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Weltdorf IV

Hello, Freunde des Weltdorfs IV,

treffen sich zwei Weltraumschiffe in den Tiefen des Universums:

Aliens: Fremdlinge, woher des Weges? Was ist euer Begehr?

Menschen (zu sich): gottlob, endlich lebende Wesen. (Zu den Aliens🙂 Wir dachten schon, wir sind mutterseelenallein im All. Wohin wir wollen? Ach, wenn wir das nur wüssten!

Aliens: Unterwegs sein ist alles, das Ziel ist nichts, wie eure Vordenker sagen?

Menschen: Schön wär‘s! Um ehrlich zu sein: wir fliehen, unser Planet ist bedroht.

Aliens: Klingt gefährlich, sagt an, was geschehen ist, vielleicht können wir von euch lernen. Sind eure Supervulkane ausgebrochen? Bedrohten euch Meteoriten aus dem Weltall? Ist eure Sonne explodiert?

Menschen: Nichts von alledem. Wir Menschen sind es selbst, die ihre Erde ruinieren. Nur wir hier, die ihr seht, waren die einzig Vernünftigen und konnten noch rechtzeitig das Weite suchen.

Aliens: So etwas haben wir noch nie gehört – dabei sind wir schon leidlich herumgekommen in der Milchstraße. Habt ihr Menschen denn keine Vernunft als Geschenk der Natur erhalten? Wie können vernünftige Wesen die Grundlagen ihres Lebens vernichten?

Menschen: Eine berechtigte Frage, nur leider wurde sie von unserer Gattung nie ernsthaft gestellt, geschweige beantwortet.

Aliens: Auch jetzt habt ihr unsere Frage nicht beantwortet.

Menschen: Pardon, wir haben uns daran gewöhnt, Fragen zu stellen, aber keine Antworten zu geben. Wer Antworten hat, macht sich bei uns verdächtig. Unsere

besten Denker fragen Löcher in den Bauch ihrer Mitmenschen und des Universums. Doch wer behauptet, zu wissen, wo‘s lang geht, gilt bei uns als Populist, als falscher Freund des Volkes oder als Scharlatan, der mehr verspricht als er halten kann.

Aliens: Habt ihr denn keine Weisen und Wissenden, die euch erklären können, dass man nicht überleben kann, wenn man die Voraussetzungen des Lebens zerstört?

Menschen: wir haben viel zu viel weise Schwätzer und Rechthaber, die sich an den Menschen die Zähne ausgebissen haben. Nein, leider müssen wir zugeben: der Mensch – Ausnahmen bestätigen die Regel – ist ein unverbesserlich schlechtes und lernunfähiges Wesen. Wir nennen es: Erbsünde oder das radikale Böse. Gottseidank haben wir Besseres als wohlfeile Moralisten: wir haben Erlöser, die unsre Unfähigkeit von Grund auf heilen und uns ewige Seligkeit versprechen. In einem göttlichen Reich, das noch niemand gesehen hat, weshalb wir fest daran glauben.

Aliens: Haltet ein; dann sind eure Erlöser ja selbst Scharlatane, die ihr eben Populisten nanntet.

(Plötzlich hört man ein scharfes Kommando des Alien-Chefs an seine Leute): Fahrt eure Laserkanonen aus. Diese Fremdlinge sind bösartig und glauben an nichtexistente Zauberer, die ihnen das Blaue vom Himmel versprechen. Diesen scheint es bis heute nicht gelungen zu sein, ihre Gläubigen im Kleinsten zu kurieren. Auch uns und das ganze Universum werden sie vernichten, wenn wir ihnen nicht Einhalt gebieten. Atomisiert sie, Feuer frei!

(Das war das unwiderrufliche Ende einer Gattung, die sich den stolzen Namen gegeben hatte: homo sapiens, vernünftiger Mensch, Freund des Kosmos. Lang schallte es im Weltall noch: die weisen Aliens, sie leben hoch! Mit einem Seufzer der Erleichterung schredderte Mutter Evolution die Akte Mensch und murmelte vor sich hin: na ja, ein Experiment war‘s wert. Schwester Natur wird ihre Schlüsse ziehen, des bin ich gewiss.)

