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Europäische Idee LVI

Hello, Freunde der europäischen Idee LVI,

die Österreicher sind zu loben. Sie hatten den Mut, die europäische Streit-Unfähigkeit vor Publikum schonungslos zu entlarven. Zwei Kandidaten scheiterten, als sie ohne Leitung eines Dritten den Disput wagten – und sich auf der ganzen Linie blamierten.

Doch sie blamierten sich nicht, sie wagten es, ihre Inkompetenz zum Dialog, zum Diskurs, exemplarisch vorzuführen. Es war ein Experiment in Ehrlichkeit: Experiment gelungen, Debattanten am Boden zerstört.

Zwei erfolgreiche Männer begehren das höchste Amt ihres Landes und zeigen, dass der Geist des Gesprächs in Europa tot ist. Die Eliten wissen nicht, wie man Gespräche führt, argumentiert, den anderen versteht, ihn widerlegt, seine eigene Position verteidigt, sich dennoch in seinen Irrtümern ertappen lässt und Streiten als gemeinsamen Lernakt demonstriert.

Ohne Recht haben wollen kann niemand widerlegt werden. Die Postmoderne attackiert jedes Rechthaben, um nicht widerlegt zu werden. Wenn aber jeder Recht hat: worüber soll gestritten werden? Postmoderne Diskurse sind multiple Predigten oder rhetorische Aggressionsübungen mit verteilten Rollen.

Zeitgeist und Streitgespräch sind inkompatibel. Wenn jeder den Wettbewerb gewinnen muss, darf niemand einen Irrtum zugestehen. Wer fremdschädigende Wirtschaftskonkurrenz nicht von allseits förderlichem Streit um Wahrheit unterscheiden kann, der weiß nicht, was ein Gespräch ist.

Eine Niederlage im Disputieren gilt als beschämendster Gesichtsverlust, den ein zum Erfolg verdammtes Ego erleiden kann. Ein wirtschaftlicher Bankrott gilt hingegen als Auszeichnung, wenn man beweist, dass man fallen – und wieder aufstehen

kann. Sonst gilt immer das Prinzip Versuch und Irrtum, nur nicht auf dem verminten Gelände der Wahrheitssuche.

Wahrheit? Ein verfemter Begriff. Wozu Wahrheit suchen, wenn jeder „aus seiner Perspektive“ recht hat? Nietzsches Perspektivismus war die Vorbedingung seines herrischen Willens zur Macht. Wenn alle recht haben, hat niemand recht – und die wahrheitslose Macht triumphiert.

Das Ergebnis der Unverträglichkeit von Streiten und postmoderner Irrtumslosigkeit sind Talkshows, in denen dramaturgische Rollen von energischen Damen und Herren an sorgfältig ausgesuchte Teilnehmer verteilt werden. Das Ergebnis des Spektakels muss feststehen, bevor es begonnen hat: maximales Remmidemmi ohne Erkenntnisgewinn. Die Teilnehmer sollen lärmen, ohne zu streiten, sich gegenseitig vorführen, ohne als Sieger vom Platz zu gehen.

Die Show darf kein Ergebnis haben, sonst wäre der Talkmaster als geheimer Parteigänger entlarvt. Er darf keine offizielle Meinung zeigen, sich weder mit Gutem noch mit Schlechtem gemein machen. Die scheinbare Objektivität der Moderatoren entspricht der neutralen Beobachterrolle der Journalisten. Meinungslose sollen tun, als ob sie Wahrheit suchten, obgleich sie Wahrheit für eine Illusion halten.

Wer nur beobachtet, stellt sich außerhalb des Geschehens und imaginiert sich als Alien, der mit gewöhnlichen Menschen nichts zu tun hat. Lebens- und Überlebensfragen sind unwichtig für ihn. Er schwebt in einer Glocke oberhalb aller irdischen Irrungen und Verwirrungen.

Wahrheit kann nur suchen, wer sich zu erkennen gibt. Ein Gespräch kann nur leiten, wer selbst erkennen will. Standpunktlose Gesprächsleiter sind wie Priester: wie Blinde über Farben, reden sie wie sexlose Asketen über Sinnlichkeit und Eheprobleme.

