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Europäische Idee XVI

Hello, Freunde der europäischen Idee XVI,

wer nur hat die Kinder erfunden? Diese störrischen, eigensinnigen, quengelnden, nervenden, plärrenden, stinkenden, das Glück der Mütter zerstörenden, die Selbstoptimierung der Väter beeinträchtigenden, nur Kosten verursachenden, undankbaren, überflüssigen, die Selbstbestimmung der Erwachsenen destruierenden, die Eltern in den psychischen Ruin treibenden, nur Sorgen und Ängste verursachenden Plagegeister, Nervensägen und Quälgeister?

Wer nur hat die Frauen erfunden? Diese überschätzten, die Männer kastrierenden, über-emotionalen, irrationalen, ihre Bälger anbetenden Konkurrentinnen des Mannes, den sie nie einholen, schon gar nicht überholen werden?

Wer nur hat die Machos erfunden? Diese eitlen, ödipalen, väterermordenden, naturschändenden, macht- und geldgeilen Despoten, die sich als Erlöser und Führer der Menschheit aufspielen?

Wer nur hat die Familie, die Sippe, die Horde erfunden: zu nichts anderem nütze, als die Selbstbestimmung des Einzelnen, der unvergleichlichen Persönlichkeit, des heiligen Ich in Neid und Missgunst zu untergraben und zu verhindern?

Wer nur hat das zoon politicon, die demokratische Gesellschaft, ja die ganze Menschheit erfunden, all diese Überflüssigen, die mein Ego beeinträchtigen, mit denen Ich mich in meiner Unvergleichlichkeit herumplagen muss, die, mir ständig ins Handwerk pfuschend, ununterbrochen das Maul aufreißen, um ihre

ungewaschenen Meinungen in die Welt zu plärren?

Wer nur hat den Anderen erfunden, der mein Ego in seiner glänzenden, alles in den Schatten stellenden Unvergleichlichkeit schändet?

Wer nur wagt es, meine Gottähnlichkeit durch bloßes und anmaßendes Vorhandensein zu deformieren und zu verhöhnen?

Nur deutsche Urdenker haben das Problem erkannt:

„Mir geht nichts über mich.

Kein Ding ist durch sich heilig, sondern durch Meine Heiligsprechung, durch Meinen Spruch, Mein Urteil, Mein Kniebeugen, kurz durch Mein – Gewissen.

Das Ich ist für sich die Weltgeschichte. Stell ich auf Mich, den Einzigen, meine Sache, dann steht sie auf dem vergänglichen, sterblichen Schöpfer seiner, der sich selbst verzehrt, und Ich darf sagen: ich hab mein Sach auf Nichts gestellt.“ (Max Stirner)

Nach Karl Löwith ist der „humanitäre Mensch“ für Stirner nur eine Phrase, die er mit seiner „absoluten Phrase“ vom Einzigen als dem Ende aller Phrasen überholt. Stirners Lehre vom Einzigen ist Adam Smith’s Egoismus – ohne dessen Unsichtbare Hand, jene überirdische Intervention, die Böses in Gutes, Eigensüchtiges in das Wohl aller verwandelt. (Stirner hatte Adam Smith übersetzt.)

Der Prophet des Einzigen musste nur die Hand Gottes streichen – und wir erhalten den heutigen Neo-Liberalismus, der keinen Hehl daraus macht, dass er nur das eigene Ich kennt. Der alte Liberalismus hatte sich noch gescheut, den gnadenlosen Kampf aller Ichs als eigensüchtig und gemeinschaftsfeindlich zu deklarieren.

Die EU basiert auf dem egoistischen Wirtschaftsprinzip des Neoliberalismus, betont aber ständig ihre solidarischen Grundwerte. Im Land der Dichter und Denker scheint es niemanden zu bekümmern, dass man ein Auto nicht im selben Moment nach links und rechts steuern kann. Wer‘s dennoch versucht, zerreißt das Steuer und prallt an die nächste Wand: das ist die gegenwärtige Politik von Merkel, Junker & Co.

