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Europäische Idee XXXVI

Hello, Freunde der europäischen Idee XXXVI,

seien wir zynisch, seien wir gnadenlos höhnisch. Ganz à la mode der Liebhaber des Bösen und Amoralischen. Just in time kam der Tod über den Kontinent und rettete mit einem Schlag

a) die abendländischen Werte,

b) Merkels niederträchtige Flüchtlingspolitik und

c) die mediale Wüste der Osterferien.

Doch was geschieht? Niemand lacht, wir stehen allein. Schon sind wir umringt, schon werfen sie mit Steinen nach uns. Beim Tod kennen sie keine Gnade. Der besiegte Tod, der überwältigte Teufel, ist ihr höchster Gott auf Erden, denn sie halten sich für unsterblich und unverwundbar. Sie müssen den Tod überwinden, damit sie das Leben im Griff haben. Gedenke des Todes, um ihn zu begraben.

Weshalb Wachstum ins Unendliche, weshalb grenzenloser Fortschritt? Um den Tod zu bezwingen. Tod, wo ist dein Stachel? Der Tod, der sich störrisch stellt und es wagt, sie noch immer mit der Sense zu holen, hat sie über Nacht in triefende Moralisten, Giganten des Selbstmitleids, in unerbittlich flennende Tugendwächter, larmoyante Schwarmgeister und todlose Herren des Universums verwandelt.

Nichts kann den europäischen Geldraffer wirksamer in ein mitfühlendes Wesen, einen Koloss der Pietät, einen Ausbund an kollektiver Empathie wandeln – als Bruder Tod, der kein Bruder, sondern ein hinterlistiger Feind aller Menschen sein muss.

Haben sie Mitleid mit den Toten? Sie posieren Mitleid, sie instrumentalisieren die Toten, um ihre fremdenfeindliche Politik zu rechtfertigen. Hat Brüssel die Unverträglichkeit der Kulturen nicht glasklar bewiesen? Wer solche Verbrechen noch verstehen will, sagte der Polizeigewerkschaftler im ZDF, der unterstütze das Verbrechen.

Ursprüngliche Gefühle gibt es schon lange nicht mehr in der Moderne. Wir sind abgebrüht. Unsere Stumpfheit zelebrieren wir, als sei sie authentisch. Wer nicht

direkt betroffen ist, entnimmt den Kommentaren, was er fühlen soll. Gefühle sind verdorrt, sterilisiert. Wir fühlen, wie wir sollen. Was, oh Sondersendungen, sollen wir denken und fühlen?

Wenn‘s um planetarische Überlebenspolitik geht, gibt es keine Sondersendungen – und wäre das Klima noch so bedrohlich, die Wasservorräte noch so knapp, die Hungersnot weit hinten in Afrika noch so verheerend. Geht’s aber um den eigenen Tod, schwappen die Brennpunkte über vor abendländischen Emotionen. Experten übertreffen sich in Betroffenheit und Hass gegen die Hassenden. Feige sind jene – obgleich sie Leib und Leben riskieren? Heimtückisch sind jene – obgleich sie mitten im Feindgebiet agieren? Immerfort zielen sie direkt ins Herz Europas, direkt auf unsere Werte.

Gestern erst gab es keine gemeinsamen Werte, als es um die Verteilung von Hilfesuchenden ging. Heute sind die Werte alle wieder da. Der gemeinsame Feind eint. Wirtschaftlich sind sie gnadenlose Konkurrenten, doch in der Not heucheln sie im Kollektiv. Tote in Europa – welch Frevel für einen auserwählten Kontinent.

Fernsten-Empathie gibt es nicht, erklären uns unisono Sozialisten und Kapitalisten. Das bisschen Mitgefühl, das euch die Natur mitgab, reicht nur für eure Nächsten. Väter haben keine Gefühle mehr für ihre Kinder. Mütter trauen sich nicht, die Väter von der Kommandobrücke zu holen. Für Fremde gibt es keine Gefühle mehr, sie sind für den internen Bedarf reserviert. Güter und Emotionen sind ein knappes Gut, man muss sie sorgfältig investieren.

Die Deutschen sind noch immer Heroen. Doch zuvor müssen sie gestorben sein, damit die Lobredner sie ins Heldenhafte verklären. Kein Nachruf auf einen prominenten Toten, der nicht von Superlativen wimmelte. Wer war nochmal Westerwelle? Stirb Genosse, und wir tragen dich in den Olymp. Oh postmortaler Heros, als Lebender warst du ein aufgeblasenes Würstchen.

