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Europäische Idee XLV

Hello, Freunde der europäischen Idee XLV,

wer Kinder verzärtelt, verzärtelt auch Völker. Verzärtelte Kinder und Völker tanzen Autoritäten auf der Nase herum. Von Natur aus sind beide eigensüchtige Tyrannen und müssen an die Leine gelegt werden. Kinder durch lungenstärkendes Schreien und Abhärten, Völker durch Abhärten und Schreien lassen. Sollten bei Erziehungsberechtigten sentimentale Gefühlswallungen auftreten, müssten sie unterdrückt werden. Auch Flüchtlinge sind unersättlich und müssen daran erinnert werden, dass sie von anderen etwas begehren. Mehr Dankbarkeit und Fügsamkeit wären angebracht. Erzieher, Almosengeber und Verantwortliche: werdet hart, sonst werdet ihr von euren Untertanen und Zöglingen aus dem Weg geräumt.

„Bundesinnenminister Thomas de Maizière ist der Meinung, die Deutschen und Europäer müssten die Härte der Bilder von Abschiebungen aushalten. Kritik an dem Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei wies er erneut zurück. „Auch wenn wir jetzt einige Wochen ein paar harte Bilder aushalten müssen, unser Ansatz ist richtig“, sagte der CDU-Politiker.“ (n-tv.de)

Verantwortliches Erziehen ist nichts für schwache Nerven.

„Wenn Kinder weinten, sollten sie in einen stillen Raum geschoben und erst zur nächsten planmäßigen Mahlzeit wieder geholt werden. Auch nachts sollte man das Kind schreien lassen, damit es durchschläft.“ (Berliner-Zeitung.de)

Auch Völker werden übermütig, wenn sie zu wichtig genommen werden, unersättliche Forderungen stellen und ihre belanglosen Meinungen in die Welt plärren. Man muss ihnen ihre Grenzen zeigen, pardon, mann muss ihnen ihre Grenzen zeigen:

„Wenn man Europa kaputtmachen will, dann braucht man nur mehr Referenden zu veranstalten.“ Jean Asselborn, Außenminister von Luxemburg, sagte das nach dem

Nein der Niederländer zum EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine.“

„Es ist paradox: Wer Demokratie will, darf die Menschen nicht direkt befragen. Offenbar ist die Demokratie kein geeignetes Instrument, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Die Welt hat ihren Siegeszug gesehen. Aber das Wort Demokratie bedeutet nichts mehr. Manchmal sind die Leute, die nach mehr Demokratie rufen, dieselben, die sie in Wahrheit zerstören wollen.“ (Jakob Augstein)

Die Krise Europas, der Verfall Deutschlands lassen sich nicht durch mehr Demokratie aufhalten. Wer Demokratien retten will, muss sie beschränken und beschneiden. Gärtner Augstein hat seine politischen und pädagogischen Grundsätze bereits in seinem Gartenbuch niedergelegt. Soll niemand sagen, er hätte es nicht gewusst:

„Im Garten kommen wir dem Ziel am nächsten: Herrschaft, Kontrolle, Ordnung. er führt uns von der Harke zum Laubbläser, vom Laubbläser nach Zwickau, in Zwickau zu Melanchthon und schließlich zu Jesus.“ (ZEIT.de)

„Und er hat seine Worfschaufel in der Hand: er wird seine Tenne fegen und den Weizen in seine Scheune sammeln; aber die Spreu wird er verbrennen mit ewigem Feuer. Um der Ernte Zeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuvor das Unkraut und bindet es in Bündlein, daß man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheuer. Schlag an mit deiner Sichel und ernte; denn die Zeit zu ernten ist gekommen, denn die Ernte der Erde ist dürr geworden! Und der auf der Wolke saß, schlug mit seiner Sichel an die Erde, und die Erde ward geerntet.“

Wenn Gott liebt, den züchtigt er. Wen Jesus und Augstein, Gärtner aus Liebe, botanisch betreuen, den stutzen sie zur Unkenntlichkeit:

„Und er sah einen Feigenbaum am Wege und ging hinzu und fand nichts daran denn allein Blätter und sprach zu ihm: Nun wachse auf dir hinfort nimmermehr eine Frucht! Und der Feigenbaum verdorrte alsbald.“

Woher kommen die Weisheiten über notwendige Härte beim Erziehen ungebärdiger Natur und erbsündiger Kinder?

