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Europäische Idee VIII

Hello, Freunde der europäischen Idee VIII,

Muss Merkel abtreten?

Sie ist schon längst abgetreten. Im Kanzleramt wird keine Politik gemacht.

Wer ist dann diese der Kanzlerin zum Verwechseln ähnliche Frau, die mit erloschenem Gesicht über die Bretter der politischen Bühne stampft? Eine bezahlte Doppelgängerin? Matthias Richling als merkel-parodierender Satiriker?

Merkel ist kein zoon politicon, rationale Politik verfolgte sie noch nie. Ihre Rationalität beschränkt sich auf Physik, weshalb ihre medialen Söhne stolz auf sie sind. Endlich keine deutsche Mutter mehr, die sich nur von sentimentalen Gefühlen leiten ließe. Doch die poltische Welt ist keine Maschine, die von Naturgesetzen bestimmt wird. Merkel verwaltet das irdische Chaos, solange es im sündigen Fleisch ist und vom vollkommenen Gottesstaat noch nicht abgelöst wurde. Als Lutheranerin ist sie Anhängerin der augustinischen Aufspaltung der Welt in ein unsichtbares Gottesreich und in den weltlichen Staat als Reich des Bösen.

„Der irdische Staat erscheint in der augustinischen Darstellung teils als gottgewollte Ordnungsmacht, teils als ein von widergöttlichen Kräften beherrschtes Reich des Bösen“.

Wenn vernünftige Politik an fortschreitender Humanisierung der menschlichen Lebensbedingungen erkennbar ist, kennt Merkel keine rationale Politik. Politisches Handeln ist für sie unvermeidliche Anpassung an eine unverbesserliche Welt: staatliches Bekämpfen des übermäßigen, alle normalen Verhältnisse sprengenden Bösen bei gleichzeitiger Duldung des als normal und durchschnittlich anerkannten Bösen.

Zum letzteren gehört die naturzerstörende Wirtschaft, die den Menschen das Ende von Not und Elend verspricht, sie in Wahrheit aber ins Elend des Verhungerns, der

Ohnmacht und totalen Abhängigkeit von wenigen Weltgiganten stürzt.

Vernunft ist für Merkel eine mathematische und naturwissenschaftliche Instanz. Mit Lebensgestaltung hat diese rechnende Experimentiermaschine nichts zu tun. Insofern die Welt schlecht ist, kann der sündige Mensch sie nicht verändern. Das bleibt dem Schöpfer vorbehalten.

Als neugeborenes Mitglied der Kirche ist der Mensch gerecht, als Bürger der Zivilgesellschaft bleibt er Sünder. Simul justus et peccator, zugleich gerecht und sündig. Gelegentlich eine Prise Barmherzigkeit, die mit weltlichen Gesetzen und demokratischen Regeln unvereinbar sein müssen. Denn sie sind Interventionen von Oben, die alles Weltliche sprengen.

Parlament und Gesetze werden von Merkel mit Absicht negiert, denn ihre Nächstenliebe muss in das Reich des Bösen einschlagen wie ein Blitz in den morschen Baum. Ansonsten gilt: das durchschnittliche, von Gott verordnete Maß des Bösen muss sorgfältig bewahrt werden. Denn es ist die Strafe für den Sündenfall der Menschheit.

Eine christliche Partei ist eine konservative: das von Gott verordnete Maß an Verwerflichem muss bis zum Tag des Gerichts bewahrt und beschützt werden. Zu dieser statischen Sünden-Konservierungspolitik gibt es keine Alternative. Gebet dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist. Hier ruht der Glaube Merkels an ihre alternativlose Durchlavierungspolitik zwischen unerlässlichem Bodensatz des Bösen und einem eschatologisch vertretbaren Maß an vorausgenommener Garten-Eden-Politik.

