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Europäische Idee XCVI

Hello, Freunde der europäischen Idee XCVI,

das beste Volk ist das Unten versingelte und Oben vernetzte Volk. Die staatlich erzwungene Konkurrenz findet nur Unten statt, wo jeder Mensch dem Menschen ein einzelner Schlingel, pardon, ein Singel sein muss. Oben halten die Vernetzten zusammen wie Pech und Schwefel. Den Krieg gegen die Unteren haben sie längst gewonnen, sagte jüngst einer ihrer bedeutendsten US-Wölfe in souveräner Geste eines Patrons.

In den Schluchten megapolitischer Ballungszentren haben Ethnologen eine neue Gattung des homo darwiniensis ausfindig gemacht, die seit vielen Jahrhunderten „angedacht“ und ausgebrütet, aber erst heute zum Ereignis wurde: den Singel, moderne Übersetzung von Lupus, dem Wolf. Es muss mehr als ein evolutionärer Zufall sein, dass die Rückkehr der sibirischen Wölfe in brandenburgische Steppengebiete zeitlich zusammenfällt mit der Entdeckung des einsamen, aber in protestantischem Arbeitsethos gezähmten Wolfes – in geklonten, beliebig reproduzier- und manipulierbaren Massen.

Damit die Wölfe nicht übereinander herfallen und sich gegenseitig auffressen, hat die Vorsehung allmächtige Eliteklassen eingesetzt, die dafür sorgen, dass die Wölfe durch genau kalkuliertes, aggressives Konkurrenzverhalten Reichtum schaffen – den sie unmittelbar an die oberen Etagen weiter geben – und doch weit davon entfernt sind, ihre Aggressionen zu einer gemeinsamen Front zu verbünden, um mit geballter Wolfsmacht die Führungsklassen nach Sibirien zu jagen.

Einst in stolzen und wehrhaften Sippen auftretend, gegen die auch mächtige Obrigkeiten nicht einfach ankamen, hausen sie heute zunehmend in vereinsamten Rückzugshöhlen, ausgestattet mit beißfesten Gummiwänden und aggressions-sublimierenden Netzmaschinen, um ihre Beschädigungsreflexe einerseits zu kanalisieren und andererseits das öffentliche Regiment der – ihnen in allen Dingen überlegenen – Führungsklassen nicht allzu sehr in

seiner Verwundbarkeit und schreienden Ungerechtigkeit zu entlarven und vorzuführen.

Doch in letzter Zeit häufen sich – die besorgten Eliten geben sich ratlos – öffentliche Vorfälle, in denen ausrastende wölfische Einzelexemplare aus unerfindlichen Gründen über zufällig anwesende Mitwölfe herfallen und sie erheblich beschädigen. Selbst Todesfälle kommen immer häufiger vor.

Mysteriöse Umstände müssen eingetreten sein, dass die privaten Beißreflexe der neuen Gattung zu öffentlichen Lastern ausarten konnten. Gelehrte Elite-Schutzgarden wurden auf diese beunruhigenden Phänomene angesetzt. Doch bislang mit unzureichenden, ja lächerlichen Ergebnissen.

Religionen – so einige Querwölfe – sollen an den mit heiligem Zorn verübten Zwischenfällen nicht unschuldig sein. Solch ungeheuren, ja blasphemischen Generalverdacht weisen die Eliten entrüstet zurück. Nicht nur, weil sie sich selbst religiös geben, sondern weil sie wissen, dass nur unhinterfragbare Religionen ihr Regiment behüten und beschützen können. Wer gegen das überlieferte und von den meisten geglaubte Heilige einen derart ungehörigen Generalverdacht erhebt, der kann kein anerkanntes und beliebtes Mitglied des christlichen Abendlandes sein.

