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Europäische Idee XII

Hello, Freunde der europäischen Idee XII,

europäische Ideen im Schlussverkauf! Das Abendland als Ramschware. Die Sonne darf endlich im Westen untergehen. Das kleine rollende „r“ muss apart disloziert werden, damit fruchtbare Zerstörung sich zur furchtbaren hinaufmendeln kann.

Als da wäre die obszöne Nacktheit. Wenn schon ein muslimischer Staatsmann nach langer unfreiwilliger Abwesenheit mit Ramsch-Europa ins Geschäft kommen will, muss alles vermieden werden, was sein künstliches Schamgefühl verletzen könnte. Eigentlich klingt die Verhüllungsidee mehr nach Deutschland, Abteilung rheinischer Karneval, als nach dem Land stolzer römischer Nachfahren.

Der nächste logische Schritt der autoaggressiven Hyper-Feinfühligkeit der Europäer wäre der bedingungslose Abriss aller Kirchen, Kathedralen und Dome. Welch Zeichen fortgeschrittener Nächstenliebe zu spiegelbildlichen Heilsfanatikern wäre es, den Petersdom mit schwerem Gerät in Schutt und Asche zu legen.

In Zeiten des Umbruchs genügt es nicht mehr, dass Michelangelo seinen Nackerten bloße Feigenblätter verordnete. Noch immer sieht man allzu viel reizende Haut und bezaubernde Muskelmasse. Vergesst nicht, Fromme aller Länder: euer Fleisch ist immer willig, euer Geist bleibt schwach.

Prophylaktisch haben sensible Grüne eine parlamentarische Petition eingereicht: fremden Erlösungsreligionen seien einheimische in Bild, Ton und Architektur nicht länger zumutbar. Müssen die vielen Marterln am bayrischen Wegesrand den Immigranten nicht ein Graus und Abscheu sein? Es genügt nicht, versteinerte

Schwanzträger mit billigen Brettern zu tarnen. Für den darnieder liegenden Feminismus, dem selbst die primitivste Form der Kastration misslang, wäre es eine große Hilfe, die prä-erigierten Machos von ihrem besten Teil durch Abhacken zu befreien.

Dann die vielen schamlos unbekleideten Frauen in Museen und Galerien! Müssten sie nicht dringend nach-multikulturalisiert werden? Fehlt der aufreizenden Dame in Courbets „Der Ursprung der Welt“ nicht ein wichtiges Detail: die sichtbare Beschneidung ihres verführerischen Lustorgans? Selbst die in allen lüsternen Variationen gemalte Mutter Gottes mit säugendem Kind lässt es allzu oft blitzen. Weiß doch jedermann: Sexsymbole verstärken die Werbewirkung – auch für den christlichen Glauben.

Deutsche Gymnasien werden sich bei bestem Willen nicht mehr halten lassen. Heißt gymnos nicht nackt? Die sportlichen Übungen der griechischen Urlüstlinge fanden im Naturzustand statt, auf dass ihre Leiber schön und vollkommen würden. Zeigt Natur sich nicht ohnehin im Zustand schamloser Dauerblöße? Sie muss abgeschafft werden.

(Frank Patalong in SPIEGEL.de)

Folgt man tantrischen Weisen, sollten wichtige Handlungen der Menschen nur „himmelsbekleidet“ vollzogen werden. Vor Mutter Natur müssen alle Rang-, Klassen- und Kastenunterschiede per Bekleidung abgelegt werden.

Als Männer das Ruder übernahmen, stellten sie alles auf den Kopf. „Die Zauberkraft von Männern und ihrer allmächtigen Götter wohnten in ihren Gewändern.“ Odin verriet das Numinosum der Priester und priesterähnlicher Männer: „der nackte Mann ist nichts.“ Wen verwundert es, dass patriarchalische Gesellschaften viel Aufhebens machen um Uniformen, Rangabzeichen, Roben und andere schwanzkonforme Talare. (Merkel im luftigen Röckchen hätte sich keine Regierungsperiode halten können.)

