Hang zum Bösen selbst kann aber nicht das Resultat einer empirischen Handlung sein, weil er als der subjektive Bestimmungsgrund der Willkür definiert wird und daher a priori zu jeder konkreten (empirischen) Handlung sein muss. Kant löst das Problem, indem er eine „intelligible Tat“ postuliert, in der der Mensch seine oberste Maxime festlegt, von der alle anderen Maximen abhängen. Diese hat einen reinen Vernunftursprung und keinen zeitlichen Ursprung und kann, wenn überhaupt, deshalb bloß durch reine Vernunft und ohne alle Zeitbedingungen erkennbar sein. Unter diesem Gesichtspunkt ist jeder Mensch durch die Wahl seiner Maxime entweder gut oder böse.“

Kretschmann gehört zu jenen graecomanischen Gebildeten, die eine Woche lang in einer einsamen griechischen Hütte „ihren“ Homer lesen. Der brave Katholik ergötzt sich an der heidnischen Amoral, um seiner katholischen Seele einmal im Jahr einen Auslauf zu gönnen. Was der heutige Konsum von Pornos ist, war in gelehrten Zeiten das Lesen der freimütigen antiken Autoren. Was Trump in aller Öffentlichkeit wagt, treiben die Deutschen in dunklen Hinterzimmern. Woher rührt der tiefliegende Hass deutscher Intellektueller gegen die Moral? Moralische Überlegungen sind für sie lächerliche Einfälle gottloser Heiden, nicht zu vergleichen mit Bergpredigt und Dekalog, den exquisiten Einflüsterungen des Himmels.

Ulf Poschardt ist die Dandy-Ausgabe des biederen Grünen. Dandys sind gelangweilt von Philistern und stupiden Moralisten. In gezügelter Verachtung versenkt der Chef der WELT alles, was nach Moral und logischem Denken riecht – das er für Wortklauberei hält:

„Auf der Linken wird die schon im 19. Jahrhundert fragliche, im 20. Jahrhundert komplett diskreditierte Idee, himmlische Gerechtigkeit unter die Menschen zu bringen, in immer wieder neuen, komplett scheiternden Wiederaufführungen am Leben gehalten. Sie misstrauen subjektiven Gesten und Sprachspielen und sehnen sich nach Objektivem. Das hat die Diskussionskultur vergiftet: zuerst das Moral- und Anstandskartell der Linken, nun der destruktive Hass der Rechten.“ (WELT.de)

Alles, was die unbegrenzte Macht der Tycoons reduzieren soll, muss für Poschardt eine Absage an die Freiheit sein. Alles, was die Zügellosigkeit einer dialektischen Beliebigkeit durch strenge Definitionen und Logik an die Kette legen soll, ist haltloses Sehnen nach Objektivem. Vor kurzem hätten viele Edelschreiber noch von totalitärer Vernunft gesprochen.

Was haben deutsche Medien gegen Trump vorzubringen, wenn sie nach Mini-Trumps geradezu „süchtig“ sind? Nehmen wir die Kritik an einem Tatort-Kommissar, einem wahren Fiesling:

„Faber, was für ein Typ! Was für ein Arschloch! Er wirft von einem Moment auf den anderen Konventionen, Regeln und Benimm über den Haufen – sogar seine Großmutter würde er verkaufen, wenn er denn eine hätte, wie er in einer Szene zugibt. Und wie genial Jörg Hartmann diesen Fiesling spielt, ohne Furcht und Skrupel. Ihm zuzusehen, ist faszinierend und abstoßend zugleich. Und es macht süchtig! “ (Sueddeutsche.de)

Nicht nur die SZ, auch die TAZ ist ein Fan des amoralischen Ekels:

„Wie Hartmann alias Faber sich durch diesen Fall ekelt, den Untergebenen Kossik austrickst, fertig macht, wie er aufsteigt zum Evil Genius, zum durchtriebenen, bösen Genie, das ist großes „Tatort“-Kino.“ (TAZ.de)

Überhaupt: wozu die riesige Aufregung, da ohnehin die ganze Welt weiß, wie Männer denken? Trump hat nur eines übersehen: er hat das Tabu des bürgerlichen Verschweigens gebrochen. Müsste er aber für diese mutige Enthüllung der Wahrheit nicht gelobt werden?

Freud wurde für die Enthüllung bürgerlicher Sexualverdrängungen zuerst verdammt, dann gerühmt. Wenn Houellebecq und andere Literaten ihre geheimen Wünsche in exquisiter Sprache enthüllen, exzentrische Regisseure Sodom und Gomorra auf den Bühnen inszenieren, werden sie von aller Welt gepriesen. Über erbitterte Attacken gegen political correctness haben wir dabei noch gar nicht gesprochen. Äußert aber ein Machtmensch Unmoralisches in Vulgärsprache, kommt er auf den Scheiterhaufen. Ist Trump kein ordinärer männlicher Sexist, der in millionenfacher Ausfertigung rund um den Globus Frauen erniedrigt und schändet? Warum erst jetzt die Aufregung?

„Zu denken, dass Trump tatsächlich moralisch problematisch findet, was auf dem Band von ihm zu hören ist, ist verschwendete Hirnmasse. Jede/r, die oder der schon einmal einer zotigen Männerrunde in der Sauna zugehört hat, weiß es besser. Auch Republikaner gehen vermutlich gelegentlich in eine Sauna. Und sie stehen seit Monaten hinter einem Kandidaten, der schon längst alles über Frauen gesagt hat.“ (TAZ.de)

Trumps mögliches Schicksal hat Schiller in seinem Gedicht „Das verschleierte Bild zu Sais“ vorausgeahnt. Für strenge Aufklärer war jeder Tabubruch im Dienst der Wahrheit eine prometheische Heldentat. Doch Schillers Glaube an die befreiende Entdeckung der Wahrheit war schon gebrochen. Wer die ungeschminkte Wahrheit wissen will, macht sich schuldig und unglücklich für immer.

„Er sprichts und hat den Schleier aufgedeckt.
Nun, fragt ihr, und was zeigte sich ihm hier?
Ich weiß es nicht. Besinnungslos und bleich,
So fanden ihn am andern Tag die Priester
Am Fußgestell der Isis ausgestreckt.
Was er allda gesehen und erfahren,
Hat seine Zunge nie bekannt. Auf ewig
War seines Lebens Heiterkeit dahin,
Ihn riß ein tiefer Gram zum frühen Grabe.
»Weh dem«, dies war sein warnungsvolles Wort,
Wenn ungestüme Frager in ihn drangen,
»Weh dem, der zu der Wahrheit geht durch Schuld,
Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein

Sollte Trump trotz alledem das mächtigste Amt der Welt für sich gewinnen, wird die Hoffnung vergeblich sein, dass „ein tiefer Gram ihn zum frühen Grabe reißt.“

 

Fortsetzung folgt.