Religionen, so die Schutzbehauptung der Frommen und Gläubigen, können a priori keine Ursachen von Menschenhass sein. Erlöserreligionen lieben Mensch und Natur und haben sie zum Fressen gern. Ein liebender Gott kennt weder Wut noch Hass. Nur aus väterlicher Liebe vernichtet er seine Schöpfung, um sie durch eine neue zu ersetzen.

Massenmord im Namen der Religion? Hinweg, satanische These:

„Befeuert von Projektionen zum „kollektiven Unbewussten“ wird so aus dem Islam eine genuin gewaltbereite Religion, als ob die unter der Firma „Islamischer Staat“ auftretende Ideologie mit der Religion identisch wäre“. (TAZ.de)

Wenn alte Religionen viele Bearbeitungen, Umdeutungen und Entschärfungen ihres Originals als Ablagerungen über ihrem Urtext angehäuft haben: welche Schicht, welche Deutung soll als „echte Religion“ gelten und welche sind kritische Veränderungen der von allen Frommen verehrten Uroffenbarung? Zwar gut gemeint und im humanen Geist jener Aufklärung verändert, die einst von derselben Religion mit Ausrottung bedroht worden war, aber doch nicht identisch mit dem heiligen Original, das als göttliche Offenbarung anzubeten noch immer die innige Pflicht aller Gläubigen sein muss?

Müsste man sich nicht darauf einigen, welche Schicht der Religion die entscheidend-maßgebende ist? Jeder erfindet seine Religion täglich aufs neu und präsentiert sie dennoch als traditionell unveränderte. Was denn nun? Auch bei jenen, die die heiligen Texte umdeuten – nicht selten im kontradiktorischen Sinn – gilt der Urtext noch immer als unverbrüchliche Offenbarung eines Gottes. Und der soll unfähig gewesen sein, seine Meinung eindeutig den Menschen mitzuteilen?

Nein, die meisten Gläubigen fühlen sich nicht mehr genötigt, den ursprünglichen Text in seiner Barbarei als Norm ihres Handelns zu betrachten. Gerade deshalb wäre von ihnen zu verlangen, dass sie nicht mehr als Gefolgsleute einer Religion auftreten, deren Grundsätze sie längst verwarfen.

Wie kann man sich den Werten des christlichen Abendlandes verpflichtet fühlen, ohne das Abendland in allen Poren vom christlichen Credo kontaminiert zu sehen? Wenn sie sich weiter als Christen, Juden oder Muslime ausgeben, müssen sie sich gefallen lassen, dass man Rechenschaft von ihnen fordert, welche Wirkungen ihre schreckenerregende Heilsreligion noch heute haben können. Besonders, wenn gewisse Minderheiten, die aus Hass und Rache sich den Originaltexten verbunden fühlen, die Welt mit altreligiösen Welthass-Aktionen heimsuchen. Ihre Regression auf die Urtexte hat den Sinn, die „modernen Deutungen“ aus dem Geiste der Humanität als Verfälschungen der Urtexte anzuprangern und mit gewalttätigen Aktionen zu bestrafen.

Die terroristischen Anhänger der Religion haben die hermeneutische Korrektheit auf ihrer Seite, wenn sie den unverfälschten Urtext als einzigen Maßstab ihres Handelns angeben.

Religiöse Texte sind nicht anders zu behandeln als weltliche. Welcher Richter dürfte sich auf die Auslegung eines Gesetzestextes einlassen, die das genaue Gegenteil des Originals bedeutete? Welcher Interpret des Thukydides dürfte sich erfrechen, die Rede des Perikles als Rede eines Demokratiefeindes zu deuten?

Wer gegen eine Religion, die er als Urmutter seiner Kultur verehrt, keinen Generalverdacht erhebt, entlarvt sich als heimlicher Gottloser. Wer etwa befremdliche Veränderungen an der Tier- und Pflanzenwelt in Tschernobyl nicht mit der atomaren Verseuchung des Geländes in Verbindung bringen würde, wäre ein Phantast und Wundergläubiger. Algorithmische Polizeiprogramme wollen zukünftige Verbrechen an neuralgischen Orten der Stadt mit hoher Wahrscheinlichkeit prognostizieren. Im Bereich der schrecklichsten Religionen der Weltgeschichte jedoch soll das Prinzip Ursache-Wirkung wie durch ein Wunder nicht gelten?

