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Europäische Idee LXXVIII

Hello, Freunde der europäischen Idee LXXVIII,

die athenische Urdemokratie war die schlechteste aller Demokratien, mit Ausnahme aller modernen.

Die athenische Demokratie war die schlechteste ihrer Zeit. Gleichzeitig war sie die beste, denn eine andere gab es nicht.

Kann eine moderne Demokratie von der athenischen lernen? Wie sollte sie, wenn Lernen in der Demokratie abgeschafft wurde? In der Moderne gibt es Lernen nur in der Form wirtschaftlicher und technischer Indoktrination. Leben lernen als freie Gestaltung seiner irdischen Existenz – als Bildung – hat die Moderne gestrichen.

Ausbildung zum Gehorsam unter unveränderliche Gesetze persönlichen Erfolgs ist das Gegenteil von Bildung. Der Mensch hat Geschichtsgesetze zu erfüllen. Sei es der Evolution, sei es einer unentrinnbaren Heils- oder Unheilsgeschichte – die längst zu einem einzigen Supergesetz zusammengeronnen sind. Der Mensch muss dem Gott Fortschritt gehorchen. Dem Fortschritt als Aufstieg von Wenigen in einen zweiten Garten Eden oder als Absturz der Massen ins Nichts.

Könnte eine moderne Demokratie von der athenischen lernen – wenn sie denn lernen könnte? Von wem sollte sie sonst lernen? Trotz aller Mängel bleibt Athen die reinste Ausprägung und das Urmodell aller Demokratien.

Von der Vergangenheit lernen, widerspricht der Zukunftsgläubigkeit der Zeitgenossen, die alles Alte verachten und das Neue täglich aus dem Nichts erfinden. Das Neue wurde zum Inbegriff des Messianischen, das Alte zum Synonym des Heidnischen und Verwerflichen.

Die Griechen waren stolze Heiden, die von demütigen Frommen der Frohen Botschaft beinahe vollständig eliminiert worden wären – wenn die Weisheit der Welt nicht nach Bagdad hätte fliehen und über den Umweg des frühen und aufgeklärten Islam doch

 noch ins mittelalterliche Europa hätte vordringen können.

Die Kirche glaubte, die heidnischen Elemente als Instrumente ihrer Macht missbrauchen zu können. Doch die vermeintlichen Werkzeuge entwanden sich der Oberherrschaft der Kirchen, machten sich selbständig und begannen ihren langen Kampf gegen die Despotie des Heiligen Geistes. Jeder Mensch, der heute seinen eigenen Kopf benutzt, steht in der Tradition der Hellenen – ob er es weiß oder nicht.

Viele Phänomene der beiden feindlichen Elemente Griechentum und Christentum haben sich zu konfliktreichen Synthesen überlagert, sodass manche Gläubige sich für aufgeklärt halten können und viele Aufgeklärte noch immer religiöse Eierschalen tragen.

Die Epoche der Aufklärung war nicht das letzte Wort der Vernunft. Noch heute ist es dringend notwendig, die irreführenden und konfliktreichen Überlagerungen aus Denken und Glauben aufzuspüren und voneinander zu sondern. Unvollständige Aufklärung muss in mühevoller Kleinarbeit über sich aufgeklärt werden. Nicht als hinterlistige Rückführung zum Glauben, sondern als planetarischer Kampf um die Selbstbestimmung des Menschen, der sein Schicksal auf Erden nicht in Geschichtsuntertänigkeit bestimmt, sondern in Auseinandersetzung aller Demokraten um den besten Weg zum friedlichen Miteinander der Menschen.

Irdische Vernunft ist selbstbestimmt-utopisch, und nicht einem eschatologischen Ukas unterworfen. Das ist ein Kampf um Sein oder Nichtsein des freien Menschen. Dennoch ist es kein „manichäischer“ Kampf um Göttliches und Satanisches. Vernunft kennt kein Böses, sondern nur Irriges, das schrecklich werden kann – und Lernendes, das dem Irrigen auf die Schliche kommt und seine Schlussfolgerungen zieht.

