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Weltdorf V

Hello, Freunde des Weltdorfs V,

wie viele Jahrhunderte waren Frankreich und Deutschland Erbfeinde? Nun driften sie wieder auseinander. Vor kurzem erst sah ein französischer Intellektueller den nächsten Krieg gegen Deutschland voraus.

Gott soll in jenem Land leben, das ihn aus dem öffentlichen Leben verbannt hat? Oder lebt es sich besonders gut in einem Land der Revolutionäre, die Ihn ohn Erbarmen in Pension schickten, oder noch schlimmer: Ihn in einen Gott der Vernunft verwandelten? Da flüchten wir lieber zu Heinrich Heine, der in den „Reisebildern“ seine zweite Heimat beschrieb:

„Dort amüsiert man sich ganz süperbe, man hat alle möglichen Vergnügungen, man lebt in lauter Lust und Pläsier, so recht wie Gott in Frankreich. Man speist von Morgen bis Abend, und die Küche ist so gut.“

Heine gilt in Deutschland noch immer als Landesverräter. Antiwelsche Tradition steckt den Germanen im Blut:

„Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden, doch ihre Weine trinkt er gern.“

Nationalhass? Nicht für einen Olympier, der über den Niederungen des Daseins schwebt:

„Ich haßte die Franzosen nicht, wiewohl ich Gott dankte, als wir sie los wurden. Wie hätte ich auch, dem nur Kultur und Barbarei Dinge von Bedeutung sind, eine Nation hassen können, die zu den kultiviertesten der Erde gehört und der ich einen großen Teil meiner eigenen Bildung verdanke. Überhaupt ist es mit dem Nationalhaß ein eigenes Ding. Auf den untersten Stufen der Kultur werden Sie ihn immer am stärksten und heftigsten finden. Es gibt aber eine Stufe, wo er ganz verschwindet und wo man gewissermaßen über den Nationen steht.“

Eher verachtete der Weimaraner seine Landsleute, als dass er Napoleon, dem

Imperator Europas, einen Korb gegeben und ihm eine Begegnung unter Unsterblichen versagt hätte. Vergessen wir nicht, wie der junge Frankfurter die französischen Aufklärer abfertigte. Besonders jenen Baron von Holbach, der justament ein geborener – Pfälzer war. Nach Lektüre dessens „System der Natur“ erklärte Goethe, er könne nicht begreifen, wie sich jemand „ein solch graues, kimmerisches, leichenhaftes Projekt ohne Farbe, Lebendigkeit, Kunst und Humanität zu eigen machen könne“.

Die jungen Stürmer und Dränger, allergisch gegen die Dominanz der französischen Kultur, erfanden an dieser Stelle den deutschen Sonderweg und verwarfen die universelle Vernunft der französischen Aufklärer.

An diesem Problem laborieren wir noch heute. Kein deutsches Feuilleton, das die Rigidität der allgemeinen Vernunft nicht als „totalitär“ abmeierte. Als ob der Faschismus eines Hitler sich auf Vernunft berufen hätte.

Mitten in Europa pflegen die Deutschen noch immer – wenn auch ohne das geringste Bewusstsein – ihren Sonderweg, indem sie Vernunft und Moral in alle Winde zerstäuben und zur Beliebigkeit relativieren. Dann wundern sie sich, wenn ihre „abendländischen Werte“, besonders in Flüchtlingsfragen, von ihren verbündeten Nachbarn zerpflückt werden.

Im Kampf gegen die Franzosen mussten die neu erwachten Nationalisten und Fichteaner an die Front, um die Eroberer der deutschen Provinzen mit der Wut altgermanischer Berserker in die Pfanne zu hauen:

„Das ist des Deutschen Vaterland,
wo Zorn vertilgt den welschen Tand,
wo jeder Franzmann heißet Feind,

wo jeder Deutsche heißet Freund.
Das soll es sein! das soll es sein!
Das ganze Deutschland soll es sein!“

(Ernst Moritz Arndt, Was ist des Deutschen Vaterland?)

Wenn alles relativ, gesondert und besonders, auf keinen Fall allgemein und verbindlich ist: woher soll das moderne Europa seine gemeinsamen Grundlagen herhaben? Schon nähern wir uns der rechtsrheinischen, linksrheinischen, polnischen, ungarischen, nordeuropäischen und mediterranen Sondersicht aller Dinge. Wirtschaftliche Dauerkonkurrenz – von einer deutschen Kanzlerin zum raison d‘etre der Deutschen erklärt – kann nur stattfinden zwischen separierten Nationen, die nichts anderes zusammenschmiedet als der Kampf aller gegen alle um die besten Wirtschaftszahlen.