Religion ist noch immer eine der der wirksamsten Identitätsmethoden des modernen Menschen – unabhängig davon, ob er sich selbst als Frommen sieht oder nicht. Ohne Anlehnung an einen Schöpfer Himmels und der Erden könnte die Moderne ihre gottgleichen Kreationen der Naturzerstörung nicht durchführen. Die verlorenen Söhne brauchen den gnädigen Vater, der ihre Rückkehr mit offenen Armen erwartet, als Lebenselixier und Ermutigungsinstanz, ohne die sie das Werk ihrer futurischen Welterlösung und -zerstörung nicht vollstrecken könnten.

Ursprünglich wollte Gott sein ganzes Volk erlösen. „Ich werde mitten unter euch wandeln und ich will euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein.“ „Daselbst will ich dich zum großen Volk machen.“

Doch dann begann die Individualisierung des Heils.

„Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. Und ob ihr mir gleich Brandopfer und Speisopfer opfert so habe ich keinen Gefallen daran; so mag ich auch eure feisten Dankopfer nicht ansehen. Tue nur weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Psalterspiel nicht hören! Es soll aber das Recht offenbart werden wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein starker Strom.“

Wer nicht persönlich die Gesetze Gottes einhält, kann nicht selig werden – und wenn er die Rituale des Volkes exakt befolgen würde. Wenn sein subjektiver Glaube und persönliches Tun den Willen Gottes nicht befolgt, ist er des Teufels.

Wer sich nur darauf verließe, den Kindern Israels anzugehören, der würde sich in den Finger schneiden. Das war die Botschaft der Propheten. Nicht das ganze Volk Israel wird am Ende gerettet werden, sondern nur der „heilige Rest“. Die Kollektivgarantie der Anfänge ist verschwunden. Die moralische Individualisierung der „Achsenzeit“ geht am heiligen Volk nicht spurlos vorüber. Die Individualisierung des Spätjudentums führt direkt in die Gründung des Christentums. Ursprünglich wollte Jesus nur sein Volk erlösen. Doch dessen feindselige Ablehnung seiner Mission führte ihn zu den Heiden aller Welt, aus denen er Vereinzelte zum Heil ruft.

Bei den Griechen wird das freie Volk zur politischen Voraussetzung der freien Persönlichkeit. Ist der Mensch ein zoon politicon, kann er nur im Schutz der Polis seine Individualität entfalten.

In der Demokratie sind Volk und Persönlichkeit zur polaren Symbiose verwachsen. Nur freie Individuen garantieren eine freie Polis, nur in einem freien Volk können autonome BürgerInnen leben. Demokratie ist kein System, das ohne vitale Demokraten existieren könnte.

Luhmanns Systemtheorie war der erste Nagel im Sarg der Nachkriegsdemokratie. Systeme sind Maschinen, die Menschen beherrschen, ob diese wollen oder nicht. Demokratien sind lebendige Organismen, die ohne individuelle Zellen zugrunde gingen. Wer gefährdete Demokratien retten will, muss defekte Institutionen ändern und die Einzelnen aufrufen, ihre demokratischen Fähigkeiten zu aktivieren und einzusetzen.

