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… zum Logos XXXIII

Tagesmail vom 16.02.2022

… zum Logos XXXIII,

Neuanfang?

Dann hören Sie mal folgende Sätze:

„Der Sozialstaat führt letztlich in den Ruin, entmündigt seine Bewohner und verursacht unsoziales Verhalten. Im Ergebnis verschlimmert er die Zustände, die er bekämpfen will. Deshalb sind die Tage des Sozialstaats gezählt, auch wenn er derzeit noch so viel Befürworter hat. Der Sozialstaat bekämpft immer verzweifelter die Probleme, die er selbst verursacht hat. Der Sozialstaat ist Schuldenstaat, der die versprochenen Leistungen künftigen Generationen nicht mehr auszahlen können wird. Der Sozialstaat ist Obrigkeitsstaat. Der Sozialstaat verdirbt die Menschen, indem er unsoziales Verhalten fördert. Umverteilung ist nur möglich, indem man Menschen die Früchte ihrer Arbeit wegnimmt. „Soziale Gerechtigkeit“ ist undefinierbar und hängt stets vom Standpunkt des Betrachters ab. … weil auch unsere freiheitlich-demokratischen Verfassungen etwas sind, das nach dem Zivilrecht aller Staaten unzulässig wäre: nämlich Verträge zu Lasten Dritter. Menschenrechte sind daher Abwehrrechte gegen den allmächtigen Staat. Faktisch hat man die Menschenrechte in ihr Gegenteil verkehrt. Anstatt sich auf die Abwehr- und Freiheitsrechte zu beschränken, wurden von Wohlmeinenden sogenannte Teilhaberechte konstruiert, wie das Recht auf Arbeit, das Recht unentgeltlicher Bildung, das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein mit Wohnung, Kleidung, ärztlicher Versorgung, „befriedigender Entlohnung“ usw. Es fehlt völlig der Blick dafür, dass diese Rechte nur auf Kosten Dritter und nur durch einen allmächtigen Staat geltend gemacht werden können. Es gibt in einer Demokratie schlicht keine ausreichenden Anreize für Politiker, vernünftig zu handeln. Es bedarf weder der Berufserfahrung noch des Fachwissens, wenn Moral das wesentliche Kriterium ist. In der Politik demokratischer Staaten müssen zu Friedenszeiten zudem keine messbaren Ergebnisse erzielt werden, der Eindruck von entschlossenem Handeln reicht aus. Die Magie des Eigentums verwandelt Sand in Gold.“

Herr Pflaume, vom wem sind diese Sätze? Wer weiß denn sowas?

Von einem gewissen Titus Gebel (niedergeschrieben in seinem Buch „Freie Privatstädte“), einem Gesinnungsgenossen aus dem elitären Weltveränderungsklüngel um Peter Thiel, jenem milliardenschweren Aktivisten (der die Demokratie zerstören will), den Mathias Döpfner eifrig unterstützt, obgleich er sonst Zeter und Mordio schreit gegen alle parteilichen und geifernden Moralaktivisten, die, im Namen einer überlegenen Gesinnung, jakobinische Gesinnungsdiktaturen errichten wollen.

Sätze, die das Zerstörungspotential der neoliberalen Gründerväter Hayek & Co weit übertreffen.

Eine putzige Geschichte, die das Buch berichtet, kann nicht unterschlagen werden. Roger Köppel, einst Chef der WELT, berichtet von seinen Erfahrungen mit der Heiligen der Deutschen:

„Ich kann mich gut an ein Abendessen erinnern, als wir die Kanzlerin auf ihre Spitzkehren ansprachen. Sie entgegnete nur: „Wenn ich Deutschland nach den Rezepten Ihrer Wirtschaftsredaktionen regiere, werde ich abgewählt.“

Ist es nicht vorbildlich, wenn eine Politikerin den gefühlten, demoskopisch gestützten Mehrheitsmeinungen folgt?

Es ist die Perversion der Demokratie, wenn man wechselnde Stimmungen als alternativlose Direktiven betrachtet, obgleich man sie für falsch hält. Hier müsste man dem Volk widersprechen, mit ihm in den Clinch gehen und den Versuch unternehmen, eine Mehrheit mit Argumenten zu überzeugen. Gelingt das nicht, hat man abzutreten. Die Kunst des Rücktritts, sei es aus Versagen, sei es aus mangelnden Überzeugungen, ist verloren gegangen.