Wieder eine Weltkonferenz, wieder ohne verbindliche Beschlüsse. Außer messianischen Formeln, Beleidigungen und Zänkereien auf pubertärem Niveau war nichts gewesen. Erneut standen die Mächtigen im Mittelpunkt der Welt. Selbst die öffentlich-rechtlichen Kanäle in Deutschland hatten sich herabgelassen und waren aus dem Sommerurlaub zurückgekehrt, um die Erregungswellen des Weltgeistes an die Niederungen der Gesellschaft weiterzuleiten.

Politik, die Standardinszenierung einer müden und trostlosen Welt. Einer müden Welt? Nein, einer saft- und kraftlosen EINPROZENT-Elite, deren Schwundintelligenz keinem aufgeweckten Kind zu vermitteln ist.

Längst haben die Völker ihre Privilegierten übertroffen. Noch trauen sie sich nicht, ihre Mächtigen aus dem Verkehr zu ziehen. Das Maß ihres Hasses gegen die Gewaltigen lässt die Umrisse ihrer Vision eines Andersseinkönnens erahnen. Wenn fremdgeleiteter Hass in autonome Erkenntnis umschlagen wird, werden mündige Menschen ihr irdisches Schicksal in die eigenen Hände nehmen – und nicht mehr verstehen, warum sie so lange zugeschaut haben.

Nun kehren sie zurück in ihre Länder, doch ihre Misere is going on. Keine gründlichen Bestandsaufnahmen, kein Auflisten der Weltprobleme, um sie gemeinsam zu besprechen und abzuarbeiten, keine allgemeine Aufbruchs- und Entscheidungsstimmung. Der Weltgeist ist auf unveränderliche Notverwaltung des Elends eingerichtet. Alle haben sie mit der Rettung ihrer nationalen und der Erweiterung ihrer internationalen Macht zu tun.

Übers Jahr, wenn die Kornblumen blühen, wird Europa von Lissabon bis Moskau nationalistisch eingemauert, fremdenfeindlich und demokratie-abschüssig sein.

Trump liegt vor Clinton, Hollande hat fast keine Chancen mehr, in Österreich wird ein Rechter Bundespräsident, die nordischen Staaten verlassen ihre Weltoffenheit, in Brasilien hat sich eine weiße Männerhorde an die Macht zurückgeputscht, nur mutige Indianer mit Lendenschurz und Laptops versuchen, ihren Urwald zu retten, Erdogan und Putin triumphieren und führen Europa am Nasenring, die Visegrád-Staaten ruinieren systematisch ihre Demokratien, Spanien ist zum Modus der Dauerwahl übergegangen, Tsipras verliert massiv an Zustimmung, Englands snobistische Eliten wollen ihre alte Weltgeltung zurück, Afrika flieht in die Welt, nur noch mutige Frauen wollen den Kontinent retten, China weiß nicht, wohin es will, Australien schottet sich ab und sperrt Flüchtlinge auf Gefängnisinseln ein, die Kinder der Welt schreien um Hilfe, ihre Mütter können ihnen nicht mehr helfen, nein, die Kinder schreien nicht mehr, sie sind verstummt vor Angst, die Männer sind besessen von Mammon, Macht und Maschinen, Hitzewellen werden immer sengender, das Wasser wird knapp, das EINPROZENT übernimmt den Reichtum der Welt und hat sich die sichersten und paradiesischsten Flecken der Erde unter den Nagel gerissen.

Die Weltprobleme gelten als nicht lösbar. Nur noch Roboter, tote Geschöpfe der Menschen, sollen ihre Erfinder an Intelligenz und Moral übertreffen. Was sie selbst nicht können, das wollen sie ihren Golems einhauchen.

