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Weltdorf III

Hello, Freunde des Weltdorfs III,

„Wir haben die Macht, diese Zukunft zu ändern. Genau hier. Genau jetzt“, sagte Obama – vor einem Jahr in Paris.

„Der Moment, in dem wir uns entschlossen, unseren Planeten zu retten“, sagte Obama – in diesem Jahr in Peking.

„Die Vereinigten Staaten erkennen nicht nur ihre Rolle beim Entstehen dieses Problems an, wir stellen uns auch unserer Verantwortung, etwas dagegen zu tun.“ (SPIEGEL.de)

Yes, he can. Ab jetzt wird die Welt gerettet. Was taten die Politiker, bevor sie die Welt retteten? Sie legten sie in Trümmer. Wie stellten sie sich der Verantwortung, etwas dagegen zu tun? Indem sie die Welt verrotten ließen. MANN kann die Welt nur retten, wenn MANN sie zuvor rettungs-bedürftig zusammengeschlagen hat. Erst Tod, dann Überwindung des Todes, hierauf die Auferstehung.

Noch befinden wir uns im Stadium des Tötens. Die Erde funktioniert noch zu gut, als dass unsere Rettungsinstinkte Alarm riefen. Alles sieht so aufreizend normal aus. Je mehr wir totschlagen, je widerstandsfähiger erscheint uns alles.

„Das Drüben kann mich wenig kümmern;
Schlägst du erst diese Welt zu Trümmern.

Weh! weh!
Du hast sie zerstört
Die schöne Welt,
Mit mächtiger Faust;
Sie stürzt, sie zerfällt!
Ein Halbgott hat sie zerschlagen!
Wir tragen
Die Trümmern ins Nichts hinüber,
Und klagen
Über die verlorne Schöne.
Mächtiger
Der Erdensöhne,
Prächtiger
Baue sie wieder,
In deinem Busen baue sie auf!

Neuen Lebenslauf
Beginne, mit hellem Sinne.“

Degoutant, wie störrisch die klebrige Natur weiterlebt, obgleich der gottgleiche Mensch Hölle und Teufel in Bewegung setzt, um sie klein zu kriegen:

Was sich dem Nichts entgegenstellt,
Das Etwas, diese plumpe Welt
So viel als ich schon unternommen
Ich wußte nicht ihr beizukommen
Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand –
Geruhig bleibt am Ende Meer und Land!
Und dem verdammten Zeug, der Tier- und Menschenbrut,
Dem ist nun gar nichts anzuhaben:
Wie viele hab ich schon begraben!
Und immer zirkuliert ein neues, frisches Blut.
So geht es fort, man möchte rasend werden!
Der Luft, dem Wasser wie der Erden
Entwinden tausend Keime sich,
Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten!“

Die Menschheit müht sich redlich, die Erde in CO2 aufzulösen. Auch die G-20-Konferenz endet praktisch im Nichts. In den erwählten Ländern geht das Leben seinen Gang, als gäbe es weder Kriege, Hungersnot noch Hitzewellen. Das Elend findet in weit entfernten Ländern statt.

Deutschland ist eine Insel der Seligen. Die wenigen Flüchtlinge, die uns die Trostlosigkeit der Welt veranschaulichten, sind längst absorbiert. Die nachdrängenden Massen haben keine Chancen mehr. Europa hat sich eingemauert und die Misere per Frontex ausgeschlossen.

Das Jahr 2015 darf sich nicht wiederholen – sagte eine deutsche Politikerin, die einst alle Menschen der Welt retten wollte. Und sollten wir es nicht schaffen, die Welt zu retten, ist das nicht mehr mein Land. Sprachs und flüchtete nach Asien, weil ihre Untertanen die Welt partout nicht retten wollen. Seit mehreren Tagen ist sie im Binnenland nicht mehr gesehen worden. Selbst ihre engere Heimat soll sie abgewählt haben – obgleich ihre Taten ihre Worte längst widerlegen.

