Kategorien
Tagesmail

Europäische Idee XXXVII

Hello, Freunde der europäischen Idee XXXVII,

an Ostern keine Politik. Es wird auferstanden. Der Papst prostrahiert. Füße emanzipieren sich. Nun küsst er auch Frauenfüße, farbige Füße, Verbrecherfüße. Demnächst Flüchtlingsfüße. Politikerfüße sind bereits im Gespräch. Merkel würde ihren Ischia-Urlaub unterbrechen – wo sie inständig für die Idomeniflüchtlinge betet –, um sich ökumenisch küssen zu lassen. Weitere Lustbezirke auf dem willigen Fleisch sind erst im 22. Jahrhundert vorgesehen. Die Emanzipation des Fleisches – von den Jungdeutschen Büchner, Heine, Gutzkow erfunden – ist erst 200 Jahre jung. So schnell lässt sich der Vatikan nicht erobern.

Jesus war ein Fuß-Hedonist. Er liebte die Frauen – wenn sie ihm die Füße küssten, salbten und mit ihren Haaren trockneten. Wofür sonst sind Frauen da, wenn nicht, um Männer zu Heilanden empor zu küssen?

„Und siehe, ein Weib war in der Stadt, die war eine Sünderin. Da die vernahm, daß er zu Tische saß in des Pharisäers Hause, brachte sie ein Glas mit Salbe und trat hinten zu seinen Füßen und weinte und fing an, seine Füße zu netzen mit Tränen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küßte seine Füße und salbte sie mit Salbe. Und er wandte sich zu dem Weibe und sprach zu Simon: Siehest du dies Weib? Ich bin gekommen in dein Haus; du hast mir nicht Wasser gegeben zu meinen Füßen; diese aber hat meine Füße mit Tränen genetzt und mit den Haaren ihres Hauptes getrocknet. Du hast mir keinen Kuß gegeben; diese aber, nachdem sie hereingekommen ist, hat sie nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salbe gesalbt.“

Der Sünderin werden viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt. Wenn Frauen (zu viel) lieben, weinen sie und küssen die Füße der Männer, damit sie – die Häupter der Frauen – berühmte Erlöser werden können. Die Frauen bleiben im Dunkeln der Geschichte. Die Füßeküsserin hatte nicht mal einen Namen, sie blieb

eine anonyme Kategorie: Sünderin.

Da Frauen arm sind wie Kirchenmäuse, fehlt ihnen das Kleingeld, um sich von ihren Sünden loszukaufen. Also müssen sie sich den Männern unterwerfen, vor Demut heulen und deren Füße verwöhnen. Für den Herrn sind dies echte Liebesbezeugungen. Luther – für den die Frau „von Gott erschaffen wurde, um Kinder zu gebären, die Männer zu erfreuen und barmherzig zu sein“– hätte von Werkgerechtigkeit gesprochen. Ein bedenklicher Verstoß des Herrn Jesus gegen die Rechtfertigungspolitik „allein durch Gnade“ seines Wittenberger Jüngers. Jesus hätte nicht die geringste Chance gehabt, Kirchendiener in einer protestantischen Gemeinde zu werden.

Bei Matthäus gibt es eine kopflastige Variante der kostbaren Salbierung:

„Da nun Jesus war zu Bethanien im Hause Simons, des Aussätzigen, da trat zu ihm ein Weib, das hatte ein Glas mit köstlichem Wasser und goß es auf sein Haupt, da er zu Tische saß. Da das seine Jünger sahen, wurden sie unwillig und sprachen: Wozu diese Vergeudung? Dieses Wasser hätte mögen teuer verkauft und den Armen gegeben werden. Da das Jesus merkte, sprach er zu ihnen: Was bekümmert ihr das Weib? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Ihr habt allezeit Arme bei euch; mich aber habt ihr nicht allezeit.“

Selig sind die Armen? Selig sind die Erlöser, denn sie sind wertvoller als ordinäre Arme, die es immer gegeben hat und immer geben wird. Christen sind nicht dazu da, die Armut in der Welt zu beseitigen. Vor Gott sind alle Menschen gleich, mit Ausnahme derer, die gleicher sind. Dazu gehören männliche Heilsbringer. Das Kostbare, Seltene und Teure ist nur für wenige Erwählte. Die Jünger, die über die luxuriöse Vergeudung murren, sind geistverlassene Umverteiler und Gleichheitsfanatiker. Da muss der Herr doch energisch darauf hinweisen, dass er ein Exzellenter ist und nicht zu Krethi und Plethi gehört.