Politische Utopien sind verpönt, aber algorithmische Träume, die den Himmel auf Erden holen, sind Faszinosum der Eliten und Tremendum der Abgehängten.

Die Menschheit wächst und wächst, Arbeitsplätze werden gesucht, also werden sie vernichtet. Maschinen ersetzen Menschen, woraus folgt: Arbeitslose müssen bestraft werden. Die reichen Nationen sind gesättigt, ihre Bedürfnisse gestillt, woraus folgt: Bedürfnisse müssen laufend neu erfunden werden.  

Amerikanische Apokalypsepolitik beherrscht den Globus, eine deutsche Pastorentochter, die keine Politikerin sein will, sondern eine tröstende Madonna, folgt errötend ihren Spuren. Heilsgeschichte wird zum Unheil der Gattung, woraus folgt: die auf den Herrn hoffen, kriegen neue Kraft, die Mehrheiten gehen verschütt. Es ist gerecht Sein Wille. Finis theatrum mundi.

Alles trostlos, alles hoffnungslos?  

Im Gegenteil, alles kein Grund, den religiös verseuchten Kopf hängenzulassen. Es geht zu Ende die Epoche der entmündigenden Religion. Turbulenzen werden kommen, Dinge sich polarisieren. Was jahrhundertelang unter der Decke lag, wird nach oben geschleudert, um erkannt – und entsorgt zu werden.

Wer jetzt pessimistisch in die Röhre guckt und seine Ängste anbetet, will den finalen Faschismus. In Deutschland musste das Abendland in brandigen Lettern untergehen, damit die Brandstifter sich ans Zündeln machen konnten. Seit drei Jahrhunderten leiden die Deutschen an postreligiösen Entzugserscheinungen. Bis heute haben sie nicht verwunden, dass ihr Gott sich aus dem Staub gemacht hat. Ihre neue Freiheit empfinden sie wie eine Judas-Schuld, als hätten sie Gott & Sohn persönlich ermordet. Auf ihnen liegt der Fluch der Gottesmörder, gegen den sie sich nicht anders zu wehren wissen als durch starres und furchtsames Festhalten an „abendländischen Werten“.

Zuerst die Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab:

„Jetzo sank eine hohe edle Gestalt mit einem unvergänglichen Schmerz aus der Höhe auf den Altar hernieder, und alle Toten riefen: »Christus! ist kein Gott?« Er antwortete: »Es ist keiner.« Der ganze Schatten jedes Toten erbebte, nicht bloß die Brust allein, und einer um den andern wurde durch das Zittern zertrennt. Christus fuhr fort: »Ich ging durch die Welten, ich stieg in die Sonnen und flog mit den Milchstraßen durch die Wüsten des Himmels; aber es ist kein Gott. Ich stieg herab, soweit das Sein seine Schatten wirft, und schauete in den Abgrund und rief: ›Vater, wo bist du?‹ aber ich hörte nur den ewigen Sturm, den niemand regiert, und der schimmernde Regenbogen aus Wesen stand ohne eine Sonne, die ihn schuf, über dem Abgrunde und tropfte hinunter. Und als ich aufblickte zur unermeßlichen Welt nach dem göttlichen Auge, starrte sie mich mit einer leeren bodenlosen Augenhöhle an; und die Ewigkeit lag auf dem Chaos und zernagte es und wiederkäuete sich. – Schreiet fort, Mißtöne, zerschreiet die Schatten; denn Er ist nicht!«

Danach die Botschaft: Gott ist tot:

Der tolle Mensch. – Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: „ich suche Gott! Ich suche Gott!“ – Da dort gerade Viele von Denen zusammen standen, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein grosses Gelächter. Ist er denn verloren gegangen? sagte der Eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der Andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? – so schrieen und lachten sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. „Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, – ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir diess gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden? Hören wir noch Nichts von dem Lärm der Todtengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch Nichts von der göttlichen Verwesung?“

Am Tode Gottes leiden sie noch heute, die neugermanischen Exportweltmeister, die alle Welt mit ihren technischen Ausscheidungen wie eine Sintflut unter sich begraben. Sie wollen nicht das beschämende Schauspiel bieten, als verlorene Söhne zum Vater zurückzukriechen. Also benötigen sie eine stille Mutter, die im Dorf das Kirchlein hütet und vor dem Vater für alle bittet. Die deutschen Ängste, mit denen sie pfauenhaft paradieren, sind noch immer die Ängste, sie könnten als Hordensöhne den Vater erschlagen haben – und Vater könnte sich eines Tages fürchterlich rächen.