Warum wissen die Eliten nicht, was ihnen jedes Kind sagen könnte? Der gesunde Menschenverstand wurde in Neugermanien schon immer verachtet. Helden sind keine kleinlich feilschenden Krämer. Selbst das Mutterland des gesunden Menschenverstandes – Old England – hat inzwischen den Verstand verloren.

Seit dem Gebot der Nächstenliebe, die den Anderen lieben soll wie sich selbst, gleichzeitig die ganze Welt um Jesu willen hassen muss, herrscht babylonische Sprachverwirrung im europäischen Hexenkessel. Wie verhalten sich Egoismus und Altruismus im Ökonomischen?

Bei Ludwig von Mises, dem Lehrer Hayeks, können wir einen Angriff gegen überhöhte, lebensunfähige Moral lesen:

„Selbstlosigkeit und Aufopferung und die Liebe und das Mitleid, die zu ihnen führen, werden zu absoluten moralischen Werten erhoben. Das Leid, das mit dem Opfer verbunden ist, erscheint als das Sittliche, weil es schmerzt; dann ist es nicht mehr weit zur Behauptung, dass alles Handeln, das dem Handelnden Schmerz bereitet, auch sittlich sei.“

Das ist eine Absage an die christliche Maxime: durch Kreuz zur Krone, durch Leid zum Sieg, durch Tod zur Auferstehung. Seinen Erfolg im Leben muss der Mensch nicht mehr durch Schmerz und Elend verdienen. Erst Jammertal und Wanderung durch die Wüste, dann erscheinen am Horizont die Trauben des Gelobten Landes. Erst irdisches Lazarett, dann himmlische Freuden im Übermaß. Wenn selbstschädigender Altruismus verboten ist, bleibt dann nur fremdschädigender Egoismus?

Nein, sagt von Mises. Dieses Entweder-Oder gibt es nicht im irdischen Leben. Beide Motivationen sind so miteinander verquickt, dass sie sich korrigieren und ergänzen. Zwischen „Handeln zu meinen Gunsten und Handeln zugunsten anderer besteht in letzter Hinsicht kein Gegensatz. Die Interessen der Einzelnen fließen am Ende zusammen. Zwischen Pflicht und Interesse gibt es keinen Gegensatz.“ (Ludwig von Mises, Die Gemeinwirtschaft)

Gottes Markt ist der beste aller Welten. Die Ökonomie ist eine prästabilierte Harmonie. Wer will, kann Gott als Ursache der Harmonie hinzu denken, wer nicht, kann die Harmonie als Bestandteil der Evolution betrachten. Was auch immer geschieht, es ist optimal im Bereich der Wirtschaft. Wenn die Reichen gewinnen, gewinnen auch die Armen. Hier sehen wir die ideologische Basis des amerikanischen Slogans: Kommt die Flut, steigen alle Boote. Die Theodicee ist perfekt. In der Weltenharmonie gibt es nur scheinbare Zufälle und Ungerechtigkeiten. In Wirklichkeit ist Gott der Urheber aller Dinge.

Hayek bestätigt die fromme Sicht seines Lehrers durch seine biblische Lieblingsstelle:

„Ich wandte mich und sah, wie es unter der Sonne zugeht, daß zum Laufen nicht hilft schnell zu sein, zum Streit hilft nicht stark sein, zur Nahrung hilft nicht geschickt sein, zum Reichtum hilft nicht klug sein; daß einer angenehm sei, dazu hilft nicht, daß er ein Ding wohl kann; sondern alles liegt an Zeit und Zufall.“

Hayek folgt bedingungslos den paradoxen Spuren von Adam Smith. Wenn wir konsequent egoistisch handeln, handeln wir automatisch zum Wohle aller:

„Die Moral des Marktes bewirkt, dass wir anderen nützen, nicht weil wir das beabsichtigen, sondern weil sie uns in einer Weise handeln lässt, die trotzdem diese Wirkung hat. Die ökonomische Ordnung umgeht individuelle Unwissenheit so, wie es gute Vorsätze gar nicht können – und sorgt auf diese Weise dafür, dass unsere Anstrengungen altruistische Wirkungen zeitigen.“ (Hayek, Die verhängnisvolle Anmaßung: Die Irrtümer des Sozialismus)

Der Mensch versteht die paradoxe Wirkung des Marktes nicht. Gerade deshalb funktioniert sie. Die menschliche Dummheit ist Voraussetzung der göttlichen Gerechtigkeit.