Das Böse des Glaubens hingegen ist veränderungsunfähig und also unrettbar verloren. Nur mit Gewalt kann es aus dem Weg geräumt werden. Das Irrige kann verheerend sein, dennoch entstand es aus dem Bestreben des gutwilligen Menschen, sein Schicksal optimal zu gestalten.

Wie das Optimale zum Infernalischen werden kann, muss sorgfältig rekonstruiert werden. Wer die verschlungenen Wege des Irrens und Scheiterns mit Kopf und Herz verstanden hat, hat sich auch die Freiheit errungen, sich der Wiederholung des Entsetzlichen zu widersetzen. Im Wettstreit der Freien um die Wahrheit des gelingenden Lebens.

Nur das Unverstandene zwingt die Menschen zu endlosen Wiederholungen des Unmenschlichen. Die Erkenntnis der Wahrheit widersetzt sich der unverstandenen und als dämonisch empfundenen Unwahrheit des Inhumanen.

Die Suche nach der Wahrheit ist kein einsamer Kampf von selbsternannten Erleuchteten und passiven Offenbarungsempfängern. Es ist der gemeinsame Streit freier Menschen, die sich als politische Gemeinschaft definieren. Wahrheit ist das gemeinsame Produkt der Auseinandersetzung freier Menschen – in der Demokratie. Despotien, Diktaturen und omnipotente Herrschaften Einzelner und Weniger unterdrücken den freien Gedanken, der sich keiner Macht und keinem Denkverbot unterwirft.

Freies Denken folgt nur einer Stimme: dem betörenden und nüchternen Gesang der Vernunft. Es gibt keinen Menschen auf Erden, der diesen Gesang nicht in seiner Kindheit vernommen hätte – und wenn es nur Ahnungen desselben gewesen wären.

Freies Denken ist keine Akrobatik genialer Geister oder solcher, die sich dafür halten. Sondern ein intensives Gespräch unter Freunden und Gleichberechtigten, in welchem Geben und Nehmen sich ergänzen. Niemand ist so klug und weise, dass er auf die Agora verzichten könnte, niemand so verrannt und beschädigt, dass er keinen Beitrag zur Wahrheitssuche leisten könnte.

Tiere haben Schwarmintelligenz, Menschen müssen ihre Schwarmintelligenz erst lernen. Ein intelligenter Schwarm ist kein totalitäres Zwangsinstrument, sondern die mühsam erarbeitete Übereinstimmung der Vernünftigen, die nach vielen Irrungen und Wirrungen Land sehen. Das Land der Utopie – das sie bereits in nuce in sich hatten.

Eine Utopie ist keine paradiesische Gnadengabe. Sondern das Ziel vernünftigen Suchens und Findens. Unterwegssein ist alles, das Ziel ist nichts? Fehlt das humane Ziel, muss das Unterwegssein im Verhängnisvollen enden.

Die Koordinaten des Zieles können nicht von Anfang an in aller Klarheit und Deutlichkeit angegeben werden. In gemeinsamer Suchbewegung müssen sie fortlaufend erraten, erstritten, entschieden, korrigiert und neu entschieden werden. Weder Priester noch Eliten, Mächtige, Genies oder sonstige charismatische Führer bestimmen das Ziel der Menschheit, sondern die gesamte Gattung in ihrer planetarischen Zusammengehörigkeit.

Keine Einzelgruppe, und sei sie noch so mächtig, wird das Ziel für sich allein erreichen. Die Kosten, die sie zahlen müsste, wären menschliche Verkümmerung und Entartung in absoluter Machteinsamkeit. Solche „Sieger“ der Heilsgeschichte wären Götter, die von der Angst ihrer Unterdrückten lebten, aber keine mitfühlenden Wesen, die in ihren Mitmenschen ihre Ergänzung und Bereicherung erlebten.

