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Weltdorf XIII

Hello, Freunde des Weltdorfs XIII,

bevor die Männer planetarisch den Löffel abgeben, werden sie gleich die ganze Welt   mitnehmen. Apokalypse ist Männerphantasie einer Männerreligion. In aller Schlichtheit nennen sie sich Helden, Genies, Tycoons, Herren des Universums, in unübertrefflicher Demut die Gottgleichen, und präsentieren sich dem Rest der Menschheit in aparten Rollen und heroischen Arbeitsteilungen.

a) Die ersten Männer erfinden die religiöse Gesamt-Agenda: ein Männergott erschafft das Universum. Ein Männergottessohn, ein Männerprophet, Männerevangelisten oder Männerpriester erlösen die Welt und die Menschheit von der Sünde – die von der Frau in die Welt gebracht wurde, um die Männer zu verderben. Weshalb Männer das Böse vernichten müssen, um die Männer vom weiblichen Verhängnis zu befreien. Am Anfang war der Mann, am Ende wird er wieder sein. Das Weib ist abgetan, es war nur ein lästiges Intermezzo, ein vorübergehender Alptraum der Männer in der sonst so perfekten Schöpfung.

b) Die zweiten Männer verwandeln Glauben in weltpolitische Taten. Was sie predigen und prophezeien, erfüllen sie in vorauseilendem Gehorsam. Das Jüngste Gericht führen sie durch technischen Fortschritt, Eroberung der Welt und Anhäufung von Macht und Reichtum selbst herbei. Frauen und Kinder haben in dieser großartigen Szenerie nichts zu suchen. Die Männer erschaffen ihre neue Schöpfung allein nach ihrem Bild: mit sünd- und makellosen Maschinenkindern, die nicht mehr aus defektem Fleisch, sondern aus erlöster Materie (materia nova) bestehen und den Befehlen ihrer Erfinder widerstandslos folgen.

c) Die dritten Männer predigen den Untergang und warnen gleichzeitig vor ihm. Sie sind Intellektuelle, Schriftsteller, Künstler, philosophische Propheten und sonstige Mahner. Sie mahnen und warnen mit inflationären Worten, denen keine

 rettenden Taten folgen. Im Gegenteil: die Katastrophen, vor denen sie warnen, treiben sie immer schneller voran.

Was ist der Zweck der atemberaubenden paradoxen Übung? Männerreligion als geschichtliche Abfolge von Schöpfung, Er-Schöpfung, Erlösung durch Vernichtung und neuer Schöpfung, dient der Herstellung totaler Männer-Macht über Raum und Zeit.

Die Erfindung der Geschlechter war ein närrischer Schlenker der Evolution, die sich in der ewigen Wiederholung des Gleichen langweilte und nach kurzweiligem Allotria sehnte, um sich die Zeit zu vertreiben. Bald wird der Kampf der Geschlechter in den Archiven des Universums verschollen sein.

Man kann die Brillanz männlicher Selbstvergottung durch eine spannende Heilsgeschichte und Erlösungsdramatik nicht genügend bewundern. Ja, man müsste sie anbeten – wenn man Brillanz für anbetungswürdig hielte, bei der einem Hören und Sehen vergehen muss.

Gott ist der Mittelpunkt der Weltgeschichte, der blind geglaubt werden muss. Doch Glauben will Schauen werden, das ist der Akt der „Säkularisation“, der keine Verweltlichung, sondern das genaue Gegenteil ist: die Verwandlung der sündigen Welt in heilige Materie durch Schaffen eines zweiten Paradieses für Erwählte und einer ewigen Hölle für Verworfene.

Der irdische Mittelpunkt aller Dinge aber ist der Mensch. Nein, der Mann. Nein, der gläubige Mann. Wenn der Gläubige mit seinem Gott verschmilzt, gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Theozentrismus und Anthropozentrismus.

Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn.

Das Bilderverbot Gottes ist widersinnig, denn der fromme Mensch ist das Ebenbild Gottes. Will ich wissen, wie Gott ist, muss ich den Menschen betrachten. Nicht den gefallenen, sondern den wiedergeborenen. Um des Menschen willen ist die Welt erschaffen worden.

„Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst, und des Menschenkind, daß du sich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht denn Gott, und mit Ehre und Schmuck hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk; alles hast du unter seine Füße getan. Schafe und Ochsen allzumal, dazu auch die wilden Tiere, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und was im Meer geht.“

Der Hebräerbrief wiederholt den Triumphton des Psalmisten:

„Denn er hat nicht den Engeln untergetan die zukünftige Welt, davon wir reden. Du hast ihn eine kleine Zeit niedriger sein lassen denn die Engel; mit Preis und Ehre hast du ihn gekrönt und hast ihn gesetzt über die Werke deiner Hände; alles hast du unter seine Füße getan.“ In dem, daß er ihm alles hat untergetan, hat er nichts gelassen, das ihm nicht untertan sei; jetzt aber sehen wir noch nicht, daß ihm alles untertan sei.“

Jetzt ist er noch nicht der absolute Herrscher der Welt, am Ende aller Tage aber wird er es sein. Selbst Engel wird er in den Schatten stellen.

Wozu ist Natur da? Dass sie vom Menschen abgenutzt und verbraucht werden soll. Eine Natur, die sich dem Willen des Menschen in unabhängiger Eigenständigkeit entzöge, wäre eine widergöttliche Angelegenheit. Sie wäre das Reich des Teufels. Sie wäre es nicht, sie ist es, denn sie widersetzt sich störrisch der Abnutzung durch den Menschen.

Gottes Ebenbild muss seine Herrschaft über die Natur durch Orgien der Gewalt und List erzwingen. Die Vernichtung der Natur ist ein Werk des Gehorsams gegen Gott. Die Vergewaltigung und Vernichtung der Natur ist identisch mit ihrer Erlösung. Warum sind Männer notorische Vergewaltiger? Weil auch ihr Gott seine Schöpfung vergewaltigt, um sie den Fängen des Teufels zu entreißen. Erlösen ist zwangsbeglücken – oder vergewaltigen.

„Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes. Sintemal die Kreatur unterworfen ist der Eitelkeit ohne ihren Willen, sondern um deswillen, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung. Denn auch die Kreatur wird frei werden vom Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß alle Kreatur sehnt sich mit uns und ängstet sich noch immerdar.“

Natur, du störrisch Ding, was wehrst du dich gegen deine Beglückung? Du willst es doch auch!

Christen brüsten sich mit der neutestamentlichen Gleichberechtigung von Mann und Frau: „Da ist nicht Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann noch Weib.“

Klingt gut, doch auf Erden sollen Sklaven Sklaven und ihren Herren untertan, Männer die Häupter der Frauen bleiben. Im Reich des männlichen Geistes schweige die Frau. Im jenseitigen Leben mag es anders werden. Doch wo ist der Himmel?

Die Auflösung des Rätsels lesen wir im Schlusssatz: „ihr alle seid einer in Christo“. Christus aber ist das Haupt der Gemeinde. Nicht anders predigte der Führer seinem Volk in johanneischem Stil: wir sind alle eins. Wie ich euch gefunden habe, so habt ihr mich gefunden. Das Völkische – das Expastorengattin Petry neu definieren will – war die emotionale Einheit des Volkes unter der organischen Führung des Sohnes der Vorsehung.

Zum Prozess der Säkularisation – die wohlgemerkt keine Verweltlichung, sondern eine Transsubstantiation der irdischen in eine heilige Substanz ist – gehören die Wissenschaften. Und die Wissenschaft hat festgestellt, dass Natur den Menschen enthält. Homo sapiens ist kein wurzelloses Luftwesen mehr, das eines Tages die Erde verlassen könnte, ohne Spuren zu hinterlassen. Nein, die geologischen Epochen der Vergangenheit werden gekrönt durch die Epoche des Menschen.

Die Erde wird zum Kunstwerk des Menschen geadelt, der sein unauslöschliches Siegel in sie eingebrannt hat. Wie Zeitgenossen sich immer mehr tätowieren, um der uniformen Natur ihren unvergleichlichen Persönlichkeits-Stempel aufzuprägen, so ist es dem Menschen gelungen, die Natur unvergesslich zu entjungfern und auf den Menschen zu konditionieren. Geist ist der Materie, Mensch der Natur um Welten überlegen. Der philosophische Anthropozentrismus wurde zum geologisch beweisbaren Anthropozän. Wie der Mensch die Krone der Schöpfung, so ist seine Ära zum Höhepunkt aller geologischen Epochen geworden.

„Mit unserem romantischen Bild der Natur kommen wir nicht weiter. „Unberührt“ ist sie schon lange nicht mehr. Das Anthropozän hat begonnen, das Zeitalter der Menschen, sagen Wissenschaftler. Gerade weil wir die Natur verändern, sind wir untrennbar mit ihr verbunden. Das zu akzeptieren birgt die beste Chance, die Erde zu retten.“ (ZEIT.de)

Untrennbar mit der Natur verbunden? Heißt das, das Überleben der Menschheit auf Erden ist für immer gesichert? Weil wir Mutter Natur mit einem Brandeisen imprägnierten? Welch ein Männerchauvinismus! Der Erste im Leben der Frau bleibt lebenslang der Wichtigste, hieß es vor Zeiten. Und siehe, so heißt es immer noch. Wer die Erde defloriert, den wird sie nie vergessen und stets in ihr großes Herz schließen. Der Mensch hat es geschafft, die „Unberührtheit“ der Natur mit einem Gewaltakt zu brechen.

