Kategorien
Tagesmail

Europäische Idee XCIV

Hello, Freunde der europäischen Idee XCIV,

Es fährt ein Zug nach Nirgendwo,
Und niemand stellt von grün auf rot das Licht.
Macht es Euch wirklich gar nichts aus,
Dass unser Erdenleben allmählich zerbricht?

Nicht mal die Grünen stellen von grün auf rot das Licht. Kennt jemand den Namen unserer Umweltministerin? Sie ist die beste Freundin der PS-starken CO2-Industrie.

„Beim Verkehrswegeplan setzte Hendricks keine umweltpolitischen Korrekturen durch, nun gibt sie auch bei der Verschärfung der Umweltzonen auf.“ (ZEIT.de)

Wirtschaftsjournalisten, die verbohrtesten aus der Sekte der Wachstumsfanatiker und Industriefreunderl, haben von Ökologie noch nie ein Wörtchen gehört. Sie wollen wachsen, gedeihen und zunehmen – und wenn die ganze Welt unterginge. Gerechtigkeitsfragen sind für sie „vordergründige Verteilungsfragen“.

„Aber ein paar Steuererhöhungen hier, ein paar Transferzahlungen dort werden das Grundproblem nicht lösen: den Wachstumsstillstand der Produktionsmöglichkeiten, bei gleichzeitiger monetärer Überdüngung.“ (SPIEGEL.de)

„Überdüngung“ ist Wachstum der Gülle ins Selbstschädigende. Wenn wahlloses Wachsen der Geldgülle schädlich ist, warum sollte Wachsen ins Grenzenlose sinnreich sein? Wir brauchen eine bornierte Wirtschaft. Die Erde ist pekuniär überdüngt. Es stinkt nach Geld im Universum, beklagen sich unsre nächsten Alien-Nachbarn.

„Das Wort stammt aus dem Französischen. Der Ursprung liegt im Verb borner, was so viel bedeutet wie „mit einem Grenzstein versehen“. Das Partizip borné

bezeichnet die abgeschlossene Handlung dazu, also „begrenzt“.“

Eine Menschheit, die nicht obergrenzenlos zugrunde gehen will, muss in allen Dingen borniert werden – sonst wird sie von der Natur borniert.

Die Industrie ist die mächtigste und reichste Organisation im Staat. Welche Hilfsprogramme zur Integration der Flüchtlinge hat sie auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung angeboten? Wie viele Gebäude, wie viele Gelder stellt sie zur Verfügung, wie viele Arbeitsplätze hat sie im Angebot? Kurze, nicht ganz richtige und dennoch wahre Antwort: Keine.

„Wenn ich die bescheidene Zahl von Flüchtlingen sehe, die bei den ganz großen Unternehmen einen Arbeitsplatz bekommen haben, dann ist das eher beschämend“, sagt Julia Klöckner. Der Satz muss nicht falsch sein, weil er von einer CDU-Frau stammt. (FAZ.NET)

Die Wirtschaft lässt sich vom Staat, den sie wie einen grenzdebilen Butler behandelt, Flüchtlinge als Arbeitskandidaten auf dem Silbertablett servieren, damit die Zahl der einheimischen Prekariatsmalocher zunehme. Sie benötigen billige Konkurrenz, um die Reservearmeen gegeneinander aufzuhetzen.

Gibt es einen Ausweg aus dem Wachstumsfieber? Der ewige Fortschritt ist eine Sackgasse. Die ununterbrochene Veränderung ist ein Stillstand im Zirkel, ein ewiges Weiter-so des Immergleichen. Sie treten auf der Stelle, die Dynamiker des linearen Scheins. Immobilismus ist das Geheimnis der Progressiven. Nichts soll sich ändern am Ranking der Überfluss-Athleten.

„Welche Idee haben Sie denn für eine Zukunft, in der sich Selbstentfaltung und wirtschaftliche Solidarität nicht ausschließen?“ Fragt der SPIEGEL einen Experten.