Demokratie ist keine politische Maschinenerie wie andere staatliche Maschinerien, bei denen man nur wissen muss, wie man äußerliche Stellschrauben einstellt und mechanisch verändert. Demokratie ist vor allem kein Staat, vergleichbar einem absolutistischen, aristokratischen, despotischen oder totalitären Staat. In einer Volksherrschaft geht alle Gewalt vom Volke aus.

Hierzulande spotten Verächter des Volkes: und wohin geht sie denn, die Gewalt, die vom Volke ausgeht? Sie geht nirgendwohin, sie bleibt beim Volk. Sie geht auch nicht ins Parlament, denn es gibt kein Parlament, das nicht selbst Volk wäre.

Wer sich über das Volk erhebt, sich außerhalb des Volkes wähnt, ist kein Demokrat, sondern ein Verächter der Demokratie. Ein gewähltes Parlament ist kein Widerspruch zur direkten Volksherrschaft, sondern nur ein Notbehelf und eine Variante unter Bedingungen riesiger Nationen. Das Volk hat die Macht nicht abgegeben, sondern nur für eine begrenzte Zeit delegiert.

Die Macht der Gewählten ist keine, die sich um das Begehren des Volkes nicht zu kümmern hätte. Besteht ein Volk aus stolzen selbstbestimmten Mitgliedern, wird es seine Abgeordneten in täglicher Auseinandersetzung überprüfen und zur Rechenschaft ziehen. Parlamentarier, die sich vom Votum ihrer Wähler lösen und ihrem Gewissen verantwortlich sein wollen – das sie als göttlich und nicht rechenschaftspflichtig definieren – haben von Demokratie nichts verstanden. Mit einem listig eingeschmuggelten Gott in der Verfassung und einem aller Vernunft entzogenen Gewissen wollen diese Gewählten die Herrschaft des Volkes in eine Herrschaft des Klerikalen verwandeln.

Besonders Deutsche, die sich für aufgeklärt und gläubig halten, sind unfähig, sich der Fremdbestimmung gottgleicher Autoritäten zu entziehen. Die Stimme ihrer eigenen Vernunft erscheint ihnen schwächlich und minderwertig. Sie brauchen das Donnerwort von Propheten, Richtern, Erlösern und platonischen Weisen, die ihre Wahrheit nicht dem Disput auf dem Marktplatz, sondern privilegierten Eingebungen zu verdanken haben. Diese fühlen sich nicht mehr rechenschaftspflichtig gegenüber den Massen auf der Straße, sondern gegenüber ihren hermetisch verschlossenen Privaterleuchtungen.

Von daher die hochmütigen Wendungen derer, die sich über das Volk erhaben fühlen: die Menschen auf der Straße muss man mitnehmen. Man muss sie abholen, wo sie stehen. Sie stehen im Lärm der Öffentlichkeit, schutzlos den Sirenengesängen von Demagogen und Populisten ausgeliefert. Sagen diejenigen, die selbst das Volk ihres Weges führen wollen.

Das Volk wird zur unmündigen und und vernunftlosen Schafherde degradiert, die unfähig ist, Sirenengesänge von Vernunftgesängen zu unterscheiden. Kein Volk ist irrtums- und fehlerlos. Deshalb hat eine debattierende Öffentlichkeit dafür zu sorgen, dass die Geister geprüft werden. Die oberen Klassen, zu denen sich die Gazettenschreiber hinzugesellt haben, beherrschen alle Tricks, um mit gespreizter Gelehrten- und Feuilletonsprache das Volk an der Nase herumzuführen.

Das jahrhundertealte Herrschaftswissen der oberen Klassen ist den von aller echten Bildung abgeschnittenen unteren Klassen noch immer weit überlegen, sodass sie nicht in der Lage sind, die Oberen mit deren eigenen Waffen zu schlagen. Allerdings sind sie nicht länger gewillt, den bigotten Maximen der Oberen in schafsmäßiger Untertänigkeit zu folgen. Rund um die Welt beginnen sie zu rebellieren, wenn auch vielfach in unflätigen Shitstorms, die sachlich nicht treffen, was sie meinen. Nicht mehr lange und sie werden es gelernt haben.

