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Das Graue III

Hello, Freunde des Grauen III,

Natur ist nicht grau. Ist sie ein Reich der Güte und Liebe? Auf jeden Fall. Ist sie ein Reich der Grau-samkeit? Hier stock ich schon, wer hilft mir weiter fort? Meister Goethe, sag auch mal was – und steh nicht immer tot in deutschen Studierzimmern herum!

„Natur macht alles, was sie gibt, zur Wohltat, denn sie macht es erst unentbehrlich. Ihre Krone ist die Liebe. Sie ist alles. Sie belohnt sich selbst und bestraft sich selbst, erfreut und quält sich selbst. Sie ist rauh und gelinde, lieblich und schrecklich, kraftlos und allgewaltig. Alles ist immer da in ihr. Vergangenheit und Zukunft kennt sie nicht. Gegenwart ist ihr Ewigkeit. Sie ist gütig. Ich preise sie mit allen ihren Werken. Sie ist weise und still. Alles ist ihre Schuld, alles ihr Verdienst.“ (Goethe, Fragment über die Natur)

Noch nicht lange her, dass Naturfilmer nur das Grausame in der Tierwelt zeigten. Krokodile, die Krokodile vertilgen, Löwenväter, die Babys der Rivalen mit einem Prankenschlag erlegen, Schimpansen, die revierfremde Verwandte jagen und zerfetzen. Natur war eine Welt der Bestialität und des Grauens.

Dann schlug die Stimmung um und Natur verwandelte sich in ein Reich elterlicher Fürsorglichkeit, bezaubernder kindlicher Spiele, ja gattungsübergreifender Hilfe und adoptiver Anhänglichkeit. Der Löwe spielt mit der Ziege, Hundemütter säugen artfremde Babys, nach Jahren noch betrauern Elefanten ihre toten Mitglieder, wenn sie den Ort ihres Ablebens kreuzen, Bonobos lösen ihre Konflikte

mit sexuellen Versöhnungstaten.

Mutter Natur mit dem ambivalenten Gesicht: gütig und liebend, erbarmungslos und vernichtend.

Alle Grausamkeiten der gegenwärtigen Menschengattung führen Tierforscher mit lässig-überlegener Geste auf animalische Vorfahren des homo sapiens zurück: Glauben die Fortschrittler wirklich, dass sie die Gesetze der Natur überwinden und ein Reich des naturüberlegenen Geistes gründen können? Natur ist Natur und bleibt Natur. Die Lern- und Veränderungsfähigkeit des Menschen wird überschätzt – so die Zoologen, Verhaltensbiologen und Ethologen. Seine archaische Natur wird der Mensch nie überwinden und gebärde er sich noch so großartig.

Nur merkwürdig, dass dieselben Wissenschaftler die Vorzüge und Überlegenheit der Tiere über den Menschen unter den Tisch fallen lassen. Wenn nicht gerade Supervulkane ausbrechen oder Riesenmeteoriten in Sibirien einschlagen, sind Tiere weitaus überlebensfähiger als Menschen, die sich rühmen können, auch ohne gewaltige Naturhilfe sich gegenseitig auszulöschen.

Ist Natur grausam? Wenn Grausamkeit eine Aggression sein soll, die nicht dem Überleben dient, ist Natur niemals grausam. Natur ernährt sich durch sich selbst. Würden wir uns lediglich von Gras und Beeren ernähren – wären wir dann grausam zur Natur? Nach der jetzigen Formel müssten wir es sein.

Doch wenn Grausamkeit eine Brutalität sein soll, die sich grenzenlos an ihrer eigenen Gewaltausübung ergötzt, kennt Natur keine Grausamkeit. Ihr gegenseitiges Füttern mit sich selbst ist rein funktionell. Oft müssen die Tiere ihr eigenes Leben wagen, um sich ernähren zu können. Kein narzisstischer Triumph leuchtet aus ihren Augen, wenn sie ihre Beute geschlagen haben. Sie töten nicht riesige Herden, wenn sie eine alltägliche Ration für sich und ihre Gruppenmitglieder benötigen. Töten an sich ist für sie kein Lebenszweck. Wenn sie satt sind, können ihre Lieblingsopfer gefahrlos in ihrer Umgebung grasen. Das gegenseitige Auffressen ist nur eine winzige Variante der allgegenwärtigen Sym-biosen: zusammenleben, sich gegenseitig nützen ist das eherne Grundgesetz der Natur.