Wie oft wurde Anführern widerspenstiger Bewegungen der Vorwurf gemacht, sie seien Populisten, weil sie den Meinungen des Plebs folgten, um die politische Macht zu erringen.

Zugleich übersahen die Medien, dass ihre Kanzlerin die geschickteste Populistin war, die einer Mehrheit folgte, deren Meinung sie gar nicht teilen konnte – denn sie hatte keine. Spärliche Überzeugungstaten genügten, um den Anschein einer aufrechten Protestantin zu demonstrieren.

Zwei Almosen- und drei Gesinnungstaten unter 1000 inhumanen und Mitläuferdelikten – und du hast das Image einer aufrechten Deutschen.

Döpfner bewundert die Peter-Thiel-Aktivisten, obgleich er die Aktivisten der Klimaretter etc. nicht genug verabscheuen kann. Wie die Journalisten herabschauen auf die Aktivisten, denen sie in tatenloser Objektivität weltweit überlegen sind. Sich aktiv betätigen an der Rettung der Welt: was für eine parteiische Distanzlosigkeit. Was heißt objektiv sein? Gefühllos zuschauen, wie die Welt Ade sagt.

Aus demselben Grund konnte Baerbocks Wahl einer Greenpeace-Aktivistin als Mitglied ihrer Regierung nur mit Abscheu kommentiert werden. Ein neoliberaler Wirtschaftsweiser als Einflüsterer der FDP-Regierungscrew hingegen ist eine Wahl vom Feinsten.

Offensichtlich gibt es nicht nur Lobbyisten materieller Interessen, sondern – viel schlimmer – Lobbyisten der Klima- und Naturschützer, der Menschen- und Weltrettung. Was sind handfeste, mit beiden Beinen auf dem Boden stehende Egoisten, verglichen mit weltfremden, platonisch-faschistischen Utopisten?

Demnächst werden Wahrheits-Lobbyisten auftreten, die, ohne schamrot zu werden, sich als Retter der Menschheit aufspielen.

Ausgenommen sind stets religiöse Utopisten und Erlöser, die sogar ihr Leben für die Rettung der Menschen geben – und dennoch keine Lobbyisten ihrer messianischen Taten sein können. Moralischer Utopismus ist schrecklich, Fortschrittsutopismus ein Segen für die Menschheit.

Die endlosen Widersprüche der Moderne sind Schlingen, in denen sie sich freiwillig erdrosselt, um sich als Opfer der Geschichte zu empfinden.

Was einst Engagement hieß, ist zur schnöden egoistischen Interessenarbeit verkommen. Wahrheits-Lobbyismus? Naturrettungs-Lobbyismus? Humanitäts-Lobbyismus? Kann die Welt noch tiefer sinken?

Der Einsatz der Thiel-Aktivisten für die Zerstörung von Demokratie und Erde hingegen ist nicht im Geringsten eine parteiliche Unterstützung für eine edle-und-reiche Minderheit, sondern nichts als das Ergebnis von Angebot und Nachfrage. Reiche machen die besten Angebote – die sie sich mit kapitalkräftigen Nachfragen selbst abkaufen.

Der Neoliberalismus der Hayekianer und Milton Friedmanner hat sich längst übertroffen und alle Kinderkrankheiten abgeschüttelt. Nein, neoliberales Dogma ist nicht mehr die Selbstregierung der Menschheit mit Hilfe ökonomischer Gesetzmäßigkeiten. Das waren kindische Restbestände aus den Zeiten der Aufklärung.

Der wahre Neoliberalismus ist die demütige Hingabe der Menschheit an Zeit und Zufall, die majestätischen Umschreibungen eines himmlischen Herrn, der für die Seinen ein gnädiger, für die Verworfenen ein schrecklicher Gott ist.

„In dem Glauben, dass Ökonomen die Kenntnis und die Macht besitzen, die Vorgänge in der Gesellschaft ganz nach unserem Gutdünken zu gestalten, werden wir nur Schaden anrichten.“ (Hayek)

Die Menschheit wird aufgefordert, blindlings und wehrlos ins Dunkle und Verderbliche zu marschieren. Wer gläubig ist, wird von einem gnädigen Gott gerettet, den Rest soll der Teufel holen.

Die modernste Version berechenbarer Naturwissenschaft ist die heimliche Regression zur Unberechenbarkeit eines Erlösergottes.