Nacktheit erhöht die Attraktivität und Macht der Frauen und verringert die der Männer. Also musste die biblische Religion die Nacktheit ächten:

„Da wurden ihrer beiden Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schürze.“ Das waren die Folgen des Sündenfalls. Zuvor klang das anders:

„Und sie waren beide nackt, der Mensch und das Weib, und schämten sich nicht.“

Erlöst werden heißt, vor Gott nicht länger nackt und sündig zu sein. Wer in Christo ist, wird von Ihm überkleidet – damit er vor Gott nicht in verstockter Nacktheit erscheine:

„Und darüber sehnen wir uns auch nach unsrer Behausung, die vom Himmel ist, und uns verlangt, daß wir damit überkleidet werden; denn dieweil wir in der Hütte sind, sehnen wir uns und sind beschwert; sintemal wir wollten lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet werden, auf daß das Sterbliche würde verschlungen von dem Leben.“

Empirisch bleibt der Wiedergeborene ein Sünder. Vor Gott aber erscheint er im ätherischen Jesus-Kostüm. Der religiöse Mummenschanz erneuert alles, indem er alles beim Alten lässt. Zugleich Sünder – und gerecht. Sündige tapfer, wenn Du dir nur ein neues Image zugelegt hast, ein Erlösungs-Image. Der Schein ist alles, das Sein ist nichts.

Nacktheit, Zeichen natürlicher Unbefangenheit und Unverfälschtheit in Naturreligionen, wird im Bereich der Erlöser zum status corruptionis, der nur durch eine „Mode des Heils“ gerettet werden kann. Jenseits klimatischer Notwendigkeiten muss Jesus als Vorbild aller modernen Paul Lagerfelds gelten. Mode vertuscht körperliche Unvollkommenheiten ebenso wie das Sakrament die seelischen Unvollkommenheiten der Sünder und Zöllner. Die irdische Situation des Menschen ist jämmerlich und mitleiderregend. Nackt trat er ins Leben, nackt wird er wieder abtreten:

„Wie er nackt ist von seiner Mutter Leibe gekommen, so fährt er wieder hin, wie er gekommen ist, und nimmt nichts mit sich von seiner Arbeit in seiner Hand, wenn er hinfährt.“

Nackt ist ein Makel. Es erinnert den Menschen an seine Geburt durch eine minderwertige Frau und Mutter. Erst der Männerheiland überdeckt die grässliche Sündenblöße des Menschen mit Himmelsgewebe.

Die frühen Christen verdammten die Nacktheit, sie erinnerte an die Anbetung der Großen Göttin. Die Legende vom heiligen Barnabas berichtet von der Zerstörung des Aphrodite-Tempels durch den Heiligen. Er hatte gesehen, dass im Tempel nackte Männer und Frauen ein Fest feierten.

Der heilige Hieronymus predigte, die Frauen sollten sich über ihre Körper derart schämen, dass sie bei seinem Anblick „erröten müssen“. Schöne Frauen sollten sich durch „absichtliches Beschmutzen“ verunstalten, damit arglose Männer nicht in Versuchung gerieten.

Köln war ein exemplarisches Debakel für alle Erlösungsreligionen. Mögen die einen auch ein wenig aufgeklärter sein als die anderen – der natur- und frauenfeindliche Kern bleibt derselbe. (Das Christentum bekämpfte die Aufklärung mit Mord und Totschlag. Erst als es seine Niederlage nicht mehr vertuschen konnte, wechselte es die Fronten. Wenn sie ohnmächtig sind, passen sie sich an. Werden sie wieder mächtig, greifen sie zu Verdammungen und Verfluchungen.)

Die Neigung moderner Frauen zu schamfreier Bekleidung ist eine unbewusste Rebellion gegen Priestermacht und Männerherrschaft. Im Zustand der Nacktheit ist die Frau dem Mann überlegen. Die List der Mode besteht in der verführerischen Kunst, die Frau zu bekleiden – um ihre Vorzüge und Reize erst herauszustreichen.

Freier und kühner als die meisten Modernen waren die Adamiten aus Böhmen im 15. Jahrhundert. Nacktheit verbanden sie mit sündenloser Reinheit, indem sie auf 1. Mose 3,17 verwiesen. Erst nach dem Sündenfall hätten die ersten Menschen Kleider getragen. „Sie verteidigten Nacktheit und freie Liebe als Mittel der Befreiung des Fleisches von der Sündhaftigkeit. Ihre Sekte wurde 1421 ausgerottet.“ So liebt die Kirche ihre Frommen, die frei sein wollen.