Was können Menschen von der Natur lernen? Alles, was das Überleben betrifft: wenn sie der Natur zurückgeben, was sie von ihr fordern, können sie solange überleben, solange Mutter Natur ihr Dasein auf Erden nicht durch außerordentliche Maßnahmen beendet. Der Mensch müsste lernen, die instinktive Weisheit der Tiere – ihr Nischenmaß zu akzeptieren – durch Einsicht und Vernunft zu übernehmen. Mag der Mensch auch das einzige Gattungswesen sein, das sein Leben bewusst gestaltet, so bleiben Tiere in der Weisheit ihrer Begrenzung ihm dennoch überlegen.

Sind Instinkte nicht Zwingherren der Natur? Nein, es sind wohltuende Gaben der Natur. „Alles ist ihre Schuld, alles ihr Verdienst.“ Beim Menschen nicht anders. Die bewussteste Kreativität des Menschen bleibt eine Gabe der Natur. Ist der Mensch ein Naturwesen, gibt es schlechthin nichts, was er nicht von der Natur erhalten hätte: das Gute und das Schlechte.

Der Knoten ist theoretisch nicht aufzulösen: durch freie Gestaltungsmöglichkeit kann der Mensch sein Tun bestimmen – auch wenn der freie Wille selbst eine Gabe der Natur ist. Warum Freiheit und Naturverankerung keine Gegensätze sein müssen, wissen wir nicht und werden es nie wissen. Hier hilft nur das praktische Gefühl der Freiheit, das jeden Menschen auffordert, sein Leben bewusst zu gestalten.

Hat man schon irgendwo auf der Welt Gehirnforscher und andere Leugner der menschlichen Freiheit gesehen, die sich passiv dem Nichtstun ergaben, weil sie auf die gebieterischen Impulse höherer Mächte warteten? Ihr eigenes Tun widerlegt ihre calvinistischen Scheinerkenntnisse. Eine Schande für die Gegenwart, dass Naturwissenschaftler, die sich anmaßen, freie Denker zu sein, dreist die Unfreiheit des Menschen predigen. Zuerst stirbt der gesunde Menschenverstand, dann der Mensch, der sich den Parolen jener unterwirft, die den Menschen als Sklaven unbekannter Mächte definieren.

Der Mensch ist der Natur nicht durch übernatürlichen Geist überlegen. Hier haben wir den Urgrund des Geschlechterkampfes. Es gibt keine männliche Überlegenheit über die weibliche Natur. Es gibt keinen männlichen Geist, der die Geistlosigkeit der weiblichen Natur überwunden hätte.

Männliche Schöpfungsreligionen sind die raffiniertesten Erfindungen maßloser He-Männer, die sich als allmächtige Götter allen Seins präsentieren. Ammenmärchen, dass männliche Götter die Natur aus Nichts erschaffen hätten, um sie eines Tages wieder ins Nichts zurückzustoßen. Unsinnig, sich selbst zu preisen, der Mensch sei der Höhepunkt der Evolution. Tiere und Pflanzen sind unsere Geschwister, von denen wir leben und die von uns leben. Wenn wir sie zerstören, zerstören wir uns.

Macht euch die Erde untertan, ist die Selbstermächtigung des Mannes, alle weibliche Natur unter seine Stiefel zu zwingen. Der Feminismus ist unauffindbar geworden, weil er nicht den Mut hatte, den heiligen Kern der männlichen Superiorität zu erstürmen und zu schleifen. Naturreligionen sind Anbetungen der Mutter Natur, die jedwede Anbetung verdient hat. Männliche Schöpferreligionen sind lächerliche Aufplusterungen eines Geschlechts, das den maßlosen Rachen nicht voll kriegen kann.

Von der Natur lernen, heißt nicht, ein fremdes Verhalten wahllos und willkürlich zu imitieren. Wozu schenkte uns Natur den Kopf, wenn nicht, um ihn zu benutzen? Kinder lernen durch Imitation. Imitieren ist kein geistloses Nachahmen, sondern sich inspirieren lassen von überzeugenden Vorbildern. Der Mensch kann von allem lernen, selbst von Mutter Natur.

