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Weltdorf II

Hello, Freunde des Weltdorfs II,

der Rubicon ist überschritten. Wenn die Deutschen ihre Unvergleichliche jetzt nicht mit Schimpf und Schande in die mecklenburgische Seenplatte zurückjagen, wird Sie sich zur ersten protestantischen Päpstin oder zur frommen Führerin Deutschlands, wenn nicht ganz Europas, erheben.

Chinesen sprechen von Kotau, Katholiken von Prostration, Lutheraner würden von Römer 13 sprechen: seid untertan der Obrigkeit, es gibt keine Obrigkeit, die nicht von Gott wäre. Auch nicht in der muslimischen Türkei. Herrscher ist Herrscher, Obrigkeit bleibt Obrigkeit, rund um den Planeten.

Mit staatlichem Pomp empfing Deutschlands Lichtfigur den Alleinherrscher eines Regimes, das nur noch mit Nordkorea vergleichbar ist. Es ging, was sonst, um heilige Geschäfte. Sprechen soll man mit allen Menschen, die das Gespräch nicht verweigern. Wer nicht spricht, schießt. Aber ehren mit Pauken und Trompeten?

Reden heißt Tacheles reden. Diplomatie und Diskretion sind Erfindungen der Heuchler, sie mögen sich Machiavellisten oder Interessenpolitiker nennen. Eine Außenpolitik, die sich zur Weltinnenpolitik entwickeln will, kann sich den Widerspruch zwischen privater und öffentlicher Moral nicht mehr leisten.

„Turkmenistan gilt als eines der schlimmsten Regime weltweit. Nun kommt Präsident Berdimuhamedow nach Berlin – und die Kanzlerin empfängt ihn.“ (Südwest Presse swp.de)

Heute geht es um den Diktator der Türkei. Was die vom Volk Gewählten des Bundestags beschlossen haben, interessiert Ihre Heiligkeit, die Kanzlerin, nicht. Die Exekutive hat die Legislative außer Kraft gesetzt. Die Grundsäulen der Demokratie sind gefallen. Hatte man bislang die Reste der Legalität äußerlich gewahrt, werden ab jetzt die letzten Dekorationen der Verfassung geschleift. Es war kein Zufall, dass

die Pastorentochter und ihr pastoraler Außenminister die Debatte um die Armenienresolution gemieden hatten. Erdogan darf triumphieren. Deutschland liegt ihm zu Füßen. Alles deutet auf eine konzertierte Aktion, wenn der europäische Parlamentspräsident fast zeitgleich dem neuen Sultan von Ankara die Hände schüttelte.

„Am 2. Juni hatte der Bundestag die ab 1915 von der damaligen osmanischen Regierung an den Armeniern begangenen Massaker als Völkermord eingestuft. Hinter den Kulissen hatten Merkel wie Steinmeier immer betont, dass sie die Resolution des Bundestags für keine gute Idee hielten. Steinmeier vermied stets, die damaligen Untaten des osmanischen Reichs als Völkermord zu bezeichnen.“ (SPIEGEL.de)

Es geht ja nur um Völkermord. Wenn andere Länder keinen Völkermord kennen: kann Deutschland dann das einzige Volk sein, das man mit solch schrecklichen Vorwürfen behelligen darf? Sie exkulpieren sich indirekt, indem sie über die Dörfer gehen und das Ungeheure an und für sich zu leugnen beginnen. Wer andere von Schuld befreit, darf der nicht auf reziproke Schuldbefreiung hoffen?

Wer alle Religionen zu Liebesreligionen erklärt – kann dessen Herzensfrömmigkeit diabolisch sein? Wer Schuld und Ursache überhaupt für lästige Blockierungen der menschlichen Zukunftsfähigkeit hält und alle Machteliten mit zeitlos weißer Weste ausstattet: darf der nicht auf eine Neuerfindung aus blütenreiner Unschuld hoffen? Eine Hand wäscht die andere – sofern sie gesalbt ist mit Macht und Einfluss.