„Nachtwey: Das ist die 100-Millionen-Dollar-Frage. Wie kann man die Idee des guten Lebens mit einer Wirtschaft verbinden, die demokratisch-gesellschaftlich gesteuert wird, ohne alles autoritär zu verstaatlichen? Ich habe derzeit keine Antwort. Die Sozialisten des frühen Jahrhunderts haben gesagt: Mit uns ist die Geschichte. Sie haben sich geirrt. Aber sie konnten andere davon überzeugen, dass sie die Welt verändern können.“ (SPIEGEL.de)

Gott mit uns. Mit uns die Geschichte. Der Experte weiß nichts von Heilsreligion, aber Antworten aus dem Geiste des Heils hält er für überzeugend. Wie wär‘s mit der Formel: mit uns die göttliche Komplexitäts-Inkompetenz? Wir verstehen nichts von unserem Job, gerade deshalb sind wir kompetent? Haben wir die Menschheit doch schon viele Male in den Abgrund gestürzt? Die Menschheit hat uns immer wieder gerettet, damit wir sie erneut in den Abgrund stürzen können.

Demütig bekennen wir, dass wir den Bankrott regelmäßig produzieren müssen. Der verlässliche Bankrott ist das Stimulans, ohne welches die Menschheit bei offenen Augen einschlafen würde. Also wachet, ihr wisset nicht, wann die nächste Krise kommen wird, um euch ins Land des Heils – oder der Apokalypse – zu führen. Als Klasse der Eingeweihten wird man wohl erwarten dürfen, von inkompetenten Massen gerettet zu werden. Wofür sind irrationale Horden sonst da? Wir haben das Recht, von denen gerettet zu werden, denen wir schaden. Das ist das Gesetz der Geschichte.

Und wir sind die Besten. Die Erwählten der Evolution. Wir sind der Sinn der Geschichte. Die Vielzuvielen sind nur notwendiges Schmiermittel der Entwicklung. Wird es nicht mehr gebraucht, muss es entsorgt werden – und wir erreichen unbefleckt das Finale.

„Ich habe derzeit keine Antwort“. Experten schreiben Bücher über Defizite der Gegenwart, doch Alternativen kennen sie keine. Wenn ihre Analysen diagnostisch präzise wären, ergäbe sich die Therapie von selbst. Diagnosen ohne Therapien sind Flunkereien.

„Im Moment gibt es aber keine ernsthafte Diskussion über Alternativen, obwohl sie dringend nötig wäre. Ich weiß nur, dass ich nicht glaube, dass es bei der nächsten Krise, die möglicherweise schon in einem halben Jahr kommen wird, wenn die Italiener ins Straucheln geraten, nicht damit getan sein kann, nur die Banken zu retten.“

Wir wissen, wann die nächste Krise kommen wird? Und doch ergreift niemand Maßnahmen, um sie zu vermeiden? Wo ist Merkel? Sie ist ohnmächtig, gelassen, entspannt, überfordert, befindet sich im Herbst der Bewährung (wie oft schon?) – und wie die gesammelten Sprüche ihrer medialen Muttersöhnchen heißen mögen, die nichts unterlassen, um sie vor ihren besten Freunden, Populisten und gottlosen Massen zu retten.

Natürlich werden die Banken wieder gerettet werden. Denn sie sind so konstruiert, dass sie gerettet werden müssen, um den schäbigen Rest der Nationen nicht ganz zu verlieren. Sie sind zu gigantisch, um krepieren zu dürfen. (Too big to fail). Es ist ein Fata-Morgana-Denken des Experten, dass es nicht so weit kommen wird. Hier hülfe auch Beten.

„Im Moment gibt es keine ernsthaften Debatten über Alternativen“, jammert der Experte. Ohne sich die Frage zu stellen, warum in einer Demokratie nicht um den besten Weg aus den Kalamitäten „gerungen“ wird. Weil niemand aus der Etage der oberen Klassen an einer Lösung der Probleme interessiert ist. In der Unlösbarkeit der Probleme sehen sie die verborgene Garantie ihrer ungefährdeten Macht.

Ihre Macht besteht aus inhärenten Krisen, die die unteren Klassen in Angst und Schrecken versetzen. Umso leichter sind sie dafür zu gewinnen, dass das Schlimmste verhindert wird – auch wenn das auf ihre eigenen Kosten und zum Vorteil der Starken geschieht.

Wenn Verliererklassen bestimmten Propagandisten nachfolgen, die die Lösung der Probleme versprechen, werden diese von den Bodyguards der Mächtigen als Scharlatane verbellt. Ganz unabhängig davon, ob jene die Defizite der jetzigen Verhältnisse richtig benennen oder nicht. Ob ihre Lösungsperspektiven realistisch sind oder nicht. Problemlösen an sich gilt als Zeichen des Antichrist.