Hat man von Merkel schon mal gesamteuropäische Ermunterungsparolen gehört: Europa, wir schaffen das? Wenn sie das Wörtchen „wir“ benutzt, ist es immer der Plural der nationalen Ertüchtigung:

„Deutschland wird Deutschland bleiben – mit allem was uns daran lieb und teuer ist.“

Ebenso gut hätte Merkel die verpönte erste Strophe der Nationalhymne singen können. Merkel bezieht sich auf Werte wie Liberalität, Demokratie, Rechtsstaat und soziale Marktwirtschaft, als ob es sich um deutsche und nicht um allgemeine Werte handele. Europa findet nicht statt im Wir-Gerede einer deutschen Nationalistin, die nichts unterlässt, um die solistische Spitzenstellung ihrer liebwerten und teuren Untertanen mit eisernen Klauen zu verteidigen. Über das Verbot ökonomischer Solidarität (no bail out) kommt noch ein Klacks samaritanischer Sahne (nach Vorbild amerikanischer Milliardäre) – und niemand kann uns den Pokal der Tüchtigsten und Moralischsten rauben.

Doch welches Deutschland meint die Kanzlerin? Im Verlauf der Geschichte gab es schon die verschiedensten Deutschländer. Kein NPDler, der diese Parole nicht aus vollem Herzen mitgröhlen könnte. So wird das harmlose „Wir“ zu einem Plural der chauvinistischen Sammlung aller Deutschen. Muttern hat alle lieb.

Welch Zufall, dass heute ein ZEIT-Artikel erscheint, der Aufklärung kritisch als „deutsches Vorbild“ präsentiert, um dem unappetitlichen Gemenge einen Schuss vor den Bug zu verpassen:

„Problematisch wird es erst dann, wenn aus der Empörung die Überzeugung wird, dass die Welt am deutschen Vorbild genesen soll. Wenn das Anspruchsdenken des aufgeklärten Weltbürgers zum Filter des Weltgeschehens wird. Die Reinheit, die strengen Prinzipien, mit denen das Weltgeschehen vermessen wird, sind meist so groß wie die Angst, sich zu irren, und eigentlich ist diese Sorge grundsympathisch, weil sie frei von jedem Zynismus ist. Wer sich diesen Bedenken hingibt, hat natürlich immer recht. Die Bedenken sind nie falsch, aber sie basieren auf der Weigerung, die Realität nicht nur in Ausschnitten wahrzunehmen. Er empört sich, blendet aber gleichzeitig einen Großteil der Wirklichkeit aus.“ (Alice Bota in ZEIT.de)

Hätte die in Polen geborene Alice Bota um Verständnis geworben für die politischen Freiheitsbewegungen der Polen oder Ukrainer – auch wenn diese nicht den Anforderungen einer rigiden Moral entsprächen –, hätte sie deutsche Begriffsstutzigkeit und Mangel an Empathie zu Recht an den Pranger gestellt. Leider schüttet sie das Kind mit dem Bade aus.

Verstehen menschlicher Dinge ist unerlässlich für den, der sich selbst verstehen – und einem anderen durch Verständnis helfen will, sich aus seiner beschädigten Biografie zu befreien. Verstehen aber ist nicht billigen. Wer den Verbrecher oder den Shitstorm verstehen will, soll der das Verbrechen oder den kollektiven Hass gutheißen?

Verstehen heißt sich wertfrei einfühlen. Dann aber hat der kategorische Imperativ die Pflicht, das Eingefühlte und Verstandene zu bewerten. Was hülfe es dem Delinquenten, wenn der Verstehende sich mit seiner Untat überidentifizierte? Vielleicht mit der fahrlässigen und feigen Formel, er wolle nicht urteilen? Damit würde er den Straftäter erst recht zum uneinsichtigen Täter stempeln – und überließe ihn den Qualen seiner schuldhaften Einsamkeit.

Jede Erziehung, jede Sozialarbeit, jede mitmenschliche Geste wären ausgeschlossen, wenn es kein Verstehen gäbe. Oder wenn Verstehen unvereinbar wäre mit moralischer Bewertung.

