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Europäische Idee XXXI

Hello, Freunde der europäischen Idee XXXI,

schon die Kampfbegriffe sind nicht gleichberechtigt. Gibt es einen Maskulinismus?

Es gibt die unbesiegbaren Systeme der Giganten, die stählernen Gehäuse der Regenten, die unüberwindbaren Herrschaftsstrukturen der Gewaltigen. Es gibt den Staat der Mächtigen, die Ökonomie der Starken, die Hoch-Kulturen der Männer, die schlauen Rechtfertigungen der Gewitzten und Hinterlistigen, die algorithmischen Märchen der Masters of Universe, die frauenfeindlichen Religionen phallischer Erlöser. Bleibt für Frauen nur die niedrigen Kulturen der Mütter, die vorsintflutlichen Matriarchate und das Reich der bewusstseinslos-zirpenden Heimchen am Herd.

Selbst von Feministinnen wird das Matriarchat als Mythos abgetan. Sie haben weniger Schwierigkeiten, an den Himmel zu glauben, als die unübersehbaren Spuren einer ganz anderen Wirklichkeit anzuerkennen, die in den ältesten Zeugnissen der Völker, im kollektiven Unbewussten und in den Sehnsüchten der Menschheit zu finden sind.

Für Nietzsches Zeitgenossen Bachofen war das Heraufkommen des Patriarchats „die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts.“

Wie kann man leugnen, was heute unübersehbare Realität in allen Patriarchaten der Erde ist? Die Mär vom Sündenfall, der die ganze Menschheit korrumpierte, hat seine planetarische Wirkung hinterlassen – selbst bei Frauen. Dass es einst ganz anders war und teilweise noch immer ist, lässt sich in vielen archäologischen Funden, in literarischen Belegen und bei vielen Urgesellschaften der Gegenwart nachweisen, die sich gegen die Dominanz westlicher Hochkulturen zur Wehr setzen.

Bachofen nennt Matriarchat das Mutterrecht: „Mutterrecht stammt von unten, ist

chthonischer Natur und chthonischen Ursprungs; das Vaterrecht dagegen kommt von oben, ist himmlischer Natur und himmlischen Ursprungs.“ (Chton = die Erde)

Dennoch war Bachofen von der Überlegenheit des lichten Mannes über das nächtliche Reich des Weibes überzeugt:

„In der Gynaikokratie beherrscht die Nacht den Tag, den sie aus sich gebiert, wie die Mutter den Sohn; in dem Vaterrecht der Tag die Nacht. Die irdische Entwicklung ringt so lange, bis sie das kosmische Vorbild der Himmelskörper in voller Wahrheit verwirklicht. Dieses letzte Ziel ist erst mit der Herrschaft des Mannes über die Frau, der Sonne über den Mond erreicht.“    

Männliche Vernunft wurde zur Herrschaft des Lichtes über das nächtliche Reich der Frau. Nicht nur die Vernunft, auch der Glaube wurde gleichgesetzt mit der immerwährenden Helligkeit der Sonne, die das düstere Reich des Teufels – und der Frau überwältigen wird. Teufel und Frau wurden Synonyme.

„Und wird keine Nacht da sein, und sie werden nicht bedürfen einer Leuchte oder des Lichts der Sonne; denn Gott der HERR wird sie erleuchten, und sie werden regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ (Offenbarung des Johannes)

Wenn Vernunft und Glaube, obgleich inkompatibel, sich unisono als Dominanz des Lichtes über die Finsternis ausgeben, darf man sich nicht wundern, dass sie sich gelegentlich als zweieiige Zwillinge präsentieren.

Doch das Reich der Mütter ist nicht die Nacht – und ein permanenter Tag wäre der gleißende, verbrennende Tod alles Lebens. Leben ist zyklische Ergänzung von ruhender Stille in der Dunkelheit und freudiger Tätigkeit im Licht.