Die beste Chance, die Erde zu retten? Welch eine Hybris! Wir haben nicht die Erde zu retten, sondern unseren Verbleib auf Erden. Die Natur können wir nicht retten, sie pfeift auf unsere lächerlichen Rettungsbemühungen.

Die Natur ist nicht länger die unberührte und fremde Schöne, wir haben sie kaserniert und abgerichtet:

„Natur steht für Reinheit und Schönheit, für Gleichgewicht und Harmonie. Natur, das sind endlose Regenwälder, bunte Korallenriffe, weite Savannen, geheimnisvolle Höhlen – möglichst ohne Personen im Bild. Natur ist all das, was nicht vom Menschen beeinflusst ist, was ganz von selbst wächst und vergeht. Vor allen Dingen ist Natur gut.“

Natur ist zur geschändeten Kreatur des Menschen geworden. Wir raubten ihr Gutsein und machten sie schlecht, dafür muss sie büßen. Dass sie den Fehler beging, sich schlecht machen zu lassen, dafür muss sie zweimal büßen. Weibliche Opfer, inklusive Natur, sind selbst schuld an ihrem jämmerlichen Schicksal – so die Logik geborener Männersieger.

„Eine „Gebraucht-Erde“ sei am Entstehen, ein Gebilde aus zweiter Hand. „Es ist veraltet, die Erde als natürliches Ökosystem zu sehen, das von Menschen gestört wird“, sagt er, „vielmehr ist die Erde bereits ein Humansystem mit eingebetteten natürlichen Ökosystemen geworden.“

Wir sind keine bedeutungslosen asylbewerbenden Flüchtlinge und Fremdlinge mehr, wir sind zu fest etablierten Herren der Natur aufgestiegen. Natur – das ist unser Eigentum. Mit Brief und Siegel.

Ist der gottgleiche Mensch zum Herrscher der Erde geworden, so ist das Anthropozän zugleich ein Theozän. Mit welchen Folgen? Ist das ein Freifahrtschein zur völligen und rücksichtslosen Abnutzung der Natur? Kann der Mensch mit seinem Eigentum nicht machen, was er will?

„Diese Zerstörungen können vielmehr passieren, weil die Menschheit bisher die Natur konsequent als das fremde Gegenüber ausgeblendet hat.“

Gerade das tat sie nicht. Just das Anthropozän ignoriert das Fremde und degradiert Natur zur „gebrauchten“ Altware. Nicht das Fremde, nicht das Eigene kann vor Missbrauch schützen. Die fremden Frauen der Feinde sind die „natürliche“ Beute der Sieger, das eigene Kind die „natürliche“ Beute pädophiler Eltern oder – fürsorglicher Pädagogen.  

Wenn es wichtig ist, dass der Mensch die Erde kujoniert, warum ist es plötzlich so wichtig, dass die „letzten Reste echter Wildnis im Anthropozän besonders schützenswert“ sein sollen? Der ZEIT-Artikel wimmelt von Ungereimtheiten und Widersprüchen. Waren eben noch die letzten unberührten Flecken der Wildnis wichtig, lesen wir plötzlich das genaue Gegenteil:

„Der Geograf entwickelt eine Systematik der unnatürlichen Vegetation der Erde. Die zentrale Rolle spielen darin nicht mehr „Biome“, wie Forscher bisher Lebensräume nennen, sondern „Anthrome“, Menschenräume. „Die Zukunft der Erde wird nicht mehr von angeblichen Grenzen der Natur abhängen, sondern von dem, was Menschen ersinnen und gemeinsam leisten können„, sagt Ellis.“

Genau das ist der Kern des gottgleichen Raubbaus an der Natur. Nicht die Natur bestimmt, was sie dem Menschen fürsorglich anbieten kann, in seinem rücksichtslosen und grenzenlosen Gigantismus nimmt sich der Mensch, was er will.

