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Europäische Idee XXII

Hello, Freunde der europäischen Idee XXII,

wer macht mit beim lustigen Papst-Widerlegen? Heute ein Wahrheitsspiel, früher führte es zu 30-jährigen Kriegen.

Ein Fortschritt? Unbedingt. Die Menschheit hat keine Berechtigung, von unaufhaltsamen Fehlentwicklungen und unkorrigierbaren Irrläufen in die Zukunft zu sprechen. Sie hat keine Legitimation, sich ins Unvermeidbare zu schicken. Nur Amokläufer, die sich als Herostraten des Untergangs aufspielen, bezeichnen den Fortschritt in den Untergang als unumgänglich und schicksalshaft.

Es gibt nur zwei Unvermeidbarkeiten: den Tod und die symbiotische Treue zur Natur. Just diese ersatzlosen Bedingungen des Lebens werden von Fortschrittlern der Selbstauslöschung im Gottähnlichkeitswahn ignoriert: den Tod überwindend wollen sie unsterblich werden, die Natur schleifend eine zweite technische Übernatur an ihre Stelle setzen. Beide Vorhaben sind Verbrechen, die von keinen anderen Verbrechen übertroffen werden können, Verbrechen an der Menschheit und Verbrechen an der Natur. Die Natur wird die Verbrechen überleben, die Menschheit nicht.

Es gibt einen Fortschritt: das fortschreitende Lernen des Menschlichen.

Technischer Fortschritt, der sich anmaßt, alle Mängel der Menschen durch Perfektion lebloser Maschinen zu überwinden, ist kein Fortschritt, sondern ein Amoklauf in den Untergang.

Feige und Mutlose, die immer nur Abgrund und Apokalypse sehen, haben es verstanden, sich als die Aufrichtigsten und Tapfersten zu verklären. Nur sie wären imstande, die Wahrheit im Angesicht des absoluten Grauens auszusprechen, nur sie würden der Menschheit den Spiegel ihrer Inkompetenz ungefiltert vorhalten. In Wahrheit prophezeien sie nur die Ausgeburten ihrer paranoiden Todessehnsucht.

Niemand blickt in die Zukunft, die von nichts und niemandem festgelegt wird. Weder von Göttern, noch von Heilsgeschichten oder ehernen

Schicksalsmächten. Abgesehen von gigantischen Naturkatastrophen kommt nichts auf uns zu, was nicht von Menschen gemacht wäre, von Menschen also auch verändert werden kann.

Hier spielt der Glauben der Vernunft eine Rolle, der es einzig verdiente, Glauben zu heißen: der Glaube an die Menschheit, der durch blasphemischen Glauben an übermenschliche Mächte und Erlöser ins Gegenteil verkehrt wurde. Nur wer an den Menschen glaubt, ist fähig, die Gegenwart des Menschen zu sichern und seine Zukunft vorzubereiten. Nur woran wir glauben, können wir in Taten verwandeln. Woran wir nicht glauben, wird im Abgrund verenden.

Vernünftiger Glaube bedeutet, aus eigener Kraft erarbeiten, erkämpfen und verwirklichen, was wir bedingungslos für richtig halten: das Überleben der Gattung in Frieden mit allen Menschen und in Eintracht mit der Natur.

Der bedingungslose Glaube an die Utopie ist die Voraussetzung aller Überlebensfähigkeit des Menschen. Wer sie verneint, verhöhnt und lächerlich macht, verneint die Menschheit. Überlebensfähig ist der Mensch allein durch vitale, volle und freudige Lebenskunst.

Der Glaube gibt allerdings keine Garantien. Er ist nicht allmächtig. Nur der Unglaube kann die tödliche Garantie geben, dass der Mensch sich eliminiert, wenn er sich aufgeben wird.

Würden alle Menschen den Glauben an ihre Gattung teilen, wäre er ein harmloses und fröhliches Kinderspiel. Würden alle Menschen an einem Strang ziehen: welche satanische Macht, die es nicht gibt, könnte sie zum Untergang verurteilen?

Viele Menschen jedoch glauben lieber an göttliche Personifikationen ihrer Verzweiflung, die ihnen durch wahnhafte Offenbarung erklären, der Mensch sei eine Fehlkonstruktion der Evolution. Der Mensch sei etwas, das überwunden werden muss. Den vernünftigen Glauben an den Menschen opferten sie einem Afterglauben an menschenhassende Götter, deren Botschaft lautet: der Mensch, der fluchwürdige Madensack und Sündenkrüppel, muss untergehen, auf dass wir – Ausgeburten einer krankhaften Phantasie – den Endsieg über die Missgeburten der Hölle feiern.