Den Thiel-Aktivisten ist es geglückt, die politischen Grundwerte des christlichen Abendlands – die keineswegs christlich, sondern griechisch sind – zu eliminieren oder ins Gegenteil zu verkehren.

Eine soziale Demokratie ist auf keinen Fall eine Gesellschaft der Freien, sondern eine Despotie der Allzuvielen, die ihre Macht benutzen, um die Reichen im Namen der Gerechtigkeit auszurauben.

Deshalb ist sie auch keine Demokratie, sondern ein autoritärer, ja, absolutistischer Staat. Gebel vermeidet das Unwort Demokratie und spricht fast nur vom Staat, der die Untertanen zwingt, nach seiner Façon selig zu werden.

Gerechtigkeit gibt es keine, denn niemand weiß, was sie ist. Jeder hat seine subjektive Meinung, über die endlos gestritten werden kann. Objektive Argumente sucht man vergebens. Alles, was der Neoliberalismus für Kokolores hält, ist postmodern beliebig; alles, was er für richtig hält, muss objektiv wahr sein.

Nicht Debatten auf dem Marktplatz und in der Volksversammlung, nicht die Wahl der Regierenden und die Abstimmungen in der Volksversammlung entscheiden über die Geschicke der Polis, sondern – Angebot und Nachfrage. Angebot und Nachfrage ist das einzige Zaubermittel zur Entscheidung aller Dinge.

Wer fleißig ist – und das Glück des Tüchtigen besitzt – ist der wahre Freie, der über alles entscheidet. Mit seinen Geldmassen macht er dem Schicksal seine Angebote, denen es kaum widerstehen kann.

Die Schwachen, Unfähigen und Unglücklichen sind die Schmarotzer der Gesellschaft, die ihren Neid und ihre Habsucht als soziale Gerechtigkeitsforderungen deklarieren, um sich den „Seelenfrieden moralisch überlegener Menschen“ zu ergaunern.

Mehrheiten sind nicht die Sprecher der Wahrheit, die es ohnehin nicht gibt, sondern Repressionsinstrumente tyrannischer Vielzuvieler.

In Demokratien entscheiden nicht zählbare und berechenbare Ergebnisse, sondern moralische Stimmungen, deren wankende Elemente alles in den Abgrund ziehen.

Was Thiel-Aktivisten nicht wissen wollen: ihr ganzes System ist haargenau das Naturrecht der Starken in Athen, das erst durch das Volk aus dem Weg geräumt werden musste, damit die Demokratie Wirklichkeit werden konnte.

Ein Vertreter der Starken behauptete frank und frei:

„Wer an der herkömmlichen Moral festhielt, war in seinen Augen ein Schwächling und ein ungebildeter Mensch.“

„Menon huldigt einem Immoralismus, der alle sittlichen Maßstäbe niederreißt.“

„Die schwachen Menschen stellen Gesetze und Bräuche auf, die allein in ihrem Interesse sind. Dadurch wollen sie die stärkeren Menschen, welche die Kraft besäßen, sich mehr Vorteile zu verschaffen als sie, einschüchtern. Als ob es schlecht und ungerecht wäre, mehr Vorteile zu haben als andere. Deshalb nennt man es nach Gesetz unrecht und schlecht, wenn man mehr Vorteile zu gewinnen sucht als die Menge und heißt es Unrechttun. Doch die Natur beweise selbst, Gerechtigkeit bestünde darin, dass der Edlere mehr Vorteile habe als der Geringere und der Leistungsfähige mehr als der Unfähige. Doch in der ganzen Welt gelte: gerecht sei es, dass der Stärkere über den Schwächeren herrsche und mehr Vorteile habe als dieser.
Die Beschäftigung mit der Philosophie sei zwar für die Jugend eine nützliche Übung im Denken. Länger betrieben aber sei sie für Politiker unnütz, ja schädlich. Das Recht der Stärkeren sei hemmungslose Zuchtlosigkeit. Leute hingegen, die der gängigem Moral huldigten, seien Toren und Schwächlinge.“ (in Nestle, Vom Mythos zum Logos)

Bis aufs I-Tüpfelchen dieselben Meinungen und Formulieren heutiger „Freiheitsfreunde“ der WELT-Denker, die unter Freiheit nichts anderes verstehen als egoistische Schikanen, mit denen sie Schwächere düpieren und niedermachen können. Freiheit als autonome Selbstverpflichtung zu einer solidarischen Gemeinschaft ist für sie moralischer Schrott.