Verstehen ist Einfühlen in den anderen, als ob man an dessen Stelle wäre. Bewerten ist Wiedergewinnen der Distanz und Denken mit dem eigenen Kopf. Identifizieren und Distanzieren, ungefiltertes, wertfreies Sehen und autonomes Beurteilen: das sind die spannungsreichen Pole aller Beziehungen, die als humane gelten wollen.

Was würde Bota sagen, wenn Erdogan wertungsfreies Verstehen seiner diktatorischen Repressionen als Notmaßnahmen gegen Verschwörer forderte? Putin-Versteher sind allzu oft Putin-Verteidiger, Putin-Verurteiler allzu oft Putin-Ignoranten.

Der spannungsreiche Zusammenhang zwischen Verstehen und Bewerten wiederholt den Kampf der Romantiker gegen die Aufklärer.

Die französischen Aufklärer führten einen schonungslosen Kampf gegen die christliche Religion, die sie für eine Feindin des Menschengeschlechts hielten. Nicht ganz so rigoros waren die deutschen Aufklärer. Bedenkt man, dass der Klerus seit Jahrhunderten den Kampf gegen das freie Denken mit allen Mitteln geführt hatte, wird man die Rigidität der Aufklärer verstehen und nachvollziehen können. Sie hatten genug damit zu tun, die inhumanen Zustände in Europa, herbeigeführt durch totalitäre Religionen, in unmissverständlicher Klarheit aufzudecken und zu benennen. Versteht sich, dass Bewerten und Bekämpfen bei ihnen im Vordergrund standen und das Verstehen nur allzu oft zu kurz kam.

Eben dies bemängelten die deutschen Romantiker, die die faszinierenden neuen Kulturen, die sich damals für sie auftaten, verstehen und delektieren, aber nicht mit erhobenem Zeigefinger moralisieren wollten. Herder hatte die Poesie der Völker erforscht und aus deren eigenen Voraussetzungen zu verstehen versucht. Jedes Volk gehe seinen besonderen Entwicklungsgang. Und niemand habe das Recht, das Fremde über den Leisten einer allgemein geltenden Uniformität zu schlagen.

Die Deutschen selbst wollten von den Franzosen nicht als zurückgebliebene Hinterwäldler denunziert werden. Also verwarfen sie in toto den generellen moralischen Maßstab der Franzosen (und Engländer). Sie verbündeten sich mit den Kulturen der Welt, indem sie deren unvergleichlichen Sonderwege durch Anempfinden zu verstehen versuchten.

Zur Verteidigung ihrer eigenen, nationalen Besonderheit verwarfen die Deutschen alle generellen Bewertungsmaßstäbe und ersannen den – generellen – Partikularismus, einen Widerspruch in sich. Alles ist einmalig und unvergleichlich, einen überwölbenden Maßstab zum Richten und Urteilen gibt es nicht. Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet: seltsamerweise war der geniale Individualismus der Deutschen eingebettet in die Unfehlbarkeit einer scharf verurteilenden Erlösungsreligion. Der weltliche Relativismus war nur die Vorderseite einer grundsätzlichen Absolutheit allen Zensierens und Verurteilens im Namen eines allwissenden Gottes.

Hier ergab sich eine merkwürdige Konstellation. Während die Aufklärer das unfehlbare Göttliche abschafften, indem sie die allgemeine Vernunft an die oberste Stelle setzten, verwarfen die Romantiker die allgemeine Vernunft im Namen einer unfehlbaren göttlichen Stimme.

Nach 200 Jahren verharren wir noch immer an unveränderten Frontlinien. Ohne es zu wissen, steht Alice Bota auf der Seite der Romantiker und verspottet die Aufklärer als Randspalter:

„Der Randspalter verachtet das Schwarzweißdenken, aber sein Weltbild malt er dennoch mit diesen beiden Farben. Er blendet aus, um moralisch unangreifbar bleiben zu können. Das macht ihn merkwürdig unnahbar. Manchmal, in den Diskussionen nach einem Maidan-Protest oder einem Aufstand irgendwo auf der Welt, kommt es einem vor, als würde ein Aufstand nur dann als legitim gelten, wenn es Horden von Juristen sind, Spezialgebiet Verfassungsrecht, die die Revolution ausführen – und nicht das Volk, zu denen Frauen und Männer genauso gehören wie religiös Verbrämte, Nationalisten, Rechte und Gewaltbereite. Was nach Nationalismus riecht, ganz gleich ob in der Ukraine oder in Moldawien, kann nur ein Übel sein, das wissen wir Deutschen doch zu gut.“

Diese Worte enthüllen Botas Problem: sie wirbt um Verständnis für die freiheitlichen Bewegungen in Polen und der Ukraine – auch wenn diese nicht allen Maßstäben allgemeiner (westlicher) Vernunft genügen sollten.