Soll sie überhaupt noch zurückkehren? Die undankbaren Deutschen haben sie nicht verdient. Und dennoch, solange sie ihre Parole „keine Obergrenzen“ nicht widerruft, sehen die Deutschen keinen Wortbruch – obgleich Merkel längst alle Grenzen dicht machen ließ. Nicht Tatsachen entscheiden, sondern leere Begriffe, die alles und nichts bedeuten. Hohl-Sprech ersetzt die Realität:

Angela Merkel dagegen hat in den vergangenen Wochen deutlich gemacht, dass sie ihre umstrittenen Entscheidungen noch immer für richtig hält und gar nicht daran denkt, ein Wort wie „Obergrenze“ in den Mund zu nehmen.“ (SPIEGEL.de)

Das ist der heilige Rhythmus der Moderne: zerstören, um zu erretten. Töten, um aufzuerstehen. Durch Kreuz zur Krone – oder furchtbare Zerstörung, die fruchtbar werden soll. Alles muss raus, das Alte muss verschwinden, damit das Neue Platz hat. Welt ging verloren, Obama ward geboren. Himmel und Erde werden vergehen, Angelas Worte werden nicht vergehen.

Worte überleben den Tod der Dinge. Dinge und Tatsachen sind unwichtig geworden. Die willkürliche Besetzung der Begriffe entscheidet über Sein oder Nichtsein.

Die Sprachphilosophie ersetzt alle Empirie, besonders in jenen pragmatischen Ländern, die einst das Empirische erfanden. Das Empirische wird zum Begriff, welcher freiflottierend das Ding ersetzt. Wenn Wörter nicht mehr die Realität wiedergeben, werden sie zu Instrumenten der Macht. Logos, griechische Vernunft, wurde bei den Christen zum Logos, dem Wort, das nach Belieben ins Fleisch fährt und es wieder verlässt. Das Fleisch vergeht, das Wort aber bleibet ewiglich.

Realitätsleere Begriffe und Worte dominieren die Moderne. Wer sie beherrscht, hat Macht über die Welt. Der Pressesprecher definiert „Distanzierung“, wie seine Herrin ihm aufträgt. Nicht zufällig kommt Orwell, Schöpfer des propagandistischen Neusprechs, aus dem Land der mächtigen Sprachphilosophie:

„Spätestens seit Regierungssprecher Steffen Seibert vergangenen Freitag seine Distanzierung vom Armenien-Beschluss des Bundestags („rechtlich nicht verbindlich“) mit der Feststellung verband, von einer Distanzierung könne keine Rede sein, ist klar, dass auch im Merkel-Kabinett die Orwellsche Kunst des Neusprechs gepflegt wird. Merke: Nach Seibert ist eine Distanzierung keine Distanzierung, wenn sie nur in der Türkei, nicht aber in Deutschland als solche verstanden werden soll.“

Propaganda ist die Kunst, die Massen zu lenken, ohne dass sie der Lenkung gewahr werden. In der griechischen Demokratie war das Wort, das präzis und unlösbar mit der Realität verknüpft war, das Zentrum alles Geschehens. Lösen sich die Worte von der Wirklichkeit, um diese nach Belieben umzutaufen, wird Sprache zur Propaganda.

Während das naive Volk noch dem verlässlichen Worte glaubt, haben Eliten die Worte längst zu schillernden Etiketten entleert – mit denen sie Volk an der Nase herumführen. Das Wort, sie sollen lassen stahn, weil es die Wahrheit Gottes transportiert: eben dies wird vom Teufel verhöhnt.

„Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte läßt sich trefflich glauben,
Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.“

Noch immer wird das heilige Wort verehrt, obgleich endlose Deutungen das unfehlbare Wort ad absurdum führen. Offiziell hängen die Frommen noch immer am Wort. In Wirklichkeit verehren sie längst einen Popanz, den sie mit Willkürdeutungen ständig umdrapieren – wie der neueste Zeitgeist es gerade will.