Die Kinder sollen es richten, indem sie solidarisch werden. Helikoptereltern können sich keine gerechten Errettungskinder leisten. Frühzeitig müssen die Ehrgeizigen sich ihrer Karriere widmen und sich zu „lauter kleinen Narzissten“ entwickeln. Warum spricht der Experte nicht von den riesengroßen Narzissten, die die Wirtschaft an der Leine haben?

Sollten Kinder nicht gerecht werden, sind ihre überehrgeizigen überbehütenden Eltern daran schuld. Was denn nun? Überehrgeizig oder überbehütend? Überehrgeizige behüten nicht und überantworten ihre Kinder dem Moloch Eigensucht & Karriere. Überbehütende sind selten ehrgeizig, weil sie an ihren Kindern kleben und fürchten, jene könnten bei Erfolg in alle Welt hinaus schwirren.

Helikoptereltern, die sich für links-liberal halten, belügen sich selbst. Meint der Experte. Theoretisch sind sie für humane Verhältnisse, in ihrer pädagogischen Praxis jedoch trimmen sie ihre Kinder zu solistischen Karrieristen.

„Denken Sie an die sogenannten Helikopereltern. Die sagen häufig, sie schicken ihr Kind schon mit vier Jahren zum Mandarin lernen, damit es gebildet ist. In Wirklichkeit wollen sie aber auch, dass es in Zukunft, wenn es noch viel härter wird da draußen, der Konkurrenz standhalten kann. Gerade in linken, liberalen Milieus findet sich diese Lebenslüge: Man ist ja immer für soziale Integration auf allen Ebenen – aber nicht mehr, wenn es um den eigenen Nachwuchs geht. Wir werden in den kommenden Jahren sehen, ob diese Kinder später Solidaritätspotenziale entfalten können, oder, ob wir lauter kleine Narzissten produzieren, die nur auf Wettbewerb getrimmt sind.“

Seltsam nur, dass der Experte selbst für Aufstiegschancen plädiert! Wer für eine Gesellschaft mit selektiven Aufstiegschancen eintritt, sollte wissen, dass wenige aufsteigen und viele auf der Strecke bleiben. Wo bleibt da die Solidarität? Der Experte belügt sich selbst. Zudem hat er merkwürdige Vorstellungen von Bildung.

„Natürlich ist Bildung an sich immer ein Wert. Aber Ungleichheit lässt sich nicht allein mit Bildung bekämpfen – sondern nur, wenn diese an mehr Aufstiegschancen und soziale Sicherheit gekoppelt wird. Wenn sich alle auf die Zehenspitzen stellen, kann keiner besser gucken. Wer mehr Geld in Bildung investiert, aber die Beschäftigungsverhältnisse prekär lässt, verkehrt ihr Emanzipationspotenzial – und die Ausbildung wird zu einem weiteren Austragungsort von Wettbewerb und Konkurrenz.“

Echte Bildung wäre in der Tat ein Wert an sich. Weil der gebildete Mensch sich ein vernünftiges Urteil über Mensch und Welt bilden – und für eine vernünftige Welt eintreten könnte. Doch Bildung für einen Beruf oder einen erfolgreichen Aufstieg ist keine Bildung, sondern die Afterform derselben. Ausbildung ist Drill im Auftrag der Mächtigen, die einen funktionstüchtigen Nachwuchs benötigen, um ihren Umsatz zu steigern.

Jede „Bildung“ in einer Konkurrenzgesellschaft ist selbst ein Beitrag, um die Konkurrenz unter den Menschen zu verschärfen. Die Regisseure der kapitalistischen Macht werden ohnehin nicht nach „Bildung“ selektiert, sondern nach Klasse und Herkunft. Man muss den richtigen Stallgeruch mitbringen – dann stehen alle Türen offen.

Schon heute sind die meisten Bildungsstätten im Land gekaufte Mietlinge der Industrie. Die Wissenschaft befindet sich in einer progressiven Verwahrlosung. Warum gibt es im Lande so wenige „Gebildete“ mit Rückgrat? Weil sie ihren Bachelor im Buckeln und Ducken allesamt mit Auszeichnung bestanden haben. Die Zensuren der Schulen sind die besten Zuchtmittel im Dienst einer Hierarchie, die kein Pardon kennt beim Schleifen gefügiger Menschen. Freies Denken in einer machtverformten Gesellschaft wäre wie Urlaub in Guantanamo.