„Die Wurzeln solcher Ansichten reichen bis ins Dritte Reich zurück. Unter den Nationalsozialisten bestand die oberste Priorität darin, dem Führer gesunde, starke Söhne zu schenken. Damals herrschte das Erziehungsideal vor, das Kind früh abzuhärten und zu Gehorsam zu erziehen. Gefühle galten als Verzärtelung. Deutsche Kinder sollten nicht weinen, keine Angst zeigen, dafür aber Mut, Stärke und Unerschrockenheit – bis zur Selbstaufgabe für das deutsche Volk. Um diese Ziele zu erreichen, musste die Erziehung sofort nach der Geburt beginnen.“ (Eva Dorothee Schmid, siehe oben BLZ)

Führen – oder wachsen lassen? Verdüstern sich die Zukunftsperspektiven, geht der Trend zum Führen. Auch Kretschmann will kein Verwöhn-Duo an der Spitze der Grünen für „Schönwetterveranstaltungen“, sondern einen begnadeten Führer, der auch notwendige Härte zeigen kann: also Sich selbst. (BILD.de)

Der Kapitalismus ist beileibe kein Laisser-faire-System. Sondern ein nächstenliebendes Sichelsystem. Machen- und Treiben-lassen gilt nur für die unbändige Schaffenskraft der Macher und Mächtigen, Taugenichtse wandern als Spreu ins Feuer. Freiheit ist das Privileg derer, die ihre Ellenbogen ausfahren können. Die Freiheit der Quengler und Nichtsnutze hingegen ist: aus eigenem Antrieb zugrunde zu gehen. Nach einem großen deutschen Philosophen: Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit, den Erwählten zu weichen und sich freiwillig in den Abgrund zu stürzen.

Wachsen lassen kann man nur, wenn man der Natur als Quelle des Wachsens vertraut. Muss der Mensch aber als alter Adam ersäuft werden, ist jedes Vertrauen in die Natur zerstört. Dem sokratischen Satz: „Niemand fehlt (irrt, sündigt) freiwillig“, steht der Satz der religiösen Naturfeinde gegenüber: „Die Weisheit des Kosmos ist vor Gott eine Torheit.“ Also muss die Weisheit der Natur und des Wachsenlassens ersetzt werden durch eine übernatürliche Führungs- und Gewalttat, die den verdorbenen Sprössling der Natur vernichtet, um ihn in eine neue Kreatur zu verwandeln.

Wachsenlassen ist kein passiver Automatismus. Man muss an sich arbeiten, um die Naturanlagen durch Selbsterkennen und Wettstreiten um die Wahrheit aufs Trefflichste zu entwickeln.

Wie soll Europa gerettet werden, wenn man die demokratischen Grundprinzipien der Union immer mehr einschränken will? Europa ist verloren, wenn der Wille der Völker als schädlich attackiert wird.

Orban wird vorgeworfen, die Rechte des ungarischen Volkes stranguliert zu haben. Wenn auch bei uns, in den Stammländern der EU, eine Volksabstimmung nur noch als Katastrophe gewertet wird, können wir einpacken. In Polen und Ungarn ist der Akt der Entmündigung eine Entmündigung, bei uns ist er ein Beitrag zur Stärkung der Demokratie. Geht’s noch abstruser?

Der SPIEGEL zerlegt sich. Immer schärfer stehen Demokratiefreunden Gegner der Demokratie gegenüber. Das Sturmgeschütz der Demokratie zerfällt in eine Fraktion, welche Demokratie durch Stärken der Rechte des Volkes und jene andere, die sie durch Reduzieren und Zerstören derselben retten will.

Wodurch wird Demokratie zerstört? Durch widersprüchliche Moral und Entmündigung der Bürger. Merkel und ihre Führungscliquen kennen nicht den Maßstab moralischer Integrität und Redlichkeit: den Satz des Widerspruchs. Sie reden, was sie nicht tun und tun, was sie nicht reden. Anything goes ist die Willkürformel ihres trostlosen Irrlichterns.

Warum die Kanzlerin nicht längst von mündigen Citoyens zum Rücktritt gezwungen wurde, liegt an der heimlichen Kumpanei zwischen Unten und Oben. Das schlechte Gewissen des Volkes wegen gefühlter moralischer Inkompetenz wird überdeckt durch noch gravierendere moralische Inkompetenz, die das Volk bei seinen Eliten wittert. Der reziproke Akt des Bewunderns und Verachtens ist nicht bewusst, sondern agiert in klammheimlicher Korruption: eine Hand wäscht die andere. Wohl ist die Basis erzürnt über das ständige Hintergangen werden von oben, dennoch erwartet sie in uralter Untertänigkeit von ihren Eliten Besseres, als von sich selbst. Trotz alledem fühlt sie sich den Oberen überlegen durch eine Moralität der Unberührbaren, die von Macht und Reichtum unbefleckt sein will.