(Der Papst, von seinen Anhängern bejubelt, lässt eine – männliche – Expertenkommission einrichten, die prüfen soll, ob Frauen Menschen sind. Gibt es eine – weibliche – Expertengruppe, die die Frage untersucht, ob der Papst und seine Männerhorden an Elefantiasis leiden?)

Dass der österreichische Dialog zum Catch as catch can ausartete, war vorauszusehen. Ebenso vorauszusehen die Reaktion der „Experten“:

„Das Fazit der Sendung fällt entsprechend aus: „Unmoderierte Politikerdiskussionen funktionieren nicht“, schrieb der Wiener Politikwissenschaftler Hubert Sickinger.“ (SPIEGEL.de)

Würden Fußballspiele ohne Schiedsrichter, Boxkämpfe ohne Ringrichter funktionieren? Aufschrei in der Manege. Die europäische Kanaille muss permanent überprüft, zensiert und reglementiert werden, sonst zeigt sie ihre wahre Fratze. Kinder würden ohne Zensuren lernen? Erwachsene ohne Lohnzwang (mit BGE) arbeiten? Menschen ohne Polizei die Verkehrsregeln beachten? Träume eines Geistersehers.

Und doch, selbstbestimmte Wesen bedürfen keiner Zensoren, Überwacher und Regel-Polizisten. Sie überprüfen sich selbst, halten sich an Regeln, die sie für richtig und vernünftig halten. Allerdings bedürfen sie der kritischen Rückmeldung. Niemand ist perfekt und jeder verfügt nur über seine subjektive Perspektive, die er mit Hilfe anderer Perspektiven überprüfen und erweitern kann.

Hinweg mit despotisch agierenden ModeratorInnen, die weder ein Gespräch leiten noch ihre eigene Meinung artikulieren können. Erwachsene Menschen ertragen niemanden, der ihnen per ordre de mufti das Wort erteilt, entzieht, sie an der spannendsten Stelle unterbricht, autokratisch bestimmt, wohin das Gespräch führen soll.

(„Das ist heute nicht unser Thema, darüber haben wir schon oft genug gesprochen“. Es gibt Moderatoren, die jemanden unterbrechen mit der Bemerkung: „Lassen sie mich aus ihrem Beitrag eine Frage formulieren.“ Ungefragt und spontan darf niemand seine Meinung sagen. Die Überwachung der Gesellschaft kann nicht dichter sein als die in einer deutschen Talkshow.)

Was sagte Kant zur deutschen Talkshow? „Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes in einem Gespräch ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung sogenannter Moderatoren zu bedienen. Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes in einem öffentlichen Diskurs zu bedienen, ist also der Wahlspruch der TV-Aufklärung.“

Ist ein Gespräch ohne Leitung nicht zum Scheitern verurteilt? Auf jeden Fall, es sei, man verständigte sich, nach welchen Regeln ein methodisches Gespräch zu führen wäre. Ein mäeutisches Gespräch, in dem einer fragt und der andere antwortet, wäre heute eine Unmöglichkeit. Weil der Antwortende stets den Eindruck hätte, der Fragende wollte ihn „reinlegen“. Der Eindruck wäre richtig, wenn unter reinlegen widerlegen gemeint wäre. Widerlegen und widerlegt werden: das ist Argumentieren.

In einem freien und gleichberechtigten Gespräch bestimmt niemand die Regeln. Die Methoden müssen von beiden Seiten festgelegt und akzeptiert werden. Wenn nicht mal über Methoden Einigkeit erzielt werden kann, ist jedes Gespräch zum Scheitern verurteilt.

Da in einem Dialog die Wahrheit gesucht werden soll – alle anderen Gespräche sind Luftverpestung oder Small Talk –, geht es jedem Teilnehmer an die Nieren. Unvermutet könnte sich herausstellen, dass man sein ganzes Leben lang in die Irre ging. In diesem Sinne gibt es nichts Anstrengenderes als intensive Gespräche.  

Heute ist jeder allergisch gegen „Ausgefragt werden“. Selber Ausfragen kommt nicht in Frage, das setzte ja Interesse an anderen voraus. Je mehr von Diskurs die Rede ist, je weniger diskursiv wird die Gesellschaft.