Wie kann die Wahrheit eines Völkerverbrechens behauptet werden, wenn es keine Wahrheit gibt? Wer darf seine subjektive Sicht der Dinge rechthaberisch behaupten, wenn Rechthaben totalitär ist? Die Moderne erbricht ihre postmoderne Misere, indem sie Wahrheit, Lüge und Schuld leugnet. Die Eliten sind obenauf und verkünden: wir haben Schuld und Sühne, Verantwortung und Zurechenbarkeit abgeschafft. Sie sind die Erwählten der Geschichte, die nicht mehr sündigen können (non posse peccare). Wo bleibt dann die Schuld? Beim verworfenen Pöbel, den Versagern der menschlichen Gattung. Sie können nicht mehr nichtsündigen (non posse non peccare). „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“ dröhnte Kohl auf Pfälzisch. Seine Nachfolgerin im heiligen Geist, auch keine Philosophin, würde es spiritueller formulieren. Sie fühlt sich geschützt von Gottes unfehlbarer Weisheit, die nur der Welt eine Torheit ist.

„Ist Gott für Mich, wer mag wider Mich sein? Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken.“

Sie liebt Gott und also besitzt sie einen Blankoscheck für alles Moralische und Unmoralische. Was immer sie tut und macht, es wird fehlerlos sein. Wenn sie auch beim schändlichen Kotau mit Erdogan nicht aus dem Amt gejagt wird, haben die Deutschen den himmlischen Blankoscheck mit irdischer Tinte beglaubigt.

Selbst, wenn sie wollte, ist sie unfähig geworden, Schuld auf sich zu laden. Gesinnungstreue, Aufrichtigkeit, Wahrheitsliebe, schnörkellose Rede? Kriterien von Spießern, die es nötig haben. Da sie jenseits von Gut und Böse angekommen ist, kann Merkel nur noch sündlos sein. Sollte sie dennoch Schuld auf sich geladen haben, kann es nur eine heilige Schuld sein, die für den Fortgang der Heilsgeschichte unerlässlich ist. Im liturgischen Osterlob beider Konfessionen singen die Gläubigen:

„O felix culpa, oh glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden!“

Wenn selbst Bonhoeffer, der einzige prominente Märtyrer der Protestanten im Dritten Reich, die heilige Schuld für unerlässlich hält, wie sollte eine demütige Pastorentochter diese Schuld verweigern?

„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.“ (Bonhoeffer)

Auch für den Lutheraner Hegel ist das Übel ein notwendiges Durchgangsstadium in der dialektischen Entwicklung der Geschichte. Dialektik, die Leidenschaft aller widerspruchssüchtigen Deutschen, ist nichts als Theodizee, die Verteidigung des Bösen als Treibmittel des Guten in der Entwicklung des Weltgeistes. Die göttliche Vorsehung verwirkliche mit Hilfe des Übels den „absoluten, vernünftigen Endzweck der Geschichte.“ In Perioden des Glücks und der subjektiven Unschuld fehle der Gegensatz, sie seien „leere Blätter in der Weltgeschichte“.

Wie Faust ohne teuflischen Butler nicht mal Gretchen verführen, geschweige die Welt erobern kann, so wenig ist Gott fähig, ohne Dienste seines treuen Satans die Heilsgeschichte voranzutreiben. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht? Die Weltgeschichte ist die vorauseilende Selbsterfüllung des Jüngsten Gerichts. Oben die schuldlosen Eliten, unten die massa perditionis, die Horden der Verfluchten.

Wir nähern uns dem Ende der christlichen Zeit – glauben die Amerikaner, die felsenfest vom nahe bevorstehenden apokalyptischen Ende der Geschichte überzeugt sind. Die Deutschen stehen im Nebel. Ihr Glaube besteht darin, ihre nationale Mutter für sie glauben zu lassen. So können sie aufgeklärt sein und dennoch den Glauben ihrer Kindheit bewahren.