Innerhalb kurzer Zeit veränderte Merkel ihre Augenblicks-Barmherzigkeit ins brutale Gegenteil – und niemand protestierte. Die Merkel-Sektierer, vor der guten Tat ihre schärfsten Kritiker, wollen nicht schon wieder ins Gegenteil kippen und verharren nun in sprachloser Stupidität. Nur an der Basis tut sich was: zwei Drittel aller Deutschen lehnen Merkels Kotau vor Erdogan ab.

Während ausländische Medien den Kniefall Merkels scharf kritisieren, springen inländische Edelschreiber in chauvinistischer Beflissenheit ihrem Mütterchen bei. Ist sie nicht tapfer in ihrer schweigsamen Fähigkeit, die heilige Schuld auf sich zu nehmen, um ihr Volk zu entlasten? Zu entlasten von der selbstkritischen Erkenntnis, dass es sich bei der euphorischen Willkommenspolitik der Flüchtlinge schlicht übernommen hat?

Die Guten haben sich überschätzt und sind nicht in der Lage, den ehrlichen Rückzug anzutreten. Der Himmel des Guten schien weit geöffnet, als sie gebetsmühlenartig skandierten: obergrenzenlos, wir schaffen das. Warum wir das schaffen? Weil wir bisher alles geschafft haben und unsere Leistungstüchtigkeit keine Grenzen kennt. Das war deutscher Gigantismus, unfähig, sich gesund zu schrumpfen und sich ehrlich einzuschätzen.

Die Hybris der Gutmenschen muss bezahlt werden mit einer kaltschnäuzigen Mutter, die alle Schuld falscher Selbsteinschätzung auf sich lädt – wenn sie nur weiterhin von ihren Untertanen geliebt und getragen wird. Geliebt? Wird sie nicht. Sie wird gebraucht, um das labile Gleichgewicht der Untertanen in fragiler Balance zu halten.

Nicht weniger schlimm ist die unüberbietbare Heuchelei Merkels beim Empfang des palästinensischen Präsidenten Abbas. Der Empörung Abbas‘ über die imperiale Siedlungspolitik Netanjahus gibt sie Recht – doch Konsequenzen zieht sie keine. Sie heuchelt, schwatzt – und lässt die Palästinenser im Regen stehen. Vermutlich mit der vor Selbstverblendung triefenden bigotten Begründung, das Land der Täter müsse dem Land der Opfer bedingungslos loyal sein.

Eine echte Loyalität angesichts des Holocausts jedoch wäre eine bedingungslose Kritik der Menschenrechtsverbrechen des israelischen Regimes und eine wahrheitsliebende Loyalität mit jenen Juden, die sich der völkerrechtswidrigen Politik Jerusalems kategorisch widersetzen.

„Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas hat bei Angela Merkel um Unterstützung für seine geplante UN-Resolution geworben. „Ich habe der Bundeskanzlerin versichert, dass der Siedlungsbau das größte Hindernis für den Friedensprozess ist. Wir werden deshalb einen Resolutionsentwurf dazu vorlegen“, sagte Abbas am Dienstag nach einem Treffen mit Merkel im Kanzleramt. Die Bundeskanzlerin gab Abbas in der Sache recht. „Die Siedlungsaktivitäten sind kontraproduktiv. Sie wirken einer Zweistaatenlösung entgegen“, sagte sie. Für seine Resolution versprach Merkel dem Palästinenser-Präsidenten allerdings keine Unterstützung. Auf Nachfrage sagte sie lediglich, es sei wichtig, „permanent selbst die unwahrscheinlichsten Möglichkeiten“ auszuloten.“ (TAZ.de)

Es ist nicht Merkel allein. Fast die gesamte deutsche Presse kungelt in unerträglicher Weise mit. Beispielsweise in beschönigenden Schlagzeilen wie die ZEIT, Merkel habe Israels Siedlungspolitik verurteilt. Doch von Verurteilung kann keine Rede sein, wenn Worten keine Taten folgen.

Christiane Hoffmann hat im SPIEGEL dem wüsten Treiben die Krone aufgesetzt und alle Forderungen Abbas‘ nach einer Zweistaatenregelung in schnoddrigem Ton („so sagt der Dakota-Indianer“) für tot erklärt.

Wenn Putin die Krim annektiert, deren Bevölkerung zu 99% die „Heimkehr“ für richtig hielt, wird ihm schärfste Schelte zuteil. Wenn ein kleines Volk seit Jahrzehnten von einer Atommacht besetzt und unterdrückt wird, hält Deutschland in grenzenloser Kumpanei mit den Besetzern den Mund. Stillschweigen vor Verbrechen gegen die Menschlichkeit soll die Lehre sein, die die Deutschen aus ihren ungeheuren Völkerverbrechen gezogen haben wollen.