Bei Diskurs muss der Name Habermas fallen. Wer den folgenden Galimathias über seine Diskurstheorie entschlüsseln kann, der darf sich einen Ouzo genehmigen:

„Grundlegend für die Diskurstheorie von Habermas ist die in der Theorie des kommunikativen Handelns entwickelte Unterscheidung von

  • kommunikativem Handeln, in Form regelmäßig verständigungsorientierter Äußerungen, sogenannten „Sprechakten“, und
  • einem strikt an eigenen Interessen orientierten „strategischen Handeln“.

Nach diesem Verständnis verhält sich das strategische Handeln parasitär zum kommunikativen Handeln, das den Originalmodus des Sprechens darstellt. Im kommunikativen Handeln erhebt ein Sprecher regelmäßig Geltungsansprüche, die je nach Aussage als solche der (propositionalen) Wahrheit, der (normativen) Richtigkeit und der (subjektiven) Wahrhaftigkeit erscheinen und auf das Einverständnis seines Gegenübers abzielen. Wird dieses Ziel verfehlt, wird also kein Einverständnis erreicht, so ist dies Ausgangspunkt für den Diskurs, der die einerseits erhobenen und andererseits kritisierten Geltungsansprüche problematisiert und „als Berufungsinstanz des kommunikativen Handelns“ fungiert.“

Verstehen aber darf nicht zur sentimentalen Verschmelzung führen. Ich und Du müssen auseinander gehalten werden. Umgekehrt darf niemand zur eigenen Meinung erpresst werden mit dem Satz: Du verstehst mich nicht, verstündest du mich, würdest du mir recht geben.

Verstehen und beurteilen sind zweierlei Akte. Verstehen heißt nachempfinden: ja, diese Gefühle sind mir nicht unbekannt. Beurteilen heißt, das Verstandene mit einem gesetzlichen oder moralischen Maßstab zu messen.

Verstehen und Bewerten sind in der Entwicklung der Deutschen zwei unverbundene Schichten. Bewerten und Kritisieren war die Leidenschaft der Aufklärer, die die Hassorgien der Religion angriffen, um die Gesellschaft zu humanisieren. Das war den Kindern der Aufklärung, den Romantikern, zu einseitig. Sie verwarfen das scharfe Verurteilen, hatten das Gefühl, ihre Väter hätten von Religion zu wenig verstanden.

Also verlegten sie sich auf das „Anempfinden“. Sie wollten alles verstehen, was von Menschen kam. Auf den Spuren Herders lernten sie exotische Sprachen und vertieften sich in die Urbücher fremder Kulturen. Hier sammelten sie sich Verdienste. Zum ersten Mal, dass die Kulturen Chinas, des Orients, Indiens, Afrikas in Europa zur Kenntnis genommen und gewürdigt wurden. Sie wollten alles verstehen und nichts bewerten – obgleich sie immer katholischer wurden und alles Nichtkatholische immer mehr diffamierten.

Das war eine gewaltige Hypothek. Goethes ost-westlicher Divan war berauscht von der neuen muslimischen Welt im Vorderen Orient. Doch Differenzen überging der Weltenversteher. Er wollte nicht kleinlich erscheinen und fand nicht den Mut, das Anstößige und Inhumane der fremden Kultur klar zu benennen. Das Anempfinden wurde zur Scheinharmonie aller Kulturen, die das Verbindende und Trennende nicht zu unterscheiden vermochte.

In der Unfähigkeit, das Gemeinsame gemeinsam, das Trennende trennend zu nennen, befinden sich die Deutschen noch heute. Als Touristen in aller Welt begreifen sie sich als Weltenversteher, zu Hause empfinden sie Flüchtende aus aller Welt als bedrohliche Fremde. Übermäßige Scheintoleranz und maßlose Fremdenfeindschaft sind zwei Seiten derselben Medaille.

Verstehen und Beurteilen sind in der Seelenschichtung der Deutschen noch immer nicht zusammengewachsen. Putinversteher waren Putinverteidiger, Putinkritiker stets Putinignoranten. Das Auseinanderklaffen von Verstehen und nüchternem Beurteilen führte binnen 100 Jahren zu völkerverachtenden, ja völkerhassenden Exzessen.