Fast alle heutigen Parteien setzen auf oberflächliche Veränderungen der Institutionen. Gesetze verschärfen! Polizei, Verfassungsschutz und Militär stärken! Das sind die 08-15-Rezepte fast aller Politiker. Den Lernprozess der Einzelpersönlichkeiten mit Argumenten zu provozieren, daran denken weder Christdemokraten noch die Grünen oder die Linken. Bei den Linken bestimmt noch immer das Sein das Bewusstsein. Die Christen glauben an keine weltliche Veränderung der Einzelnen. Sie kennen nur die gnadenhafte Bekehrung Einzelner. Viele sind berufen, wenige auserwählt. Die Grünen werden immer christlicher und verdrängen die säkularen Moralveränderungen ihrer Anfänge.

Wer an das veränderbare, einsichtige Verhalten der Einzelnen appelliert, muss mit der medialen Schelte rechnen, er wolle das Volk faschistisch erziehen. Für die meisten Gazetten ist der Mensch ein lernunfähiges Wesen, das man nur mit materiellen Vorteilen ködern kann. Motivieren des Unbewussten durch latente Reize: solche Konditionierungsversuche des Pöbels mit subkutanen Signalen sind das einzige, was heutigen Politikern einfällt.

Pawlows Hundedressuren sind die Generalmethoden der Eliten, die alle Populisten, die nichts anderes tun, an den Pranger stellen. Skinner hat den Kampf gegen den frühen Freud gewonnen. Wo Es war, soll Es bleiben, damit man es mit Lohn und Strafe dorthin führen kann, wohin das Volk nicht will. Das Ich als Instanz der Vernunft wird als idealistische Lächerlichkeit verhöhnt.

Als das Christentum Europa eroberte, war Schluss mit freier Polis und zoon politicon. Kaiser, Könige, Fürsten und Päpste ernannten sich zu Obrigkeiten, die allesamt von Gott sind. Ist das Volk fromm und untertänig, wird es zum auserwählten Volk ernannt, das die Rolle der Juden übernimmt, um sie überflüssig zu machen. Gibt es einziges Volk in Europa, das in seiner Geschichte nicht geglaubt hätte, das wahre auserwählte Volk zu sein?

Die historische Reihenfolge der Volksbewertung ist: Gottesvolk, Kriegsvolk – und schon landen wir fast bruchlos beim niederen Volk. Verlässt ein Volk seinen Gott, wird es zur teuflischen Horde. Augustins Bewertung des weltlichen Staates als Räuberhorde ist noch immer die Meinung europäischer Eliten.

Für kurze Zeit idealisierte die moderne Demokratiebewegung das Volk als autonome Gesellschaft. Doch kaum hatte die Französische Revolution die oberen Klassen entmachtet, ernannte sich das siegreiche Bürgertum zur neuen Führungsklasse und zur Erzieherin des niedrigen Volkes, von dem es sich als dominante Bourgeoisie abhob. Nicht alle Aufklärer waren vom demokratischen Furor beseelt. Auch Kant war kein Freund der Massen. Er glaubte an die pädagogische Funktion der Monarchie.

Einen winzigen Augenblick lang befand sich das Volk an der Spitze der Bewegung. Die ersten Romantiker stießen es vom Thron und begannen die königliche Familie als heilige Familie anzuhimmeln.

Je stärker die Idealisierung des Volkes, desto tiefer der Fall zum Pöbel. Fichte ernannte die Deutschen zum Urvolk, das alle Völker der Welt erlösen sollte. Als die Seifenblase zerplatzte, verfiel das bankrottierende Volk zur Masse, zum Pöbel. Für Hegel war das Wort von einem „freien großen Volk ein Widerspruch in sich selbst“. Es sei eine gefährliche Voraussetzung, dass das „Volk allein Vernunft habe“. „Das Volk lacht über die Philosophen und begreift nicht, dass die Philosophen über sie lachen“. Marxens Proletariat war ein Mixtum aus jetzigem Elend und künftiger Messianisierung.

Schiller hatte sich von der Französischen Revolution und aller Politik abgewandt und die Deutschen ins Reich des Schönen verwiesen. Ästhetische Erziehung sollte politische ersetzen.