Eine solidarische Gesellschaft ist nicht das Gegenteil einer individualistischen. Sie ist es so wenig, wie echter Sozialismus ein kollektiver Bolschewismus sein kann. Gleichheit ist keine Uniformierung der Gesellschaft, sondern das Gegenteil. Gerade, weil jeder Mensch gleichwertig ist, muss er seinem Nachbarn nicht ähneln wie ein Ei dem anderen. Sein Wert hängt nicht von seiner algorithmischen Begabung ab, sondern von der unverlierbaren Würde seines Menschseins, die unabhängig ist von Bildung, Reichtum und Konkurrenzqualitäten. Das neugeborene Kind ist keinen Deut weniger wert als Melinda Gates, die verhinderte Nonne, die Gutes tut und gekonnt darüber spricht, wenn auch in Demut und Selbstverleugnung.

Die Gleichwertigkeit des Menschen – seine Würde – ist weder käuflich noch durch Leistung erwerbbar. Die Natur hat sie ihm verliehen, der mündige Mensch hat die Stimme der Natur vernommen.

„Individualisierung hat durch die gestiegene Autonomie des Einzelnen auch weiterhin einen Befreiungsaspekt, aber auch etwas Bedrohliches: So konnte ich früher, wenn der Aufstieg nicht gelang oder ich arbeitslos wurde, dem System die Schuld geben. Für das freigesetzte Individuum aber gibt keine Möglichkeit mehr, sein Scheitern zu rationalisieren – ich bin für meinen Misserfolg ganz alleine verantwortlich.“

Kein Mensch kann sich die Umstände seiner Geburt, die Qualitäten seiner Eltern und seine Nation aussuchen. In diesem Sinn hat er seine Talente weder selbst erfunden, noch seine Unfähigkeiten zu verantworten. Erst wenn sein Umfeld ihm die Freiheit lässt, sich ungehindert zu entfalten, kann er sich zum verantwortlichen Wesen entwickeln.

Schuld- und Rachegefängnisse sind ein furchtbares Schandmal sogenannter freier Gesellschaften, die ihre Zöglinge mit systemischer Gewalt zu Kapitalisten, Egoisten – und zu Verbrechern und Übeltätern abrichten. Ein freier Wille kann sich nur in seelischer Gesundheit entfalten und ist zur Unmoral unfähig. Die willkürliche Wahl des Guten und Bösen in freier Humanität ist die abenteuerliche Erfindung von Priestern, die dem Menschen alle Schuld zusprechen, ihrem Gott alles Verdienst reservieren wollen.

Wer glaubt, zwischen Gutem und Bösem nach Belieben wählen zu können, unterschätzt seinen bösen und überschätzt seinen guten Willen. Erst das Gute macht uns frei. Das Böse ist immer die Frucht unserer gesellschaftlichen Determiniertheit.

Kein Mensch überlegt sich von Tag zu Tag, ob er heute Gutes und morgen Böses vollbringt. Aus allen Alternativen sucht er die beste aller Möglichkeiten. Selbst Verbrecher zielen nicht auf das Böse, sondern auf das, was ihnen als Bestes erscheint. Ihre Rache an der Gesellschaft halten sie für gerecht und notwendig. Faschisten wollen mit mörderischen Taten die Menschheit erlösen. Das Böse ist kein Akt kühler Wahl, sondern das Verirrte und Verunglückte in potenziertem Hass – als angeblich Gutes, das der verblendeten Menschheit mit Gewalt eingebleut werden muss.

Freie Demokratien können nur mit freien Menschen gedeihen, die das Glück hatten, dass sie ihr Menschsein in Freiheit erwerben konnten. Die Kategorie unerklärbare, irrationale Schuld sollte aus dem Vokabular der Demokraten gestrichen werden. Normale Schuld ist die Frucht eines kraftlosen, unsicheren und undurchdachten Guten. Amerika, das Land mit den meisten Menschen hinter Schloss und Riegel, ist das Land mit der größten Ungleichheit und Stigmatisierungsgewalt.

Gefängnisse müssen sozialtherapeutische Anstalten sein, in denen gefährliche Menschen separiert werden, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihr Leben zu überdenken und ein sinnvolleres zweites zu beginnen.

