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Europäische Idee LXXXVI

Hello, Freunde der europäischen Idee LXXXVI,

1.) die Strafbedürfnisse der Gesellschaft verurteilen den Menschen zum freien Wesen, damit seine Untaten als bösartig gewollte und bewusst verübte mit Fug und Recht verurteilt werden können.

2.) Die Grandiosität selbsternannter Eliten verurteilt die Menschen zu unfreien und vernunftlosen Wesen, damit sie ihre Herrschaft über das Volk rechtfertigen können.

3.) Die Perfektionsbedürfnisse der Autoritäten verurteilen ihre Jugendlichen zu widerborstigen und undankbaren Erziehungsobjekten, damit sie am Scheitern ihrer lernunfähigen Nachwuchshorden auf keinen Fall schuldig seien.

4.) Die Regierenden verurteilen die Massen der Wähler zu lenkbaren und maßlos verwöhnten Untertanen, die sich von allen populistischen Sirenengesängen verführen lassen, damit deren Unzufriedenheit und Neigung zum Fremdgehen nichts mit den Defiziten ihres eigenen Politversagens zu tun haben können.

5.) Die Selbstgefälligkeit einer innerlich ausgelaugten und überforderten, äußerlich saturierten und stumpf gewordenen Gesellschaft verurteilt ihre Verbrecher zu bösartigen, sich allem Verständnis entziehenden Monstren, damit ihre Mitschuld an deren Untaten nicht ans Licht komme.

6.) Die Gottähnlichkeit selbsternannter Stellvertreter des Heiligen verurteilt die Menschheit zu unverbesserlich-satanischen Kreaturen, damit ihre angemaßten Erlöserqualitäten nie in Zweifel gezogen werden und ihre Erlöserherrschaft sich ins

Unendliche erstrecke.

7.) Der Auserwähltheitsdünkel kreativer Wissenschaftler und Techniker verurteilt die Völker zu phantasielosen und trägen Massen, damit ihre messianischen Zwangsbeglückungen und Fortschrittsdelirien als gerechtfertigt erscheinen.

8.) Die Erfolgsreligion wirtschaftlicher Führer verurteilt die Armeen ihrer Lohnabhängigen zu trägen und immobilen Schafherden, damit die klaffende Ungerechtigkeit der Gesellschaften legitim erscheine.

9.) Die Reichen verurteilen die Armen zu ehrgeizlosen Chaoten, damit deren Demütigung durch unwürdige Sozialknete und soziale Deklassierung als gerecht erscheine.

10.) EINPROZENT der Weltgesellschaft verurteilt den schäbigen Rest der Menschheit zu Versagern und Verlierern, damit der obszöne Charakter ihrer Privilegien hingenommen und bewundert werde.

11.) Die Intellektuellen der Welt – die Medien und Gelehrten – verurteilen die Chancenlosen zu ungebildeten, rohen Toren, die nichts als simple Lösungen ihrer Probleme erwarten, damit ihre eigene Kumpanei mit den hochkomplexen und dennoch demütigen Eliten als unvermeidbar erscheine.

12.) Die Starken der Welt verurteilen die Massen der Schwachen zu selbstverschuldeten Tröpfen, die zu Recht untergehen müssen, damit ihre eigenen märchenhaften Karrieren als Früchte ihrer phänomenalen Leistungspotenz daherkommen.

13.) Die Gesunden und Gesellschaftskonformen verurteilen die Amokläufer, Terroristen und seelisch Kranken der Gesellschaft zu heimtückischen Märtyrern, die sich der Welt als bislang unterdrückte, nun aber sich offenbarende Supermänner darstellen wollen, damit ihre eigene psychische Desolatheit hinter dem Panzer mustergültiger Anpassung nicht entlarvt werde.

14.) Europa ist ein Elitenprojekt. Doch scheitert Europa, sind es die Überflüssigen und Vielzuvielen, die das Projekt zu Fall gebracht haben.

15.) Demokratie ist Herrschaft des Volkes. Doch wenn Demokratien verfallen, muss der Souverän an die Leine gelegt werden. Volksherrschaft darf nicht Sache des Volkes sein. Gewählte Eliten sind im Zweifel nicht ihren Wählern rechenschaftspflichtig, sondern ihren einsamen, göttlich geprägten Gewissen, die sich den gottlosen Horden entgegenstellen müssen.