Warum ist Nachahmen der Natur in Verruf geraten? Weil Natur zu einer minderwertigen Ausschussware degradiert wurde. Die gesamte Neuzeit ist der männliche Versuch, sich vom Vorbild der Natur zu befreien. Der christliche Macho-Geist hat die sündige Natur überwunden. Nach Kant haben sich alle Gedanken vor dem Tribunal einer Vernunft zu verantworten, die der Natur die Gesetze vorschreibt.

„Der Verstand schöpft seine Gesetze (a priori) nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor.“ „Die Ordnung und Regelmäßigkeit also an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht ursprünglich hineingelegt.“ „Der Verstand ist die Gesetzgebung für die Natur.“ „Der Verstand ist selbst der Quelle der Gesetze der Natur, mithin der formalen Einheit der Natur.“

Ersetzen wir Verstand durch Mann und Natur durch Weib, erhalten wir den Stand des gegenwärtigen Geschlechterkampfes. Der Mann schöpft seine Erkenntnisse nicht aus der weiblichen Natur, sondern schreibt sie dem Weibe vor. Die Ordnung und Regelmäßigkeit an den Erscheinungen, die wir weibliche Natur nennen, bringen die Männer in sie hinein und würden sie darin nicht finden, hätten sie sie nicht ursprünglich hineingelegt. Der Männerverstand ist die Gesetzgebung für das Weib. Der Männerverstand ist selbst die Quelle der Gesetze der weiblichen Natur, mithin der formalen Einheit des Weibes.

Männerverstand ist nicht Abbild der Natur, sondern Imitation eines wesenlosen Schöpfers, der die Natur aus seinem Zylinder gezaubert hat. Bei Kant bleibt noch ein letzter Rest an Anerkennung, dass wahre Natur unabhängig vom Menschen sein muss. Doch diese Natur ist unerkennbar. So spricht ein lebenslanger Junggeselle, der von Frauen keine Ahnung hatte. Selbst Freud, der große Menschenkenner, fragte verzweifelt: was will die Frau?

Ein selbstbestimmter Feminismus würde kalt lächelnd antworten: Alles der wahren Natur zurückgeben, das sich der Mann widerrechtlich als illusionärer Schöpfer unter den Nagel gerissen hat.

Gab es bei Kant immerhin noch die unerkennbare Natur als „Ding an sich“ (Weib, du dummes Ding), wischt Fichte solche Zugeständnisse vom Tisch: das männliche Ich setzt in absoluter Macht das Nicht-Ich, die weibliche Natur. Womit klar ist, dass die Frau ein ich-loses Es sein muss. Wo Es war, soll Ich werden, heißt: wo Frau war, soll Mann werden. Der Mann ist Schöpfer der Frau, die es niemals zu einem Ich bringen kann. Das Männer-Ich ist endgültig zu einem allmächtigen Gott geworden, der all seine Ideen in grenzenloser Allmacht „setzen“ – also in Realität verwandeln kann.

Welch ungeheurer Paradigmenwechsel hat im Verlauf der Menschheitsgeschichte stattgefunden. In matriarchalischen Urzeiten – vor der gewaltsamen Einrichtung männlicher Hochkulturen – war die Frau das Urelement des Lebens.

„Die meisten Autoritäten stimmen heute darin überein, dass nicht nur die jetzt noch existierenden Naturvölker, sondern alle Völker der Welt in prähistorischen Zeiten nichts über den Anteil des Mannes am Reproduktionsprozess wussten. Sie nahmen an, dass nur Frauen die göttliche Macht besäßen, Leben hervorzubringen. In den ganz alten Mythologien ist meist eher von einer Schöpferin als von einem Schöpfer die Rede, denn nach den Vorstellungen der Völker der Urzeit konnte Leben nur von der Frau geschaffen werden. Die Männer hielten sich für nicht erforderlich für diesen Vorgang. Frauen nahmen als Gebärerinnen und Erzieherinnen alles Wachsende unter ihre Obhut. Frauen erzeugten die pflanzlichen Nahrungsmittel, sie sorgten für ihre Bevorratung und Verteilung und waren deshalb auch die Besitzerinnen des Landes, das sie für ihren Anbau benutzten. Die Erde wurde durch Frauen wertvoll, und sie setzten sie mit sich selbst gleich.“ (Barbara Walker)

Die paulinische Diagnose der Natur als erlösungsbedürftiges „Geschaffenes“ hat die Neuzeit in technische und politische Realität übersetzt.