„Wir verstehen alle fremden Völker, keines versteht uns, und keines kann uns verstehen. Im Grunde brauchen wir Deutsche, in geistig-kultureller Hinsicht niemand. Kein Volk der Erde kann uns auf dem Gebiete der Wissenschaft, der Technologie, der Kunst oder der Literatur irgend etwas Nennenswertes geben, das zu entbehren für uns schmerzlich wäre. Besinnen wir uns auf den unerschöpflichen Reichtum des deutschen Wesens, das alles in sich schließt, was menschliche Kultur an wirklichen Werten zu erzeugen vermag. Nun begreifen wir aber auch, warum uns die andern Völker mit ihrem Hass verfolgen: sie verstehen uns nicht, aber sie empfinden unsere ungeheure geistige Überlegenheit. Im Austausch sind wir fast immer die Gebenden.“ Notierte Werner Sombart in seinem berüchtigten Büchlein „Händler und Helden, patriotische Besinnungen“, geschrieben im „siebenten Kriegsmonat“ des Ersten Weltkriegs.

Was folgte aus dem Verstehen der Völker und dem Nicht Verstanden werden von den Anderen? „Dass wir alles, was westlich von der deutschen Grenze an Verfassungen sich im Augenblick zu Tode rennt, als höchst minderwertig verachten.“

Wer versteht, will verstanden werden. Sein Verstehens-Vorschuss erwartet eine adäquate Rückbezahlung. Ich gebe, damit du gibst. Bleibt die gerechte Belohnung aus, entwickelt sich ein glühender Hass auf die Verstehensschuldner. Das Gefühl, nicht verstanden zu werden, steigert sich zur Selbstverklärung. Warum werden wir nicht verstanden? Weil wir die anderen überragen. Sie können uns nicht verstehen, wir spielen in einer höheren Liga. Die Unverstandenen riegeln sich ab und brüten immer grandiosere Selbstbilder aus. Der geistige Austausch mit den Anderen wird überflüssig. Von diesen „Untermenschen“ können wir nichts mehr profitieren. Sombart zitiert den „Chauvinisten“ Goethe:

„Der Deutsche läuft keine größere Gefahr, als sich mit und an seinen Nachbarn zu steigern; es ist vielleicht keine Nation geeigneter, sich aus sich selbst zu entwickeln, deswegen es ihr zum größeren Vorteil gereichte, dass die Außenwelt von ihr spät Notiz nahm.“

Der nächste Schritt nach der Absage an andere Nationen war unvermeidlich:

„Wir müssen auch die letzten Reste des alten Ideals einer fortschreitenden „Menschheits“entwicklung aus unserer Seele tilgen. So sollen wir Deutsche in unsrer Zeit durch die Welt gehen, stolz, erhobenen Hauptes, in dem sicheren Gefühl, das Gottesvolk zu sein. So wie des Deutschen Vogel, der Aar, hoch über allem Getier dieser Erde schwebt, so soll der Deutsche sich erhaben fühlen über alles Gevölk, das ihn umgibt, und das er unter sich in grenzenloser Tiefe erblickt. Das auserwählte Volk dieser Jahrhunderte ist das deutsche Volk. Und wenn es notwendig ist, dass wir unseren Länderbesitz ausweiten, damit der größere Volkskörper Raum bekomme, sich zu entfalten, so werden wir so viel Land nehmen, als uns notwendig erscheint.“

Damit war den Völkern jener Krieg erklärt, der so lange dauern würde, bis die unvergleichliche Nation in der Mitte Europas ihre angemessene Größe erreicht hat.

Wer sieht nicht die Parallelen zur heutigen Großmannssucht, die sich nicht militaristisch, sondern ökonomisch gebärdet? Kein BILD-Artikel über die undankbaren Griechen, der nicht höhnen würde: Das griechen sie nicht von uns, die unersättlichen Griechen. Das Landraubprinzip „Raum im Osten“ ist nicht mehr angesagt, aber das Prinzip der alles überflutenden Exporte, die unsere Konkurrenten zu unseren Dauerschuldnern machen.