„Was ich erzähle, ist die Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte. Ich beschreibe, was kommt, was nicht mehr anders kommen kann: die Heraufkunft des Nihilismus. Diese Geschichte kann jetzt schon erzählt werden: denn die Nothwendigkeit selbst ist hier am Werke. Diese Zukunft redet schon in hundert Zeichen, dieses Schicksal kündigt überall sich an; für diese Musik der Zukunft sind alle Ohren bereits gespitzt. Unsre ganze europäische Cultur bewegt sich seit langem schon mit einer Tortur der Spannung, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wächst, wie auf eine Katastrophe los: unruhig, gewaltsam, überstürzt: einem Strom ähnlich, der an’s Ende will, der sich nicht mehr besinnt, der Furcht davor hat, sich zu besinnen.“

Schon im Mittelalter war das Wort „nichilianista“ gebildet worden: der, der an nichts glaubt, der Ketzer.

Der deutsche Nihilismus war Türöffner des deutschen Verhängnisses. Als die Vatermörder die Schnauze voll hatten vom Jammern und Kopf hängen lassen, zeigten sie der Welt, wo deutsche Kraftlackel den Hammer holen. War Nihilismus Ehrlichkeit vor dem Sein als solchem, musste die Ehrlichkeit des unterdrückten Raubtiers oder des priesterlichen Welteroberers folgen.

„Der Nihilist sieht sich gerade deshalb als den einzig Gläubigen, weil er die Zerstörung in ihrem ganzen Umfang wahrzunehmen wagt. Weil er weiß, dass man ihr nicht ausweichen kann, sondern mitten durch sie hindurch muss. Und vor allem: weil er bereits jenseits der Wüste neues fruchtbares Land ahnt oder gar weiß.“ Das ist der Nihilismus mit dem Doppelgesicht, Nietzsche spricht von einer Gegenbewegung:

„… eine Bewegung, welche in irgendeiner Zukunft jenen vollkommenen Nihilismus ablösen wird; welche ihn aber voraussetzt, … welche schlechterdings nur auf ihn und aus ihm kommen kann Wir haben irgendwann neue Werte nötig.“

Hier irrte der Pastorensohn. Die neuen Werte waren die uralten des christlichen Dschihad. Der Führer als Priester mit dem Schwert des Herrn ruft – und alle seine Schafe verwandeln sich in Furien. In seinem Buch „Die konservative Revolution in Deutschland“ beschreibt Armin Mohler den abendländischen Nihilismus, der nicht nur das Land der Mitte betraf:

„Der „westeuropäische“ Nihilismus ist Ausdruck eines Überdrusses, wie er sich am verfeinerten und durchsichtig gewordenen Ende einer Kultur ergeben mag, wo alles schon einmal durchlebt, durchfühlt und durchdacht worden ist. Die französischen Modephilosophen des Ekels und des Absurden sind nur das sichtbarste Erkennungszeichen dieser Urenkel Rousseaus, welche, des allzu vielen Vorgeformten müde, in ihren aller Möbel entleerten Salons neue Eindeutigkeit suchen. Geschwüre, die ein noch einigermaßen dichtes Bürgertum mühelos an der Oberfläche ausscheidet. Der „russische“ Nihilismus dagegen ist kein Erzeugnis der Müdigkeit und der Erschöpfung. Er ist ein Nihilismus der Fülle. Die „deutsche“ Form des Nihilismus steht mitten drin zwischen der „französischen“ und der „russischen“. Auch in ihr enthüllt sich das Doppelgesicht alles Deutschen. Für den Franzosen ist der Deutsche im Grunde immer noch der Barbar, der mit dem Steinbeil durch die Wälder streift. Dem Russen Oblomow tritt sein deutscher Gegenspieler Stoltz als Vertreter eines zivilisatorisch erstarrten Westens gegenüber.“