„Denn das ängstliche Harren des Geschaffenen wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes. Sintemal das Geschaffene unterworfen ist der Eitelkeit ohne ihren Willen, sondern um deswillen, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung. Denn auch die Kreatur wird frei werden vom Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß alle Kreatur sehnt sich mit uns und ängstet sich noch immerdar.“

Bei Roger Bacon im tiefen Mittelalter beginnt die technische Vision der Eroberung der weiblichen Erde durch die überlegene Kraft des Männlichen. Bei seinem Nachfolger Francis Bacon wird Wissen zur Macht, um das verloren gegangene Paradies in gottgleicher Allmacht zurückzuerobern. Der Mann der Moderne erlöst die minderwertige Natur, indem er sie ausmerzt und durch eine höhere geistige Natur ersetzt. Siehe, Ich mache alles neu, das alte Weibliche ist vergangen.

Solange in Paris diese furchterregenden Geheimnisse des christlichen Glaubens nicht zur Sprache kommen, können die Krankheitssymptome vielleicht notdürftig kuriert, das Übel aber nicht an der Wurzel gepackt werden. Die Wurzel ist der Geschlechterkampf, der die Geschichte der Menschheit seit dem Ende des Matriarchats dominiert. Die Männer in ihrem Allmachtswahn müssen abtreten. Sie sind keine gottgleichen Schöpfer, sondern rasende Vernichter der Natur.

Da es in der Natur keine Verhaltensweise gibt, die es nicht gibt, kann der Mensch durch selektive Wahrnehmung verschiedene Moralen aus ihr ableiten. Wir sprechen von zweierlei Naturrecht.

Wenn griechenhassende Gelehrte der Neuzeit von heidnischem Naturrecht sprechen, das der nächstenliebenden Moral des Evangeliums unterlegen sein soll, kennen sie nur das Naturrecht der Starken. Das Naturrecht der Schwachen, aus dem sich die modernen Menschenrechte entwickelten, wird von ihnen hartnäckig verdrängt und verschwiegen. Wider alle Wahrheit sollen Demokratie und Menschenrechte auf dem Boden der christlich-jüdischen Gottähnlichkeit entstanden sein.

Die Lehre vom naturalistischen Fehlschluss will uns davor warnen, menschliche Moral aus der Natur abzuleiten. Denn Natur habe keine spezifische Moral. Jede Moral sei Erfindung des Menschen und müsse von ihm selbst verantwortet werden. Richtig ist: die Natur lehrt uns keine direkte Moral. Wir müssen – durch Beobachtung der Natur – unsere eigenen Schlüsse ziehen. Diese Schlüsse aber müssen im Einklang sein mit der Natur. Eine hybride Moral, die Natur als verachtenswerte Sklavin des Menschen definiert, kann keine nachhaltige Moral entwickeln.

a) Das Naturrecht der Starken: Der griechische Wanderlehrer Gorgias lehrte seinen Schülern den Willen zur Macht. „Ausgangspunkt war für ihn das Naturgesetz, dass nicht „das Stärkere von dem Schwächeren gehindert, sondern das Schwächere von dem Stärkeren beherrscht und geführt werde, dass das Stärkere vorangehe und das Schwächere folge“. Nach diesem Vorbild der Natur wollte er jungen Leuten von hervorragender Begabung durch die Mittel seiner Kunst zur unbedingten geistigen Überlegenheit über ihre Mitbürger und damit zur Herrschaft über diese verhelfen. Er konnte nicht sehen, dass das einmal geweckte Machtstreben der überlegenen Einzelpersönlichkeit sich auch gegen die Demokratie wenden konnte, dass damit ein Individualismus zum Prinzip erhoben wurde, der die Grenze des Erlaubten nur in der eigenen Kraft fand. Begreiflich, dass vornehme und kraftvolle Persönlichkeiten die Herrschaft der demokratischen Masse als ein drückendes Joch empfanden, das sie abzuschütteln suchten.“

b) Das Naturrecht der Schwachen: Der Sophist Lykophron erfand die Lehre vom Staatsvertrag, der die Freiheitsrechte jedes einzelnen Individuums garantieren sollte. Diese Freiheit sollte nicht, wie im Naturrecht der Starken, nur starken Persönlichkeiten zugutekommen, sondern jedem Einzelnen. Deswegen verwarf er alle Standesprivilegien. Den Adel erklärte er für etwas Hohles. Er formulierte den apodiktischen Satz: „Gott hat alle Menschen freigelassen; die Natur hat niemand zum Sklaven gemacht.“