„In Wirklichkeit aber ist dieses goldene Zeitalter der Frau nur ein Mythos.“ (Simone de Beauvoir)

Ein Mythos ist weder Lüge noch Illusion. Mythos ist „unwillkürlich aus dem Unbewussten schaffend und gestaltend – bildhaft“. Logos ist „bewusst, zergliedernd und – begrifflich.“ (Wilhelm Nestle, Vom Mythos zum Logos)

Jeder Mythos kann zum Logos werden, sie sind keine unvereinbaren Gegensätze.

Indem die Griechen Licht ins Dunkel ihrer Göttererzählungen brachten – fanden sie die Philosophie. Nicht alles Mythische hielt stand, vieles musste kritisiert und ausgemustert werden. Doch das Unbewusste ist nicht komplett das Reich düsterer Vernunftfeindlichkeit. Je menschenfreundlicher der Mythos, je leichter ist es, ihn in helle Rationalität zu übersetzen. Die meisten Naturreligionen sind Apotheosen der weiblichen Mutter Erde.

Die Verleugnung des Matriarchats ist identisch mit dem Denk- und Lustverbot der realen Utopie. Die Sehnsucht nach einem goldenen Zeitalter muss, so die Verteidiger der harten Realität, schon deshalb illusionär sein, weil das Paradies in der Frühzeit der Menschheit angesiedelt wird. Alles Vergangene aber muss falsch sein, weil es von gestern ist. Selbst, wenn es einst wahr gewesen sein sollte, ist es im Verlauf der Zeit falsch geworden.

Das Vergangene ist das Alte, welches von futuristischen Dogmatikern als satanische Vision des Verruchten oder als irreführende Fata Morgana dämonisiert wird. „Das ist schon so lange her, dass es gar nicht mehr wahr sein kann,“ zitierte Hegel gelegentlich eine schwäbische Weisheit. Simone de Beauvoir stand noch derart im Banne einer männlich-linearen Heilsgeschichte, dass sie das Matriarchat nur in der Zukunft erblicken konnte.

Dass die Gleichberechtigung der Frau bei den Griechen begann, hat Beauvoir so wenig gesehen, wie Marx zugeben konnte, dass die Griechen über eine ausgefeilte Kapitalismuskritik verfügten, die die seinige an begrifflicher Schärfe weit überragte. Im „Streit der Modernen mit den Alten“ haben die Modernen – aus eitler Überlegenheit und profilneurotischer Eifersucht – die Fähigkeit eingebüßt, die Vorzüge der Altvorderen zu würdigen.

Wer Wissen mit Macht verwechselt, kann die Überlegenheit einer naturliebenden und kosmisch verbundenen Erkenntnisliebe nicht mehr würdigen.

Wer Maschinen erfindet, die auf Knopfdruck den Planeten in Schutt und Asche legen, muss aller maschinenlosen Weisheit der Vergangenheit weltenweit überlegen sein.

Auch die deutschen Graecomanen Goethe und Schiller entwickelten nach einer schwärmerischen Jugendzeit den Ehrgeiz, die gepriesene Vergangenheit der Hellenen zu überwinden. Faust ist kein Grieche, der, im Gespräch mit Philemon und Baucis, sich mit der meditativen Schau des Wahren begnügt hätte. Er musste das friedliche Paar ermorden lassen, um sich als imperialer Naturzerstörer und ruchloser Volksbeglücker zu beweisen. Dem brandgefährlichen Markt-Schreier Trump ist er ähnlicher als dem gerechten Solon oder dem scharf denkenden Demokrit.

Für Beauvoir sind Sappho und Aspasia Ausnahmen, die die Regel der weiblichen Versklavung bestätigen würden. Auch die amerikanische Altphilologin Sara Pomeroy hält die starken Frauenfiguren der griechischen Tragödien und Komödien für reine Projektionen griechischer Männer.

Doch Projektionen sind keine Illusionen. Sie entstammen dem Fundus der Erfahrungen, die man verschieben, verleugnen und verfälschen kann. Erfinden aus dem Nichts jedoch kann man sie nicht.

Es kann nicht geleugnet werden: in Athen waren Frauen minderwertige Wesen. Doch das Naturrecht der Schwachen begann, die Gleichberechtigung aller Menschen zu lehren.