Zum ersten Mal, dass die Pastorentochter nach einem langen Vor- und Probelauf sich an das heilsgeschichtliche Finale ihrer politischen Laufbahn heranwagt. Daher ihr ungewohnter Durchmarschton. Right or wrong: ihr Himmelreich. Ob demokratisch, gesamteuropäisch oder nicht: es geht um den Zieleinlauf in das vorweggenommene goldene Jerusalem. Merkels Gesinnungspolitik hat es satt, mit der Welt Kompromisse zu schließen. Jetzt, am Ende ihrer Laufbahn, die zugleich deren Krönung sein soll, will sie es wissen.

Die Frau, die der sozialistischen Planwirtschaft entkam, hasst alle planvolle und vorausdenkende Politik. Sie improvisiert, wurstelt sich durch in der civitas terrena (dem irdischen Staat) und wird gesinnungsstarr in der civitas dei (dem Gottesstaat).

In Berlin wird keine Politik betrieben. Nachhaltige Hausaufgaben bleiben unerledigt. Die Probleme türmen sich, außer Bekenntnisformeln ist von Merkel nichts zu hören. Die globalen Konflikte wachsen in den Himmel, Europa zerfällt – Merkel aber pries noch vor kurzem den exquisiten Zustand der EU.

Wie sieht es wirklich in der Welt aus?

„Ökonomisch – seit Mitte der Neunzigerjahre folgt eine markterschütternde Krise auf die nächste, von Mexiko bis China. Politisch – Konflikte zwischen Staaten, Terror, Krieg und Bürgerkrieg nehmen zu. Die Zahl der bewaffneten Auseinandersetzungen ist auf historisch hohem Niveau und steigt weiter an, hat das Institut für Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Uppsala ermittelt.

  • Terroranschläge in Metropolen wie Paris, Istanbul oder Jakarta zeigen die Verletzlichkeit der modernen Welt.
  • In Syrien tobt der Krieg mit unverminderter Brutalität und setzt Millionen verzweifelter Flüchtlinge in Bewegung.
  • Zwischen Saudi-Arabien und Iran steigen die Spannungen.
  • Der Konflikt zwischen Russland und dem Rest Europas um die Ostukraine ist keineswegs gelöst, sondern nur eingefroren.
  • Im südchinesischen Meer ringen China, Japan und andere Anrainerstaaten um Vorherrschaft und Ressourcen.
  • Selbst innerhalb der EU gibt es inzwischen ernste Zweifel, ob sich die Gegensätze zwischen den Mitgliedstaaten noch überbrücken lassen; gerade erst warnte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor einer Kettenreaktion – vom Ende der offenen Grenzen in Folge der Flüchtlingsströme bis zur Kernspaltung des Euro.

Die Globalisierung schafft nämlich nicht nur ihre eigenen Gegner – sie bedroht sich am Ende sogar selbst.“ (Manager-Magazin.de)

Vier Firmen haben die Herrschaft über die Welt übernommen: Google, Apple, Facebook und Amazon (GAFA):

„Die Firmen mit den besten Innovationen und klügsten Ideen haben die Führung übernommen. Das Börsenranking spiegelt damit eine Art Schumpeter-Zeitalter, in dem die schöpferische Zerstörung den Takt vorgibt. Der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter lenkte mit seinen Gedanken der steten Unordnung bereits vor 100 Jahren die Aufmerksamkeit auf die Innovation. Heute stehen gerade jene Firmen für Stabilität, die sich fortwährend weiterentwickeln und so die schöpferische Zerstörung zum eigenen Leitmotiv machen.“ (WELT.de)

Die Konzentration des globalen Reichtums wird immer gespenstischer.