Nichts Vollkommenes ist je vom Himmel gefallen. Alles braucht seine Zeit, alles muss die Chance von Versuch und Irrtum erhalten. Für diese lernende Logik historischer Entwicklungen haben Deutsche keinen Sinn, weshalb sie an dieser Stelle keine Romantiker sind. Sie schlagen alles über ihren eigenen Leisten, ohne zu realisieren, dass sie als einstige Völkerverbrecher von den Nationen der Welt selbst eine zweite Chance erhielten.

Genau dies billigen sie anderen Ländern nicht zu. Wer ihren Maßstäben nicht genügt, wird in kalter Teilnahmslosigkeit bestraft. So Griechenland und alle Länder, die nicht über die gleiche Wirtschaftskraft verfügen wie sie selbst. Merkel lässt jegliche Empathie vermissen, wenn sie den „Verbündeten“ keine Chance lässt, den eigenen Weg zu finden. Alle werden sie unerbittlich am deutschen Heilsweg gemessen und zu leicht befunden.

Verstehen aber heißt nicht absegnen. Was ich verstehe, muss ich nicht genau so empfinden und bewerten wie die „Objekte“ meines Verstehens. Wer Kinder hat, kennt das delikate Problem: wann ist nachsichtiges Verstehen und Tolerieren – und wann ein begründetes und bedingungsloses Nein fällig? In diesem Abwägen lernt niemand aus.

Bota bemängelt die Unnahbarkeit einer allgemein verbindlichen Moral. Wer kennt nicht die beinharten Autoritäten, die andere gnadenlos verurteilen, selbst aber als perfekte Wesen auftreten? Hier kehre jeder vor der eigenen Tür. Und dennoch: hier geht es nur sekundär um psychologische Nebenfolgen. Die Gefahr der Uneinsichtigkeit kann nicht durch demütige Posen eigener Fehlbarkeit behoben werden. Hätte Sokrates, um dem Eindruck der Selbstgerechtigkeit zu entgehen, seinen Richtern eine schleimige Show seiner Fehlbarkeit bieten sollen, um unter Tränen der Bußfertigkeit eine geringere Strafe herauszuschlagen?

Der aufrechte Gang des Unbestechlichen besteht in Treue zur eigenen, selbstkritisch überprüften Wahrhaftigkeit. Auch hier lernt niemand aus. Wo endet die Aufrichtigkeit, wo beginnt die Selbstverblendung?

Man kann sich mit allem immunisieren. Auch mit Nahbarkeit und demonstrativer Sündhaftigkeit. Nichts verblendeter als christliche Demut, die eingesetzt wird, um die eigene Bescheidenheit und Niedrigkeit herauszuputzen.

Postmoderne Leugner der Wahrheit sind unfehlbar im Behaupten ihrer wahrheitslosen Wahrheit. Wer in vorauseilender List mit seinen Fehlern hausieren geht, ist nicht selten der Unfehlbarste, der gar nicht daran denkt, seine eitlen Fehler zu ändern. Nick mit dem Kopf, schlag bußfertig die Augen nieder – und du wirst es weit bringen im Leben als professioneller Heuchler.

Verschiedene Berufe haben unterschiedliche Methoden der Bescheidung und Selbstkritik, um ihre Konkurrenten auszustechen. Der Börsenzocker lässt einen Fluch los auf die Unberechenbarkeit des Glücksspiels – und zieht triumphierend davon. Der Pastor zeigt sich seelenzerknirscht, der mediale Beobachter ignoriert komplett, was er gestern schrieb und erfindet sich täglich neu. Jede Methode ist erlaubt, die vom Berufskollektiv als Bußritual angenommen wurde. Seitdem die christliche Lehre Selbsterniedrigung zum Machtmittel erhob, gibt es kein Verhalten, das nicht in paradoxer Weise zu einer Herrschaftsmethode avancierte. Hier gibt es nichts, was es nicht gibt.