Auch das ist eine Schwäche des heutigen Feminismus, Diotima, Aspasia, Sappho, Lysistrata, Antigone und die vielen starken Frauen der Griechen nicht zur Kenntnis zu nehmen, um von ihnen zu lernen. Wie die technischen Zukunftsanbeter wollen sie der Vergangenheit allseits überlegen sein – ohne zu bemerken, dass sie sich der männlich-linearen Heilsgeschichte unterworfen haben.

Was der Mensch nicht schon in sich hat, wird er nimmermehr erlernen. Lernen ist Erinnern. Erinnern des Vergangenen, das im Verlauf der Zeiten verdrängt und verleugnet wurde. Das unverkürzte Potential der Wahrheit tragen wir als Erbe der Natur in uns. Mutter Natur hat uns nicht nackt, bloß, dumm und dämlich in die Welt geworfen. Was sie uns mitgegeben hat, sollten wir ausgraben und entwickeln.

Mäeutik, die dialogische Fragekunst des Sokrates, ist nichts als eine Übersetzung der Hebammenweisheit seiner Mutter ins Ideelle. Gebären können wir nur, was wir als Kapital der Natur in uns bergen.

Philosophie war die Ahnung androgyner Männer, die Liebe zur Wahrheit werde uns ins Reich der Mütter tragen. In Epikurs Garten konnte eine Hetäre Leiterin der Philosophenschule werden. Nehmen wir nur Hippias:

„Naturwidrig erschien ihm die gewaltsame Unterdrückung gewisser Menschenklassen durch Gesetz und Brauch, so der von geistiger Bildung und politischer Betätigung ausgeschlossenen Frauen.“ „Die Bestrebungen für eine höhere Bildung und eine freiere gesellschaftliche Stellung der Frau müssen schon im Zeitalter des Perikles und der Aspasia eingesetzt haben.“

Der Sophist Antiphon ist besonders zu nennen. „Er greift die Unterscheidung von Hellenen und Barbaren an. Beides wird von ihm damit begründet, dass „wir von Natur alle in jeder Hinsicht in unserem Wesen gleich sind.“ Alles, was für den Menschen von Natur notwendig sei, sei überall das gleiche und leicht zu beschaffen. Gleichermaßen für Hellenen und Barbaren: „Atmen wir doch alle durch Mund und Nase in die Luft aus und essen wir doch alle mit den Händen.“ Es war unvermeidlich, dass Antiphon die Zweiteilung in Freie und Sklaven für unberechtigt erklärte.

In Übereinstimmung mit Antiphon hören wir von Euripides, es sei eitel, die vornehme Geburt als einen Vorteil zu preisen. Die gemeinsame Mutter Erde habe allen Sterblichen das gleiche Aussehen gegeben; nur Gesetz und Brauch habe im Laufe der Zeit das überhebliche Bewusstsein des Adels hervorgebracht. Wahrer Adel bestehe in Besonnenheit, Verstand sei keine Gabe des Reichtums. Dieser ist ungerecht und ein Mittel zur Verweichlichung, während die Armut tüchtige und zum Handeln entschlossene Männer erzöge. Aus diesen Äußerungen müssen wir schließen, dass Antiphon die Sklaverei als eine naturwidrige Einrichtung gekennzeichnet hat.“ (Nestle)

Dass die Frühzeit der Menschheit von Müttern geprägt wurde, bestätigen wider Willen – die biblischen Schriftsteller. Eva, die Urmutter aller Menschen, ist eine Philosophin. Sie musste zu Fall gebracht werden, damit der Mensch zum erlösungsbedürftigen Objekt eines allmächtigen Gottes denaturiert werden konnte.

Der Fall wurde zum Sündenfall, der alle Menschen ins Verderben riss. Ein veritabler Sohn des Gottes musste sein ätherisches Domizil verlassen und durch den schändlichen Geburtskanal eines Weibes – der zuvor durch ein göttliches Wunder gereinigt wurde – auf die Welt kommen. Die natürlichen Gesetze des Weibes musste Gott außer Kraft setzen, damit sein Einziger und Bester rein und unbehelligt zum Menschen werden konnte.