Eben dies ist die Botschaft des bescheidenen Franziskus, der gegen Reichtum und Macht predigt – doch für Ihn haben Ausnahmegesetze zu gelten. Weil er abgetragene Schuhe trägt und nicht in einem Palast residiert, gilt er als bescheiden. Experten sprechen bewundernd von einer Revolution – des Stils. Die Werbe-Fassade ändert sich, der Inhalt bleibt gleich. Eine wahre Revolution, ein wahres Wunder. Alles bleibt, wie es ist – und dennoch ist alles neu.

Bäuchlings wirft sich der Machthaber über mehr als eine Milliarde Seelen auf die Erde. Was bedeutet der Akt der Selbsterniedrigung? Wer sich selbst erniedrigt, will erhöht werden. Man spielt paradoxes Demutstheater, um die Welt zu erobern.

Laut Wiki ist Prostration die Bezeichnung „für einen Unterwerfungsakt im Mittelalter. Dabei warf sich der Besiegte barfuß und nur in Lumpen bekleidet vor seinem Gegner nieder, und sagte etwa: Mach mit mir, was du willst.“

Dieselben, die früher den Aufrechten Gang besangen, schwärmen heute für Selbstverneinung und Unterwerfung. Wie der Stellvertreter Gottes sich vor seinem obersten Dienstherrn demütigt, so haben die Frommen sich vor Ihm zu demütigen.

Die Welt will von Angela und Franziskus hinters ewige Licht geführt werden: Stil ist Substanz, Form ist Inhalt, Performance ist die Botschaft, Werbung lügt nicht, das Äußerliche ist das Innerliche, Autoritäten lügen nicht, heilige schon gar nicht.

Aber nein, Angela und Franziskus schwindeln nicht. Was sie tun, steht alles klar und deutlich in heiligen Büchern. Was können sie dafür, wenn Leute nicht mehr lesen können? Schon haben sich die ersten Gruppen angemeldet, die den ganzen Sankt Jakobsweg bis nach Santiago de Compostela auf Knien durchkriechen wollen.

An Ostern keine Politik. Das jährliche Zeitfenster für klerikale Propaganda öffnet sich. (Das zweite ist an Weihnachten.) Der demütige Franziskus auf allen Kanälen. ZDF-Kleber widmet den ersten Beitrag der rhetorischen Not der Prediger in schrecklichen Zeiten. Wie sollen sie Zuversicht verbreiten, wenn die Welt in Trümmern liegt?

Doch da verkennt der Anchorman seine Hirten. Für sie ist es ein Geschenk des Himmels, wenn Not unter den Sündern ausbricht. In der Not werden sie dringend gebraucht. Nicht für die Gesunden, für die Kranken sind sie da. Also müssen sie die Welt mit Vorsatz kränken, damit sie gebraucht werden.

Glauben ist die erste Bürgerpflicht für die Öffentlich-Rechtlichen. Schließlich erhalten sie Kirchensteuern von jedermann. Die Medien belügen uns nicht, nein – sie bespaßen und bepredigen uns. Früher hieß es belehren und unterhalten.

Nur noch Doppelbegabungen dürfen vor die Kameras der Nation. Frank Plasberg ist nicht nur hart, aber fair, sondern mit weiblichem Anhang eine echte Unterhaltungskanone. Petra (weibliche Ausgabe des Petrus) Gerster ist ständig auf der Spur heiliger Männer. Jetzt hat sie Luther heimgesucht. Sollte sie sich dermal einst auf die Spur Angelas setzen, wissen wir: die Kanzlerin ist endlich heilig gesprochen.

Wer nachmittags durchs Programm zappt, sieht Nonnen im Ersten und Nonnen im Zweiten. Berichte ihrer Auslandskorrespondenten vom Ostertreiben im Heiligen Land erwecken den Eindruck, als ginge es um die Wiederholung historisch verbriefter Vorgänge. Doch nein, die Medien lügen nicht – sie glauben. Von wem ist das Zitat, Herr Kleber: „ich würde dem Evangelium nicht glauben, wenn nicht die Autorität der katholischen Kirche mich nötigte, es zu tun“?

Heute sind es die Medien, die ihr Publikum zum Glauben nötigen. Das ist ihr selbstloser Dienst am Gott in der Verfassung. Was würde die Nation angesichts ständiger Bombendrohungen tun, wenn die Kirchen, in Konkordanz mit dem Kanzleramt, nicht in die Welt posaunten: In der Welt habt ihr Angst, siehe, wir haben die Welt überwunden.