Hayek und sein Lehrer sind österreichische Gegenaufklärer. Ihr kategorischer Imperativ lautet: Menschen, habt Mut, euch eurer unfehlbaren Dummheit und ökonomischen Ignoranz zu bedienen. Ihr denkt, doch Gott lenkt. Ihr denkt falsch, doch Gott richtet alles nach seiner unergründlichen Weisheit. In diesem Sinne ist das persönliche Motto Lloyd Blankfeins, des Vorstandchefs von Goldmann & Sachs, zu verstehen:

„Ich bin ein Banker, der Gottes Werk verrichtet.“

Der Neoliberalismus ist die profitgewordene Theologie des Neuen Testaments. Wenn du dich selbst liebst, liebst du automatisch deinen Nächsten. Konflikte und gegensätzliche Interessen – ausgeschlossen. Der Kapitalismus ist Leibniz‘ beste aller Welten.

Dahrendorfs Frage: wie schafft es der Liberalismus, trotz Konflikten, zu einem für alle befriedigenden Ergebnis zu gelangen, muss beantwortet werden mit dem Satz: indem er die Konflikte abschafft. Nur oberflächlich gesehen gibt es Gegensätze und Spannungen. Schaut man genauer hin, verwandeln sich alle Egoismen in Tugenden. Wäre der Kapitalismus tatsächlich ein System des wohlverstandenen Eigeninteresses – für alle, befänden wir uns längst im Vorgarten des Paradieses.

Davon kann keine Rede sein. Das rücksichtslose Raffen der Reichen wird per Ukas zum wohlverstandenen Interesse aller verfälscht. Was gut ist für die Starken, muss auch gut sein für die Schwachen. Das wird zum Glaubenssatz, der allen Erfahrungen der Schwachen ins Gesicht schlägt. Die Schwachen und über den Löffel Balbierten sollen in Demut und Unverstand sagen: zwar erleben wir das Gegenteil von Gerechtigkeit, doch wir sollen glauben, in der besten aller Welten zu leben.

Dass die Welt für die Schwachen zu komplex ist, entspringt dem vernunftfeindlichen Furor der neoliberalen Gegenaufklärer: die Vernunft des Menschen ist untauglich. Wie der göttliche Markt das Beste für alle Teilnehmer bewirkt, das verstehen nicht mal die Gewinner des Wettbewerbs. Obgleich sie täglich beweisen, dass ihr Erfolg überzufällig sein muss, sollen auch sie den Kopf beugen: Wir sind klein und borniert, Du allein weißt, wie die Welt zu regieren ist, damit wir am Ende Gesamtsieger werden. Was auf Neudeutsch komplex heißt, hieß in Kirchenväterlatein „absurd“: Ich glaube, weil es absurd ist.

Hayeks Kritik am Vernunft-Optimismus der Aufklärer könnte man etwa so formulieren: Solange du deiner Vernunft folgst, solange wirst du in die Irre gehen. Deine menschliche Vernunft ist trügerisch. Besser wäre es, du würdest der unverständigen, aber mächtigen Stimme des Marktes folgen, dann würdest du vernünftig handeln. Hayeks Attacke gegen die Vernunft ist identisch mit Paulus‘ Verwerfung der menschlichen – sprich: griechischen – Weisheit:

„Vernichten werde ich die Weisheit der Weisen und die Einsicht der Einsichtigen werde ich verwerfen.“

Merkels Politik ist à la Hayek: je unvernünftiger und wirrer sie scheint, desto vernünftiger und christlicher muss sie sein. Das kann nicht empirisch überprüft werden, das muss man glauben. Im Glauben ist die irrationale Magd des Herrn von niemandem zu übertreffen.