VW denkt nicht daran, selbstkritisch in sich zu gehen und Fehler zu gestehen. Merkel zeigt sich abwechselnd standhaft, entschlossen, entspannt oder ein wenig zerknirscht – was bei Medien hoch im Kurs steht. Zumeist versteckt sie sich hinter Äußerungen guten Willens und arbeitsamer Gesinnung: mit bestem Wissen und Gewissen hätte sie am Wohl des Volkes gearbeitet. Nicht selten wechselt sie vom Ich zum allgemeinen Wir. Wir alle hätten zuerst vor der eigenen Türe zu kehren. Hinter dem Wir kann sie ihr Ich problemlos verschwinden lassen.

„So nachvollziehbar der Wunsch nach unbestreitbarer Eindeutigkeit ist, so traurig ist er am Ende auch. Demnach hätte wohl nur jemand wie Jesus den moralischen Ansprüchen genügt, aber auch nur fast: Er war kein Macho, er war nicht nationalistisch und mit den Amerikanern hatte er auch nichts am Hut. Wäre Jesus bloß nicht so ein verdammter religiöser Fanatiker gewesen.“

Rationale Eindeutigkeit hat einen Wert in sich. Sie muss unabhängig von ihren psychischen Begleiterscheinungen gewichtet werden. Nur eine Moral, die von allen Menschen akzeptiert wird, könnte die Probleme der internationalen Politik lösen. Gäbe es keine allgemein verbindliche Moral, die durch Argumentieren gefunden werden kann, würden sich die Völker ihre unüberbrückbaren Lebensregeln mörderisch um die Ohren schlagen. Wahrheitsloser Relativismus ist der prognostizierbare Tod des Menschengeschlechts. Wo man sich nicht verständigen kann, da muss man sich eliminieren.

Jesus war das Gegenteil eines vernünftigen Universalisten. Wie kann eine menschen- und naturfeindliche Religion, die fast den ganzen Globus beherrscht, unschuldig sein? Bota nutzt den Trick jener, die zuerst „Verschwörungstheorie“ rufen. Schon sind ihre Gegner ohne Argumente widerlegt. Der „Verschwörer“ kann die luzidesten Argumente bringen: sein Gegner weiß a priori, dass alle auf dem Mist der Verschwörung gewachsen sind. Eine geniale Methode, die eigene Unfehlbarkeit mit einem unüberwindbaren Signalbegriff zu verschleiern.

Religionen sollte man wie Philosophien behandeln, jedes Glaubensbekenntnis für sich überprüfen. Wer von vorneherein weiß, was falsch sein muss, ist selbst in die Falle der Unfehlbarkeit getappt.

Jesus war weit entfernt von jeder „unbestreitbaren Eindeutigkeit“. Seine Worte widersprechen sich in allen Grundfragen. Die Bibel ist ein Kompendium der Widersprüche. Aus einem System voller Widersprüche können beliebige Schlussfolgerungen gezogen werden. Ein solches System ist antinomisch, in ihm gilt alles und nichts. Wenn alles erlaubt ist, ist nichts ausgeschlossen. Auch nicht das Grauenhafteste und Entsetzlichste. Die Apokalypse ist das logische Finale eines Glaubenssystems, in dem jenes gesetzlose Gesetz gilt, das Paul Feyerabend auf die Formel brachte: anything goes.

Was hat die allgemeine Vernunft mit dem französischen Laizismus zu tun, der von Deutschen mit Geringschätzung und Verachtung bedacht wird?

Frankreich fühlt sich von aller Welt unverstanden und in seinen Problemen allein gelassen:

„Frankreich erlebt gerade eine kollektive Trauerphase. Von außen ist das nicht zu verstehen. Auch unser Konzept der Laizität stößt auf Unverständnis, weil man unsere Geschichte nicht kennt.“ Sagt Elisabeth Badinter in einem WELT-Interview.

Kaum hatten einige Provinzbeamte das Burkiniverbot erlassen, verkündete Daniel Bax ungerührt das Ende des französischen Laizismus:

„Die Szene vom Strand in Nizza ist ein Sinnbild für das Scheitern des französischen Laizismus.“

Als das oberste französische Gericht das Verbot widerrief – widerrief auch Daniel Bax das Ende des französischen Laizismus?  

 

Fortsetzung folgt.