Der Protest gegen die Sklaverei begann im sophistischen Naturrecht der Schwachen. Das Beherrschen der Menschen durch Menschen sei widernatürlich. Von Natur aus gebe es kein Sklaventum und keinen Unterscheid zwischen den Menschen. Deshalb sei die Herrschaft der Starken über die Schwachen nicht gerecht und nur die Folge von Gewalt. Naturwidrig erschien ihm auch die gewaltsame Unterdrückung gewisser Menschenklassen durch Gesetz und Brauch, so der von geistiger Bildung und politischer Betätigung ausgeschlossenen Frauen.

Beim Sophisten Antiphon können wir lesen, dass es keinen wesenhaften Unterschied von Hellenen und Barbaren gebe. Von Natur aus seien alle Menschen gleich. Das ergebe sich daraus, dass alles, was für den Menschen notwendig sei, überall das gleiche sei: „Atmen wir doch alle durch Mund und Nase in die Luft aus und essen wir doch alle mit den Händen.“

Die Lehre von der Gleichheit aller Menschen begann im Körperlichen und erweiterte sich auf die seelische Gleichartigkeit der Menschen in ihren Wahrnehmungs- und Denkfähigkeiten. Es war unvermeidlich, dass die Zweiteilung der Menschen in Freie und Sklaven, Hellenen und Barbaren, ja in Männer und Frauen für unberechtigt erklärt wurde.“ (Alle Zitate aus Wilhelm Nestle: „Vom Mythos zum Logos“)

Der Feminismus hat es bis heute nicht verstanden: die Gleichberechtigung der Frau begann in der griechischen Uraufklärung.

Die christliche Moral machte aus dem Entweder-Oder der beiden griechischen Naturrechte ein logisch unverträgliches, dialektisch verrührtes Sowohl-Als-Auch. Das scharfe Schwarz-Weiß der Griechen verschwamm zum Einheitsgrau einer antinomischen Gottesmoral, in der den Gläubigen alles erlaubt und nichts verboten war. Gott ist in den Schwachen mächtig. Die Ersten werden die Letzten sein. Die Ersten sind die Starken, die Letzten die Schwachen. Gott macht die Schwachen zu Starken. Auf Erden schwach und niedrig, im Jenseits Sieger der Heilsgeschichte. Auf Erden stark und mächtig, im Jenseits ewig bestraft durch höllische Feuer.

Der strenge Dualismus zwischen irdischer Erniedrigung und jenseitiger Erhöhung wurde im Verlauf des Abendlandes zur irdischen Politik der Erhöhung der Gläubigen zu Herrschern der Welt. Das verheißene Jenseits wurde zum irdischen Christenstaat, der die Welt nach Belieben beherrschen sollte.

Die Erniedrigten und Beleidigten wollten nicht warten, bis sie gestorben waren, um den Zustand der Glorie zu erleben. God’s own country wurde zur führenden Nation der Welt, die immer fanatischer daran geht, den Endkampf gegen das Böse zu vollenden, auf dass Gott alles in allem sei. An diesem Punkt der christogenen Weltpolitik stehen wir.

Das Christentum ist die Moral des Grauen, in der das Schwache stark, das Starke schwach sein soll. Das wahre Entweder-Oder wird erst im Jenseits offenbar. Solange sie auf Erden wandeln, sind die Schwachen in Wirklichkeit die Starken, die Starken in Wirklichkeit die Schwachen. Solch irdische Rosstäuschungen durch Grau in Grau sollen die wahren Ewigkeits-Verhältnisse bemänteln und vertuschen.

Der Mensch sieht, was vor Augen ist: das Graue und Unerkennbare irdischer Verhältnisse. Doch Gott sieht das Herz an: das futurische Entweder-Oder des himmlischen Dualismus. „Denn wir sehen jetzt nur wie mittels eines Spiegels in rätselhafter Gestalt, dann aber von Angesicht zu Angesicht.“

 

Fortsetzung folgt.