Die Rede des toten Erlösers vom Weltengebäude herab, dass kein Gott sei, darf kein Alptraum, er muss zum Hoffnungstraum der Menschen werden. Der Glaube an den Menschen setzt den Unglauben an menschenfeindliche Götter voraus. Götter sind erlaubt, wenn sie die Menschen lieben und ihnen wohlwollen. Solche Götter sind mütterliche Repräsentanten der Natur. Vatergötter haben sich die „Torheit eingebildet, die Welt zu erschaffen.“ Was wir brauchen, ist der Glaube an die „Heiligung der Natur und die Wiedereinsetzung des Menschen in seine Gottes- und Lebensrechte.“ Gott muss gehen, Mutter Natur muss bleiben, damit der Mensch seine irdischen Tage in Freuden verbringen kann.

Heute gibt es nur technischen Fortschritt. Er ist Sprössling eines Glaubens, der den Menschen zum todbesiegenden Feind der Natur erklärt. Wie jener Gott, der Tod und Natur überwunden haben will, um in grenzenloser Unendlichkeit zu existieren, so soll der gottähnliche Mensch werden. Fortschritt mit allein seligmachender Technik ist Rückschritt im Erlernen der Humanität.

Fortschritt, Kind neuzeitlicher Naturwissenschaft, den die Aufklärung übernahm, um moralischen und technischen Fortschritt als Einheit zu feiern, war eine Umwandlung des christlichen Endzeitglaubens in konkrete Fähigkeiten des Menschen.

Ab der Neuzeit begann der christliche Glaube sich aus bloßem Bekennen und Fürwahrhalten in Produzieren aus eigenem Ingenium zu verwandeln. Wie der Priester irdisch Brot und Wein in überirdisch Leib und Blut Christi verwandelte, so verwandelten gläubige Naturwissenschaftler den Glauben an ein kommendes Reich Gottes in die technische Fähigkeit des Menschen, das Reich Gottes selbst herzustellen. Wie der Sohn Fleisch ward, so musste der Himmel irdisch werden, auf dass die Menschen ihre Gottähnlichkeit unter Beweis stellen konnten.

Der Irrtum früher Christen bestand im Glauben an eine menschenunabhängige, himmlische Welt, der sie sich meditierend unterzuordnen und die sie betend und hoffend herbei zu flehen hätten. Mehr als 1000 Jahre nach Erfindung der Frohen Botschaft erkannten sie, dass sie selbst dafür zuständig seien, ihren Glauben durch technisches Tun und Erobern der Welt der ganzen Menschheit als überlegene Wahrheit zu beweisen. Mönche mit gigantischen Machtvisionen waren die Väter der modernen Naturwissenschaft.

Die Epoche der Aufklärung war kein monolithischer Block. Es gab christentumskritische Aufklärer wie Voltaire, aber auch solche, die Vernunft und Glauben für kompatibel hielten, wie viele Engländer. Der Gott der Aufklärer war eine schillernde Erscheinung aus Gott als Vernunft, Gott als Natur und Resten biblischen Kindheitsglaubens.

Der Fortschritt als Umwandlung des Glaubens an den kommenden Messias changierte demgemäß zwischen Glauben an die vernünftig-moralische Perfektion des Menschen – bis zum Glauben an die technische Vervollkommnungsfähigkeit des aller Welt überlegenen abendländischen Menschen.

Bei dem Franzosen Condorcet gab es noch die ungetrübte Einheit aus technischem und moralischem Fortschritt. Er war überzeugt, dass „die Natur der Vervollkommnung der menschlichen Fähigkeiten keine Grenze gesetzt habe, dass die Fähigkeit des Menschen zur Vervollkommnung tatsächlich unabsehbar ist. Was für ein Schauspiel bietet dem Philosophen das Bild eines Menschengeschlechts dar, das von allen Ketten befreit, der Herrschaft des Zufalls und der Feinde des Fortschritts entronnen, sicher und tüchtig auf dem Wege der Wahrheit, der Tugend und des Glücks vorwärtsschreitet, ein Schauspiel, das ihn über die Irrtümer, die Verbrechen, die Ungerechtigkeiten tröstet, welches die Erde noch immer entstellen und denen er oft selbst zum Opfer fällt. Sie erfüllt ihn mit der Freude, etwas bleibend Gutes bewirkt zu haben, etwas, das kein Verhängnis mehr in unheilvollem Ausgleich zerstören wird, indem es Vorurteil und Sklaverei wiederkehren lässt. Ohne Zweifel können diese Fortschritte schneller oder langsamer erfolgen, doch niemals werden es Rückschritte sein, wenigstens solange die Erde ihren Platz im System des Universums behält.“

Hier sehen wir die unvermeidliche Kehrseite der anfänglichen Begeisterung über den Fortschritt in allen Bereichen: der Glaube an den Fortschritt wurde zum Glauben an den unzerstörbaren und unumkehrbaren Fortschritt des Menschen, sei es in technischer oder politisch-moralischer Hinsicht.