Merkel ist fehlerimmun geworden, ab heute hat sie endgültig das Reich der Unfehlbarkeit betreten. Sie kann sich widersprechen, wie sie will und jeden Tag ihre Devise vom Vortag widerrufen: alles paletti, niemand protestiert, niemand rebelliert. Da wundern sich die Medien, dass die „einfachen Menschen“ der Führungsklasse nicht mehr glauben.

Der SPIEGEL widerspricht zwar dem Dementi des Regierungssprechers, die Distanzierung Merkels von der Armenien-Resolution sei gar keine. Doch die Degradierung des Parlaments, den schmählichen Verrat an „europäischen Werten“, winkt er elegant vorbei:

„Wenn alle Regierungschefs nur noch völlig kompromisslos miteinander verkehren würden, dann würde in dieser Welt bald kein Stein mehr auf dem anderen stehen. Diplomatie bedeutet, Druck aufzubauen, aber im richtigen Moment auch wieder abzubauen. Es geht um das rechte Maß zwischen Moral und Realpolitik.“ (SPIEGEL.de)

Im Praktischen gibt es Kompromisse, nicht in grundsätzlichen Wahrheitsfragen. Würde Merkel sich erlauben, in Holocaust-Fragen aus kompromisslerischen Zwecken durch die Finger zu schauen? Soll alles mit zweierlei Maß gemessen werden?

Vor Jahren war die EU noch für viele Völker ein Vorbild in solidarischer Zusammenarbeit und demokratischer Kompetenz. Heute schaut die Welt mit mitleidiger Verachtung auf den desolaten Kontinent. Soll sich Europa mit Schlamperei in Wahrhaftigkeit regenerieren? Die Sekte der Muttersöhnchen lässt ihre ramponierte Lichtfigur nicht im Regen stehen.

Woran soll man denn glauben, wenn Merkel & Gabriel sich täglich zweimal widersprechen? Genügt es, wenn sie stellvertretend für ihre Untertanen hofft, liebt und glaubt? Wenn Gott sich des Guten und Bösen unterschiedslos bedient, darf auch Merkel ihre Gottähnlichkeit nicht unter den Scheffel stellen.

„Ich bilde das Licht und erschaffe das Finstere, bewirke das Gute und erschaffe das Unheil. Ich bin der Herr, der das alles vollbringt.“

„Oder geschieht ein Unglück in der Stadt, und der HERR hätte es nicht bewirkt?“

„Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“

Das Böse wird als Prüfung angesehen, die zur Standfestigkeit des gläubigen Menschen beiträgt.

In der Arena der Antinomien gibt es nichts mehr zu prüfen und zu kritisieren. Merkel ist ihrem Ziel der Amerikanisierung Deutschlands näher gekommen. Der laizistische Geist Europas ist ihr zuwider. Sie will die europäischen Demokratien in die Spur der Heilsgeschichte verlocken. Ihr kantiger Innenminister ermahnt die Deutschen, sich ihres christlichen Glaubens zu besinnen, um den Attacken der Muslime besser zu widerstehen. Religion wird zum Hilfsinstrument der Polizei im Kampf um Recht und Ordnung. Atheisten können bekanntlich keine guten Demokraten sein. Fromm und national: das ist die Identität der neuromantischen Theokratie. Und Merkel ist Königin Luise II.