16.) Eliten schaffen und akkumulieren Probleme, die sie nicht mehr lösen können. Für die Kompetenz ihrer selbst eingestandenen Unfähigkeit wollen sie gewählt werden und die Geschicke des Volkes durch Inkompetenz bestimmen.

17.) Oder sie entscheiden ohnehin über die Geschicke der Massen, weil sie über Macht des Mammons, technologischer Überlegenheit, funktionierender Familiendynastien und der Fähigkeit planetarischer Klumpenbildung verfügen.

18.) Der kürzeste Stummelsatz des Grundgesetzes lautet: Eigentum verpflichtet. Vorausschauende Väter des Grundgesetzes wollten zukünftigen Tycoons und ihrer ungewählten Machtentfaltung nicht im Wege stehen.

19.) Das neoliberale Elitenprojekt hat es binnen weniger Dekaden geschafft, die Völker derart zu entmündigen und zu schwächen, dass die Mehrheit der westlichen Jugend keine Demokraten mehr sein wollen.

20.) Die Intellektuellen des Westens – Edelschreiber und Professoren – erfinden ununterbrochen postdemokratische, faschistische Alternativen, indem sie die Mängel der Demokratie aufbauschen und durch angeheizte Hysterien und Kollektiv-Ängste als unlösbare Probleme darstellen.

Unter den Jugendlichen – besonders den reichen unter ihnen – wächst rapide die Neigung zu undemokratischen Militärregimes, die sich nicht die Unverschämtheit des Verteilens erlauben:

„Bei den Jungen und den Reichen – die demokratische Zukunft liegt hier offenbar nicht. Stattdessen entsteht allmählich ein neuer Resonanzraum für den politischen Autoritarismus. Populisten wissen das längst zu nutzen und spielen souverän mit den neuen Möglichkeiten. Die anderen Parteien verharren demgegenüber ratlos: Den Wert demokratischer Institutionen zu beschwören und ihren Sinn besser zu erklären, reicht ganz offenbar nicht aus, wenn man zugleich mitverantwortlich dafür ist, dass sich in den letzten Jahrzehnten die Kluft zwischen Reich und Arm immer weiter vergrößert hat.“ (Berliner-Zeitung.de)

Wer erklärt hierzulande Demokratie? Politiker und Schreiber überschlagen sich im Beschwören der chaotischen Macht des Volkes. Demokratie wird zunehmend als Diktatur der Mehrheiten verleumdet, die nur durch eine Diktatur der Erfolgreichen kuriert werden könne.

Die Kanzlerin verharrt im Modus der Stummheit – man müsste von Mutismus in der verschärften Form des Muttismus sprechen. Und wenn sie mal redet, beschwört sie nur Leerformeln und erklärt nichts.

Horribile dictu: kann es sein, dass sie Demokratie nie richtig verstanden hat? Was sie täglich inzeniert, sind nur machiavellistische Machttechniken unter notdürftiger Wahrung scheindemokratischer Rituale. Ihr religiöser Neoliberalismus ist die Reaktionsbildung ihres religiösen Sozialismus. Ob Kapitalismus oder real existierender Sozialismus, Hauptsache in der Hand Gottes – und Angela ist seine überall einsetzbare Magd. Roland Nelles ist im SPIEGEL ein echter Mutterversteher:

„Angela Merkel plant am Donnerstag einen Auftritt vor der Hauptstadtpresse und wird wegen der Gewalttaten der vergangenen Tage ihren Urlaub unterbrechen. Urlaub? Wer ein bisschen etwas von Politik versteht, weiß, dass ein Kanzler sowieso nie wirklich frei hat. Nun könnte man sagen, das hat sie doch so gewollt. Aber wenn man sich die Serie an Krisen anschaut, die Merkel seit Jahren (auch in den Ferien) zu bewältigen hat, muss man schon sagen: Sie ist nicht zu beneiden.“ (SPIEGEL.de)

Kann es sein, dass Merkel erheblich dazu beitrug, die Krisen Europas mit deutscher Gründlichkeit zu produzieren und zu verschärfen? Right or wrong, my mother. Gott und die aristoi sind immer unschuldig.