„Dabei glaubt eigentlich niemand mehr an eine Zwei-Staaten-Lösung, am wenigsten die israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu. Auch für die Bundesregierung wäre es an der Zeit, sich von einer Politik zu verabschieden, die nichts mehr mit der Realität zu tun hat. Wie sagt der Dakota-Indianer? Wenn Du merkst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab.“ (SPIEGEL.de)

Dieses Volk hat seine Verbrechen nicht verstanden. Sonst würde es seine Schuld nicht mit neuer Schuld kompensieren. Nein, die Verbrechen Israels erreichen niemals die Bösartigkeit deutscher Teufeleien – und bleiben dennoch fluchwürdige Verbrechen gegen ein schwaches Volk. Mit Hoffmanns Absegnung israelischer Verbrechen hat sich der SPIEGEL mit dem SPRINGER-Verlag aufs verhängnisvollste verbrüdert. Zu Rudolf Augsteins Zeiten konnte Uri Avnery, einer der schärfsten Ankläger seines Regimes, seine Kritiken noch im SPIEGEL veröffentlichen. Heute scheint die führende Journaille des Landes überhaupt nicht mehr zu wissen, dass es noch selbstkritische Juden gibt – die sich nicht selbst, sondern die Verbrechen ihres Landes hassen.

Die Deutschen ertragen die moralische Verkommenheit ihrer Regierung, weil sie Amoral als legitime Interessenpolitik betrachten. Im Innern des Landes soll – außer im Wirtschaftlichen – eherne Moral herrschen. In der Außenpolitik hingegen soll Staatsraison herrschen. Staatsraison ist das glatte Gegenteil jedweder humanen Moral.

Als die Deutschen aus Widerstand gegen die napoleonische Besetzung sich von den Werten der Französischen Revolution abwandten und ihr Heil in apolitischer ästhetischer Selbstvervollkommnung suchten, erkannten sie schnell, dass subjektives Gutsein bezahlt werden musste mit politischer Ohnmacht und internationaler Bedeutungslosigkeit. Welchen Schluss zogen sie daraus? Dass Moral zur machtpolitischen Selbstbehauptung nichts taugt. Also gingen sie dazu über, ihr nationales Profil zu spalten. Nach innen blieben sie moralisch, nach außen wurden sie Berserker.

Schon Aufklärer Friedrich der Große konnte die antimachiavellistischen Prinzipien seiner Jugend nicht einhalten, als er seinem außenpolitischen Machthunger erlag. Im Gegensatz zu Merkel aber konnte er gedankliche Rechenschaft ablegen über seinen Gesinnungswandel.

Hegel hatte nicht die geringsten Skrupel, den beginnenden Machiavellismus der Deutschen vollauf zu rechtfertigen: „Hier aber kann von keiner Wahl der Mittel die Rede sein: brandige Glieder können nicht mit Lavendelwasser geheilt werden; ein Zustand, worin Gift, Meuchelmord gewöhnliche Waffen geworden sind, verträgt keine sanften Gegenversuche. Der Verwesung nahes Leben kann nur durch das gewaltsamste Verfahren reorganisiert werden.“

Moral war für Hegel ein Sammelsurium spießiger Trivialitäten, die sich für groß und edel dünkten. Für den tiefgläubigen Lutheraner Hegel war das Böse ein legitimes Mittel Gottes, um das Gute zu befördern.

Wenn noch heute alle Kunstwerke vor allem eins nicht dürfen: den moralischen Zeigefinger erheben, so ist das immer noch das Erbe der deutschen Entscheidung, Moral für familiär-unpolitische Zwecke und Amoral für Notwendigkeiten aller Machtpolitik einzusetzen.

Ganz anders dachte der Historiker Meinecke, der über das Thema Staatsraison ein gewaltiges Buch schrieb. Seine Erkenntnisse sind heute vom Erdboden verschwunden. Ohne sie aber kann man Merkels bigotte Politik nicht beurteilen. Das Unbehagen der Deutschen an der Heuchelei ihrer nationalen Politik kann nicht mal debattiert werden. Denn die Gründe des Unbehagens bleiben unter der Decke. Die Medien schwimmen in virtuoser Vieldeutigkeit im begrifflichen Nebel mit.