„Die Attentäter folgen einem perfiden Plan. Es geht ihnen nicht nur darum, möglichst viele Menschen zu töten. Jedes Attentat zielt mit all seiner zerstörerisch-kriminellen Kraft auf die Grundwerte Europas. Die islamistischen Terroristen zeigen uns mit jedem Anschlag mehr, dass sie uns kennen und verstehen. Und dass sie deshalb in der Lage sind, uns im Innersten anzugreifen und ins Herz zu treffen.“ (Berliner Zeitung.de)

Gottlob, die Terroristen haben unsere verlorenen Grundwerte zurückgebracht. Wir glaubten nicht mehr daran. Jetzt liegen wir vor ihnen auf den Knien. Im Gegensatz zu westlichen Kriegern, die im Namen der Demokratie Tod und Verderben bringen, sind die IS-Gegner perfide und kriminell. Hierzulande geht die Legende, die verruchten Muslime glaubten an den Tod, der Westen glaubte an das Leben. Sind Islam und Christentum nicht eineiige Erlöserreligionen, die den Tod als Pforte zum wahren Leben betrachten? Zuerst kommen die heiligen Lügen, dann entbrennt der göttliche Zorn.

„Denn das sollt ihr wissen, daß kein Hurer oder Unreiner oder Geiziger, welcher ist ein Götzendiener, Erbe hat in dem Reich Christi und Gottes. Lasset euch niemand verführen mit vergeblichen Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens.“

„Denn gekommen ist der große Tag seines Zorns, wer kann bestehen?“

„Wer kann vor seinem Zorn stehen, und wer kann seinen Grimm bleiben? Sein Zorn brennt wie Feuer, und die Felsen zerspringen vor ihm.“

Die Bösen wollen die Verwundbarkeit der höchsten Zivilisation der Weltgeschichte bloßlegen. Ist das nicht abscheulich? Zumal wir dachten, wir seien schon im Stadium der Unverwundbarkeit angekommen?

„Die Attentate von Brüssel zeigen abermals die Verwundbarkeit westlicher Metropolen. Mit dieser tödlichen Gefahr darf sich Europa nicht abfinden. Es ist nicht Ausdruck von Fatalismus, wenn man feststellen muss, dass es einen vollkommenen Schutz dagegen vermutlich nicht gibt. Unsere Infrastruktur bietet ein teuflisch verlockendes Ziel und ist verwundbar.“ (FAZ.NET)

Vermutlich gibt es keinen vollkommenen Schutz? Wenn das Politiker hören, werden sie alles unternehmen, um den FAZ-Skeptiker eines Besseren zu belehren. Google, hilf. Ach NSA, du Allwissende, zeige und entlarve uns alle Bösewichte dieser Welt. Mit deinen perfekten Seelenerkennungsmethoden. Wer darf jetzt noch auf die verruchte Idee kommen, die wunderbaren Instrumente unserer Unfehlbarkeit als Überwachungsinstrumente zu diffamieren?

Kein Wunder, dass die Neidischen uns den Wohlstand nicht gönnen. Bieten wir doch ein teuflisch verlockendes Ziel. Doch für unsere Transparenz und Toleranz müssen wir einen hohen Preis bezahlen: wir sind verwundbar. Dabei dachten wir, schon ins Reich der Unbesiegbaren und Unverwundbaren aufgestiegen zu sein. Und diese infamen Verbrecher wagen es, uns an unsere Endlichkeit und Besiegbarkeit zu erinnern. Das muss bestraft werden. Schickt neue Bomber nach Aleppo.

Es müssen vor allem die eigenen Toten sein. Nur sie sind kostbar und betrauernswert. An der Trauer zeigt sich, wer zu den Erwählten gehört. Es gibt einen Rassismus der ungleichen Trauer. Alles muss ungleich sein, warum nicht bei Trauer-Gefühlen, die uns fremd geworden sind? An eurer Trauer sollt ihr euch erkennen. Ist die Unfähigkeit zu trauern durch eine prosperierende Wirtschaft überwunden?

Jene zielen auf unseren Wohlstand. Wenn aber Krieg ist, ist Krieg. Terror ist die Antwort der Unterlegenen gegen die Beherrscher der Welt. Wer hat den Krieg gegen die ungläubigen Völker begonnen? Zionisten begannen als Terroristen, wird Uri Avnery nicht müde, zu wiederholen.

Wie sie sich an ihren defekten Begriffen berauschen. Sind sie nicht die Guten? Müssen Feinde der Guten nicht Ausgeburten der Hölle sein? Mit der Hölle kennen sie sich aus. Wie viele Höllen haben sie nicht bereits aufs Beste und Feinste in der Welt eingerichtet? Ökonomisch und technisch, algorithmisch und atomar, maschinell und fortschrittlich? Sorgen sie nicht dafür, dass die Temperaturen rings um den Planeten immer höllischer werden?