So wurde Sprache, die die Wirklichkeit akkurat benennen sollte, zu einem unbrauchbaren Zweck der Verständigung. Sprache wurde alles- und nichtsbedeutendes Einseifmittel für den dummen Pöbel, um ihn mit List und Tücke des Weges der Eliten zu führen. Aus der Herrschaft des Volkes wird eine Herrschaft des propagandistischen Wortes, das das Volk nach Belieben manipuliert.

Die Entwertung der Demokratie begann mit der Aushöhlung der Sprache zu einer überaus geschmeidigen Lenkmethode hinterlistiger Eliten. Altsprech konnte beliebig verändert und gelöscht werden, um ein lügenhaftes Neusprech an seine Stelle zu setzen. Während das simple Volk sich noch an eindeutigen Begriffen festklammert, haben seine Mächtigen die Methode verlässlichen Streits und der Verständigung in eine Kunst der Volksbenebelung verwandelt.

„Das große Problem in unserer modernen Demokratie besteht darin, unsere Politiker zum Führen zu bewegen. Durch das Dogma, dass die Stimme des Volkes die Stimme Gottes sei, neigen unsere gewählten Volksvertreter dazu, sich wie willenlose Diener ihrer Wählerschaft zu benehmen – zweifellos eine der Ursachen der viel beklagten politischen Sterilität des amerikanischen Systems. Kein ernsthafter Sozialwissenschaftler glaubt noch, dass des Volkes Stimme von besonderer Göttlichkeit oder erhabener Weisheit beflügelt sei. Vielmehr ist sie Ausdruck des Volksempfindens, welches wiederum von Anführern gesteuert ist, an die die Menschen glauben, sowie von denjenigen, deren Geschäft die Manipulation der öffentlichen Meinung ist. Die Volksmeinung setzt sich zusammen aus überlieferten Vorurteilen, Symbolen und Klischees und den griffigen Sprüchen, die die Anführer dafür gefunden haben. Ein seriöser und talentierter Politiker ist dank des Instrumentariums der Propaganda glücklicherweise in der Lage, den Volkswillen zu formen und zu kanalisieren. Etwas zynisch drückte der ehemalige Premierminister Benjamin Israeli das Dilemma aus: „Ich muss den Menschen folgen. Bin ich denn nicht ihr Führer?“ Unsere Demokratie muss von einer intelligenten Minderheit geführt werden, die weiß wie man die Massen leitet und lenkt. Nennen Sie es „Regieren durch Bilden und Erziehen“, wenn Ihnen das besser gefällt. Aber Bildung im akademischen Sinne greift zu kurz. Es muss sich um fachmännische Propaganda handeln, die Umstände steuert, bedeutsame Ereignisse und wichtige Fragen anschaulich herausstellt. So wird der Staatsmann der Zukunft in die Lage versetzt, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf entscheidende politische Fragestellungen zu lenken sowie eine gigantische, heterogene Masse von Wählern zu folgerichtigen Handlungen zu bewegen.“ (Edward Bernays, Propaganda)

Mit Einführung der wissenschaftlichen Propaganda in den frühen Dekaden des letzten Jahrhunderts wurde aus der Demokratie eine Elitokratie – Griechen sprachen von Oligarchie oder Plutokratie: die Herrschaft der Wenigen oder der Reichen. Damit war die Uridee der Demokratie bis ins Mark verunstaltet.

Hinter den – absichtlich nicht geräumten – Fassaden der traditionellen Volksherrschaft entstand die Herrschaft der EINPROZENT, die heute als EINPROZENT der gesamten Menschheit den Globus regiert. Als Fukuyama ironischerweise das Ende der Geschichte ausrief (da fast alle Nationen zur Demokratie gefunden hätten), war hinter den utopisch scheinenden Kulissen das Regime der globalen EINPROZENT bereits perfekt.

Den intellektuellen Propagandaknechten der Eliten war es gelungen, den demos der Demokratie zum ochlos einer Ochlokratie, einer Pöbelherrschaft, zu desavouieren. Die griechische Demokratie war ins Gegenteil verkehrt worden. Mit Hilfe der Propaganda und einer religiösen Heilsideologie werden die Völker geführt, wohin sie nicht wollen.