Das Volk ist zum beliebig verwendbaren, bornierten, neidischen, alles über den Haufen werfenden, nach simplen Lösungen gierenden, unterkomplexen, nie zufriedenen, übersatten, trägen, unbeweglichen, alles und nichts glaubenden, misstrauischen, nörgelsüchtigen, verantwortungslosen, irrationalen, verängstigten, zur Hysterie neigenden, undankbaren, wankelmütigen, immer schuldbeladenen Projektionsobjekt und Spielball der seriösen, rationalen, zielstrebigen, umsichtigen, Arbeitsplätze schaffenden, transparenten, immer auskunfts- und rechenschaftsfreudigen, weit in die Zukunft schauenden, den Fortschritt meisternden, uneigennützig ans Gemeinwohl denkenden, das Schicksal der Menschheit tief im Herzen bewegenden und immer reinen und unschuldigen – Besten der Besten geworden.

Achtung, Haltung einnehmen! Der Gott in der Verfassung ruft zum lutherischen Dankchoral:

„Nun danket alle Gott
mit Herzen, Mund und Händen.
Der große Dinge tut
an uns und allen Enden,
Der uns von Mutterleib
und Kindesbeinen an
Unzählig viel zu gut
bis hierher hat getan.“

Das Volk muss perfekt sein, sonst hat es keine Demokratie verdient. Fehler darf es keine machen. Wählt es zweimal das Falsche – muss es abtreten. Wird es wütend auf seine Regierung – muss es abtreten. Ist es auf Willkommenskultur gestimmt – muss es wegen gutmenschlicher Debilität abtreten. Ist es eigensüchtig – muss es wegen mangelnder Solidarität abtreten. Ist es konsumgeil – muss es wegen mangelnder Weisheit, ist es konsumverweigernd – wegen ökonomischer Dummheit abtreten.

Das Volk kann tun und machen, was es will: die Stunde der Demokratie ist abgelaufen. Wir müssen uns neu erfinden, nein, erfinden lassen.

Völker wollen nur Ruhe, anödende Grillfeste, ihr Lüstchen am Tag, ihr Lüstchen in der Nacht. Mit solchen Völkern ist kein Staat zu machen. Oh heiliges Silicon Valley: vertilge diese nichtsnutzigen und sterblichen Völker vom Erdboden und erfinde neue aus dem Geist ruhmreicher Zukunft, in der geniale Roboter die Erdherrschaft übernehmen werden.

Es geht um Schuld. Wenn Nobodys von unten schuldig werden, müssen sie erbarmungslos geröstet werden. Die Öffentlichkeit wird zur Kollektiv-Therapeutin – die nicht verstehen, sondern drein schlagen will. Jedes biografische Steinchen wird umgedreht. Alles muss transparent werden. Aus rationaler Vorsorge? Aus politischer Prophylaxe? Aus Gründen der Rache und eines sich überschlagenden Abscheus vor dem Amoralischen, das man in Literatur und Kunst sonst inbrünstig verehrt. Nichts Schlimmeres in komfortablen Zeiten als erhobene Zeigefinger oder die Moral von der Geschicht.

Nun hat die virtuelle Idolisierung des Bösen die Wirklichkeit eingeholt. Die Brandstifter sind von der Bühne herabgestiegen und mischten sich mit entzückenden Feuerwerken unters Publikum. Heissa, war das eine verrucht geniale Inszenierung der Apokalypse, die man hierzulande zu verleugnen und zu verspotten pflegt. Wartet noch ein Weilchen und der unerschütterliche Glaube ans Ende der Zeiten wird auch hier einschlagen wie ein Blitz. Die Mächte der Unvernunft werden losgelassen, alle werden einträchtig zum Altar des Herrn eilen.

Wie groß ist die Macht therapeutischen Verstehens in Deutschland? Galt es einst als schick, auf der Couch gelegen zu haben, gelang es Freuds Tiefenanalyse bis heute nicht, sich als Erkenntnismittel der Gesellschaft zu etablieren. Ohnehin waren es nur wenige wie die Mitscherlichs und H. E. Richter, die ihre Durchleuchtungskünste in der Politik erprobten. Das lag nicht zuletzt am Erfinder der Psychoanalyse, der nichts mehr hasste als Schüler wie Wilhelm Reich, die marxistische Gesellschaftsanalysen mit tiefenpsychologischen Methoden zu verbinden trachteten. Reich flog aus beiden Vereinen, dem der Freudianer und dem der Marxisten.