Alle beneiden uns, niemand versteht das Geheimnis unserer Tüchtigkeit. Wir müssen den europäischen Laden durch Strenge zusammenhalten. Niemand liebt uns für diese Wohltat. Je stärker wir werden, je strenger wir die Anderen zum Sparen nötigen, desto mehr hassen sie uns. Deutschland ist zu groß, zu tüchtig, zu unvergleichlich, als dass es hoffen dürfte, von neidischen Zwergen und unterlegenen Konkurrenten geliebt zu werden.

Unverstanden und abgelehnt zu werden: das ist das Schicksal der tüchtigen Neugermanen, der unnachgiebigen Mutter, des eisenharten Vaters mit der großen Geldbörse. Wenn Varoufakis recht hat, geriert sich Schäuble hinter den Kulissen wie ein drakonischer Patriarch. Je mehr wir uns ängstigen, dass wir nicht geliebt werden, je leistungsstärker müssen wir werden, damit wir unsere Unbeliebtheit rechtfertigen können.

„Er ist völlig unfähig“, so Varoufakis weiter, „und das Schlimmste ist, dass es ihn nicht interessiert“. Schäuble ginge es als mächtigstem Finanzminister in Europa nur darum, seine eigenen politischen Ziele zu erreichen.“ (WELT.de)

Deutschland glaubte, alle Welt verstanden zu haben. Doch sich selbst verstand es nicht. Sein Verstehen war ein Vorschuss an die Völker, der mit Zins und Zinseszins hätte zurückbezahlt werden müssen. Je höher die Verpflichtungen der anderen, je stärker wuchs der Hass der Deutschen, dass sie von jenen ausgebeutet und ausgenutzt würden. Das Gefühl des Ausgebeutet- und Unverstandenseins wurde kompensiert durch Selbstverklärung. Das ungeliebte Land erklärte sich zum Messias der Völker, der die Welt errettet, indem er sie strafen und heimsuchen wird. Mit Gewalt wollten sie sich von anderen holen, was ihnen ihrer Meinung nach zustand. Erlösen ist heimzahlen. Die vielen Schuldigen müssen vertilgt werden, die wenigen Getreuen dürfen heim ins Reich.

Deutschland kann keinen Dialog führen. Weder im Kleinen, geschweige im Diskurs der Völker. Merkel & Schäuble wissen nicht, was ein Gespräch ist.

„Doch gut

Ist ein Gespräch und zu sagen

Des Herzens Meinung, zu hören viel

Von Tagen der Lieb‘,

Und Taten, welche geschehen.

Wo aber sind die Freunde?“ (Hölderlin)

Die Deutschen haben es nicht geschafft, die europäischen Nachbarn zu Freunden zu machen. Im Gegenteil, sie wollten ihnen mit aller Macht ihrer Tüchtigkeit zeigen, wo Bartels den Most holt. Keine Solidarität im Wirtschaftlichen, keine in bombastischer Barmherzigkeit. Mit guten Werken will Merkel anderen glühende Kohlen aufs Haupt sammeln. Sie kennt nur den demütigen Kommandoton ihrer unberührbaren Härte. Gelegentlich überkommt sie das Bedürfnis, dem Bettler am Straßenrand ein Almosen zu geben. Sie scheut sich nicht, mit Nächstenliebe die Verbündeten unter Druck zu setzen und sie alt und hässlich aussehen zu lassen.

Eine gemeinsame Politik auf gleichberechtigter Ebene zu debattieren? Nicht für eine herrische Pastorentochter, die dem christlichen Etikettenschwindel folgt: wer unter euch die Erste sein will, sei euer aller demütige Magd. Die Deutschen, die Christen sein wollen ohne die geringste Ahnung vom Christentum zu haben, folgen der heiligen Schauspielerin in wehrloser Faszination.

(Inzwischen sind die Nachrichten der Öffentlich-Rechtlichen dazu übergegangen, Nachhilfeunterricht in Katechismusfragen zu erteilen. Jan Hofer erklärte gestern, Pfingsten sei das christliche Fest der „Entsendung des Heiligen Geistes“. Von Offenbarung zu reden, trauten sich die kühlen Hamburger noch nicht.)