Michael Braungart hat mit seinem Konzept Cradle to Cradle, von der Wiege zur Wiege, einen symbiotischen Dialog des Menschen mit der Natur vorgestellt: der Mensch füttert die Natur, wie die Natur den Menschen füttert. Geben und Nehmen sollen so im Einklang sein, dass es dem Menschen nicht gelingt, die Natur im endlosen Verschleiß aufzureiben. Wenn jedoch alles von der menschlichen Gier, Habsucht und Feindschaft gegen die Natur bestimmt werden soll, dann hat das letzte Stündlein des Menschen auf Erden geschlagen. Braungart verweist auf das Beispiel des Kirschbaums:

„Ein Kirschbaum bringt tausende Blüten und Früchte hervor, ohne die Umwelt zu belasten. Im Gegenteil: Sobald sie zu Boden fallen, werden sie zu Nährstoffen für Tiere, Pflanzen und Boden in der Umgebung.“

Das Anthropozän soll eine unerwartete neue Harmonie mit der Natur sein, selbst die „Umweltsünden“ der Menschen gelten auf einmal als naturförderliche Maßnahmen:

„Im Anthropozän sind auch Städte kein Gegensatz mehr zur Natur. Ein gutes Beispiel dafür ist Berlin. In der Hauptstadt pfeifen Mauersegler durch die Straßen, für die hohe Gebäude dieselbe Heimat bieten wie die Klippen und Felsabhänge, an denen sie von Natur aus brüten. Gänsesäger überwintern dort, wo die warmen Abwässer von Gewerbegebieten die Flüsse auch im Winter offen halten. Die einst vom Aussterben bedrohten Wanderfalken nutzen den Turm des Rathauses zum Brüten und das Scheinwerferlicht des Fernsehturms am Alexanderplatz zum Jagen. Seltene und als gefährdet eingestufte Arten wie Sumpfohreulen, Neuntöter und Schwarzkehlchen nutzen den früheren Flughafen Tempelhof als Lebensraum. Nun entdecken sie Aufregendes: Vögel in Mexiko-Stadt nutzen Zigarettenstummel zum Nestbau, und das Nikotin vertreibt sogar Milben und andere Parasiten. In Japan klauben Raben Alukleiderbügel von Balkonen und bauen daraus Nistplätze. In New York wurde eine neue Froschart gefunden. Und an amerikanischen Straßen konnten Biologen der Evolution zusehen: Bei Klippenschwalben verkürzen sich die Flügel, seit sie begonnen haben, an Straßenbrücken zu nisten – Vögel mit kürzeren Flügeln können Autos besser ausweichen und überleben daher eher bis zur Fortpflanzung.“

Die unabhängige Natur ist out:

„Unberührte Natur erweist sich im 21. Jahrhundert als Illusion. Doch die neue Natur, zu der Menschen, Tiere, Pflanzen und Technologien verschmelzen, ist ebenso voller Überraschungen und Abenteuer wie die klassische Natur.“

Geht es noch immer um neoliberal-unerkennbare und unbeherrschbare Abenteuer und Überraschungen – oder um erkennbare Verlässlichkeit der Kooperation zwischen Mensch und Natur? Warum sind die „letzten Reste echter Wildnis im Anthropozän besonders schützenswert“, wenn unberührte Natur eine Illusion sein soll?

Was erleben wir? Einen bewusstseinslosen Kampf zwischen uralten Elementen menschlicher Einmaligkeit – und den neuen Anforderungen der Ökologie. Den Naturschutz will man nicht verabschieden, die religiöse Grandiosität des Menschen aber – die zur bisherigen Naturverwüstung führte – mit Zähnen und Klauen verteidigen. Die Geschichte der Natur soll durch die Epoche des gottgleichen Menschen gekrönt werden – und dennoch soll der Triumph des eigensüchtigen Menschen die Interessen der Natur optimal berücksichtigen. Das ist den Kuchen essen – und ihn dennoch behalten.

Schon stürzen sich viele auf den Begriff Anthropozän, als könne er der Ökologie einen neuen Schub geben. Das Umweltministerium hat den Begriff schon abgesegnet. Ausgerechnet Geologen aber lehnen die neue Epocheneitelkeit vehement ab. Es gebe keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, die die Selbstauszeichnung des göttlichen Menschen stützen könnten:

„Die Meinung der Geowissenschaftler-Gemeinschaft ist, dass der Begriff informell bleiben sollte“, erklären Philip Gibbard und Michael Walker in einem Aufsatz für die „Geological Society of London“. Er genüge den wissenschaftlichen Ansprüchen nicht. Beim Anthropozän handele sich lediglich um einen politischen Terminus. Der Begriff ist irreführend und nutzlos“, meint auch Meeresgeologe Scourse. Wesentliche Naturkräfte wie Vulkanismus, Plattentektonik oder Sonnenaktivität seien weiterhin außer Kontrolle des Menschen. Von einer „esoterischen Debatte“ sprechen gar die Geoforscher Whitney Autin vom Suny-College in New York und John Holbrook von der Texas Christian University. Sie wittern eine „Tendenz zu Werbephrasen in der Wissenschaft“, die „fragwürdige Begriffe“ wie Anthropozän produzieren würde.“ (SPIEGEL.de)