Wie die Naturwissenschaftler die Gesetze der Natur, so glaubten die Philosophen die ehernen Gesetze der Geschichte und der menschlichen Vervollkommnungsfähigkeit entdeckt zu haben. Man könnte sagen, der von keinen Zweifeln getrübte Kindheitsglaube an die Wiederkehr des Herrn wurde zum Glauben an den automatischen Fortschritt des Menschen in jeder Hinsicht.

Der Glaube an den automatischen Fortschritt erlitt in Rousseau einen gewaltigen Dämpfer. Obgleich der französische Schweizer auch in Deutschland einen ungeheuren Erfolg hatte, waren die deutschen Denker nicht bereit, sich vom automatischen Fortschritt zu verabschieden. Von Kant über seinen Kritiker Hegel bis zu Hegels Kritiker Marx waren alle unisono von der Unumkehrbarkeit des Fortschritts überzeugt.

Kant: „Die Bestimmung des menschlichen Geschlechts im ganzen ist unaufhörliches Fortschreiten.“ „Dass die Welt im ganzen immer zum Besseren fortschreite, dies anzunehmen berechtigt keine Theorie, aber wohl die reine praktische Vernunft.“ Der Fortschritt könne zwar „bisweilen unterbrochen, aber niemals abgebrochen werden.“ „Es ist anzunehmen, dass das menschliche Geschlecht im Fortschreiten zum Besseren immer gewesen sei und es fernerhin fortgehen werde.“

Durch wen aber wird der Fortschritt erfolgen? Wir erhalten eine typisch deutsche Antwort: „Erfolgen wird der Fortschritt nicht durch Erziehung der Jugend („von unten herauf“), sondern „von oben herab“, von der Staatsmacht aus, wozu gehöre, dass der „Staat sich von Zeit zu Zeit auch selbst reformiere und statt Revolution Evolution versuchend zum Bessren beständig fortschreite.“

Wir sehen, der Erfinder der „Konservativen Revolution“, der grundlegenden Veränderung der Gesellschaft von Oben, ist – Aufklärer Kant, der kein Freund demokratischer Massen war, sondern alles von der Weisheit der Regierenden erwartete – was allerdings nicht die platonische Alleinherrschaft philosophischer Weisen bedeutete. „Räsonniert, soviel ihr wollt und worüber ihr wollt, aber gehorcht.“

Das ist die Crux aller deutschen Denker, dass sie der politischen Autonomie der Französischen Revolution misstrauten und weiterhin, in bester lutherischer Untertanenmentalität, alles von der Obrigkeit oder einer automatischen Heilsgeschichte erwarteten.

Weiter hat es Angela Merkel auch nicht gebracht. Ihre demokratische Kompetenz hat sich zur lachhaften Pose verdünnt. Der Glaube der Deutschen an die alternativlose Unersetzbarkeit der Zuversicht verbreitenden Mutter der deutschen Wirtschafts-Lokomotive hat sie ausgenutzt, um ihre charismatische Alleinherrschaft hinter dürftiger demokratischer Maske zu etablieren. Sollte die Mutter der Kompanie eines Tages abtreten müssen, wird Heulen und Zähneklappern in Neugermanien sein.

Hegels Fortschritt war ohnehin nicht das Werk der Menschen. Als frommer Lutheraner erwartete er das Reich Gottes als Werk einer himmlischen Macht, doch als eschatologischer schwäbischer Pietist erwartete er das Reich nicht mehr, er war überzeugt, dass es bereits Wirklichkeit geworden war: in Berlin. Und er, Hegel, war der Künder der himmlisch-irdischen Synthese.