Die gesamte Heilsgeschichte ist der unendlich lange Versuch der Herren der Erde, die heillose Wirkung der Urmutter Eva mit dem himmlischen Flammenwerfer abzufackeln.

„Derhalben, wie durch einen Menschen die Sünde ist gekommen in die Welt und der Tod durch die Sünde, und ist also der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben. Denn so um des einen Sünde willen der Tod geherrscht hat durch den einen, viel mehr werden die, so da empfangen die Fülle der Gnade und der Gabe zur Gerechtigkeit, herrschen im Leben durch einen, Jesum Christum. Wie nun durch eines Sünde die Verdammnis über alle Menschen gekommen ist, so ist auch durch eines Gerechtigkeit die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen gekommen. Denn gleichwie durch eines Menschen Ungehorsam viele Sünder geworden sind, also auch durch eines Gehorsam werden viele Gerechte.“ (Römer 5)

Paulus war ein Weiberfeind par excellence. Frauen sollten in der Gemeinde ihre vorlaute Klappe halten. Am besten wäre es für den Mann, keine Frau zu haben. Frauen seien nur gut zur Vermeidung von Unzucht und zum Gebären von Kindern. Der wirkliche Erfinder des Christentums hasste die Frau derart, dass er Eva nicht mal als Verderberin der Menschheit gelten ließ, sondern den belanglosen Mitläufer Adam zum Oberbösewicht ernannte.

Eine beispiellose Verfälschung der ganzen biblischen Heilsgeschichte. Die Frau ist es nicht mal wert, die wichtigste und teuflischste aller Verführerinnen zum Bösen zu sein. Gemäß dem Motto: viel Feind, viel Ehr, darf eine Frau nicht die größte Ehre der Feindschaft erhalten. Eva wird nicht einmal genannt. Adam, der Appendix, die profillose Schattenexistenz, muss der erste und wichtigste Sünder der Menschheit werden, damit Christus einen würdigen Gegenpart erhält, den er besiegen kann, um die Menschheit zu erlösen. Man stelle sich vor, der Sohn Gottes müsste in dringlicher Mission auf die Erde niederfahren, um eine – Frau zu besiegen. Welch eine Schmach!

Dabei weiß jeder Grundschüler nach zwei Jahren Religionsunterricht, dass Paulus ein Geschichtsfälscher ist, der die Ehre männlicher Auserwählter verteidígte.

„Und das Weib schaute an, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß er lieblich anzusehen und ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte; und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann auch davon, und er aß. Da wurden ihrer beiden Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schürze.“

Eva wollte nicht nur klug werden, sie fand es auch lustig, klug und weise zu werden. Lernen machte ihr – horribile dictu – noch Spaß. Das schlägt dem Fass die Krone aus. Gott zu widerstehen ist ein Akt der Lust.

Seit der bösen Eva bedeutet sich selbst erkennen so viel wie: sich nackig machen. Nicht vor der NSA, aber vor der Wahrheit gilt die Frage: was, oh Mensch, hast du zu verbergen, dass du dich erkennen willst, indem du dich versteckst und Theater spielst?

Bei Eva spüren wir noch sokratischen Geist. Erkenne dich selbst, heißt: überprüfe dein Leben. Vor Menschen, die dich respektieren und lieben, hast du nichts zu befürchten. Nur vor Gott, der deine Fehler zu teuflischen Sünden erklärt, musst du dich mit einem Feigenblatt bedecken.

Selbst der Schöpfer konnte nicht umhin, die erstaunliche Leistung der Frau anzuerkennen.