An der Idealisierung der Kunst zum Nachteil demokratischer Leidenschaft leiden die Deutschen heute noch. Jede drittklassige Inszenierung in der Provinz ist wichtiger als die Tagespolitik in Berlin, der Besuch in Bayreuth wichtiger als ein Besuch im Flüchtlingsheim.

Hohe Literatur erkennen sie an der Abwesenheit von politischen und moralischen Zeigefingern. Die Deutschen wollen unbemerkt erzogen werden, damit sie keine politische Stellung beziehen müssen. Sie verharren in der Rolle von Kindern, die noch als Erwachsene ihr postpubertierendes Aufbegehren demonstrieren müssen.

Schiller will nichts weniger als ein Volk von Brüdern. Darunter macht er‘s nicht. Versteht sich, dass Schwestern keine Rolle spielen:

Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,

in keiner Not uns trennen und Gefahr.

Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,

eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.

Wir wollen trauen auf den höchsten Gott

und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.

Da wirkt die volksverachtende Meinung seines olympischen Kollegen Goethe wie ein Hammerschlag: „Doch liegt mir Deutschland warm am Herzen. Ich habe oft einen bittern Schmerz empfunden bei dem Gedanken an das deutsche Volk, das so achtbar im einzelnen und so miserabel im ganzen ist.“

Schopenhauer war großbürgerlicher Reaktionär und Zyniker, der die aufständische Bestie auf den Straßen hasste. Sein Schüler Nietzsche verachtete das Volk und pries elitäre Herrenmenschen, denen die Weltregierung zustünde.

Unsinn, dass die völkische Ideologie der Nationalsozialisten das Volk bedingungslos bewundert hätte. Hitler, Imitator des mittelalterlichen Volkstribunen Rienzi, wollte ein Volk als folgsame Schafherde, die ihn als Sohn der Vorsehung anbeten sollte. Sein ursprüngliches Vorbild war Jesus gewesen, der Hirte, der 99 Schafe seiner Herde opferte, um ein auserwähltes Schaf zu retten. Als der Führer sah, dass sein heiliger Krieg verloren ging, hielt er es für eine gerechte Strafe des Himmels, dass das minderwertige Volk vernichtet werden würde. Es hatte versagt, den zweiten Messias auf den globalen Thron zu setzen. Damit hatte es seine Nicht-Auserwähltheit bewiesen und musste ergo untergehen.

In allen Heilsreligionen ist das Volk nur fungible Masse, die den Elitenheilanden zur Auswahl ihrer Glaubensheroen dient. Christus erlöst nicht die Menschen, sondern nur die EINPROZENT, die er im voraus zum Heil bestimmt hat. Ich kenne meine Schafe und meine Schafe kennen mich.

Das Volk Gottes ist kein Volk, sondern eine unsichtbare Kirche der Gläubigen, die überall auf der Welt zu Hause sind. Gott sieht nur noch den Einzelnen an. Die Kanzlerin betrachtet diese willkürliche Selektion (Gott sieht den Einzelnen) als Beweis der demokratischen Qualifikation Gottes.

„Denn ich bin gekommen, den Menschen zu erregen gegen seinen Vater und die Tochter gegen ihre Mutter und die Schwiegertochter gegen ihre Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert.“

Die totale Vereinzelung hat der Kapitalismus zu seinem finalen Zweck erklärt. Familien sollen destruiert, Frauen von ihren Kindern getrennt und dem produzierenden Mann unterstellt werden. Jeder soll sich von jedem lösen. Atomisierte, mobile und flexible Monaden sind am leichtesten zu dirigieren und zu beeinflussen.