Noch immer gilt Gesellschaft als Maschine ohne psychischen Unterleib. Die Maschinisten, die Staat nicht von Demokratie unterscheiden können, wollen Stellschrauben sehen, damit sie mit Vorschlaghämmern und Pressluftbohrern an ihnen herumpfuschen können. Die Gesellschaft soll ein Organismus sein? Ja, sind wir denn wieder im organischen Staatsdenken der Nationalsozialisten? Im Gegenteil. Jene dressierten den kollektiven Organismus, als sei er eine Maschine.

Viele Menschen sind auch nur ein Mensch, wenn auch in quantitativer Vergrößerung. Selbst Natur ist keine Maschine, ihre Gesetze dienen der Minimalerhaltung ihrer Geschöpfe und sind keine kompletten Zwingherren, weshalb der Mensch Teil des Kosmos und dennoch ein freier Geist sein kann.

Gesellschaften haben – wie Individuen – eine Biografie. Historiker, die die Kollektiv-Biografien der Nationen studieren, um sie zu verstehen, ihre Erkenntnisse aber dem politischen Nutzen der Gegenwart entziehen – sie sprechen von Historismus –, sind Therapeuten vergleichbar, die die biografische Anamnese erheben, um den Patienten anschließend davonzuschicken. Mit der Begründung, biografische Erkenntnisse taugten nicht zur Erhellung gegenwärtiger Probleme. Aus der Geschichte könne man nicht lernen. Das Vergangen sei vergangen und diene nicht der Belehrung der Gegenwart.

Geschichte wird zur Bildung, Bildung zum Bauchladen narzisstischer Gelehrter, die ihr kostbares Gut nicht Säuen zum Fraße vorwerfen wollen. Während Naturwissenschaftler all ihre Erkenntnisse subito militärisch-technischen Machtkomplexen ausliefern, haben Geisteswissenschaftler nichts Besseres zu tun, als mit wissenschaftlichen Erkenntnissen ihre Elfenbeintürme zu tapezieren.

Wer aber wirklich verstehen will, muss mit eigenen Gehirnzellen verstehen, und die sind aus der Gegenwart. Zwar wird er Vergangenes akribisch erforschen, doch das Verständnis des Früheren ist die Leistung seines heutigen Kopfes.

Da man Böses nicht verstehen kann (würde man es verstehen, wäre es nicht böse), gilt jedes Verstehen als sentimentales Verzeihen. Attentäter hat man nicht zu verstehen, sonst darf man sie weder lynchen noch in die Hölle schicken. Der Böse ist kein Mensch mehr, aus dem Bereich des Menschlichen muss er ausgeschlossen werden.

BILD-Reichelts Hassorgie auf die Täter und alle jene, die sie verstehen wollen, bewegt sich bereits im Vorfeld indirekter Forderungen nach der Todesstrafe.

„In den Untaten von Terroristen nach Motiven zu suchen, verschafft ihnen eine Legitimation, die sie nicht verdienen. Größtmögliche Auslöschung, inklusive ihrer selbst, ist ihr einziges Motiv. Terror ist keine Reaktion auf irgendetwas, das wir falsch gemacht hätten. Terroristen verdienen nicht, dass wir ihnen und ihren Taten eine andere Ursache zugestehen als ihre eigene selbstherrliche Mordlust. Wer daran zweifelt, ist auf dem besten Weg, für Terroristen Verständnis zu haben.“

Hier bleibt nur der totale Ausschluss der Untermenschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Gefängnisse wären Kerker für satanische Bestien. Der nächste Schritt wäre ein deutsches Guantanamo, hierauf der Trump’sche Galgen.

Warum wird BILD wegen Täter-Rassismus und Degradierung von Menschen zu Untermenschen nicht in Straßburg angeklagt?