Wie viele Basisgruppen, Initiativen und Volksbewegungen sind bereits in der Lage, die Dunkelmännerkünste moderner Brahmanen zu zerlegen und die Nomenklatur der „Besten und Tüchtigsten“ zu zerreißen.

Warum fürchten die Oberen die Populisten wie den Gottseibeiuns? Weil sie Angst haben, das Volk könnte bald in der Lage sein, die Rosstäuschereien der herrschenden Klassen zu durchschauen. Die lächerlichen Kaiserlein fürchten, dass man ihnen die Kleider auszieht – die sie nie hatten.

Ist es Wahnsinn, so hat es doch Methode. Seit Erfindung der männlichen Hochkultur sind es die hohen Männer, die ihre Völker regelmäßig ins Unglück stürzen. Wer aber ist schuld am Debakel der Menschheit? Die Kleinen, Schwachen und Ohnmächtigen, die man zu wilden Bestien deklariert.

Wie legitimiert die Elite ihre Herrschaft seit 1000en von Jahren? Mit der Bosheit und Borniertheit der Massen. Wer beginnt alle Kriege? Wer zerrüttet regelmäßig die Finanzen der Welt? Wer erfindet alle Maschinen, mit denen man die Menschheit überwachen und drangsalieren kann? Wer fühlt sich berechtigt, die Zukunft in allen Einzelheiten zu dominieren – ohne die Völker zu befragen? Wem gehören die Medien, die die Politiker nach Belieben vor sich hertreiben?

Die Lügen der Brexitbefürworter wurden von einem Großteil der englischen Presse unterstützt und verbreitet. Für hiesige Medien kein einziger Kommentar wert. Das Wort Lügenpresse wird als Erfindung von Reaktionären geortet und damit unschädlich gemacht. Der Beifall der falschen Seite ist Garant der eigenen Wahrheit – obgleich man alle Wahrheit längst ausgeschieden hat. Sage links, sage rechts, dann hast du zwar nichts gesagt – aber du hast deinen Feind erledigt.

Wahrheit wird nach dem Echoprinzip geortet. Woher kommt das Echo? Kommt es aus der falschen Ecke, kann es niemals richtig sein. Also muss man die richtige Ecke zuvor festlegen, damit man nichts über die Sache sagen muss, sondern sich mit geographischen Ortungen zufrieden geben kann.

Die Nomenklatur der Mächtigen besteht aus Luftnummern und Blasenbildungen. Jede Woche wird eine neue Luftnummer durch die Gazetten gejagt. Momentan sind es die Populisten, die jene, die sie beschimpfen, als Erwählte oberhalb des Populus aussehen lassen sollen. In der Demokratie ist ein Wort zum heftigsten Schimpfwort geworden, das Bemühungen um das Volk als diabolische Meisterleistung bezeichnen soll. Es gibt verdammenswerte Volksverführer. Wer aber die eigene Kaste als sakrosankt erklärt, indem er mit dem Finger auf andere zeigt – was ist der? Ein Volksverführer der Extraklasse.

Alle Schuldigen des europäischen Debakels sind noch in Amt und Würden. Die urdemokratisch empfindenden Briten sind die Ersten, die ihre Hauptbetrüger in die Wüste schicken. Kann es in Deutschland einen derart klaren und kritischen Bericht geben wie den über die englische Beteiligung an den Völkerverbrechen im Irak? Dagegen ist der Untersuchungsbericht über die unendliche BER-Schande ein einziger Skandal. In England wird der Schuldige benannt: es ist der Dabbelju-Kumpan Tony Blair. In Berlin müsste ein gewisser Wowi an den Pranger. Der vorsorgliche Parteienproporz aber verhindert alle Eindeutigkeiten.