Als da wäre Redefreiheit – die demokratische Kühnheit, jedem Zeitgenossen, besonders den Mächtigen unter ihnen, unverblümt seine Meinung zu sagen. Foucault benutzt den altgriechischen Begriff Parrhesia und definiert:

„Parrhesia bedeutet eine verbale Aktivität, in der ein Sprecher seine persönliche Beziehung zur Wahrheit äußert und dabei sein Leben riskiert, weil er das Aussprechen der Wahrheit als Pflicht erkennt, um andere Menschen zum Besseren zu bekehren oder ihnen zu helfen (wie auch sich selbst). In Parrhesia verwendet der Sprecher seine Freiheit und wählt Offenheit statt Überredung, Wahrheit statt Lüge oder Schweigen, das Risiko des Todes statt Lebensqualität und Sicherheit, Kritik anstelle von Schmeichelei, sowie moralische Pflicht anstelle von Eigeninteresse und moralischer Apathie.“

Mit postmoderner Beliebigkeit ist Parrhesie unvereinbar. Freiheit, Offenheit, Wahrheit, Kritik, moralische Pflicht könnte man als Inbegriff sokratischer Tugenden auffassen. Der Urphilosoph der Griechen wählte lieber den Tod, als dass er seinen Mitmenschen nicht den Spiegel vorgehalten hätte.

Die Aftertugenden des Neoliberalismus sind das Gegenteil der sokratischen Wahrhaftigkeit: Manipulieren durch Überreden, Lügen und Verschweigen, feiges Absichern durch Anpassen und Schmeicheln, moralische Feigheit und fremdschädigendes Eigeninteresse.

Lebt eine vitale Demokratie nicht von freizügiger Meinungsäußerung, methodischem Streit und transparenter Auseinandersetzung?

Heute reden Parteien nicht mit Parteien, Mächtige nicht mit Ohnmächtigen, Linke nicht mit Rechten, Wissenschaftler nicht mit der Öffentlichkeit, Trump nicht mit Journalisten und Merkel spricht mit niemandem – außer mit Auserwählten, die ihr in gnadenreichen Audienzen die Füße küssen dürfen.

„Bei der kommenden TV-Debatte der US-republikanischen Präsidentschaftsbewerber wird Donald Trump fehlen. Der Milliardär hat abgesagt – weil ihm die Moderatorin nicht passt.“ (SPIEGEL.de)

„Die Kanzlerin weiht ein neues Institut ein: Bei ihrer Festrede steht plötzlich ein geladener Professor auf, hält ein Plakat in die Luft und kritisiert lautstark Angela Merkels Haltung in der Flüchtlingskrise. Dafür drohen ihm nun ernste Konsequenzen.“ (SPIEGEL.de)

Wie begründet die Hochschulleitung ihre Strafandrohung für freimütige Kritik?

»Sein Zwischenruf hatte weder etwas mit dem Anlass der Veranstaltung, noch mit dem Inhalt der Rede der Bundeskanzlerin zu tun«, sagte der Rektor der Hochschule, Jörg Kirbs.“

Heute bestimmen die Mächtigen, wann demokratische Parrhesie angebracht ist und wann nicht. Wie oft hört man von recherchierenden Journalisten, ihre Anfragen bei Politikern und Unternehmern seien unbeantwortet geblieben?

No comment: das ist die Streit- und Informationsverweigerung derer, die glauben, es sich erlauben zu können. Gabriel spricht nicht mit Pegadisten, Dreyer und Kretschmann nicht mit der AfD. Talkshows sprechen nur mit Skandalnudeln, rhetorischen Rabauken und Bösmenschen, die die besten Moralisten sein wollen. Den Dialog haben die Deutschen noch nie beherrscht. Sie schwallen im „unendlichen Gespräch“ romantischer Erbauung, in rhetorischen Monologen, in Zwiegesprächen, die unverbundene Monologe sind. Und wie spricht Merkel? Im Stil eines zaristisches Ukas:

»Ich werde meiner Verantwortung gerecht und werde auf alles achten, dass Deutschland eine gute Zukunft hat«, sagte sie. Das Publikum applaudierte der Kanzlerin daraufhin. Der Prof wurde kurz nach dem Zwischenruf aus dem Saal geführt.

Merkel bügelt alles nieder: Dafür habe ich keine Zeit. Ich muss meine Arbeit tun. Ich tue alles, was ich kann. Ich schaffe das, weil ich eine deutsche Christin bin. Ich werde meiner Verantwortung gerecht. Kritische Briefe ihrer Parteigenossen, die der „Öffentlichkeit bekannt werden“, beantwortet sie nicht. Einmal nur die Klappe halten, die Geschlossenheit der Partei wahren und sprachlosem Fraktionszwang folgen, das ist die verordnete Stummheit für gewählte Abgeordnete.