„Soziale Ungleichheit nimmt weltweit immer schneller zu. Wie dramatisch das ist, zeigt eine Zahl der Organisation Oxfam: Die 62 reichsten Menschen besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung – und der Trend hält an. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird in nahezu jedem Land der Welt immer größer. Die Geschwindigkeit, mit der das geschieht, überrascht aber auch Experten. Vor einem Jahr sagte die Nichtregierungsorganisation Oxfam voraus, im Jahr 2016 werde das reichste Prozent der Weltbevölkerung, also rund 70 Millionen Menschen mehr besitzen als die restlichen 99 Prozent (rund sieben Milliarden Menschen) zusammen.“ (SPIEGEL.de)

Die Flüchtlingswelle, unter der Europa bereits stöhnt, beginnt erst, sagt IWF-Chefin Lagarde. Manche sprechen von 60 Millionen hilfesuchenden Menschen weltweit.

„Die Französin geht davon aus, dass der Zustrom von Flüchtlingen nach Europa im Jahr 2016 weiter anhalten wird. Wenn die Friedensverhandlungen erfolgreich verliefen, könnte sich die Zahl aus den betreffenden Ländern Syrien, Afghanistan, Pakistan verringern. Sollte das nicht klappen, erwartet Lagarde, dass noch mehr Menschen kommen werden. Auch aus Afrika, wo sie gerade Kamerun und Nigeria besucht hat.“ (Süddeutsche-Zeitung.de)

Von den Folgen der ökologischen Naturverwüstung haben wir bei alledem noch gar nicht gesprochen. Merkels Machtpolitik mit wirtschaftlichen Brutalomethoden und nächstenliebender Zwangsbeglückung zerlegt die EU in ihre Bestandteile. Die Beziehungen zur Türkei sind ein unerträgliches Gemisch aus Verachtung der Muselmanen (keine Chance für die Türkei, in der EU aufgenommen zu werden) und Angewiesensein auf Erdogans Hilfe beim Zurückhalten der Flüchtlingsmassen.

Die größte Schande ist der ehrlose Kotau Merkels unter Netanjahus menschenfeindliche Hasspolitik gegen die Palästinenser. Wenn selbst Peres seine Regierung aufs schärfste kritisiert – ohne dass es in Deutschland zur Kenntnis genommen wird, müsste er nach der Logik selbsternannter Antisemitismus-Wächter ein selbsthassender Jude sein, wie alle selbstkritischen Israelis à la Uri Avnery, Gideon Levy und viele andere. Merkel maßt sich an, den Satz zu praktizieren; wer ein guter Jude ist, bestimme ich. Israel wird nicht als Freund behandelt, der Kritik als notwendig und förderlich aufnimmt, sondern als arroganter Staat, der die ganze Welt durch dünkelhafte Unfehlbarkeit gegen sich aufbringt. Wäre Israel genau so, wie Merkel das immer orthodoxer werdende Land mit Zähnen und Klauen verteidigt, wäre es zu Recht eines der unbeliebtesten Länder der Welt.

„Israel baut auf einer moralischen Verpflichtung auf. Diese moralische Verpflichtung lautet, dass wir kein anderes Volk regieren. Wir können uns ja kaum selbst regieren – das sollten wir aber. Aber Israel kann nicht in seiner eigenen Welt leben. Es kann sich nicht abschotten. Es gibt keinen Platz für diskriminierende Politik. Ich denke, es kann noch eine Weile so weitergehen. Aber es wird sich ändern. Es gibt auch hier eine große Unzufriedenheit, wenn die Lebensbedingungen sich verschlechtern. Die Menschen fragen sich: Kann unsere Regierung Terror verhindern? Nein. Schließt sie die soziale Lücke? Nein.“ (SPIEGEL.de)

Deutschland ist in besonderer Weise verpflichtet, die Überlebensfähigkeit Israels zu unterstützen. Das ginge nur mit konsequenter Menschenrechts- und Friedenspolitik. Merkel betreibt das schändliche Gegenteil und sieht emotionslos zu, wie der junge Staat sich von aller Welt isoliert und ins Verderben rennt. Eine bedingungslose Loyalität ist das Gegenteil von Loyalität. Loyal ist, wer den Freund rückhaltlos kritisiert – um seine Lebensfähigkeiten zu verbessern und seine Beliebtheit unter den Menschen zu stärken.