„Aufstieg zur Elite, Freiheit im Konsumieren, unvermeidlicher Fortschritt und grenzenloses Wirtschaftswachsen“ gehören zu den Verwirrungsbegriffen der Eliten, mit denen sie die Völker im Griff haben. Der Kampf der Parteien ist ein Nebenschauplatz mit Nebelwerfereffekt: der wahre Kampf in Elitokratien wird zwischen Führerklassen und dem Pöbel geführt.

Wenn das Volk – aus der Perspektive der Oberen – wieder einmal falsch gewählt hat, wird es von den Medien, den Ohrenbläsern der Mächtigen, gnadenlos versenkt. Nicht die Fehler der Eliten haben das Volk zur Wahl einer Außenseiteralternative animiert, sondern dessen geballte Irrationalitäten. Im Fall der gestrigen Wahl: alle Ängste, die sich die Deutschen als deutsche Ängste haben patentieren lassen. Abstiegsängste, Fortschrittsängste, Ängste vor Fremden, vor Risiken, vor der Inflation, vor dem unzuverlässigen Euro, vor Herausforderungen der Zukunft, Angst, ausgebeutet zu werden von faulen Nachbarn und Unterschichtlern, Angst vor Russland, vor tüchtigen Japanern, der gelben Gefahr, der Klimakatastrophe, der Apokalypse.

Ein Deutscher, der auf sich hält, ist ein Kompendium aller Ängste dieser Welt. Wovor haben sie Angst? Vor allem vor sich selbst: dass sie mit verantwortlich für den Zustand der Welt sein könnten. Ihre theoretische Streberphase ist vorbei. Lasset nun endlich Taten sehen.

Bei den Alten war Sprache das Medium der Wahrheit. Sokrates bekämpfte die Sophisten, die begonnen hatten, Worte und Wahrheiten zu beliebigen politischen Zwecken einzusetzen. Man könnte sie die antiken Erfinder der Propaganda nennen. Doch ihr zersetzender Einfluss war beschränkt. Der Verfall der athenischen Demokratie verlief parallel zum Verfall der Sprache als Medium der Wahrheit. Demokratie ohne Streit- und Verständigungsmethoden, die in der Wahrheit verankert sind, ist keine Demokratie.

Das Volk als Summe aller Einzelnen weiß im Grunde, was wahr und gut ist. Nur schlimme Erfahrungen und daraus folgende Irrungen und Wirrungen verfinstern das naturgegebene Wahre und Gute. Menschenfreunde wie Sokrates bemühen sich, den Wust der Irrungen aufzudecken, um das ursprüngliche Gute freizulegen.

In der modernen Scheindemokratie gibt es kein Volk mit naturgegebenem Gutem, das mit Verstehen und logischer Überprüfung ans Licht gebracht werden kann – damit das Gute des Einzelnen zum kollektiven Guten der Polis weiter entwickelt wird. Bei Bernays und den medialen Volkshassern der Gegenwart ist der ochlos eine räudige Masse mit Vorurteilen, Symbolen und Klischees, die von den propagandistischen Künsten der Oberen zu ihren Zwecken beliebig getauft werden können.

Als Populisten gelten alle Politiker, die dem Mainstream der GaGroKo (der ganz großen Koalition aller Parteien) eine alternative Position gegenüberstellen. Der Hass der etablierten Parteien richtet sich primär nicht gegen irrationale oder extremistische Inhalte, sondern gegen die Unverschämtheit, überhaupt alternativ sein zu wollen. Nicht nur die Kanzlerin will alternativlos sein, sondern alle Parteien, die sich den Markt der Meinungen untereinander verteilt haben.

Während die etablierten Parteien glauben, sich auf ihre Klientel verlassen zu können, müssen die neuen Herausforderer sich die Arbeit machen, die dunklen Abgründe der unvernünftigen Horden zu erraten, um ihnen die Befriedigung ihrer geheimen Bedürfnisse in Aussicht zu stellen. Für die Etablierten ist das Infamie, denn eine befriedigte Volksmasse kann es unter dem Diktat kalter Wettbewerbsgesetze nicht geben. Jeder Fortschritt in einem Punkt muss mit Nachteil in einem andern bezahlt werden.