Das war ein Wettrennen mit dem jungen Amerika, das sich jenseits des Meeres als das Neue Kanaan ausgerufen hatte. Wie die Amerikaner die vorgefundene Natur und die Indianer zerrieben, um ihren Wettlauf ins Goldene Jerusalem zu beschleunigen, so war auch Hegel von der naturzerstörenden Gewalt des Fortschritts überzeugt: „Der Weltgeist schreitet immer vorwärts zu, weil nur der Geist ist Fortschreiten.“ Der Geist aber ist der Widersacher der Natur: „Erkennen des Wahren ist erst durch das Zerreißen der Einheit von Mensch und Natur möglich geworden.“

Rousseau hatte die indianische Urbevölkerung bewundert. Hegel fand ihre Ausrottung für unvermeidlich und weltgeist-konform: „Ursprüngliche Amerikaner sind nicht in der Lage, sich gegen die Europäer zu behaupten.“ Das ist neoliberale Vernichtungslogik. Was schwach ist, hat kein Existenzrecht.

Was Hegel theoretisch formulierte, verwirklichen moderne Amerikaner in ihrer technischen Traumfabrik Silicon Valley bis zum Exzess. Die Natur, den Tod als Regeneration des Lebens nutzend, muss zerstört werden. Der Mensch ist das nicht mehr korrektivfähige Wesen, das überwunden werden muss. Der Gott der evolutionären Entwicklung über alle Menschen hinaus ist – der unsterbliche geniale Roboter.

Rousseaus Fortschrittskritik hat man als Kritik an der Aufklärung gedeutet. Voltaires spöttische Frage, ob er bei der Rückkehr zur Natur wieder beginnen solle, auf allen Vieren zu kriechen, war eine gekonnte Frechheit. Verstanden hatte der kulturierte Hoch-Bourgeois den dahergelaufenen Autodidakten nicht.

Auch Rousseau wollte, dass die Menschheit moralischer und vollkommener werde. Dies jedoch würde auf der verdorbenen Bahn einer technischen und ökonomischen Quantifizierung niemals gelingen. Der Mensch müsse von vorne beginnen. In seinen natürlichen Anfängen sei der Mensch vollkommen gewesen. Erst durch Abwendung von seiner intakten Ursprungsnatur sei er moralisch degeneriert.

Im Geiste Rousseaus hatte Heinrich Heine später seine eigene Utopie entwickelt. Er sprach von „jener großen Naturphilosophie, die wir bei den altgriechischen Philosophen finden, die erst durch Sokrates mehr ins menschliche Gemüt selbst hingeleitet wird und die nachher ins Ideelle verfließt.“

Heine sieht Ähnlichkeiten mit Rousseaus Naturglauben bei Paracelsus, der jene „große Naturphilosophie restaurierte, die, aus der alten pantheistischen Religion der Deutschen heimlich emporkeimend, die schönsten Blüten verkündete, aber durch den Cartesianismus erdrückt wurde.“ (Religion und Philosophie in Deutschland)

Descartes – oder Cartesius – hatte alles aufs Denken gesetzt. Ich denke, also bin ich. Das war für Rousseau und Heine ein Abfall vom ursprünglichen Glauben der Menschen an die Natur. Die viel gepriesene Kultur war die immer schlimmer werdende Henkerin der intakten Naturfähigkeiten des Menschen. Fortschritt durch Rückschritt zum Besseren: das war der Beitrag des Naturburschen von Unten gegen die Verdorbenheit der oberen Klassen – und wenn sie sich noch so fortschrittlich gerierten.

„In dem Maß, in dem unsere Wissenschaften und Künste zur Vollkommenheit fortschritten, sind unsere Seelen verderbt worden. Man sah die Tugend der Wissenschaften in dem Maß verschwinden, wie deren Licht über dem Horizont emporstieg.“

Hier beginnt die neue Preisung jener Völker, die bislang als wilde, unzivilisierte und ungläubige Völker verachtet und mit Mission und Völkermord überzogen wurden. Zum ersten Mal in der Geschichte Europas geschah es, dass die Anderen, die Fremden, das Maß des Besseren, ja des Vollkommenen wurden. Klar, dass die Rehabilitierung der Wilden zum Gespött über den „edlen Wilden“ wurde. Rousseaus Bewunderung der uramerikanischen Indianer:

„Ich wage nicht von jenen glücklichen Nationen zu sprechen, die nicht einmal dem Namen nach die Laster kennen, die wir mit so viel Mühe unterdrücken, von jenen Wilden Amerikas, deren einfache und natürliche Ordnung Montaigne nicht zögert, nicht allein den Gesetzen Platons vorzuziehen, sondern auch allem, was sich die Philosophie Vollkommenes über die Regierung der Völker vorzustellen vermöchte.“

Freud wurde zum strikten Gegen-Rousseau. Das Unbewusste ernannte er zum Revier der wilden Triebe, die durch die Kultur der Bewusstseins gebändigt werden mussten. Das Es – die Region der Frauen, Kinder und Afrikaner – sollte dem Ich weichen, der Region des disziplinierten, triebunterdrückenden Bürgers und weißen Mannes.