Ob der Kapitalismus das Wohl aller oder nur das Wohl der Reichen auf Kosten der Armen erwirkt, eins ist unbestritten: in Gottes bester aller Welten herrscht bedingungslose Konkurrenz aller gegen alle. Nicht nur der Klassen gegeneinander, sondern auch der Geschlechter. Nicht nur des Mannes gegen die Frau, sondern der Eltern gegen die Kinder. Jeder Mensch wird zum isolierten Einzelkämpfer, damit die Mächtigen – die zumeist gar nicht gegeneinander konkurrieren, sondern gemeinsam gegen die Unteren kooperieren – leichtes Spiel mit den geschwächten Solisten haben.

Das hat zur Voraussetzung, dass alle naturhaften sozialen Bande der Menschen zerschnitten werden, damit jeder gegen jeden aufgehetzt werden kann. Nachdem die Väter schon längere Zeit ihren Familien entfremdet wurden, begann der Kampf um die Frauen und Mütter, die dem geschützten Raum am Herd – nicht dem christlich-pastoralen, sondern dem einstigen Mittelpunkt der solidarischen Sippe – entrissen werden sollten.

Auch diese Kampagne wurde ein voller Erfolg. Die deutsche Mutter ist am Boden zerstört, in Doppelbelastung dem kapitalistischen Moloch komplett einverleibt. Badinters Angriff gegen den deutschen Mutterkult hat bei den hiesigen Müttern wie eine Bombe eingeschlagen.

Dabei gab es nie einen deutschen Mutterkult. Die Mütter wurden animiert, im Dienste militanter Männer Kinder als Kanonenfutter zu werfen. Kinder wurden nicht um ihretwillen gezeugt, sondern um des Führers willen. Abwegig, diese kollektive Vergewaltigung der Frau im Dienste gottähnlicher Machos als mütterlich zu bezeichnen.

Mussten die Mütter im Dritten Reich Kinder zeugen, um den deutschen Kampf um Raum im Osten und um die messianische Oberherrschaft in ganz Europa zu erringen, war die Frau im christlichen Abendland schon immer gezwungen, Kinder soli Deo gloria zu gebären und aufzuziehen.

„Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan. Furcht und Schrecken vor euch komme über alle Tiere der Erde.“

Das ist die Konkretion der Schöpfungsbewahrung, die die Grünen als ökologische Kernaussage ihres wiedergefundenen Glaubens betrachten.

Um den Frauen die Unterwerfung unter die männlichen Wirtschaftsherren schmackhaft zu machen, wurde in den Gazetten eine beispiellose Schmähung der Kinder begonnen. Sie sollen kein schlechtes Gewissen haben, die Frauen, wenn sie ihr Mutterglück „verraten“ und den Sirenen des Aufstiegs folgen. Ergo muss das Mutterglück nach allen Finessen der Kunst dekonstruiert werden. Genau betrachtet, ist Kinderglück eine trügerische Verklärung der ach so bezaubernden, in Wirklichkeit aber nervenden Quälgeister.

Werdet ehrlich, Mütter, lautet die Fanfare der nach männlicher Anerkennung dürstenden Frauen, die nicht bemerken, dass sie bewusstseinslos das Werk der kapitalistischen Eliten vollbringen. Soweit haben wir es gebracht, dass Kinder, die Schwächsten der Schwachen, just so diskriminiert werden, wie einst Kirchenväter die Neugeborenen als erbsündige Teufelchen verfluchten.