Nur nebenbei: ein Terrorismusexperte der anderen Art wies darauf hin, dass es in Deutschland gar keine reale Bedrohung gibt. Doch die Stimmung sei angespannt, meldet sich der Innenmister vorsorglich zu Wort. Und wird nicht müde, zu betonen, dass Europa nicht nur ein Kontinent der Freiheit sei. Und CSU-Uhl höhnt, wir sorgen uns noch um Datenschutz, wenn wir schon im herbeigefieberten Bombenhagel stehen. In einem Kommentar der Tagesthemen hörte man den präfaschistischen Satz: Sicherheit geht vor Freiheit.

Vergessen sind alle Debatten um Merkels abgehörtes Handy: Freunde abhören, das geht gar nicht. Wir können an dieser Stelle Merkels ingeniöse Machtpolitik würdigen. Viele Probleme auftürmen lassen, auf dass die einen von den anderen erstickt werden. Dann die finale Not der Nation ausrufen. Sofort eilen böckenfördische Nothelfer herbei, um mit göttlicher Versöhnung die Gottlosen aus dem Dreck zu ziehen – obgleich sie es nicht verdient hätten.

Prantl greift zum äußersten Mittel: zum katholischen Jovial-Zynismus. Und rechtfertigt die Hölle, die schlimmste Strafe der Weltgeschichte für alle, die den rechten Glauben verabscheuen, mit den Worten:

„Nicht religiös formuliert: Welche Welt hat Zukunft? Das Höllenfeuer, mit dem der himmlische Richter droht, soll diese irdische Frage brennend machen; es soll Feuer unterm Hintern machen, sich zu entscheiden.“  (Heribert Prantl in Sueddeutsche.de)

Jakob Augstein outet sich als himmlischer Versöhnungslinker; ohne paulinische Theologie könnten wir den Kapitalismus nicht besiegen. Wer links sein will, muss unters Joch des Credo.

Augsteins Vater Martin Walser hatte seinem Sohn beizeiten vorgearbeitet und den neucalvinistischen Karl Barth in allen deutschen Redaktionsstuben gepredigt. Okay, kleine Nachhilfe für diejenigen, die sich den Leichtsinn erlauben, von Karl Barth nichts zu wissen:

Gott ist für Karl Barth „das ganz Andere“. Nichts auf der Welt hat Gemeinsamkeiten mit Gott. „Denn alles, was existiert, ist ungöttlich, der Weltverlauf und die Menschheitsgeschichte bewegen sich zwischen Sündenfall und dem Jüngsten Gericht. Daraus folgt die Lehre vom radikalen Bösen, von der angeborenen Verderbnis der menschlichen Natur. Nicht nur kann die menschliche Vernunft nicht von sich aus den Weg zu Gott finden, sondern alles Tun des Menschen ist böse; auch was er tut, um den Willen Gottes zu erfüllen, verfällt dem Gericht. Wenn er glaubt, etwas Gutes tun zu können, so ist das nur „die Einflüsterung des Teufels“. Denn er ist verloren in Sünde und Tod und kann nur durch Gott das Gute an sich geschehen lassen. Hieraus ergibt sich das dritte Dogma: der Mensch kann sich in keiner Weise selber helfen, sondern er ist einzig und allein angewiesen auf die Offenbarungstat Gottes. Es ist nicht nur eine Anmaßung der menschlichen Vernunft, Gott erkennen zu wollen, sondern es gibt überhaupt „keine Kontinuität vom menschlichen Geistesleben zur göttlichen Offenbarung“, und es ist ein vollkommener Irrtum, wenn man glaubt, die Menschheit könne aus sich heraus ein höheres Ziel ansteuern. Nein, die Welt ist wie sie ist, von Gott gewollt, und steht mit allem unter dem Gericht. Weder die Natur noch die Schöpfung des Menschengeistes haben mit Gott irgendetwas zu tun: es gibt nur Eine Offenbarung Gottes: in Jesus Christus, der durch seine Erlösungstat dem Menschen erst zeigt, dass er ein Feind Gottes ist, eine Erkenntnis, die dem Menschen ohne Offenbarung verborgen bliebe. Hier liegt das Hereinbrechen des ganz Anderen in die widergöttliche Welt: das Paradoxe, das Wunder.“

Das also ist die Voraussetzung der Versöhnung: die absolute und unversöhnte Feindschaft, die Gott gegen seine verdorbene Schöpfung hegt. Rettung? Aussichtslos – es sei, der Mensch werfe sich bäuchlings vor seinen Erlöser und winsele um Gnade. Alle menschliche Politik: lass fahren dahin, es hat keinen Sinn. Demokratische und moralische Autonomie? Des Teufels Narretei und Erfindung.