Wissenschaftler haben sich in ihr Elfenbein-Gehäuse zurückgezogen. Sie reden nur, wenn sie als Experten und Gutachter geladen werden. Medien reden überhaupt nicht in eigenem Namen. Sie wollen nix und sind unfähig, den ungeheuren Satz zu revidieren: wir machen uns mit nichts gemein. Auch nicht mit dem Guten.

Wer nichts will, will, was die Mächtigen wollen und täglich vollbringen. Wer nicht das Gute will, will das Böse und Verderbliche: nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Kann das Publikum ausnahmsweise in einer Sendung mitreden, darf es – Fragen stellen. Wer dennoch seine Meinung sagt, dem wird das Mikrofon entzogen.

Ein unfassliches Beispiel: TTIP-Unterlagen, die das Schicksal vieler Millionen Menschen, indirekt aller ausgeschlossenen Völker, bestimmen, dürfen nur Auserwählte lesen. Notizen dürfen sie nicht machen. Nach der Lektüre, die nur eine Stichprobe sein darf, heißt es: Maul halten. Und das mitten in der westlichen Demokratie. Bald wird es strafbar sein, den Begriff TTIP zu erwähnen. Die Eliten wollen über die Untertanen per Ausspähen und Abhören alles wissen, die Ohnmächtigen dürfen über die Mächtigen nur wissen, was jene aus Propagandagründen der Öffentlichkeit preisgeben:

„Abgeordnete des Deutschen Bundestages werden nur unter strengen Auflagen Zugang zu geheimen TTIP-Dokumenten bekommen. Ihnen drohen „disziplinarische und/oder rechtliche Maßnahmen“, sollten sie Informationen aus dem Leseraum nach außen tragen.“ (Süddeutsche.de)

Als da wären Transparenz, Gleichheit und Gerechtigkeit der Verhältnisse. Während man über die Vielzuvielen alles weiß, weiß man über steinreiche Tycoons immer weniger. Die Klassengesellschaft wird immer barbarischer, wenige Milliardäre haben fast das ganze Vermögen der Gesellschaft einkassiert. Deshalb hüllen sie sich in geheimnisvolle Anonymität. Steuern werden von ihnen nicht erhoben, damit ihre Vermögensverhältnisse im Dunkeln bleiben. Ulrike Herrmann in der TAZ:

„In Deutschland besitzen die obersten 10 Prozent mehr als die Hälfte des Volksvermögens. Gleichzeitig hat die ärmere Hälfte nichts. Viele Deutsche glauben zwar, dass sich Leistung lohnen würde. Doch Deutschland ist eine brutale Klassengesellschaft.“

Die Ungerechtigkeiten der kapitalistischen Gesellschaft wurden bislang als komplexe – dem Pöbel nicht erfassbare – Gerechtigkeit verkauft. Inzwischen werden dreist und unverblümt ungerechte Löhne gefordert. Die Mär von der Gerechtigkeit höherer Naturgesetze oder der Evolution ist überflüssig geworden.

Niemand ist niemandem mehr auskunfts- und rechtfertigungspflichtig, Schuld und Verantwortung ohnehin längst abgeschafft. Alles ist zufällig, ungefähr und jenseits von bewussten Entscheidungen. Rationale Ziele und Kausalitäten? Unbekannt.

„Der Chefökonom der Deutschen Bank fordert, Flüchtlinge zu niedrigeren Löhnen zu beschäftigen als Einheimische, die vergleichbare Tätigkeiten ausüben. „In Deutschland muss akzeptiert werden, dass für die gleiche Arbeit unterschiedliche Löhne bezahlt werden“, sagte David Folkerts-Landau vor Journalisten in London. „Es wäre in Ordnung, wenn Flüchtlinge weniger verdienen, denn im Gegenzug bietet Deutschland ihnen ein Leben in Sicherheit und mit einer hochentwickelten Infrastruktur“, argumentiert der oberste Ökonom der Deutschen Bank.“ (FAZ.NET)

Die zwei Chefökonomen der FAZ und der SZ, Rainer Hank und Nikolaus Piper, lehnen das BGE ab. Mit Argumenten, die einem die Socken ausziehen. Offensichtlich blieb ihnen verborgen, dass ihre neoliberalen Vordenker Hayek und Milton Friedman ein minimales Grundeinkommen für richtig hielten. Immer mehr Steinreiche setzen sich heute für ein BGE ein. Je mehr sie das Gesamtvermögen der Welt raffen, je mehr wollen sie durch Abspeisen der Überflüssigen für Ruhe an der Basis sorgen. Solange das Verhungernlassen der Überflüssigen politisch nicht opportun ist, müssen nutzlose Fresser mit minimalem Aufwand still gehalten werden.