Wenn eine Frau ihr Kinderglück in die Welt posaunt, wird sie in der TAZ als eitle und gefühllose Angeberin angegriffen. Man darf heute mit allem posieren: mit Geld, Erfolg, Genie, Schönheit und Skandalen, doch wer auf seine Kinder stolz ist, der muss gestäupt und gestaucht werden:

„Selbst wenn man keine bösen Absichten unterstellen will und ihr einfach nur platzt vor kinderseligem Glück: Was ist mit all jenen, die nicht zu eurer privilegierten Welt gehören? Frauen, die keine Kinder bekommen können? Frauen, die es verzweifelt versuchen? Frauen, die schwanger waren und ihr Kind verloren? Eltern, deren Kinder gestorben sind? Oder Menschen, in deren Leben alles anders und deshalb kinderlos verläuft? Müssen die das sehen? Am naheliegendsten ist, dass ihr euch mithilfe dieser Angeberbilder selbst belügt; euch hinwegtäuscht über Schlafentzug, vollgeschissene Windeln, Nächte voller Babygeschrei, Brabbelsprache-Verblödung, Putzen, Waschen, Bügeln und kein Dankeschön.“ (TAZ.de)

Stolz sein auf seine Kinder heißt nicht, die Kleinen als Erfüllungsgehilfen elterlicher Größenphantasien zu missbrauchen oder sie zu einer brillanten Laufbahn zu zwingen, die den Erzeugern selbst misslang.

Mütter werden von der Gesellschaft allein gelassen. Sie leiden unter der Überforderung, Tag und Nacht allein für ihre Babys da zu sein. Schnell sind die Väter im Beruf verschwunden, die Großeltern nicht am Ort. Intakte Familien, Resonanzraum für muntere Kinder, werden auseinander gerissen.

Menschen ohne Schutz der Familie sind Kanonenfutter für die Industrie. Mercedes-Zetsche wollte die Flüchtlinge nach geeigneten Arbeitskräften absuchen lassen. Nach Müttern und Kinder ließ er nicht suchen. Flüchtlinge sind vor allem Männer.

An überflüssigen Fressern wie Weib und Kind ist Frau Merkel nicht interessiert. Familiennachzug? Vielleicht – am Sankt Nimmerleinstag.

Die asozialen Mängel einer Einzelkämpfergesellschaft werden nicht der Gesellschaft angelastet, sondern emotional an Kindern festgemacht. Die Letzten beißen die Hunde. Wenn die Neugeborenen nicht in kurzer Zeit handzahm und kitakompatibel geworden sind, müssen sie Satansbraten sein. Das Geständnis wird opportun: ich bereue, ein Kind gezeugt zu haben. Das ist geistige Abtreibung a posteriori:

„Ich zitiere jetzt eine der Mütter. Sie bereute, als sie verstand, dass das Leben mit Kindern sich quasi im Kreis dreht: Wenn sie klein sind, haben sie Probleme. Wenn sie älter sind, haben sie neue Probleme. Es hört nie auf. Wohnung oder Job kann man kündigen, seinen Partner verlassen. Kinder bleiben. Und sie sind eben keine Garantie für eine glückliche Zukunft. Es wird Frauen vorgegaukelt, dass Kinder die Lösung für alles sind: Wenn du dich einsam fühlst – werde Mutter! Wenn du dich selbst verwirklichen willst – werde Mutter! Wenn dich dein altes Leben nervt oder dein Job – werde Mutter!“ (STERN.de)

Reiner Zufall, dass die Interviewerin nur Mütter befragte, ob sie ihre Mutterschaft bedauern. Ob Väter ihre Vaterschaft bereuen, schien ohne Interesse zu sein. Noch immer spielen Väter eine geringe Rolle im Leben ihrer Kinder. Im Zweifel bleibt alles an den Müttern hängen. Wenn eine Mutter versagt, wie schrecklich! Wenn ein Vater versagt: kein Kommentar.

Kinder können nicht die Defizite eines Frauenlebens kompensieren. Wer Mutter werden will, sollte ein vitales und befriedetes Leben führen, damit das Kind von der Fülle des Daseins angesteckt wird. Kinder werden ins Leben geworfen, niemand hat sie um Erlaubnis gefragt, ob sie gezeugt werden wollen. Kaum sind sie da, werden sie mit allen Mängeln ihrer Umgebung kontaminiert.