Wer künftige Schrecken vermeiden will, muss Täter als Menschen betrachten – um sie nicht zu schrecklichen Tätern werden zu lassen. Gestern der Hass der BILD gegen Griechen, heute der gegen Attentäter, morgen gegen – alle Merkelkritiker? Eine Gazette, die derart voller Hass steckt, kann auch Israel nicht lieben. Das Gegenteil ihrer blinden Feindschaft wider alle Palästinenser ist nicht Sympathie für die Feinde derselben. Wer hasst, dessen Hassobjekte können blitzschnell wechseln und zwanghafte Kriecherei in Abscheu verwandeln.

Verbrechen sind Krankheiten. Krankheiten aber sind – halten zu Gnaden – philosophische Einsichten, konkretisiert und überprüft an empirischen Symptomen. Wie alle philosophischen Erkenntnisse, die nicht aus der Luft gegriffen und in der Praxis erprobt sein wollen. Hippokrates, Begründer der abendländischen Medizin, war Philosoph. Wer kein philosophisches Gesamtbild vom Menschen hat, kann ihn weder verstehen noch seine Leiden lindern. Dass die heutige Medizin die Psyche verstieß und nur den Körper traktiert, hat sie in die Sackgasse der Pillen und Maschinen geführt.

Der gesunde und glückliche Mensch ist unfähig, Verbrechen zu begehen. Dass auch der Beste in Abgründe blickte, wenn er sich wirklich erforschte, ist solange richtig, als auch die Besten in einer maladen Gesellschaft nicht pumperlgesund sein können. Wir sind allzumal kapitalistische Sünder und ermangeln des Ruhmes.

Die Religion darf ungestraft sagen, dass das Leben hienieden ein irreparables Lazarett ist. Weshalb Gottesmänner sich befugt fühlen, sich als Erlöser anzupreisen. Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Für die Religion sind alle Menschen unheilbar krank. Nur der Allmächtige kann sie erretten. Die Kränkung der Welt ist selbst Teil der Krankheit. Erlöser müssen die Welt zu einem Jammertal machen, damit ihr Anspruch einer übernatürlichen Heilung gerechtfertigt erscheint. Religion ist selbst die Krankheit, die sie kurieren will.

Konträr zur heteronomen Religion ist Demokratie der Versuch zur Selbstheilung autonomer Menschen. Der Mensch hat viele Gebrechen und Mängel. Gleichwohl ist er fähig, deren Ursachen zu erkennen und durch menschliches Miteinander zu heilen – oder ihnen gar vorzubeugen.

Philosophische Selbstbesinnung ist die Voraussetzung jedes Menschen, ein fröhliches Mitglied der Polis zu werden. Private Erbaulichkeiten genügen nicht. Die ganze Gesellschaft, ja alle Völker der Welt müssen human werden, damit der Einzelne ein wahrer Mensch werden kann.

Adornos Satz: in einem falschen Leben gibt es kein richtiges, war marxistisch-messianisch und also falsch. In jedem Leben gibt es Funken und Anteile des Richtigen. Kein Mensch ist ein Untier aus der Hölle. Wär‘s anders, wäre alle politische Arbeit vergeblich.

Fragen nach Gesundheit und Krankheit sind philosophische Grundentscheidungen. Wer den Menschen für eine trostlose Bestie hält, muss auf Demokratie und Humanität verzichten. Bei ihm hülfe nur das Hackebeilchen und die Guillotine der Despoten.

Sage mir, welches Menschenbild du hast und ich sage dir, welches Regime du innerlich präferierst. Viele „Demokraten“ von heute halten den Menschen für ein unverbesserliches Monstrum. Ob sie es wissen oder nicht: ihr demokratisches Pathos wird durch ihr desolates Menschenbild ad absurdum geführt.

Der gegenwärtige Streit um die Charakterstruktur terroristischer Verbrecher ist ein Grundlagenstreit um die Frage: wie siehst du den Menschen? Ist er lern- und gemeinschaftsfähig – oder ist er eine unrettbare Fehlgeburt der Natur, die man vernichten muss, wenn man sie loswerden will?

Die gegenwärtigen Ausbrüche und Tiefenkollisionen Europas sind gefährlich und schwer zu ertragen. Doch die Eruption des Verdrängten und Verbotenen ist die einzige Chance, uns im Spiegel unserer unverzerrten Realität zu betrachten. Andere Wege, uns wahrzunehmen und zu verändern, gibt es nicht.

 

Fortsetzung folgt.