Der griechische Philosoph Protagoras war den modernen Gesellschaften um Welten voraus, als er die Vergeltungs- und Rachetheorie als „unvernünftig und tierisch“ verwarf. „Ihr stellt er die vernünftige Anwendung der Strafe gegenüber, die nicht um des Vergangenen willen – das nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann – erfolgt, sondern im Blick auf die Zukunft, um die Wiederholung der strafbaren Handlung zu verhindern. Sowohl im Sinne der Besserung der Übeltäter als auch im Sinne der Abschreckung bei „normalen“ Mitgliedern der Gesellschaft.“ (Wilhelm Nestle)

Freiheit ist ein unentfaltetes Geschenk der Natur, das der Mensch in humaner Gesellschaft entfalten kann. Werde, der du bist. Lerne, was du schon immer kannst. Erkenne, was du schon immer wusstest.

Was für den Bereich der Justiz gilt, gilt auch für den Bereich der Wirtschaft und Politik. Je mehr Versager eine Gesellschaft produziert, desto schuldiger ist sie selbst. Ihr Strafbedürfnis entwickelt komplexe Schuldtheorien, um ihre selbstdenkenden Mitglieder einzuschüchtern und ihre Verbrecher guten Gewissens zu kasernieren. In der Wirtschaft sollen die Rücksichtslosesten und zufällig Erfolgreichsten die Vorbildlichsten sein, damit die Schwächsten und Konkurrenz-Unfähigsten sozial deklassiert und mit Armut und Bedeutungslosigkeit bestraft werden können.

Warum hat die Linke versagt? Weil sie das Panoptikum des ganzen Menschen negiert. Sie reduziert den Menschen zum Arbeitstier, das erst im Reich der Freiheit zu sich kommen darf. Die Linke ignoriert die Psychologie und Philosophie des Menschen in all seinen Aspekten.

Kapitalismus und Sozialismus sind verkümmerte und reduzierte Philosophien, die die Tragweite des unverkürzten menschlichen Lebens zugunsten ökonomischer Faktoren vernachlässigen. Der Mensch ist weitaus mehr als das Produkt des Zufalls und wirtschaftlicher Gesetze wie bei Hayek, mehr als das Produkt der „selbsterschaffenden Arbeit“ wie bei Marx.

Der Gesamtpersönlichkeit des Menschen wurde der Seinsdenker Marx nicht gerecht. Im Hass auf den religiösen Geist seiner Zeit reduzierte er den Menschen zum materiellen Produkt seiner Arbeit. Nicht Denken, Fühlen, Entscheiden, Reden, sich seines Lebens freuen, moralisch und politisch tätig sein, waren für ihn relevante Faktoren. Sondern nur das, was das gesellschaftliche Sein aus dem menschlichen Bewusstsein macht:

„Es wird hier nicht ausgegangen von dem, was die Menschen sagen, sich einbilden, sich vorstellen, auch nicht von dem gesagten, gedachten, eingebildeten, vorgestellten Menschen, um davon aus und bei dem leibhaftigen Menschen anzukommen; es wird von den wirklich tätigen Menschen ausgegangen und aus ihrem wirklichen Lebensprozess auch die Entwicklung der ideologischen Reflexe und Echos dieses Lebensprozesses dargestellt.“ (Marx)

Was ist Arbeit für Marx?

„Der Mensch emanzipiert sich langsam von der Mutter Natur durch den Prozess der Arbeit und in diesem Emanzipationsprozess entwickelt er seine intellektuellen und emotionalen Kräfte; er wird ein freier und unabhängiger Mensch“ – so beschreibt Erich Fromm den naturfeindlichen Charakter des marxistischen Menschen, der sich erst frei wähnt, wenn er durch industrielle Arbeitsprozesse die Mutter Natur unterjocht hat.

Marxens Freiheit ist frauen- und naturfeindlich. Mutter Natur muss bei ihm überflüssig werden wie jede Frau, die in natürlicher Kompetenz Menschen gebären kann. Wenn man Marx hochrechnet, landet man bei Aldous Huxleys Gebärmaschinen und den unsterblichen Algorithmen von Silicon Valley. Im frauen- und kinderfeindlichen Sinn waren Kapitalismus und Sozialismus sich völlig einig.