Warum können Frauen kein befriedigtes Leben führen, um befriedete Kinder zu zeugen? Weil die wirtschaftlichen Verhältnisse es nicht zulassen. Wer eine Gesellschaft mit glücklichen Kindern will, muss den Kapitalismus zur Strecke bringen. Wenn Eltern erzogen wären, könnten sie erzogene Kinder gebären (Goethe). Man kann nur erwachsen werden, wenn man sein Leben in eigener Regie führen kann.

Zurzeit entscheiden Großmogule über das Schicksal unendlich vieler Kinder, Großmogule, die ihre eigenen Kinder kaum am Wochenende sehen. Tycoons sind nicht nur Tausendkünstler im Profitmachen, sondern in Frauenpsychologie („nur im Beruf fühlen Frauen sich anerkannt“) und in Kinderpsychologie („Kinder müssen schnell von ihren Müttern getrennt werden, um in Kitas nicht zu viele Fragen zu stellen.) Wenn Kinder allzu lange „klammern“, sind ihre Bindungen „zu eng“!

Wer bestimmt, was kindgemäß oder schädlich ist? Pädagogen, die – ohne es zu bemerken – im Interesse der Arbeitgeber fungieren. Ob ein Kind reif ist zur partiellen Trennung, wird von Experten entschieden, die die Gesetze der Ökonomie verinnerlicht haben. Nie hört man: lass die Kinder selbst entscheiden, ob sie in fremde Gruppen wollen. Man sieht es ihnen an, ob sie neugierig sind auf andere Gruppen oder ob sie stundenlang am Fenster heulen – was man den Müttern wohlweislich verschweigt. Nur kein Aufhebens um ein paar Kindertränen. Ohnehin werden die meisten Kinder zu verzärtelt. Man muss ihnen die Grenzen zeigen – sagen Erwachsene, die täglich ihre Grenzen austesten und überwinden wollen.

Das erfüllte Leben der Eltern muss unverträglich sein mit dem erfüllten Leben der Kinder. Kinder rauben den Erwachsenen ihr selbstbestimmtes Leben. Markus Lanz, schönster, witzigster und eloquentester Animateur des TV, sprach zu einer leidenden Mutter: Ihre Leiden kann ich nachvollziehen. Als Vater erlebe auch ich die Einschränkung meiner Persönlichkeitsrechte. Da müsste sofort der Verfassungsschutz eingreifen, wenn die persönliche Würde eines Vaters durch einen despotischen Balg verletzt wird.

Selbst Kindertherapeuten rufen die deutschen Eltern dazu auf, wieder Leitwölfe ihrer Kinder zu werden. Erwachsene könnten sich am besten entfalten, wenn weit und breit keine Kinder zu sehen sind. Wie heißt es stereotyp in Vorabendserien: weißt du was? Wir machen es uns schön, nur wir beide. Wie wär‘s mit einem Wochenende in Paris?

Jesper Juul kritisiert Eltern, die sich bei ihren Kindern allzu sehr beliebt machen, anstatt ihr eigenes Leben zu führen. Als ob Kinder nichts anderes im Kopf hätten, als Eltern bei ihrem Lieblingstun zu stören. Kinder wollen gar nicht, dass sich alles um sie dreht. Sie wollen im Mittelpunkt stehen, ohne im Mittelpunkt zu stehen. Wer es fassen kann, fasse es.

Wie sprach jene Mutter unter tapferem Lächeln über die Beziehung zu ihrem Kind? „Du kriegst ja so viel zurück“. Das ist der totale Triumph des Kapitalismus, die persönlichsten Beziehungen sind zum Tauschgeschäft geworden. Erst in Kinder investieren, dann auf dankbare Rückzahlung mit Zins und Zinseszins hoffen. Wie viele Mütter gibt es, die noch immer vergeblich warten? Waren all ihre Bemühungen eine Fehlinvestition?

Kinder wollen die Erwachsenen in ihrer Welt beobachten. Dass Kinder am liebsten Mäuschen spielen, wenn ihre Eltern ihrem Tagewerk nachgehen, scheint die Phantasie eines soziologisch naiven Therapeuten zu übersteigen.