Die gesamte deutsche Medienlandschaft unterstützt per german feigheit die Merkel‘sche Beschädigung des Andenkens an den Holocaust. Das selbsthassende Simon-Wiesenthal-Zentrum nennt die EU an dritter Stelle antisemitischer Organisationen. Bodenlos die Erwähnung Jakob Augsteins in der Kategorie „unehrenhafte Erwähnung“ wegen seiner überfälligen Kritik an Israels Gaza-Besetzung. Kommentarlos druckt die WELT den abscheulichsten Artikel des letzten Jahres:

„Der Islamische Staat rangiert auf Platz zwei, gefolgt von der Europäischen Union – weil diese entschieden habe, dass Waren von den Golanhöhen nicht mehr als „Made in Israel“ ausgezeichnet werden dürfen.“ (WELT.de)

An allen aufgezählten Versäumnissen, Krisen, Gefahren, Defekten und Verfallserscheinungen der deutschen Politik ist die Kanzlerin als mächtigste Frau der Welt die Hauptschuldige. In den Augen ihrer anbetungswilligen Fans aber ist sie in allem unschuldig. Sie hat den Gipfel ihrer Gottähnlichkeit erklommen. Gott hat alles Gute erschaffen, das Böse ist Frucht der Menschen und des Teufels. Dank ihrer guten Beziehungen zu Franziskus darf sie nun als erste protestantische Madonna heilig gesprochen werden.

Deutschland ist in einer regressiven Frömmigkeitsstarre versunken. Ohne das liebe Jesulein läuft nichts mehr in der Republik, für die das Fremdwort Laizismus ein Ekelbegriff geworden ist. Merkel nähert sich dem romantischen Gedanken einer europäischen Union auf religiöser Basis.

Für die katholischen Romantiker sollte sich Europa im Sinne des Vatikans erneuern. Adam Müller, Chefpropagandist unter den deutschen Verehrern Roms, wendete sich gegen eine rationalistisch begründete Friedenskonstruktion auf dem Gleichgewicht aller Mächte. „Christus, dieser eine im Mittelpunkt der Weltgeschichte stehende Mittler“, ist für Müller, „der einzig wahre Universalmonarch.“ Religion müsse Basis und Garant der europäischen Einheit sein. (zitiert in „Europa, Analysen und Visionen der Romantiker“, herausgegeben von Paul Michael Lützler)

Die Gegenposition zu Müller und Novalis bezog Heinrich Heine in seinen Englischen Fragmenten, wo er gegen den Großpfaffen von Rom wetterte, der die Geister einkerkere. Nicht das Mittelalter ist für Heine das Modell einer besseren Zukunft, sondern die Französische Revolution, die für Adam Müller der Grund allen Übels war.

Wie sehr nüchternes und wissenschaftliches Denken bei deutschen Medialen und Gelehrten abhanden gekommen ist, zeigte eine Phönix-Runde mit ARD-Frontmann Roth und Historiker Münkler. Roth will die überhitzten Debatten durch Rekurs auf Tatsachen versachlichen. Das Hantieren mit belasteten Begriffen sollte eingeschränkt werden. Als ob es nackte Tatsachen gäbe, die ihre Einschätzung auf der Stirne trügen. Tatsachen müssen von Menschen bewertet, unklare Begriffe geklärt und nicht geschreddert werden.

Der Wiener Positivismus der vorletzten Jahrhundertwende ist die neueste Errungenschaft der heutigen Journalistik. Sie sind auf dem qui vive, die alerten Weltkundigen, die am liebsten Tatsachen sammeln würden, ohne einen einzigen Gedanken zu verschwenden.