»Wir wissen nicht mehr genau, wer wir sind und wer wir sein wollen. Was uns als Deutsche ausmacht«, sagte der Minister. De Maizière äußerte sich zudem besorgt über die abnehmende kirchliche Bindung. »Die Zahl der überzeugten Christen in Deutschland ist kleiner geworden«, sagte der CDU-Politiker, der in der evangelischen Kirche engagiert ist und unter anderem dem Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages angehört. Es erschwere die Integration von Muslimen, dass sie auf eine Gesellschaft mit einem »verunsicherten christlichen Selbstbewusstsein stoßen«.(TAGESSPIEGEL.de)

Der Antiamerikanismus der Deutschen ist ein Ammenmärchen. Das Gegenteil ist richtig. Das neue Kanaan ist noch immer das Sehnsuchtsland der deutschen Intellektuellen. Wer das Glück hatte, in Silicon Valley gewesen zu sein, kommt als Erleuchteter zurück: er hat das Zukunftsreich Gottes mit eigenen Augen gesehen. Der Traum der Amerikaner ist der Traum vom Himmelreich auf Erden. Zuvor muss der Endkampf mit Satan bestanden werden. Die Weltpolitik Washingtons ist die Verwandlung der Erde in das neue Paradies, unter Elimination der ungläubigen Völker.

In seinem Buch „Politik als Apokalypse“ hat John Gray die apokalyptische Tiefenprägung der amerikanischen Politik beschrieben. Da Amerikaner die Weltpolitik bestimmen, ist ihr eschatologischer Dualismus auch zum Kennzeichen der planetarischen Politik geworden. Der Säkularismus, von deutschen Gelehrten als Epoche rasender Gottlosigkeit charakterisiert, ist ein europäischer Selbstbetrug.

Doch nicht nur im Bible Belt, sondern auch im Islam und im orthodoxen Judentum ist das Nahen des Endes für die Gläubigen nicht mehr zu bezweifeln. Nur Europa erlaubt sich noch den Trug eines Christentums, der die eschatologische Mythologie verspotten kann. Apokalypse ist für deutsche Feuilletonisten ein Wahngebilde, das man endlich ad acta legen sollte.

„Das politische Handeln des US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush und seines iranischen Gegenspielers Mahmud Ahmadinedschad ist religiös-apokalyptisch geprägt. Das Wiedererstarken der Religion hängt mit politischen Konflikten zusammen, etwa mit den sich verschärfenden Auseinandersetzungen um schrumpfende natürliche Ressourcen. Es kann keinen Zweifel geben, dass die Religion wieder erstarkt ist und eine eigene Macht darstellt. Mit dem Tod der Utopien hat das apokalyptische Denken neuen Auftrieb gewonnen und ist, unverhüllt und ohne säkulare Tarnung, zu einem bestimmenden Faktor der Weltpolitik geworden.“ (John Gray)

Selbst amerikanische Frühaufklärer waren vom Endzeitdenken geprägt:

„Es steht in unsrer Macht, die Welt von Neuem anzufangen. Eine Lage, der gegenwärtigen gleich, hat sich seit Noahs Zeiten bis auf jetzt nicht ereignet. Die Geburt einer neuen Welt steht vor unserer Tür.“ (Thomas Paine)

„Und wir Amerikaner sind das einzig auserwählte Volk, das Israel der Gegenwart; wir tragen die Bundeslade mit den Freiheiten der Welt.“ (Herman Melville)

Worin besteht die „manifest destiny“, die offensichtliche Bestimmung der amerikanischen Erwählung? Im Glauben an die Erlöserrolle der USA. In den Worten Woodrow Wilsons nach dem Ersten Weltkrieg:

„Ich wünschte, Sie würden sich der moralischen Verpflichtung bewusst, in der wir stehen, diese Männer nicht im Stich zu lassen (d.h. der Verpflichtung, nicht von dem abzulassen, wofür die US-Soldaten im Ersten Weltkrieg gestorben waren), sondern die Aufgabe weiter zu verfolgen und zu Ende zu bringen und die von ihnen begonnene Erlösung der Welt zu beenden. Denn nichts Geringeres als das hängt von dieser Entscheidung ab, nichts Geringeres als die Befreiung und Rettung der Welt.“