Ohnehin ist in Deutschland die Kategorie der schuldhaften Ursache längst aus dem Weg geräumt. Warum ist alles so herrlich komplex und undurchschaubar? Damit es niemanden geben kann, der für simple und fahrlässige Versäumnisse zuständig sein kann. Wer seinem Gewissen verantwortlich ist, spricht mit seinem Gott – und ist mit sich im Reinen. Wofür hat man Popen an jeder Straßenecke, wenn nicht zur Exkulpierung unserer Gewissensträger? Demokratie lebt von Voraussetzungen, die sie selber nicht erfüllen kann, sagen die Erleuchteten. Womit sie die Demokratie als Parasitin der Offenbarungsbesitzer in den Staub treten.

Für Deutsche ist Demokratie ein Schönwetterspiel. Solange die Sonne scheint und der Rubel rollt, spielt man mit. Ohnehin hat man nichts Besseres zu tun. Wenn aber dunkle Wolken aufziehen, ist es an der Zeit, Tacheles zu reden. Volksbefragungen? Mit Völkern, die ihren „irrationalen Emotionen“ ausgeliefert sind? Nicht mit rationalen Übermenschen, die Fleischhauer und Augstein heißen. Nicht mit Edelschreibern, die stolz sind auf ihre Meinungslosigkeit, mit der sie die Meinungen der Anderen versenken. Hat das Volk jemals richtig abgestimmt? Horden kann nichts Besseres Passieren, als dass sie von Gewählten am Nasenring geführt werden.

Selbstverständlich ist jede Wahl eines Abgeordneten ein imperatives Mandat: ein Imperativ des Volkes. Was sollte es denn sonst sein? Wer dem Imperativ aus Gewissensgründen nicht mehr folgen kann, sollte sein Mandat gefälligst ans Volk zurückgeben. Sein Mandat war kein Gnadengeschenk eines Gottes.

Demokratie ist keine hinterlistige Theokratie. Vox populi, vox dei? Wer Volk mit Gott gleichsetzt, kann sich demokratische Leidenschaft sparen. Er frage seinen Popen, was er tun soll, dann hat er seine Schuldigkeit getan. Kein Gott spricht durch das Volk, kein Volk besitzt göttliche Unfehlbarkeit – wie gewisse völkische Bewegungen sich anmaßten, die Stimme ihres Gottes zu vollstrecken, die sie in der Stimme ihres Führers hörten.

Wenn das Misstrauen in das Volk derartige Ausmaße angenommen hat: wie kann man noch von sinnvoller Herrschaft des Volkes sprechen? Die Deutschen kehren in Lichtgeschwindigkeit zu jenen Bewegungen zurück, die seit der Romantik die zarten Anfänge der Demokratie den Hunden zum Fraß vorgeworfen haben. Die Deutsche Bewegung steigerte sich von Fichte über Hegel zu Nietzsches Übermenschen, die sich anmaßen, die Erdherrschaft anzutreten und den Allzuvielen den Marsch zu blasen.

Fast die gesamte unheilvolle Tradition dieser ehrenwerten Denker und Dichter ist heute weiß gewaschen. Wie kann man Lichtgestalten und Bildungstitanen als Vorläufer des Schreckens betrachten?

Demokratische Kompetenz wird landauf landab in allen Medien als instrumentelle Intelligenz ausgegeben. Wer frühgenial ist, bei Jauch abgeräumt, in „Jugend forscht“ einen Preis gewonnen hat, Sprachen spricht und Algorithmen beherrscht – der muss ein Liebling des Volkes sein. Wer druckreif formuliert, schneller spricht als Maischberger, der muss ein genialer Politiker sein. Wer Physikerin ist und regelmäßig Bayreuth besucht, in spannungsreichen Situationen „sich entspannt und gelassen gibt“, der muss ins Parlament und Mutter aller Deutschen werden.