Wenn sie nicht einmal ein simples Gespräch ohne autoritäre Leitung zustande bringen, wie wollen sie die ganze Völkergemeinde lenken und leiten – ohne die Figur einer starken Führerin?

Merkels Sympathiewerte beginnen zu rutschen. Doch wer sollte sie ersetzen? Rechtzeitig vor den nächsten Wahlen werden die Deutschen ihre Mutter wieder lieben und herzen – damit die glühende Wirtschaftslok nicht nachlasse. Wer nicht reden kann, wer sich nicht verstanden fühlt, muss wortlose Gewalt einsetzen – um sich Verständnis zu erzwingen.

Prantls Pfingstpredigt in der SZ zeigt die dauerinfantile Phantasie, sich mit Hilfe eines sprachlosen Wunders zu verständigen. Niemand muss die Sprache des anderen lernen, ihn in seiner Eigenheit und Andersartigkeit zu verstehen suchen. Das Wunderhafte – „die Feuerzungen, das große Brausen“ – setzt Prantl in Anführungszeichen, damit wir raten können, ob der gläubige Katholik noch an Wunder glaubt oder nicht. Ein guter Deutscher will fromm und aufgeklärt sein, darunter macht er‘s nicht.

„Im Fall der Apostel wird das Sprachwunder dem Wirken des Heiligen Geistes zugeschrieben, der auf alten Gemälden als Taube gezeigt wird. … Die Männer sind nicht gebildet, sie sind keine Künstler, keine Politiker, keine Diplomaten; sie sind auch nicht sprachenkundig. Aber nun sprechen sie zu einer Menschenmenge aus aller Herren Länder; und es geschieht etwas, was diese Geschichte so wundervoll macht: Jeder hört diese Männer in seiner Sprache reden.“ (Süddeutsche.de)

Wir müssen keine vernünftigen Gespräche führen, wir müssen nur das Wunder geschehen lassen. Das Wunder, dass wir alle eins sein werden. Nicht durch eigene Verständigungsarbeit, sondern durch passives Erwarten göttlichen Eingreifens. Das nennt der Verfasser „christlich und humanistisch“. Eine Verkehrung aller Dinge. Humanismus ist die Fähigkeit, aus eigener Kraft Verständigung mit anderen Menschen zu suchen. Christlich ist Auslöschen des Selbst in Erwartung des Heils durch höhere Mächte. „Die vermeintlich natürlichen Identitäten werden nicht anerkannt.“

Das Natürliche muss im Glauben gelöscht werden, damit das Übernatürliche herrsche. Ein humaner Dialog aber erarbeitet jene natürliche Identität, die sich mit jeder anderen auf gleichwertiger Basis begegnet. Die Verschiedenheit verliert ihren fremdenfeindlichen Charakter. Wie kann der Fremde zum Du werden, wenn es kein Ich gibt?

Bei Prantl verschmelzen alle zum Einheitsbrei ich-loser, erlöster Sündenkrüppel. „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, Sklaven und Freie – denn ihr alle seid ‚eins‘ in Christus.“

Keine Sklaven in Christo? Der Schlüssel des Satzes liegt in den letzten Worten: in Christo gibt es keine Freien. Erinnern wir uns der paulinischen Mahnung, jeder Christ solle in seinem Stand bleiben. Der Sklave bleibe Sklave. „Denn wer im Herrn als Sklave berufen worden ist, der ist ein Freigelassener des Herrn, desgleichen, wer als Freier berufen wurde, der ist ein Sklave Christi“.

Alle Gläubigen sind Sklaven des Herrn. Das nennt Paulus frei sein in Christo. Alle Unterschiede der Menschen werden gelöscht, nicht, weil sie schlecht, sondern weil sie von eitlen Sündern stammen. „Ihr alle seid eins in Christo“? Bis auf jene, die nicht eins sind und ins Feuer marschieren.

Veni, creator spiritus. In der SZ ist die katholische Welt noch in Ordnung.

 

Fortsetzung folgt.