„In Juuls Augen sind viele Väter und Mütter heute viel zu sehr damit beschäftigt, für ihre Kinder da sein zu wollen – am liebsten immer und ausnahmslos. Ein Trend, der sich in vielen Familien beobachten lässt. Nach Dienstschluss spielt die Mutter – oder der Vater – mit dem Nachwuchs Fußball, kontrolliert Hausaufgaben, brät Bio-Fleisch und überwacht das Flöteüben. Am Abend werden Kostüme genäht, Elternabende besucht und Sorgen über die Kinder ausgetauscht. Auch am Wochenende fehlt oft die gegenseitige Abgrenzung. Auf der Strecke bleibt dabei Juuls Diagnose zufolge etwas Elementares: Orientierungspunkte für die Kinder. Denn sie lernten nicht mehr, dass ihre Eltern Grenzen haben, die sie nicht überschreiten dürfen. Gleichzeitig seien die Eltern dauerüberfordert und gestresst, weil sie ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen vernachlässigten.“ (SPIEGEL.de)

Dass Eltern ihre Kinder frei lassen, damit sie auf eigene Art die Welt entdecken, ist heute nicht mehr vorgesehen. Heute ist alles verschult, durchorganisiert und hochgradig festgelegt. Frei lassen, heißt nicht, den andern alleine zu lassen. Frei lassen – und dennoch Sorge füreinander tragen. Frei lassen – und dennoch füreinander da sein. Kinder, die ihre Eltern im Beruf erleben – wie Bauern- und Handwerkerkinder – fühlen sich als gleichberechtigte Teile des elterlichen Kosmos, nicht als gelenkte Marionetten einer Zwinganstalt. Kinder, die zu früh abgeschoben werden, imitieren unbemerkt ihre weit entfernten Eltern, um ihnen innerlich nah zu sein. Äußerliche Abnabelungen sind keine psychischen, sie bewirken keine Bearbeitung der elterlichen Prägung. Die äußerliche Entfernung verdeckt nur die unveränderte innerliche Prägung.

Jesper Juul ist Däne. Was denkt er sich, wenn er Deutschen einen „Führungs“-Stil empfiehlt? Wir brauchen keine Führer, wir brauchen authentische Vorbilder. Kinder, die klammern, haben psychische Mängelerscheinungen. Autoritäre Trennung wäre Gift für ihre weitere Entwicklung. Nur satte und selbstbewusste Kinder klumpen und klammern nicht.

Wenn Kinder nicht loslassen, leiden sie unter Verlustängsten und Minderwertigkeitsgefühlen. Allein können sie nichts mehr mit sich anfangen. Da hilft kein Leitwolfknurren. Da hilft nur Verstehen und sich Verständigen. Gesättigte Kinder sind wie reife Äpfel: zu ihrer Zeit purzeln sie ungezwungen vom Ast.

Kapitalismus, auf der Höhe seiner Macht, legt seine Tyrannenhände auf die Seelen der Schwächsten der Gesellschaft. Die Erwachsenen, mit anschwellend schlechtem Gewissen, sie könnten die Zukunft ihrer Kinder durch Verwüsten der Natur vernichten, diskreditieren ihren Nachwuchs, um ihre eigene Schuld, ihre übergroße Schuld zu verdrängen und den Unschuldigsten in die Schuhe zu schieben.

Die Opfer werden zu Tätern, damit die Täter Opfer sein dürfen. Wir kehren zurück zum Kindesopfer archaischer Zeiten. Einst schlachtete man die erstgeborenen Kinder und Tiere, um sich bei Göttern und himmlischen Mächten einzuschmeicheln.

Nur zu, Zeitgenossen. Ächtet und schmäht eure Kinder. Schlachtet sie auf dem Altar eures Fortschritts in eine unbegrenzte Zukunft. Dann endlich wird Ruhe auf dem Planeten einkehren.

 

Fortsetzung folgt.