Für Leo Strauss, Schüler von Carl Schmitt, einem der Mentoren der Neocons, waren Vernunft und Erlöserglauben nicht vereinbar. Athen und Jerusalem, der rationale Kosmos der griechischen Philosophie und die biblische Vision der Heilsgeschichte, sind nicht in Einklang zu bringen. Wie Martin Buber, Franz Rosenzweig und andere jüdische Fideisten, nahm Strauss es als gegeben hin, dass erste und letzte Fragen nur in einem Akt des Glaubens zu beantworten sind. In der Vernunft sah Strauss kein taugliches Mittel gegen Pessimismus und Nihilismus der gottlosen Moderne.

Obwohl die Trennung von Kirche und Staat ein Grundpfeiler der Verfassung ist, übt die Religion eine ungeheure Macht auf das politische Leben der USA aus. Nach allen Maßstäben, die man anlegen kann, ist die Türkei säkularer als die USA. In keinem anderen hochentwickelten Land ist der Glaube an den Satan oder der Zweifel an Darwins Theorie weiter verbreitet. Nirgendwo sonst glaubt ein Viertel der Bevölkerung, die Ereignisse des 11. September 2001 seien in der Bibel vorausgesagt worden.

Die fundamentalistische Glaubensprägung der Amerikaner ist auch der Grund für ihre Abneigung gegen alles ökologische Denken. Wer die Welt mit aller Gewalt retten will, handelt für Gläubige blasphemisch. Es habe wenig Sinn, sich um die Erderwärmung zu sorgen, wenn man glaubt, dass Armageddon nicht weit sei. „Macht euch die Erde untertan“ ist für Amerikaner die Legitimation ihrer Welteroberung, zu der die grenzenlose Ausbeutung der Naturschätze und das bedenkenlose Wuchern mit anvertrauten Pfunden dazugehört. (Alles nach John Gray)

Wer hat, dem wird gegeben. Amerikanische Milliardäre haben viel, die Welt soll ihnen alles geben.

Die deutschen Grünen, lange schon auf biblischem Trip, sind unfähig, die christlichen Wurzeln der amerikanischen Ökofeindschaft zu sehen. Die gemeinsamen Grundwerte Amerikas und Europas sind illusionär.

Wie beschreibt Johannes das katastrophale Ende der Geschichte im letzten Buch des Neuen Testaments?

Die Heimat der Christen ist nicht die Welt. Sie hoffen auf das Reich Gottes im Himmel, das auf der völlig zerstörten und neu erschaffenen Erde realisiert werden soll. Die Erde muss sich neu erfinden, damit sie zum zweiten Paradies werden kann.

„Die totale Zerstörung und ein Blutvergießen ungeahnten Ausmaßes stehen im Mittelpunkt, wobei die eschatologischen Endschlachten als reale Kriege Christi gegen die Vertreter des Bösen dargestellt sind, an deren Ende diese geschändet und vernichtet werden. Die heilige Schar wird befehligt von Christus, der als kriegführender König göttliche Macht besitzt und Züge eines blutrünstigen Gewaltherrschers annimmt. Aggressive Rachegelüste gegen die Ungläubigen treten in den Vordergrund; ihre Ermordung ist eine heilige Tat. Die um das Jahrhundert ndZ verfasste Johannesoffenbarung, auch Apokalypse genannt, will dazu ermutigen, auf das baldige Ende der Welt zu hoffen. Sie radikalisiert das Fremdsein in der Welt, indem sie politische Macht dämonisiert und als Vertreter Satans darstellt: Rom erscheint als der Prototyp des Bösen, als die „große Hure Babylons“. (Nach dem ausgezeichneten Buch von Manfred Clauss, Ein neuer Gott für die alte Welt, die Geschichte des frühen Christentums)

Rom, die babylonische Hure, ist für Amerikaner das jeweilige Reich des Bösen. Vor dem Fall der Mauer war es die Sowjetunion, heute sind es alle muslimischen Staaten, die sich den USA nicht unterordnen wollen. Morgen könnte China die verhängnisvolle Rolle zufallen. Amerika braucht Feinde, um den Endkampf auszufechten. Also schafft es sich Feinde. Putin, der als überzeugter Demokrat begann, hatte keine Chance, ein gleichwertiger Partner der USA zu werden. Washington demütigte Gorbis Nachfolger, bis er sich von seinem Friedenskurs abwandte und ins Zaristisch-Orthodoxe regredierte.