„Und Gott der HERR sprach: Siehe, Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, daß er nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, daß er das Feld baute, davon er genommen ist, und trieb Adam aus und lagerte vor den Garten Eden die Cherubim mit dem bloßen, hauenden Schwert, zu bewahren den Weg zu dem Baum des Lebens.“

In modernen Übersetzungen steht an Stelle Adams: der Mensch ist worden wie unsereiner; denn Adam heißt Mensch. Der heutige Leser soll die Assoziation gewinnen: nicht nur Adam, auch Eva ist gottähnlich geworden. Bleibt man bei Adam, fällt die Gottähnlichkeit der Frau weg. Sie hat die Leistung der erkennenden Empörung gebracht, doch die Frucht der widerwilligen Anerkennung erhält der Besitzer jener Rippe, aus der sie zum Rippenfortsatz gemacht wurde.

Was war die Leistung der wissenden Frau? Zu erkennen, was gut und böse ist. Wir reden von Moral. Nun ahnen wir, warum Moral in den Machozeiten der Gegenwart keinen guten Klang hat. Moral ist weiblich, also minderwertig. Moral, so alle Machiavellisten der Menschheitsgeschichte, ist die Erfindung von Schwachen, die es nötig haben, die Starken und Bedenkenlosen mit jämmerlichen Vorschriften an die Kette zu legen.

Hätte Gott bei der Auszeichnung der Frau mit dem höchsten Verdienstorden des Himmels die Gelobte nicht über alle Maßen belohnen und preisen müssen?

Die Logik des Männergottes – wie die aller Männer – lässt zu wünschen übrig. Er bestraft das kluge Weib und ernennt sie zur verruchtesten Sünderin aller Zeiten. Die ganze Menschheit verdankt es der moralischen und klugen Frau, dass sie in alle Ewigkeit verdammt wird – wenn sie sich nicht dem Erlöser zu Füßen wirft und um Gnade fleht.

„Patriarchalisch geprägte Glaubensvorstellungen geben der Mutter die Schuld, dass jedes Leben dem Tod geweiht ist. Denn sie war es, die nur endliches Leben schenkte. Anstatt Gott für die Vertreibung Adams aus dem Paradies, wo er ewig hätte leben können, verantwortlich zu machen, beschuldigten die Patriarchen Eva. Das apokryphe Buch Jesus Sirach schreibt, alles Böse habe mit der Frau begonnen: „Ihretwegen sterben wir alle.“ Paulus gibt nur Eva die Schuld und spricht Adam frei: „Nicht Adam wurde verführt, sondern die Frau ließ sich verführen und übertrat das Gebot.“ (1. Tim, 2,14)

Im Jahre 418 n.Chr. verkündete ein Kirchenkonzil, es sei Häresie, den Tod als natürliche Notwendigkeit und nicht als Folge von Evas Ungehorsam zu bagatellisieren. Tertullian attackiert jede Frau mit den Worten: „Und du wolltest nicht wissen, dass du eine Eva bist? Noch lebt in dieser Welt das Strafurteil Gottes über dein Geschlecht fort; also muss auch deine Schuld fortleben. Du bist es, die dem Bösen Eingang verschafft hat … Du hast zuerst das göttliche Gesetz außer acht gelassen; du bist es auch, die den betört hat, dem der Teufel nicht zu nahen vermochte. So leicht hast du den Mann, das Ebenbild Gottes, zu Boden geworfen. Wegen deiner Schuld, also um des Todes willen, musste auch der Sohn Gottes sterben.“ (Alles in Barbara Walker, Das geheime Wissen der Frauen)

Halten wir uns nicht mit der Kleinigkeit auf, dass der Verfasser des Timotheusbriefes dem des Römerbriefs flagrant widerspricht. Bei letzterem kommt Eva gar nicht vor. Bei ersterem – ob Paulus oder nicht – wird Eva die Ehre der größten Sünderin zuerkannt. Hätte Eva es noch geschafft, von Baume des Lebens zu brechen, wäre der Mensch unsterblich geworden. An der Sterblichkeit des Menschen ist allein die Frau schuldig – obgleich sie noch mehr hätte sündigen müssen, um das zweite Kapitalverbrechen an Gott zu verüben.