Die Familie ist keine Erfindung des Christentums. Im Gegenteil, der selektive Heiland zerstört alle kompletten Familienstrukturen. Leibniz‘ Monaden, die philosophische Realisierung der Erwählten, sind das Vorbild der heutigen Singels:

„Jede Monade kreist in sich – nichts kommt aus ihr heraus und nichts in sie hinein: Sie haben keine Fenster, durch die irgend etwas ein- oder austreten könne“, weshalb sie auch keine Wirkung aufeinander ausüben können.“

Die gegenwärtige Architektur hat den Singels die passende Monadenzelle erfunden:

„Das echte Singlehaus, erläutert auch die Wohnpsychologin Barbara Perfahl, löst einen Grundkonflikt, den sie heute bei ihren Kunden immer häufiger beobachtet. „Ich möchte allein leben und in einem Haus.“ (FAZ.NET)

Die modernen Monaden wollen „minimalistisch und autark“ leben. Je abhängiger sie von Tycoons und Arbeitgebern sind, je mehr benötigen sie den trügerischen Schein der privaten Losgelöstheit von aller Welt. WG? Familie? Kinder? Freunde? Lass fahren dahin. Betriebe werden zunehmend zu Ersatzfamilien, in denen jeder jeden duzt, in denen auf das Wohlfühlklima des Teams großen Wert gelegt, in denen nicht selten rundum gekocht wird. Die ungeheure Anzahl unbezahlter Überstunden sollen dem Chef die Verbundenheit des Arbeitnehmers signalisieren, der sein betriebliches Engagement für unbezahlbar halten soll.

Wie der abendländische Mann die Frau zum irrationalen und lenkbedürftigen Wesen erniedrigt, so degradieren die europäischen Eliten das Volk zur dumpfen, weiblichen Masse, die mit geschickten Reizungen ihrer unbewussten Instinkte geführt werden muss. So appelliert Annette Kahane an den Verfassungs-Patriotismus der Deutschen, um ihre demokratischen Defizite zu beheben: „So lebe deutscher Patriotismus!“ (Berliner-Zeitung.de)

Patriotismus ist das Privileg der Patres, der Väter. Verfassungspatriotismus ist das Vorrecht der Männer. Selbst bei Frauen sind Frauen noch nicht gleichberechtigt. Vor allem: warum muss der Patriotismus ein deutscher sein und kein demokratischer Kosmopolitismus?

Da hilft nur noch der Spott eines Mannes:

„Welches Volk hat wie das deutsche das Beiwort immer im Munde, welches seinen eigenen Charakter bezeichnet? »Deutsche Kraft«, »deutsche Treue«, »deutsche Liebe«, »deutscher Ernst«, »deutscher Gesang«, »deutscher Wein«, »deutsche Tiefe«, »deutsche Gründlichkeit«, »deutscher Fleiß«, »deutsche Frauen«, »deutsche Jungfrauen«, »deutsche Männer« – welches Volk braucht solche Bezeichnungen außer das deutsche? (…) Was ist dies alles anders als die Selbstquälerei eines Hypochonders.“ (Julius Fröbel)

Eine Fama, dass gnadenloser Wettbewerb das ganze kapitalistische System durchziehen würde. Er soll die Massen zertrümmern und die Einzelnen versingeln. Eliten hingegen wachsen immer enger zusammen, kooperieren rund um den Globus, treffen sich an denselben exquisiten Orten, pflegen den denselben Luxusstil und zeigen dieselbe Verachtung für das niedere Volk, das für sie kein Volk mehr ist, sondern eine geklonte Masse.

Nach Gustave le Bon erkennt man eine Masse an ihrer „Triebhaftigkeit, Reizbarkeit, Unfähigkeit zum logischen Denken, Mangel an Urteil und kritischem Geist. Überschwang der Gefühle. Sie verharrt auf der Entwicklungsstufe von Frauen, Kindern und Wilden.“

Die Wilden in vielen Ländern hat man bereits ausgerottet oder sie zur Übernahme des kapitalistischen Ungeistes gezwungen. Was bleibt? Die Ausrottung der Frauen und Kinder – oder ihre Umwandlung in Herren-Roboter.

 

Fortsetzung folgt.