Kein Zufall, dass der gegenwärtige Neoliberalismus in religiöser Regression die Frauen verachtet, verfemt und vernichtet. Theologen machen die Frauen für ihr Schicksal selbst verantwortlich. „Der Erzbischof von Lima hatte in einer Radioansprache die Frauen Perus dafür gescholten, dass sie Männer durch knappe Kleidung „zu Gewalt verleiten“ und ihnen vorgeworfen, sich „im Fernsehen als Stücke von Fleisch zu präsentieren“. Wenn die Opfer selbst schuldig sind, gibt es genügend Männer, die nicht davor zurückschrecken, an den Frauen das Strafgericht zu vollziehen, das sie verdient haben.

„Brutale Morde an Frauen gehören in Südamerika zum Alltag.“ (FAZ.NET)

Während Frauen in „unterentwickelten Ländern“ um ihr Leben fürchten, werden sie in entwickelten Ländern durch technischen Fortschritt überflüssig gemacht. Zeugen und Gebären ist kein Ergebnis einer liebenden Vereinigung, sondern einer maschinellen Prozedur im Labor.

Gleichzeitig mit dem Hass gegen die Frauen wächst die Allergie gegen die Kinder. Immer modischer wird das Bedauern, eigene Kinder erziehen und auf die verlockenden Früchte der Freiheit weitab von der heimischen Zelle verzichten zu müssen. Das selbständig spielende Kind verschwindet aus dem öffentlichen Raum. Die klirrende Konkurrenz lässt die Aggressionen aller Beteiligten wachsen und bedroht die Präsenz der Kinder in Wald und Feld, auf der Straße und öffentlichen Plätzen.

„Auf den Straßen der Vereinigten Staaten sieht man vieles, aber eines fast nie: spielende Kinder. Irgendwo in Amerika: ein Kind auf der Straße. Wenn die Eltern nicht in Sichtweite sind, ruft wohl gleich einer die Polizei. Keine Woche vergeht ohne neue Angst. Angst vor Terror, vor Muslimen und Mexikanern; vor zu vielen Waffen oder davor, keine Waffen mehr tragen zu dürfen; vor heimischen Zecken, südamerikanischen Zika-Viren und Atombomben aus Nordkorea; vor dem sozialen Abstieg, schlechten Schulnoten, hohen Cholesterinwerten und vor Schneefällen, die sich zu «Monsterstürmen» auftürmen könnten, wie es im vergangenen Winter im Fernsehen hiess. Worauf die Anwohner in meiner Vorstadt sämtliche Supermärkte leer kauften und sich im Keller Notunterkünfte einrichteten.“ (DasMagazin.ch)

Wenn die Menschheit sich immer mehr nach dem Reich Gottes sehnt und sich vor der Apokalypse fürchtet, haben Menschen keinen Sinn mehr für Kinder. Sie werden überflüssig und lästig. Die Angst der Eltern um ihr Wohlergehen wächst ins Unendliche.

Aus welchen Gründen auch immer: Kinder und Frauen haben fertig. Das Finale der Geschichte ist die Epoche des siegenden Mannes, der seine Zukunft in gottähnlicher Einsamkeit aus dem Nichts kreiert. Was liest Obama in seinem Urlaub? Ein Buch über eine moderne Arche Noah:

„Neal Stephensons Science-Fiction-Roman erzählt die Geschichte der Menschheit, die in Erwartung des Endes der Welt eine Arche baut, um die Zivilisation zu retten.“ (Sueddeutsche.de)

Warum gibt es keine Alternativen zum herrschenden Neoliberalismus? Weil:

a) Amerikaner das zweite Kommen ihres Messias in naher Zukunft erwarten,

b) Europäer nur noch unveränderbare Systeme kennen, nicht aber den Menschen in seiner Ganzheit, der sich ändern kann, um jene zu verändern.

Wohl haben die Verhältnisse eine gewaltige Macht über dem Menschen errichtet. Dennoch ist er fähig, durch verständiges Streiten und Entschlüsseln seiner Vergangenheit sein Geschick zu gestalten.

Dies ist ein selbsterfüllender Glaubenssatz des Menschen als Quelle seiner autonomen Humanität. Wer ihn verwirft, folgt einem selbsterfüllenden Glauben zur Selbstvernichtung.

Geschwister, machen wir‘s uns einfach: lösen wir unsere Probleme.

 

Fortsetzung folgt.