Zwischen der griechischen und der modernen Demokratie gibt es hanebüchene Systemvergleiche. Die Mängel der Griechen werden dämonisiert, die der Modernen verniedlicht. Die Lügen der modernen Griechenverächter gehen so weit, dass sie den Athenern das Fehlen der Menschenrechte vorwerfen. Dass die sokratischen Schulen, geboren aus dem Geist der Agora, die Gleichheit aller Menschen verkündet haben: solche Kleinigkeiten werden höheren Orts gern übersehen. Schließlich hat man doch Gottes Wort als Quelle alles Guten, was braucht man da noch die verfluchte Weisheit der Welt?

Ein Professor des Rechts erledigte die griechische Demokratie in 2,5 Sätzen in einer PHOENIX-Debatte. Niemand widersprach. Wer den Wert des Parlaments als Berstschutz vor emotionalen Exzessen des Volkes erkannt hat, der muss nicht mehr wissen, dass eine repräsentative Demokratie in der Weimarer Zeit nicht die geringsten Probleme hatte, vom gewählten Parlament über Hindenburg zu Hitler zu gelangen. Eine deutsche Demokratie lebt von Voraussetzungen, die nur ein Sohn der Vorsehung erfüllen kann.

Die antike Demokratie soll keine Gewaltenteilung gekannt haben. Zudem besaß sie die Unverschämtheit, keine Parteien zu kennen – weil jeder Bürger seine eigene Position einbringen konnte. Heute tut man, als hätten Sykophanten und Demagogen leichtes Spiel gehabt. Gewiss, das gab es alles. Jakob Burckhardt, väterliches Über-Ich Nietzsches und vehementer Hasser aller Volksgewalt, wird nicht müde, Athen zum Eldorado der Verleumder und Denunzianten zu erklären.

Doch das Schlichte übersah er: vor lauter Ausnahmen konnte er die wohltuende Ordnung der athenischen Demokratie nicht erkennen, die es immerhin zur führenden Nation in der damaligen Welt brachte. Keineswegs nur mit überlegener Waffengewalt, sondern mit allen kulturellen Errungenschaften, von denen Europa und die ganze Welt noch heute profitieren. Als da sind die Kunst des Schönen, das dramatische Theater, die Poesie, – auch der „unterdrückten“ Frauen –, Philosophie, Rhetorik, die logischen Grundlagen aller heutigen Wissenschaften, das Recht der Gleichen und Freien, die Menschenrechte aller Völker, die Geographie, die Musikwissenschaft usw.

Künste und Wissenschaften haben nichts mit Demokratie zu tun? Irrtum. Der Mensch kann seine Talente nur in Freiheit entfalten. Nur wo jeder frei denken, fühlen und sprechen kann, wo wirtschaftliche Ungleichheiten reduziert, die Macht der Adligen beendet, das Recht allen zuteil wird, in der Volksversammlung jeder seine Meinung sagen, im Volksgericht sein Urteil abgeben kann, da ist der Mensch in der Gemeinschaft zu Hause. Selbst Tagesgelder (Diäten) wurden ausgegeben, damit auch das arme Bäuerlein seine Arbeit vernachlässigen und am Politgeschehen teilnehmen konnte. Hier war er Mensch, hier durfte er es sein.

Wo zeigt sich demokratische Gerechtigkeit? Wo „alle über jeden herrschen und jeder abwechlungsweise über alle. Zur Freiheit gehört es, dass man abwechselnd regiert und regiert wird“ – sprach der alte Grieche Aristoteles.

Die heutige Debatte um die Gefahr von Volksabstimmungen hätte er nicht verstanden. Wer sollte denn sonst über Angelegenheiten des Volkes abstimmen – als das Volk selbst? Zum Volk gehören alle. Sogar diejenigen, die sich ihm in angemaßter Grandiosität überlegen fühlen.

 

Fortsetzung folgt.