Wenn Vandalen ins Allerheiligste eindringen, halten die Guten zusammen unter der Fahne mit dem Kreuz: Deus lo volt. Mit dem Tod der Privilegierten beginnt der Zorn. Der heilige Zorn der sonst so Sanftmütigen, die mehr als genug Geduld mit den Fremden aufbrachten. In der Karwoche wird gestorben. Doch wehe, die Falschen müssen dran glauben. Dann werden die Rechtgläubigen zornig über die, die ihren Gott missbrauchen. Ihr Gott ist Liebe, verflucht sei,wer das leugnet.

Aber ich bin auch zornig. Über den Missbrauch des Namens Gottes durch Attentäter, die unschuldige Menschen auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule und in den Urlaub heimtückisch ermordet haben. Solcher Terror ist Gotteslästerung.“ So der oberste Gottesdenker der Protestanten im nächstenliebendsten Blatt der Gottesrepublik.

„In dieser Woche liegt der Karfreitag. Der Tag im Jahr, an dem wir des Leidens und Sterbens Jesu Christi gedenken und uns das Leid der Welt nahegehen lassen. Und am Sonntag ist Ostern. Der Tag, an dem wir die Auferstehung Jesu Christi feiern. Leid und Tod haben nicht das letzte Wort.“ (BILD.de)

„Aber ich verfluche den Tod. Ich kann nicht anders. Und wenn ich darüber blind werden sollte, ich kann nicht anders, ich stoße den Tod zurück. Würde ich ihn anerkennen, ich wäre ein Mörder.“ (Elias Canetti)

Für Canetti ist der Tod ein Skandal. Den Tod eines Politikers nannte der SPIEGEL: gemein.

Silicon Valley will den Tod besiegen. Der Erlöser der Christen hat ihn schon besiegt. Der Tod ist ein Faustschlag ins Gesicht derer, die unsterblich sein wollen. Nicht erst im Jenseits wollen sie himmlische Freuden genießen. Hienieden muss ein Neues sein. Das Alte ist der Tod, der abkratzen muss, damit die Neuen ewig leben.

Europa hat dem Tod den Kampf erklärt – auch wenn Natur und Mensch dabei drauf gingen. Der Kampf gegen den Tod ist ein Vernichtungskampf gegen die Natur. Natur ist der Tod, der sich ewig in neues Leben transformiert.

„Von allen großen Religionen ist das Christentum die ängstlichste und diejenige, die den Schrecken des Todes am stärksten betont.“

„Kein Glaube hat soviel dazu beigetragen, den humanen Fortschritt aufzuhalten, wie der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele. Denn dieser Glaube verführte Geschlecht um Geschlecht dazu, die wirklichen Bedürfnisse der Lebenden den imaginären Bedürfnissen der Toten zu opfern.“

„Die älteren matriarchalischen Religionen waren dagegen in ihrer Akzeptanz des Todes realistischer. Sie erhoben es zur Pflicht des Weisen, neben der Schönheit der Natur auch ihre Hässlichkeit, Verderbtheit und den Zerfall wahrzunehmen. Dem Tod wurde ebenso viel Bedeutung beigemessen wie der Geburt. Beide waren Durchgänge durch dasselbe Tor. Missionare konnten die Todesgöttin nur als Teufelin beschreiben.“

„Wo immer es eine Vorstellung von der Mutter Natur gab, verband sie sich mit dem Gedanken, dass der Tod etwas Natürliches sei, dass die Wurzeln jeder Blume im organisch Verwesenden stecken.“

Wer den Tod töten will, will Natur töten. Der Tod ist die zyklische Erneuerung alles Lebendigen.

Vergesst euer Öko-Tandaradei. Solange ihr nicht den Tod akzeptiert, hasst ihr Mutter Natur. Nur der männliche Gott plustert sich auf, als sei er unsterblich und unbesiegbar. Es sind die Mütter, die um die Endlichkeit der Sterblichen, um Geburt und Tod wissen.

Europa hat nicht verstanden, was Natur ist. Die Weltenbezwinger kokettieren mit Unvergänglichkeit und Todlosigkeit, dem verderblichsten Wahn, den ein Menschengehirn je ausbrütete. Anstatt ihr irdisches Leben in Freuden zu leben, um den Tod als Erfüllung zu begrüßen, träumen sie von jenseitigen Freuden, die sie mit einem krankhaft-unerfüllten Leben im Diesseits verdienen müssen.