Gibt es eine Dialektik des Fortschritts, wie Adorno & Horkheimer es formulierten – obgleich sie den Fortschritt ganz uncharmant und undialektisch als totalitär schmähten?

Es gibt überhaupt keine Dialektik als prästabilierte finale Harmonie streitsüchtiger, sich gegenseitig vorwärtstreibender Gegensätze. Europa ist ein Schlachtfeld, auf dem seit 2000 Jahren eine heidnische Vernunft sich gegen totalitäre Anmaßungen einer Erlöserreligion wehren muss. Ausgang der Schlacht ungewiss. Den Abendländern ist nicht einmal bewusst, welchen Kampf sie täglich kämpfen müssen. Konflikte, die Menschen überrollen und begraben, sind für sie  so sollen sie glauben – Motoren des Fortschritts.

Obgleich die Frankfurter sich als Marxisten bezeichneten, kippte ihr Glaube an einen automatischen Fortschritt um in den Glauben an einen satanischen Fortschrittstrug. Fortschritt wurde für Adorno „von der Steinschleuder zur Megatonnenbombe satanisches Gelächter“.

Wie vertrug sich diese „negative Dialektik“ mit dem studentisch-optimistischem Glauben an das Reich der Freiheit? Gar nicht. Die Geschichte war es, die den Proleten das Zeichen geben musste, die Revolution durchzuführen. Geschichte, so Habermas, müsse den Menschen entgegen kommen, damit sie auf die Barrikaden gehen durften. Welche Geschichte? Und wenn sie nicht entgegenkommend war? Sollten die Leidenden und Schwachen bis zum Sankt Nimmerleinstag warten und Däumchen drehen – wie eschatologische Sekten, die unbeirrt daran glauben, dass ihr Messias eines unbekannten Tages in den Lüften erscheinen werde?

Die anfängliche Liaison zwischen aufmüpfigen Studenten und dem Elfenbeinturmdenker Adorno musste zerbrechen. Bis heute hat die postmarxistische Linke nicht geklärt, was Aufklärung und autonome Moral für sie bedeutet. Sie dümpelt im hinterlassenen trüben Teich aller ungeklärten Widersprüche zwischen Glauben an einen automatischen Fortschritt und der empfundenen Nötigung zur anarchischen Spontaneität. Durch Partei-Doktrin waren die Spontis zur lähmenden Unspontaneität verurteilt worden. Sarah Wagenknecht formuliert wie eine Dozentin für VWL, für die Entsorgung der Trümmer des ruinierten Sozialismus scheint sich kein Mitglied der Linken zuständig zu fühlen.

Die Moderne will die liberalste Epoche der Weltgeschichte sein. In untergeordneten Dingen wie Konsumieren, Demonstrieren und Shitstormen mag das stimmen. Doch die wahren Zwänge, denen der Untertan der Macht- und Geldwirtschaft gehorchen muss, deklarieren sich nicht als Zwänge, sondern als unvermeidliche, evolutionäre Fortschrittsgesetze.

Die Genialsten unter den Maschinenanbetern bestimmen in einer Atmosphäre unfasslich blinder Gläubigkeit das Schicksal der Menschheit. „Ich will die Welt verändern“, murmeln die Introvertierten von Silicon Valley – und schon haben sie die Legitimation zur Veränderung der Welt.

Deutsche vor allem überschlagen sich in vorauseilendem Gehorsam, die zukünftige Entwicklung der Welt zu prophezeien, um sich ihr geräuschlos unterzuordnen. Ihren sklavischen Gehorsam verbrämen sie mit exquisiten Blicken in die Zukunft. Wer vorausschaut, wer à la Frank Schirrmacher die neuesten futurischen Visionen verkünden kann, der ist immun gegen alle kritischen Nachfragen. Nichts kostbarer als der Silberblick der Propheten. Versteht sich, dass Schirrmacher sich mit einem brillanz-verweigernden nüchternen Denker wie Popper gar nicht erst abgibt. Popper hatte energisch zum Abschied von allen Richtern und Propheten aufgerufen.

Ich will, also bin ich; ich bin genial und kreativ, also bestimme ich das Schicksal der Welt. Der platonisch-christliche Faschismus der Algorithmiker, die Despotie digitaler Weisen ist es, der die Welt in den Abgrund führen wird. Und wir Schafe aller Länder dürfen sagen; wir sind dabei gewesen. Und haben das Maul nicht aufgerissen.

Was aber hat das Ganze mit dem Papst zu tun?

 

Fortsetzung folgt.