Meinecke spricht von „furchtbaren und tief erregenden Schwierigkeiten“ beim Nebeneinander von „politischem Sein und moralischem Sollen“, von „machtpolitischer Kausalität und ethischem Ideal“. Man mag die Sache wenden, wie man will: „die bewusste Verletzung von Sitte und Recht, aus welchen Motiven sie auch erfolgen mag, bleibt immer ein sittlicher Schmutzfleck, eine Niederlage von Ethos in seinem Zusammenhang mit Kratos (Macht). So fließt das Handeln nach Staatsraison zwischen Licht und Finsternis andauernd hin und her.“ (Friedrich Meinecke, Die Idee der Staatsraison)

Bismarcks Blut und Eisen-Politik war die erste Folge der deutschen Wendung vom Moralischen ins Machiavellistische. Nietzsches Willen zur Macht wurde zur philosophischen Legitimation der Grausamkeiten im Ersten und der beispiellosen Völkerbrechen im Zweiten Weltkrieg. Die Spaltung verlief nicht mehr entlang des innenpolitisch Guten und des außenpolitischen Bösen. Sondern entlang der Rassen und Religionen. Der Feind im Innern wurde bestialischer exekutiert als der außenpolitische Feind. Die guten Deutschen waren Arier, die keine Mühe hatten, die bösen Deutschen, die Juden, zu eliminieren.

Für die deutsche Machtphilosophie des 19. Jahrhunderts waren „Himmel und Hölle, Wirklichkeit und Ideal im politischen Leben zueinander gehörend. Der tiefe Mangel des deutschen Denkens war die beschönigende Idealisierung der Machtpolitik durch das Argument, dass sie einer höheren Sittlichkeit entspräche“.

Und dennoch, trotz aller Bedenken, konnte auch Meinecke der skrupellosen Staatsraison noch Gutes entnehmen, wenn er schrieb, dass auch „Kriege schöpferisch wirken könnten und dass aus Elementarem Geistiges allenthalben emporwüchse.“ Auch wenn der Staat noch so sittlich werde, bleibe er doch immer wieder zur „Sünde“ der Gewalt gezwungen, „weil die harte naturhafte Notwenigkeit ihn dazu zwinge.“

Da darf der Segen des genialen Fürstenknechts nicht fehlen: „der Handelnde ist immer gewissenlos.“ (Goethe) Da Menschen ständig handeln müssen, wären sie allemal gewissenlose Sünder vor dem Herrn. Warum hasste Goethe das radikale Böse Kants, wenn er diesem selbst huldigte?

Wie sind die Aussichten für die Zukunft? „Die Naturgewalten des geschichtlichen Lebens sorgen schon genügend dafür, dass der Friede auf Erden sobald nicht kommen wird. Zu viele Dinge gibt es, in denen Gott und Teufel zusammengewachsen sind.“

Besäße die Kanzlerin die geringsten Kenntnisse über die historischen Hypotheken der Deutschen, wäre es ihre verdammte Pflicht, die Gründe ihres täglich sich widersprechenden Tuns zu erläutern – um den Deutschen zu überlassen, ob sie diese versteinerte Doppelmoral billigen oder nicht.

Doch Merkel schweigt – um als Denkerin zu gelten. Nach dem alten Wort; hättest du geschwiegen, hätte ich dich für einen Philosophen gehalten. Doch hinter Merkels Schweigen verbirgt sich nichts als Verachtung aller philosophischen Redlichkeit, die sich als lutherische Frömmigkeit präsentiert.

Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Nationen der Welt einen Neuanfang wagten, wollten sie die Kluft zwischen innenpolitischer Moral und außenpolitischer Amoral durch Zusammenrücken und Niederreißen der Grenzen für immer beenden.

Seit dem planetarischen Sieg der neoliberalen Wirtschaft wurde die Solidarität der Völker durch das verheerende Prinzip des no bail out – der rücksichtslosen Vernichtungskonkurrenz – zuschanden gemacht. No bail out ist auch das ideologische Kernstück der europäischen Wertegemeinschaft, die sich wundert, dass ihre Union zerbricht, wenn sich alle gegenseitig beschädigen und in den Schatten stellen.

Das globale Dorf zerfällt, die Völker gehen wieder auf Distanz, Grenzen werden geschlossen, Zäune errichtet und Armeen eingesetzt, um die Nervosität und Gereiztheit der internationalen Szenerie weiter anzuheizen.

Merkel erklärt und begründet nichts. Sie betreibt Politik aus dem Bauch, den sie ihrem Gott geweiht hat. Heute Gutes, morgen Böses: der Name des Herrn sei gepriesen.

Sollten alle Deutschen aus bekennenden Merkelianern bestehen: lasset alle Hoffnung fahren. Ginge die eine Merkel, stünde die nächste schon bereit.

 

Fortsetzung folgt.