Die Frommen signalisieren der Bevölkerung: gebt auf, es gibt keine Rettung für euch, Natur und Welt sind verloren, der Mensch, Knecht des Teufels, hat vor Gott keine Chance. Bankrott, Sense, Apokalypse, Jüngstes Gericht. Kehrt um, erfindet euch ganz neu in der Taufe, werdet Neugeborene, kriecht unter die tyrannische Botschaft der ganz Anderen, die mit dem irdischen Reich des Satans nichts gemein haben.

Erlösung heißt Unterwerfung, heißt Absage an menschliche Vernunft und allgemeine Moral, an die Fähigkeit der Menschen, sich selbst aus der Patsche zu helfen. Die böckenfördischen Nothelfer entpuppen sich als Sabotage-Agenten des Himmels, die Mensch und Natur auslöschen wollen, um eine neue Übernatur und einen neugeborenen Menschen an ihre Stelle zu setzen.

Im deutschen Recht gibt es einen Paragraphen gegen Gotteslästerung. Welt-, Natur- und Menschenlästerung bleiben ungesühnt.

Christliche Religion ist eine totale Kriegs- und Vernichtungserklärung gegen die menschliche Welt. Im Vergleich zu den Verfluchungen christlicher Versöhner sind muslimische Terroristenakte nicht mal Nadelstiche. Vermutlich wissen die Jenseits-Saboteure nicht, was sie tun. Oh Herr, vergib ihnen – nicht. Sondern kläre sie auf mit Verstand und Vernunft. Nichtwissen mindert nicht ihre Schuld und erhöht die Gefahr für den Fortbestand der Erde.

Religionen sind selbsterfüllende Prophezeiungen. Was sie glauben, das stellen sie her, das produzieren sie, das transformieren sie in Technik und grenzenlosen Fortschritt. Ihre phantasmagorischen Träume stülpen sie über die Menschheit, ob diese will oder nicht. Sie allein, die Genies der Algorithmen, wissen, wie Zukunft zu sein hat. Das ist die verhängnisvollste Form des totalen und planetarischen Faschismus: Wissende bescheinigen sich jenes Erlösungswissen, das sie mit List und Zwang der Menschheit aufoktroyieren. Die Menschheit wird nicht gefragt.

Der Zukunftsforscher und KI-Erfinder Schmidhuber durfte in „Kulturzeit“ seine menschenfeindlichen Irrwitz-Phantasien ohne ein einziges Gegenwort der Kritik loswerden. Nicht mal ein Milliardstel der Sonnenenergie verbrauche die Erde. Welch eine Verschwendung kostbarer Energie. Dem müsse abgeholfen werden durch intelligente Roboter, die in den Raum schwärmen und das Universum unter ihre Kontrolle nehmen.

Das sind die praktischen Folgen einer Religion, die die sündige Erde prophylaktisch schon begraben hat –zugunsten von Myriaden von Maschinen, die den Menschen überflüssig machen. Schluss mit der Erde, Schluss mit dem Menschen. Beide Fehlkonstruktionen müssen vernichtet werden. Gott hat die Natur aus Nichts geschaffen, er wird sie wieder ins Nichts zurückstoßen. Die jetzige Menschheitsgeschichte wird eine schändliche Episode bleiben.

Solche Todeserklärungen der Menschheit unter dem Deckmantel der Zukunftsgläubigkeit werden in aller Öffentlichkeit verkündet. Niemand wehrt sich. Warum? Weil alle Christen seit Kindesbeinen an mit Jüngstem Gericht und apokalyptischen Phantasien programmiert wurden. Die westliche Kultur ist auf das Ende programmiert. Die Mehrheit der Amerikaner ist überzeugt, zu ihren Lebzeiten die Wiederkunft ihres Herrn zu erleben. Danach geht nichts mehr.

Die meisten gutgläubigen Christen sind offiziell gar keine. Das merken sie nicht, denn sie haben keine Ahnung von den Dogmen des Neuen Testaments. Oder sie leugnen und ignorieren diese und klauben sich aus den vielen Sentenzen diejenigen aus, die am humansten klingen. Im Grunde sind sie Humanisten, die ihren Glauben an die Menschenrechte und die Würde des Menschen in die Texte hineinlegen.