Ernst Jünger analysiert die Folgerungen des doppelgesichtigen deutschen Nihilismus: „Die Beschäftigung des Deutschen zu dieser Zeit ist die, von allen Ecken der Welt Material herbeizuschleppen, um den Brand zu nähren, den er unter seinen Begriffen gestiftet hat. So ist es denn kein Wunder, dass alles, was brennbar ist, in vollen Flammen steht. Nihilismus ist der Aufstand, der des Sprengstoffs bedarf, damit der Lebensraum leergefegt werde für eine neue Hierarchie. Unsere Hoffnung ruht in den jungen Leuten, die an Temperaturerhöhung leiden, weil in ihnen der grüne Eiter des Ekels frisst.“

Schließlich schlägt nihilistische Zerstörung in Schöpfung um. Zerstörung und Schöpfung werden identisch. Das könnte eine Definition des Faschismus sein. Der rasende Ablauf, in den sich die Neuzeit gestürzt hat, kann nach Meinung des Nihilisten nicht durch Ausweichen oder Bremsen überwunden werden, sondern nur durch seine Steigerung und Übersteigerung – die Übersteigerung eben, die zum Umschlag führt. Das ist der Sinn der „Konservativen Revolution“, der im Durchgang durch die Zerstörung zum gläubig bejahenden Typus des Nihilisten wird, den wir den „deutschen“ nennen. An dieser Stelle begann die SA, die Straße zu beherrschen.

Allmählich werden die deutschen Meinungsgurus ratlos. Manche haben den Kampf aufgegeben, bevor er begann. Ratlosigkeit wird zum Zorn, weil die schönen Tage des unangestrengten Wohlstandsverwahrens vorüber sind.

Die, die schreibend um den Markplatz herumsaßen und launisch bestimmten, wer ihn betreten durfte (mache sprachen vom Fahrstuhl, bei dem sie entschieden, wer nach oben oder unten fuhr), werden nervös, weil unberufener Pöbel sich durch ihre Absperrungen nach vorne drängt. Der Ratlosigkeit folgt die Lähmung, danach lauert bereits die germanische Berserkerwut.

„Der Deutsche, je knechtischer auf der einen Seite, desto zügelloser ist er auf der anderen; Beschränktheit und Maßloses, Originalität, ist der Satansengel, der uns mit Fäusten schlägt.“ (Hegel)

Kommen Krisen, werden Gespenster der Vergangenheit aufgeschreckt. Das Unbearbeitete verschafft sich Geltung im Tagesgeschehen. Das kollektive Über-Ich wird geschleift und wechselt zum Es, das Ich irrt in der neuen Wüste umher und sieht nur noch schwarz.

Es geht nicht um Merkel, es geht nicht um die AfD, es geht nicht um läppische Koalitionen. Die Stereotypie eines deutschen TV-Wahlabends ist kaum erträglich. Merkels Wahlkampf-Veranstaltungen mit ausgewählten Personen, ihre Audienzen mit gönnerhaften Einmalwegwerf-Fragen, ihre öffentlichen Debatten mit peinlich festgelegter Frage- und Antwortchoreographie sind erbarmenswürdige demokratische Verfallsformen.

Worum geht es? Um uns. Wir sind Merkel, wir haben sie erfunden, wir benötigen sie wie Sterbende die letzte Ölung. Warum gibt es keine Alternative zu Merkel? Weil die Männereliten wie Scheinleichen agieren. Es ist sogar das Verdienst der Kanzlerin, dass sie die Beinhäuser der Männermacht in listiger Demut entlarvte. Wir sollten ihr dankbar sein, bevor wir sie ins Pommer‘sche Sibirien zurückschicken.