Wachsender Wohlstand und Gleichheit sollen beispielsweise inkompatibel sein. Alles Positive muss mit einem negativen Preis bezahlt werden. Die Etablierten glauben daran, dass sie dieses harte, aber unvermeidliche Gesetz ehrlich und illusionslos vollstrecken: sie muten dem Volk die volle Wahrheit zu.

Wenn nun neue Rivalen dem Volk das Blaue vom Himmel versprechen, werden sie von den Etablierten als verschlagene Illusionisten bekämpft. Deren Deutungen des Volkeswillens seien falsch, ihre Versprechungen könnten sie niemals einhalten. Die neuen Populisten seien Scharlatane, die das Volk in den Abgrund führten. Sie hingegen, die Etablierten, würden sich hüten, utopische Versprechungen zu machen. Dafür seien sie zu ehrlich. Wenn das Volk nun den neuen Sirenengesängen folgt, empfinden die Etablierten sich für ihre Ehrlichkeit zu Unrecht bestraft. Interessant, dass die harten Utopieverächter einer Religion angehören, die eine vollkommene Seligkeitsutopie verspricht, sei es im jenseitigen Himmel, sei es im Himmel auf Erden.

Bernays, ein Zyniker, der sich als wohlwollender Wissenschaftler versteht, entlarvt das Märchen von den gleichen Bildungschancen. Was heutige Politiker als Bildung bezeichnen, nennt er ohne zu zögern beim Namen: es ist fachmännische Propaganda.

In einer echten Demokratie gibt es keine Bildung, die zum Aufstieg geeignet ist. Denn es gibt keinen Aufstieg. Wenn alle Menschen gleichwertig sind, mögen sie in Äußerlichkeiten verschieden sein: an ihrer Gleichwertigkeit auf reziproker Augenhöhe ändert es nichts. In wahren Demokratien gibt es kein Oben oder Unten. Also kann es auch keinen Aufstieg und Abstieg geben.

Würde der Vorwurf stimmen, dass Populisten sich erdreisten, des Volkes wahres Wesen zu verstehen, wären die Etablierten noch populistischer als jene. Denn sie behaupten, das wahre Wesen des Volkes genauer zu erkennen als ihre Konkurrenten. Im Grunde sei das Volk froh und dankbar, dass es Parteien gibt, die ihm reinen Wein einschenken und keine blauäugige Utopie versprechen. Politik kann die Welt nicht verbessern, sondern muss sich mit Improvisieren begnügen.

Womit wir bei der Kanzlerin angekommen wären. Sie verknüpft das harte Gesetz des Durchlavierens mit der Aura eines angstdämpfenden Narkotikums. Samaritertum muss gelegentlich möglich sein. Doch der Normalfall besteht aus machiavellistischen Brutalitäten.

Im Mittelalter galt das Volk als Stimme Gottes. Doch nur bei wenigen Theologen. Die meisten waren Anhänger des Augustin, für den alle heidnischen Völker Räuberhorden waren. Gewiss, die heidnischen Völker Europas waren christlich geworden. Doch waren sie wirklich fromm geworden oder hatten sie sich nur dem Diktat des Klerus unterworfen? Die Stimme Gottes musste den klerikalen Eliten vorbehalten bleiben. Schon hier beginnt die ambivalente Bewertung des Volkes zwischen völkischer Idealisierung und sündiger Verruchtheit.

In der modernen Demokratiebewegung gab es keinen Platz für eine Stimme Gottes. Im Gegenteil, je gottloser und kirchenferner die Massen wurden, umso teuflischer erschienen sie den Vertretern der Kirche. Traditionelle Frömmigkeit vertrug sich nicht mit der neuen, von den Griechen übernommenen, Auffassung des Volkes als Repräsentant des angeborenen Guten und Wahren. Die alten Eliten, sie sich von den revolutionären Demokraten abgesägt fühlten, verbündeten sich mit den Klerikalen und definierten die Völker als Truppen des Satans, die – zu ihrem eigenen Besten – von den Wissenden der oberen Klassen zu ihrem wahren Vorteil geführt werden müssten. Die Methoden dieser Führung waren – die neuen Erkenntnisse der tiefenpsychologischen Manipulationskunst oder der Massenpropaganda.