Dieser gefährliche und leichtsinnige Umgang mit einer Religion, die sie mit der menschenfeindlichsten Ideologie der Weltgeschichte infiltriert, ohne dass sie sich diesen Vorgang bewusst machen, widerspricht dem, was sie bewusst für wahr und richtig halten. Sie behaupten, Christen zu sein, wollen aber über ihre Religion nichts wissen. Den dogmatischen Rahmen ihres Fürwahrhaltens, bestehend aus Naturfeindschaft, Ende der Menschheit und Vernichtung des Planeten, blenden sie aus. Wüssten sie, was sie glauben, würden sie vor Entsetzen in Ohnmacht fallen.

Man kann das Gute nicht wollen im Zusammenhang mit einem Unbekannten, das dieses Gute ins blanke Gegenteil verkehrt. Das gilt im gleichen Maße für den Islam. Man kann nicht an die unfehlbare Botschaft eines Gottes glauben und diese durch historische Relativierungen und willkürliche Deutungen nach seinen Vorstellungen modeln. Sie wollen das Kunststück fertig bringen, ihre Religion weiter zu entwickeln, indem sie noch immer an die unfehlbare Offenbarung glauben, die sie für fehlbar und deutungswürdig halten. Geht’s noch absurder?

Wer seinen Glauben humanisieren will, muss ihn gnadenlos kritisieren. Den Kuchen kann man nicht gleichzeitig essen und behalten. Man kann seinen Glauben nicht fortentwickeln, ohne ihn solange zu attackieren und zu dekonstruieren, bis er seine menschenfeindlichen Dogmen ersatzlos vernichtet hat.

Humanität ist Glauben an den Menschen. Christentum ist Glauben an einen Gott, der seine Schöpfung erbarmungslos hasst – und nur eine winzige Minderheit retten will. Beide Glauben sind unverträglich.

Georg Diez hat einen undeutschen Urschrei losgelassen:

»Herr erbarme dich«, so tönt es aus dem Radio, Musik wie ein Dom, hoch ragt das Leiden auf. Diese Religion braucht den Tod, sie feiert ihn, sie verspricht etwas dafür: »Christus ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn.«“

Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.

Denn der erste Himmel und die erste Erde sind verschwunden und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde.

Man wird der früheren Dinge nicht mehr gedenken und niemand wird sich ihrer erinnern.

Die Himmel werden sich in Feuer auflösen und die Elemente in der Gluthitze zerschmelzen.

Ich halte dafür, dass alles nur Schaden und Unrat ist, um des überragenden Wertes der Erkenntnis Christi willen. Die ganze Welt wird Schmutz und Dreck: sie muss vernichtet werden, auf dass eine neue Welt an ihre Stelle treten kann.

Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, aber die Kranken. Also muss die gesunde Natur in eine einzige schwärende Wunde verwandelt werden, damit der Herr sie heilen kann. Das Gesunde wäre der Inbegriff der Tüchtigkeit und Moral des Menschen, mit der er sein Schicksal auf Erden gestalten kann.

Was ist menschlich? Das Wissen, dass wir sterblich sind. Dass wir nicht unfehlbar sind, aber lernen können. Dass wir uns gegenseitig unterstützen können, ein friedliches und fröhliches Leben auf der Erde zu verbringen – und „alt und lebenssatt“ zu sterben. Der Tod ist nicht der Sünde Sold, sondern die Erfüllung des Lebens. Phantasien von einem unsterblichen und unbegrenzten Leben zeugen von einem zerstörten Leben, das seine Mitte nicht finden kann.

„Bei aller Anerkennung der Fehlhaftigkeit des Menschen und seiner Neigung zum Schlimmen traut der Humanismus dem Menschen die Fähigkeit zu, diese Defekte zu überwinden und das Gute zu realisieren. An die Stelle der Heteronomie des göttlichen Gebotes setzt er die Autonomie der menschlichen Vernunft. Niemand hat das beeindruckender formuliert als Schiller in einem philosophischen Gedicht:

Nehmt die Gottheit auf in euren Willen,

Und sie steigt von ihrem Weltenthron.

Des Gesetzes strenge Fesseln bindet

Nur den Sklavensinn, der es verschmäht;

Mit des Menschen Widerstand verschwindet

Auch des Gottes Majestät.“

 

Fortsetzung folgt.