Und doch: mit bloßer Auswechslung der „Charaktermasken“ ist nichts getan. Warum malochen die Deutschen immer mehr? Massenhaft Überstunden, mittlerweile auch an den Wochenenden? Weil sie dankbar sind, nicht über sich nachdenken zu müssen. Die Flucht vor der Freiheit ist das Betäuben des Kopfes mit sprechenden Kühlschränken, selbststeuernden Autos und sonstigem Schrott, die von den Medien wie Fetische des Fortschritts hochgejubelt werden.

Deutschland, das wirtschaftlich stärkste Land in Europa, ist isoliert. In fast allen wichtigen Politfragen. Von der Schwarzen Null bis zum samaritanischen Sololauf. Vergesst Merkel: wir wollen unsere wiedergewonnene Unvergleichlichkeit feiern, wir wollen unsere Tüchtigkeit von aller Welt bestaunen lassen, wir wollen unsere gewohnte Heilandsrolle in spielen. Man höre das heutige Nullsprech der Kanzlerin, das von der Öffentlichkeit wieder tonlos durchgewinkt werden wird:

»Deutschland wird Deutschland bleiben – mit allem was uns daran lieb und teuer ist.« Auch das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei verteidigte Merkel. Die Vereinbarung sei »in beiderseitigem Interesse«, sagte die Kanzlerin. »Es ist, seitdem wir dieses Abkommen haben, so gut wie niemand mehr in der Ägäis ertrunken.«“ (SPIEGEL.de)

So wird gelogen mit schweigendem Beifall von uns allen. Dass längst woanders ertrunken wird, weil bestimmte Küstenabschnitte abgeriegelt wurden – wen wundert‘s?

Merkel wollte die riesigen Flüchtlingslager in Nordafrika unterstützen. Was waren die letzten Meldungen über die Lager? Dass dort entsetzliche Zustände herrschen.

Merkel wollte jene Länder unterstützen, in denen die Menschen besonders darben – damit sie sich nicht auf den Wag nach Europa machen. Was waren die letzten Meldungen? Dass die Gelder der EU in den Rachen der dortigen Despoten wandern.

50 Millionen Kinder sind weltweit auf der Flucht. Hat Merkel die Situation der Kinder auf dem G-20-Gipfel ein einziges Mal angesprochen?

ABER: da wir sie in all diesen Punkten nicht zur Rechenschaft ziehen, da wir zuschauen, wie gefolgsame Medien sie mit scheinkritischem Bohei unterstützen, fallen alle Folgen auf uns. Wenn alle Gewalt vom Volke ausgeht, haben wir noch nicht verstanden, was Demokratie ist, wenn wir gelangweiltes Publikum mimen, das nach der Vorstellung ungeschoren nach Hause gelangen könnte.

Was noch nie da gewesen ist: selbst die UNO betrachtet das hässlicher werdende Europa mit wachsender Sorge und Kritik, schreibt Dominic Johnson in der TAZ:

„Manchmal hilft der schonungslose Blick von außen. Ausgerechnet ein Jordanier hält Europa den Spiegel vor – und liest dem Rechtspopulismus die Leviten. Der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Seid Ra’ad al-Hussein, sieht Parallelen zwischen europäischen Populisten und dem „Islamischen Staat“; er warnt vor „Lügen und Halbwahrheiten, Manipulationen und Angstmache“ und prophezeit: „Die Stimmung wird düster mit Hass.“

In einer intakten Polis schickt man alle gewählten und ungewählten Eliten, die eigensinnig das Ihre suchen, zum Teufel. Tun wir es nicht, verdienen wir, was uns jene tagtäglich brennend heiß servieren.

Was sollen Aliens über uns denken, wenn sie eines Tages unseren toten Planeten entdecken? Post mortem noch müssten wir uns zu Tode schämen.

 

Fortsetzung folgt.