Der Großteil aller wirtschaftlichen und politischen Herrschaftsbegriffe sind Neusprech- oder Propagandabegriffe. Die Eliten haben es geschafft, die Demokratie auszuhöhlen und in eine Herrschaft der Wenigen zu deformieren. Sie haben die Rolle der Machtpriester übernommen, die ihre Botschaft mit Hilfe einer propaganda fidei – einer Propaganda des Glaubens – den missionierten Völkern aufoktroyierten. Die propaganda fidei war die Urpropaganda des Abendlandes.

Man kann dem Volk vorwerfen, seine Kritik an den Etablierten nicht rational begründen zu können. Zudem werde es von Emotionen und Ressentiments determiniert. Das Volk hat noch nicht gelernt, seine Beweggründe zu analysieren und in politische Forderungen zu verwandeln. Diese Fähigkeiten hat man ihm absichtlich vorenthalten durch entmündigende Schulen und Universitäten.

Das Volk müsste dasselbe tun, was seine elitären Gegner von ihren intellektuellen Mietlingen machen lassen: es müsste Bücher schreiben, Artikel verfassen, sich auf der Agora streiten, um den Entwürfen der Eliten seine eigenen Entwürfe entgegenzustellen. Das kann es nicht, weshalb es zum hasserfüllten Phänomen der Shitstorms kommt. Aus Verzweiflung über ihre intellektuelle Inkompetenz flippen viele aus, als müssten sie augenblicklich zur Kalaschnikow greifen. Das kann ins Auge gehen.

Wer die Gefahr vermeiden will, muss dem Volk wahre Bildungsmöglichkeiten anbieten. Das Ziel muss sein: Wort gegen Wort, Satz gegen Satz im öffentlichen Dialog auf dem Marktplatz. Sind denn Eliten wahre Könner in der Darstellung ihres Willens? Auch sie gehören zum Volk. Demokratien bestehen nur aus Volk. Wer glaubt, sich über das Volk erheben zu dürfen, ist dumpfer als das irrationalste Volk. Wissen die Eliten, von welchen Motiven sie getrieben werden?

Kennen sie ihre religiösen Zwänge, die Welt vernichten zu müssen, um sie zu erlösen? Amerikaner kennen ihre biblischen Glaubenssätze, die sie als Leitlinien ihrer Innen- und Außenpolitik betrachten. Die Deutschen erlauben sich die ungeheure Dumpfheit, sich zu christlich-abendländischen Werten zu bekennen, ohne im Geringsten zu wissen – ja, wissen zu wollen – worin diese Werte bestehen.

Den Oberen stehen alle Schätze der abendländischen Bildungskünste zur Verfügung, um den Unteren vorzugaukeln, sie wüssten, was sie wollten. Davon kann keine Rede sein. Bildung dient den Oberen lediglich dazu, sich über ihre wahren Beweggründe gelehrt und manieriert – zu täuschen. Bildung ist zur Hauptquelle ihres Selbstbetrugs geworden.

Nur wahre Bildung, die die Weisheit der Vergangenheit weder als eitlen Schmuck, noch als Lächerlichkeit einer verflossenen Zeit betrachtete, wäre in der Lage, die ideologische Propagandabildung der Oberen mit eigenen Waffen zu schlagen.

Propaganda wurde zur Dauermethode, um vitale Demokratien in Machtgebilde elitärer Minderheiten zu deformieren. „In der Summe steuern die Propagandisten der Eliteklassen den Geist der Massen auf ähnliche Weise, wie die Befehlsgewalt beim Militär die Soldaten unterwirft.“ (Bernays)

Gegen Soldaten helfen nur quicke Demokraten.

 

Fortsetzung folgt.