Ihre regelmäßige Bibellektüre ist für gläubige Amerikaner ein Drehbuch der internationalen Politik. Hollywoods endlose Weltuntergangsfilme sind ständige Anregungen und Bestätigungen für die amerikanische Politik. Was in Deutschland als bloßes Spektakel angestaunt wird, ist für eschatologische Amerikaner die farbenprächtige Illustration ihres Glaubens und eine bildgewaltige Legitimation ihrer Weltherrschaft.

Sollte Hillary Clinton die Wahlen in den USA gewinnen, würde der Westen von drei mächtigen Frauen regiert werden. Von zwei Pastorentöchtern und einer tiefgläubigen Methodistin. Müsste jetzt nicht die Hoffnung auf eine weibliche Veränderung der Welt aufkommen?

So schnell schießen die Preußen nicht. Inhaltlich kopieren die Frauen noch immer die Machtziele der Männer. Nur der Stil ihrer Politik ist anders. Merkel ist ausgeglichen, freundlich und vermittelt eine beruhigende mütterliche Atmosphäre. Der Eindruck täuscht. Ihr sanfter Blick ist ein Gorgonenblick, unter dem männliche Konkurrenten erbleichen und ins Koma fallen. Für Merkel gibt es keine ernsthaften männlichen Rivalen.

Und doch naht das ultimative Ende der Männerherrschaft. Wartet noch ein Weilchen, dann geben sie offiziell den Stab ab. Die mächtigen Frauen der Gegenwart sind Zwitterwesen. Ihre Politik ist uralte Machtpolitik, doch ihre mütterliche Ausstrahlung soll den Männern vermitteln: schwatzt weiter, wir tun die Arbeit, zu der ihr nicht mehr fähig seid. Außer Stammtischparolen ist bei euch nichts mehr zu holen.

Mit Merkels Kotau vor Erdogan ist die vorbildliche Lern-Epoche der Nachkriegsgeschichte zu Ende gegangen. Auf leisen Sohlen begann Merkel, die deutsche Demokratie in ein Abziehbild der amerikanischen zu verwandeln. Gleichzeitig folgt sie lutherischen Weltuntergangssehnsüchten. Das erklärt ihren Durchwurstel-Stil. Verändern und verbessern der menschlichen Lebensbedingungen? Vergeblich. Nur noch durchlavieren und das Gröbste verhindern – mehr ist nicht drin.

Da die Deutschen ihre Vergangenheit nicht gründlich aufgearbeitet haben, stecken sie fest in der Wiederholungsschleife ihrer verhängnisvollen Geschichte. Sie flüchten in eine Dauerangst, die nur die Maske ihrer Feigheit vor der Verantwortung ist. Merkels geniale Machtinstinkte haben die Hilferufe ihrer Untertanen erhört und die Republik in eine religiös-romantische verwandelt. Das würden die Deutschen nie zugeben. Doch die demonstrative Ruhe und Entspanntheit ihrer Kanzlerin benötigen sie wie eine Droge.

Merkel ist für die Deutschen, was sie in ihrem tiefsten Innern wünschen: ein Seelentrost im Wirbel des rasenden Fortschritts, den sie nicht wollen und dennoch über sich ergehen lassen.

Solange die Deutschen ihre abgründigen Erlösungsphantasien verleugnen, werden sie vom Rockzipfel ihrer Kanzlerin nicht lassen können.

 

Fortsetzung folgt.