Die unauslöschlich prägenden Spuren des Menschen in der Physiognomie der Erde seien nicht beweisbar:

„Noch wäre es schwierig, ausgedehnte menschengemachte Schichten im Meeresgrund, in Eiskernen, Seen oder in Stalagmiten nachzuweisen. Chemische Ablagerungen etwa seien örtlich höchstens ein paar Millimeter dünn. Und Plastik zerfällt auf lange Sicht, bleibt also nicht im geologischen Gedächtnis.“

Welch ein Wahn! Kaum beginnt der Kampf der Naturfreunde gegen die ungeheuren Plastikinseln auf den Meeren und in den unsichtbaren Nahrungsketten der Menschen, bräuchten wir plötzlich noch gigantischere Plastikmüllberge, um sie als zeitlose geologische Schicht nachweisen zu können.

Soll die Natur vor menschlichen Schädigungen geschützt – oder endgültig gebrandmarkt und geschändet werden?

Wie alle politischen Fragen ist auch die ökologische zuerst eine Sache folgerichtigen Denkens. Ist das Konzept nicht durchdacht, kann der Aktionismus nur in die Irre führen.

Vermisst jemand die Stimme der Grünen in dieser Debatte? Seit sie dem Sirenengesang einer Schöpfungsbewahrung folgten, haben sie keinen einzigen sinnvollen naturphilosophischen Satz mehr zustande gebracht. Wenn der Schöpfer und seine Ebenbilder höchstselbst das Reich des Teufels zuschanden reiten, um eine neue Schöpfung aus dem Hut zu zaubern, wie kann man den Windbeuteleien theologischer Rabulistik folgen?

Die Idee einer unabhängigen Natur soll also passe sein. Der Mensch will eine gefügige Natur mit Hilfe seines leeren Kopfes produzieren. Genau dies ist die Urwurzel des Verderbens. Der gott-aufgeblähte Mensch soll Alles, die Natur Nichts sein.

Schon bei Kant ist das Verhängnis sichtbar. Eine unabhängige Natur – das Ding an sich – ist für den Menschen nicht erkennbar. Erkennen kann der Mensch nur, was er selber mit seinem Apriori produziert. Theologen hätten von erschaffen aus dem Nichts gesprochen.

Bei Fichte verschwindet das viel zu unabhängige Ding an sich. Fichtes Ich präsentiert sich, als könnte es bei jedem Denkakt das Objekt seines Denkens automatisch erschaffen.

Die gesamte Moderne ist erfüllt von wachsender Skepsis an der objektiven Wirklichkeit. Ist das Leben ein Traum – das war das Problem eines Calderon. Gibt es objektive Dinge – oder halluzinieren wir nur subjektive Projektionen, die uns trügerisch umgaukeln?

An allem ist zu zweifeln, selbst an der Realität von uns selbst. So begann die Epoche des neuzeitlichen Denkens bei Descartes. Welch dünner Trost, dass wir existieren müssen, weil wir das Subjekt des Zweifels nicht bezweifeln können.

Die christliche Diskriminierung der Welt und der Natur als dämonisches theatrum mundi hat die gesamte Denkgeschichte des Abendlandes paralysiert.

Wenn Natur „im Menschen die Augen aufschlägt“, wie Schelling formulierte, dann kann es keinen Konflikt zwischen Natur und Auge geben. Zärtlich nimmt der Mensch die Natur an der Hand und führt das blinde Ding – wohin es nicht will.

Solches empfiehlt der Philosoph Rüdiger Safranski. Übertroffen wird er von seinem Kollegen Markus Gabriel, der keine Schwierigkeiten hat mit dem Verstehen einer unabhängigen Wirklichkeit. Eine solche existiere nämlich nicht. Eine Wirklichkeit aber, die es nicht gibt, kann man nicht zerstören. Ökologische Politik wäre nichts als alchimistische Magie.

„Wir bräuchten die Welt gar nicht verstehen, weil es ohnehin keine Welt gibt.“ (TAZ.de)

Gibt es keine erkennbare Welt, müsste das Anthropozän – die Epoche eines unerkennbaren Nichts sein.

 

Fortsetzung folgt.