Die Europäer haben sich in ihrer Luxus-Bastion eingerichtet, als dürfe es kein Ende ihrer Überlegenheit geben. Der Zwischenruf eines TV-Shitstormers gilt als besonders perfide: Warum betrauert ihr nur eure wenigen Toten, unsere Millionen Toten aber ignoriert ihr?

Tönte die Postmoderne bislang nicht: es gibt viele Wahrheiten? Warum soll es dann nicht viele Emotionen geben? Die Guten lieben ihre guten Toten, die Bösen lieben ihre bösen? Das übersteigt die emotionale Intelligenz des Westens. Wer uns nicht liebt, muss ein Satan sein.

Perspektivismus können wir uns nur in normalen Zeiten erlauben. Ist Trauer angesagt, herrscht die Uniformität aller Gerechten. Verlogene Trauer macht platt. Und schon steht Frau Merkel am Mikrophon, um ihre nekrophile Lieblingsrolle zu spielen. Sonst sieht und hört man sie nicht. Schickt Gott aber ein schreckliches Ereignis, um von ihrer Idomeni-Erbarmungslosigkeit abzulenken, dankt sie ihrem Gott coram publico – in Form naturechter Trauer. Vorsicht Verschwörungstheorie.

Die grandioseste Verschwörungstheorie ist der Glaube, dass Gott alles auf Erden und im Himmel persönlich anordnet. Er wird wissen, warum er die Terroristen „zuließ“, um sein heiliges Europa wachzurütteln und an seine Grundwerte zu erinnern.

Auch die Medien suhlen sich in Überbetroffenheit, ihre erforderliche Quote an bad news ist für Ostern abgedeckt. Und was sie alles zu bieten haben: Die Chronologie des Schreckens. Die Bilder des Schreckens. Die Zeugen des Schreckens: was fühlten Sie, als die Bombe direkt neben Ihnen die Menschen zerriss? Das Fernsehen schwappt über von Verantwortung: lange überlegten wir in der Radaktion, welche Bilder wir zeigen dürfen. Wir haben es uns nicht leicht gemacht: das ist der finale Satz selbst-reflexiver Segnung.

Europa will den Tod überwinden und tötet bedenkenlos Mensch und Natur. Die Natur ist das Reich des Teufels, am Kreuz hat der Erlöser den Teufel überwunden. Als der Teufel dem Sohn Gottes die Herrlichkeiten der Natur zeigen will, wird er von dem, der all seine Feinde liebt, verflucht:

„Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Hebe dich weg von mir Satan! denn es steht geschrieben: Du sollst anbeten Gott, deinen HERRN, und ihm allein dienen.“

„Denn was nützte es dem Menschen, wenn er die ganze Natur (Welt = Kosmos!) gewönne, nähme aber Schaden an seiner übernatürlichen Seele?“

Für Sokrates konnte einem guten Menschen „weder im Leben noch im Tode irgendein Übel zustoßen. Der Tod war für ihn überhaupt kein Übel, sondern etwas Gutes. Ein Zustand wie ein traumloser Schlaf oder der Zugang zu einem besseren Leben.“

Wer mittelalterliche und antike Totentänze vergleicht, kommt zum Ergebnis: „Beide gehen von der unumstößlichen Tatsache, dem unentrinnbaren Schicksal des Todes aus. Beide ziehen aber aus dieser gemeinsamen Voraussetzung den entgegengesetzten Schluss. Die christlichen Künstler warnen: »Hänge dich nicht zu sehr an den Lebensgenuss, tu Buße und bereite dich auf die Ewigkeit vor!« Die Griechen sagen: »Umso mehr musst du das kurze Leben genießen; denn nachher ist es aus.«“

In seiner berühmten Abhandlung „Wie die Alten den Tod gebildet“ wies Lessing nach, dass sie ihn niemals als Skelett, sondern als jugendlichen Genius mit gesenkter Fackel, als den Bruder des Schlafes darstellten, ein Ergebnis, das Schiller in den „Göttern Griechenlands“ in die Worte fasste:

„Damals trat kein grässliches Gerippe

An das Bett des Sterbenden: Ein Kuss

Nahm das letzte Leben von der Lippe,

Seine Fackel senkt‘ ein Genius.“

Europas Kultur ist keine Kultur des Lebens. Der eigentliche Gott der Abendländer ist der Tod, den sie außer Kraft setzen müssen, um ihre Gottähnlichkeit zu feiern. Ihren Triumph müssten sie – mit dem Tode bezahlen.


Fortsetzung folgt.