„Übergeht man einmal alle Blauäugigkeit der Schlaraffenlandfinanzierung, so bleibt ein kardinaler Denkfehler. Die Menschen wollen arbeiten; sie wollen nicht von der Arbeit befreit werden. Denn Arbeit ist an Sinn- und Glückserfahrung gebunden; in der Entäußerung finden Menschen zu sich selbst. Mehr noch: Menschen brauchen bezahlte Arbeit. Denn was nichts kostet, ist bekanntlich auch nichts wert. Im Preis, der für die Arbeit gezahlt wird – in den Löhnen, Gehältern und Gewinnen der Unternehmer – spiegelt sich die Wertschätzung, die andere für die Arbeit aufbringen. Die Welt nach dem Sündenfall ist eine Welt der Knappheit – kein Drama, sondern ein Segen: denn an der Knappheit erkennen wir die Hierarchie der sich wandelnden Bedürfnisse. Es ist die Knappheit, nicht das Begru, die uns kreativ und produktiv werden lässt.“ (Rainer Hank in FAZ.NET)

Niemand will nichts mehr arbeiten. Doch niemand will abhängig bleiben von wenigen Supergiganten. Arbeit muss selbstbestimmt sein, um sinnstiftend zu wirken. Knappheit nach dem Sündenfall als eine von Gott geschaffene Motivation, um kreatives Malochen zu ermöglichen, ist eine Mär des katholischen Theologen Hank. Dass nichts wert sei, was nichts kostet, ist an Dummheit nicht zu überbieten. Bezahlt Hank seine Familie und Freunde, damit sie ihn lieben?

Piper sieht durch das BGE das wichtigste Grundprinzip des deutschen Sozialstaats zerstört:

„Am schlimmsten jedoch ist die Aussicht, dass das wichtigste Grundprinzip des deutschen Sozialstaats zerstört würde. „Solidarische Selbsthilfe, die auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit beruht“, nannte der frühere Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) dieses Prinzip. Man kann es als Gesellschaftsvertrag sehen, der jedem solidarische Hilfe anbietet, aber auch verlangt, dass jeder, der es vermag, selbst solidarisch ist, sprich: Beiträge und Steuern zahlt. Deshalb ist in Deutschland die Rente kein Almosen des Staates, sondern ein „eigentumsähnlicher Anspruch“ (so die Formulierung von Verfassungsrechtlern), den man vorher durch Beiträge erworben hat. Ähnlich ist es mit dem Arbeitslosengeld.“ (Nikolaus Piper in Süddeutsche.de)

Wer schloss mit wem einen Vertrag? Wer wurde gefragt? Wer weiß überhaupt etwas von diesem ominösen Vertrag? Der Staat ist kein autonom handelndes Subjekt in einer Demokratie, in der allein das Volk zu entscheiden hat. Regierungen sind nicht von Gottes, sondern von Volkes Gnaden. In einer Volksherrschaft handelt das Volk mit sich selbst. Übergeordnete Instanzen gibt es nicht. Und gäbe es sie, müssten sie heute noch abgeschafft werden.

Dass Menschen im Geben und Nehmen miteinander solidarisch sind, muss niemand einem erfahrenen Demokraten erzählen. Wer will sich seinen Bürgerpflichten entziehen? Das BGE hat nur den Zweck, dass jeder seine Arbeit ohne Sorge vor Absturz und Verelendung verrichten kann.

Europa wird durch kapitalistische Amoral zerlegt. Unglaublich, aber wahr: über die zerstörende Funktion der Wirtschaft für die Völkergemeinschaft spricht niemand. Über das von Kohl in den Maastricht-Vertrag eingefügte Verbot solidarischen Handelns (no bail out), dem Hauptvirus der Demontage, wird gespenstisches Stillschweigen gewahrt.