Wenn Silicon-Valley-Giganten heute den Menschen unsterblich machen wollen, tun sie nichts anderes, als die Sünde Evas – als unterlassene zweite Generalsünde – zu revidieren. Biblisch gesprochen, verstoßen die algorithmischen Todesüberwinder gegen das Verbot Gottes, vom Baum des Lebens zu brechen. Unsterblich sollten sie auf keinen Fall werden.

Früher hätten Theologen auf Konzilien sich den Schädel eingeschlagen, um solche köstlich-verflixten Fragen bis zur Unkenntlichkeit zu verdrehen, natürlich nur, um sie zu lösen. Heute kräht kein Hahn mehr nach solchen Filibustereien. Niemand kennt die Texte: wer sollte sie deuten?

Was aber sind die realen Folgen der Ursünde Evas? Die Menschen werden aus dem Paradies vertrieben, bis zur Wiedereröffnung nach dem Jüngsten Gericht wird der Garten versiegelt. Hier sehen wir den eigentlichen Grund des gegenwärtigen Utopieverbots. Das Verbot bedeutet nicht, dass die Gläubigen sich an das Verbot halten würden. Für Hegel ist Evas Widerspenstigkeit eine Spitzenleistung des denkenden Menschen – der sich gleichwohl unter den Willen des Absoluten Geistes beugen muss.

„Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit“. Wenn ich aus eigenem Entschluss der Notwendigkeit gehorche, bin ich frei. Über Marx bis Lenin und Stalin hatte dies den Sinn: wer sich nicht freiwillig dem Willen der Partei unterordnet, wird einen Kopf kürzer gemacht.

Was sind die Folgen des Sündenfalls für das Weib? Beschwerden bei jeder Schwangerschaft, unter Schmerzen soll sie Kinder gebären – und ein Leben lang erziehen. Die gegenwärtige Mode: regretting motherhood (ich bedaure, Mutter geworden zu sein), ist die logische Folge des Sündenfalls. Demnächst werden wir bedauern, dass wir geboren worden sind und nicht gleich bei der Geburt das Zeitliche gesegnet haben.

Wenn Kulturen sich kollektiv ins Messer stürzen, kommt die Klage auf: ach, wäre ich nie geboren. An der Gesamtmisere der leidenden Menschheit ist wer schuldig? Die Frau. Dafür muss sie mit allen Mitteln männlicher Rache gestäupt werden. Ihre natürliche Geburt ist verdorben und minderwertig. Wer vollwertiger Mensch werden will, muss ein zweites Mal geboren werden: von Oben.

Arbeit unter Mühsal ist eine andere Folge der Sünde. Das hat der Kapitalismus verinnerlicht und verordnet der räudigen Masse eine Maloche zum ungerechten Hungerlohn. Doch niemand dürfte auf die Idee kommen, die Sklavenarbeit aufzugeben – außer den Reichen, die die Kunst des Arbeitens bei Sekt, Wein und Weib erfunden haben.

Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Todesstrafe für Arbeitsverweigerer. Das also ist die Alternative für alle, die der Strafe des entfremdeten Malochens entgehen wollen und eine selbstbestimmte Tätigkeit in Lust und Freuden bevorzugen. Eilen die Eliten herbei, die Bluthunde des Himmels und beginnen ein schrecklich Geschrei: seht die faulen Säcke, die auf unsere Kosten faulenzen. Es war die Esspedee, die die Hartz4-Polizei erfand, um alle Arbeitsverweigerer – die unschuldig ihre Arbeit verloren – ins Korsett des Paulus zu legen. Eine treffliche Leistung der beiden Atheisten Schröder und Fischer.

Auch Francis Bacon wollen wir nicht vergessen, der als Frommer nichts unterließ, um die Folgen des Sündenfalls zu überwinden. Durch technisches und naturwissenschaftliches Machtwissen, das die Welt der Heiden erobern und die ganze Natur zerstören soll. Auf dass der Messias komme, um eine funkelnagelneue zu schaffen. Aus jenem Nichts, das seine Frommen mit verbissenem Ingrimm herstellen.

Wahrlich, wir leben in lustigen Zeiten.

 

Fortsetzung folgt.