Journalisten betrachten sich gern als Beobachter der Ereignisse ohne subjektive Interessen. Bei Anne Will behauptete Stefan Aust, ohne mit der Wimper zu zucken: ich bin Journalist, ich will nix. Nix heißt nihil. Demnach wären Journalisten beobachtende Nihilisten – ohne das geringste Interesse an einem guten und gelingenden Leben.

Münkler propagierte gar vollmundig eine „Kontingenz-Akzeptanz“, auf Deutsch: Kausalitäten sollten aus der Geschichte verbannt, der Zufall wieder zu Ehren kommen. Was bedeuten würde, Schuldige sind per Ursachenforschung nicht mehr zu ermitteln. Gibt es keine Schuld, gibt es auch keine Verantwortlichen mehr.

Die deutschen Historiker schaffen das autonome Subjekt ab. Zufall ist alles, Ursachen sind Schall und Rauch. Münkler, ebenfalls auf der Höhe der Zeit, wiederholt Humes Attacke gegen die Kausalität. Kausale Ketten könne der Mensch nicht erkennen, behauptete der Freund von Adam Smith. Alles sei nur Gewohnheit und Übereinkommen.

Damit wird der Natur die gesetzmäßige Verlässlichkeit genommen. Die Menschen werden zu unerkennbaren und unberechenbaren Willkürwesen. Bertrand Russell wirft seinem Landsmann vor, die Vernunft der Aufklärung untergraben zu haben: „In Humes Philosophie kommt der Bankrott der Vernünftigkeit des 18. Jahrhunderts zum Ausdruck.“ (Die Philosophie des Abendlandes)

Gibt es keine Erkennbarkeit der Naturgesetze oder gesetzesähnlicher Verhaltensregeln der Menschen, kann nur noch der Gott in der Geschichte gesucht werden, der durch unberechenbare Wunder und Interventionen die Geschicke der Menschen entscheidet.

Was muss getan werden, um die jetzige Malaise zu überwinden?

Alle übermächtigen Monopolisten und Großkonzerne müssen sofort zerschlagen werden.

Alle gigantischen Vermögen, die demokratische Staaten unter Kontrolle haben, müssen umgehend zerschlagen, die riesigen Gelder unter Notleidenden verteilt werden. Der Reichtum der Welt gehört allen Menschen.

Warum? Weil es eine europäische Uridee ist, Eigentum allen Menschen zugute kommen zu lassen. Weil Reichtum keine Legitimation besitzt, Macht über Arme und Schwache auszuüben. Wo zeigte sich dies? In der Erfindung der Demokratie.

Demokratie war die einzige, die beste Möglichkeit, Machtunterschiede zwischen Menschen durch Freiheit und Gleichheit auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Der irdische Staat hatte den Menschen die Macht über ihre Geschicke zu verschaffen, die bisherige Macht der Götter sollte gelöscht werden:

„Das Wichtigste aber war, dass sich nach Protagoras die aufsteigende Entwicklung der Menschheit ganz aus deren eigener, durch die Natur in sie gelegter Kraft vollzog, nicht mit der Hilfe kulturfördernder Gottheiten wie Demeter und Dionysos, Athene und Prometheus. Die Staatsordnung erwuchs als notwendiges Erzeugnis aus dem Kampf um die Existenz. Der bloße Egoismus und Individualismus hatte zum Kampf aller gegen alle geführt. Erst aus dieser Erfahrung lernte der Mensch, dass er nicht zum Einsiedler geschaffen sei, und entdeckte in sich selbst seine Veranlagung zur Gemeinschaftsbildung, die ihm die Sicherheit seines Daseins in der Polis verbürgte.“ (Wilhelm Nestle, Vom Mythos zum Logos)