Merkel will mit plakativer Nächstenliebe brillieren, indem sie die Union mit kaltherzigem Egoismus zerschlägt. Zusammenhalten durch Beschädigen – das ist wie Lieben durch Foltern. Das Gebot gnadenloser Konkurrenz ist ein Beitrag Deutschlands, das sich heute mit pfauenhafter Agape spreizt.

„Die Nichtbeistands-Klausel war konzipiert worden, um EU-Staaten zur Haushaltsdisziplin zu bewegen. Sie sollten nicht darauf hoffen können, bei unsolider Haushaltsführung später durch andere Mitgliedstaaten unterstützt zu werden. Im Vorfeld des Vertrags von Maastricht forderten die wirtschaftlich schwächeren Länder, insbesondere Spanien, aber auch Portugal, Griechenland und Irland unter Berufung auf die im EG-Vertrag vorgesehene Kohäsion einen Finanzausgleich zwischen den Mitgliedstaaten. Dieser sollte zu den bereits existierenden EG-Strukturfonds hinzutreten und es den wirtschaftlich schwächeren Ländern ermöglichen, die EU-Konvergenzkriterien zu erfüllen und gegenüber den reicheren Ländern an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen. Vor allem Deutschland, aber auch Frankreich drängte auf eine Regelung, die die Mitgliedstaaten zu finanzpolitischer Eigenverantwortung zwingen sollte. Sie sollte verhindern, dass einzelne Staaten auf Kosten anderer über ihre Verhältnisse leben beziehungsweise eine großzügigere Finanzpolitik (= Haushaltspolitik) betreiben könnten.“ (Wiki)

Wie können Völker zusammenwachsen, wenn Misstrauen zu den Partnern zum eisernen Bestand ihres Vertrags wird?

Europäische Ideen werden im Rausch der Selbstzerstörung verhökert. Die Schweiz und die USA seien die Vorbilder der EU gewesen, sagte Joschka Fischer in einem Interview im schweizerischen TV. Weder die Schweiz noch die USA kennen einen solch verheerenden Imperativ zum Egoismus für ihre Mitgliedstaaten.

Seit ihrer Ablösung vom französischen Vorbild in den Zeiten Lessings haben die Deutschen sich vor allem in zwei Elementen artikuliert und entwickelt: in einem winzigen Element der Moral und einem dominanten Element des Machiavellismus, der die Nationenwerdung der stets zu spät Kommenden mit Moralmethoden für Irrsinn erklärte. Gleichwohl behauptet Lepenies in der WELT, die Deutschen seien vor allem bombastische Gutmenschen und Idealisten gewesen. Schlimmer kann man die neuere Geschichte Deutschlands nicht verfälschen.

Merkel will heute den Eindruck einer hypermoralischen Politik erwecken – nachdem sie in ihrer gesamten Regierungszeit einem strikten neoliberalen Amoralismus den Vorzug gab. Mit Almosen will sie die Sünden ihrer Vergangenheit kompensieren. Doch mit der Vergangenheit der Deutschen hat ihre Barmherzigkeitspose nichts zu tun. Merkel bleibt der Hauptspur des nicht-irren-könnenden Alleinbestimmens und Welterlösens der Deutschen Bewegung treu.

„In der „Willkommenskultur“ zeigte sich erneut die deutsche Lust am Alleingang. Nie hätte sich in den Gremien der EU eine mit diesem Etikett versehene Politik durchsetzen lassen. Dabei war es ein Irrtum anzunehmen, durch die großmütige Haltung in der Flüchtlingskrise werde Deutschland nach der ökonomischen und politischen auch die moralische Führungsrolle auf dem Kontinent übernehmen. Deutsche Arroganz in der Fiskal- und Schuldenpolitik werde durch die Empathie gegenüber den Flüchtlingen mehr als kompensiert werden. Das Gegenteil ist eingetreten: Deutschland gilt als moralischer Parvenü, der sein Gutmenschentum auf Kosten der anderen Europäer zur Schau stellt.“ (Wolf Lepenies in der WELT)

Heinrich Mann gehörte zur winzigen Minderheit aufrechter Moralisten:

„Der Reichtum einiger darf nicht länger die Mehrheit zur Armut verurteilen: auch um der Reichen willen nicht. Niemand, außer seinen wenigen Nutznießern, wünscht die Erhaltung des unbeschränkten Kapitalismus. Auch der Bürger, seiner selbsthasserischen Sucht nach einem historischen Herrentum entbunden, werde erst Bürger.“

 

Fortsetzung folgt.