„So alt wie die Demokratie ist in Hellas die feindselige Spannung zwischen arm und reich. Nirgends, soweit wir die Geschichte der Menschheit kennen, hatte sich bis dahin dieser Gegensatz in solcher Klarheit und Schärfe und mit solcher Bewusstheit geltend gemacht, wie seit der Zeit, in der – auf hellenischem Boden – die Gedanken der Freiheit und Gleichheit ihren siegreichen Einzug in das staatliche Leben gehalten, und so auch dem gedrückten und leidenden Teile der bürgerlichen Gesellschaft eine Stimme bei der Erörterung und Entscheidung der allgemeinen Volksgeschicke zugefallen war. Der Gegensatz zwischen arm und reich beherrscht seitdem das ganze politische Leben der Nation. Diejenige politische Richtung, welche sich mit dem demokratischen Gleichheitsprinzip nicht zu befreunden vermag, erscheint als Vertreterin des Interesses der Reichen, der Besitzenden gegenüber der Menge oder den Allzuvielen. Wie sich auf plutokratischer Seite der Gegensatz zuspitzt bis zum furchtbaren Schwur der reichen Geheimclubs, dass man dem Volk grundsätzlich feind sein wolle, so ist auch der Masse längst der Gedanke aufgegangen, dass der Reichtum der natürliche Feind der Freiheit und Gleichheit sei.“ (Robert von Pöhlmann, Geschichte der sozialen Frage und des Sozialismus in der antiken Welt)

„In allen philosophischen Abhandlungen bis in das 17. Jahrhundert hinein herrscht Übereinstimmung, dass Privateigentum nicht als natürlich verstanden werden kann: Keinem Menschen sind äußere Güter angeboren. Alle Menschen werden in eine allen gemeinsame Welt hineingeboren, die als gemeinschaftliches Eigentum der Menschheit aufgefasst wird. Privates Eigentum ist daher immer künstlich und konventionell, d.h. von Menschen eigen-mächtig eingeführt. Ein Naturrecht des Eigentums konnte es nicht geben.“ (Manfred Brocker, Arbeit und Eigentum)

Erst bei Locke entsteht der moderne Begriff des Eigentums. Die ursprüngliche Vernunft gebietet, „daß niemand einen anderen, da alle gleich und unabhängig sind, an seinem Leben und Besitz, seiner Gesundheit und Freiheit Schaden zufügen soll.“

Dann kommt die Wende – durch den neuen Begriff der Arbeit, der unterschiedliches Eigentum begründet. Erst durch Arbeit vermag das solistische Individuum, der – allen Menschen gehörenden – Natur durch unterschiedliche Malocherleistung unterschiedliches Eigentum zu entlocken. Natur an sich ist wertlos, erst menschliche Betätigung verleiht ihr einen Wert.

Der moderne Eigentumsbegriff, der zur Grundlage des Kapitalismus werden sollte, beruhte auf individueller Unterdrückung und Ausbeutung der Natur. Je mehr der Einzelne die Natur auspresste, je reicher konnte er werden.

„Soviel Land ein Mensch bepflügt, bepflanzt, bebaut, kultiviert und soviel er von dem Ertrag verwerten kann, soviel ist sein Eigentum. Durch seine Arbeit hebt er es gleichsam vom Gemeingut ab.“ (Locke)

Der gegenwärtige Neoliberalismus hat den Begriff naturfeindlicher Leistung lohnabhängigen Malochern zugewiesen. Die Superreichen arbeiten nicht mehr im Schweiße ihres Angesichts. Sie verdienen Geld durch Geld, mit dem sie zocken, spekulieren und wuchern. Bei ihnen ist wahr geworden, was Aristoteles für unmöglich hielt: dass Geld Geld hecke. Geld zeugt sich aus Nichts. Geld ist zum Gott geworden, das ex nihilo erfinden und schaffen kann, was ihm gerade beliebt.

Eigentum verpflichtet: das ist eine europäische Grundidee. Wozu? Zum Nutzen aller. Ökonomisch hat Europa seine unsterbliche Seele für EINPROZENT Auserwählte gewonnen, seine rationale Seele für 99PROZENT aller Menschen verloren.

 

Fortsetzung folgt.