Der technische Fortschritt hat‘s bis ins Weltall geschafft, während der „Fortschritt“ der Demokratie den neoliberalen Westen bis in die prädemokratische Steinzeit zurückgeschleudert hat.

Im Vergleich mit der Urdemokratie ist es der neoliberalen Scheindemokratie gelungen, die Maßstäbe Athens ins Gegenteil zu verkehren. Was in stabilen Demokratien als asozial und politunfähig gilt, wird heute, auf den faschistischen Glücksinseln der Reichen, zur eigentlichen Moral. Moralisch ist es, alles, was man sich selbst „erarbeitet“ hat, als sein legitimes Eigentum zu betrachten.

Fragen nach dem Ursprung ihres Reichtums werden in dem ganzen Buch nicht gestellt: wurde er wirklich durch persönliche Arbeit erworben – oder durch Spekulieren mit Geldern an der Börse? Oder gar mit Ausbeuten des Staates selbst? Wie hemmungslos die Konzerne den Staat inzwischen ausnehmen, dem sie doch sonst empfehlen, sich aus allen sozialen Interventionen rauszuhalten, zeigt der folgende Bericht in SPIEGEL.de.

Sind die Schwachen wirklich Versager, die ihr Elend selbst zu verantworten haben – oder Opfer nachteiliger und ungerechter Umstände?

Moralisch ist nur, so die modernen Abschreiber des griechischen Naturrechts der Starken, was man sich selbst erarbeitet hat. Aber: hat das Individuum sich tatsächlich selbst erschaffen, sich freiwillig die Umstände ausgesucht, die ihn zu einem menschenunwürdigen Leben verurteilt haben?

Die Superreichen und Mächtigen planen nicht nur ihre Zukunft im All, indem sie die zerstörte Erde mit den Vielzuvielen hinter sich lassen. Sie gehen auch daran, in sicheren und geschlossenen Territorien – gleichsam wie Glücksinseln über den ordinären Massen – sich ihre Zukunft zu sichern. All dies unter dem Motto der Erlöser: viele sind berufen, wenige sind auserwählt.

Der Weg der Geldherrschaft führt zur Spaltung der Menschheit: wenige Erwählte kommen ans Ziel, die Massen verschwinden im Dunkel der Geschichte.

Das Ende der Demokratie wird hemmungslos propagiert von Medien, die sich als Demokraten ausgeben, aber rücksichtslose Autokraten sind.

Für Erwählte gibt es nur ein Mittel zur Machtbegrenzung der Reichen:

„Als einziges Machtbegrenzungsmittel hat sich nur ein Mittel bewährt: der Wettbewerb.“ Soziale Gesetze zu Lasten der Reichen sind staatliche Raubmethoden, die sich hochmoralisch geben.

Echte Demokratien hingegen sind Meritokratien, bei denen die Besten allein aufgrund ihrer Leistungen ihre Stellungen einnehmen.“

Was für eine verschämte Umschreibung für die Tatsache, dass die Reichen sich die Herrschaft unter den Nagel gerissen haben. Indem man die Schwachen zu Menschen zweiter Klasse degradiert, erhebt man sich selbst zum Alleinherrscher über den Menschen, das degenerierte Tier.

„Es besteht kein Rechtsanspruch auf Aufnahme in die Freie Privatstadt, darüber entscheidet der Betreiber nach seinem Ermessen.“

Just diejenigen, die demokratischen Humanisten vorwerfen, unter dem Mantel der Moral platonische Beglückungsstaaten errichten zu wollen, propagieren hemmungslos faschistische Paradiese, in denen der Einzelne vollständig von den „Betreibern“ abhängig ist. Wer nicht spurt, wer die Bedingungen nicht erfüllt, fliegt raus oder wird erst gar nicht akzeptiert. Er muss in der untergehenden Welt der Nichtskönner und Versager der unvermeidbaren finalen Katastrophe in die Hände fallen.

Ist es noch nötig, ein einziges Wörtchen über die nicht existierende, maßlos übertriebene Klimakrise zu verlieren?

„Die meisten Umweltprobleme sind regional und können somit auch auf regionaler Ebene gelöst werden. Die vorhergesagten Menschheitskatastrophen zu meinen bisherigen Lebenszeiten sind allesamt nicht eingetreten. Es geht den Weltrettern oft nur vordergründig um die Umwelt oder Klima, in Wahrheit geht es immer um Macht über andere Menschen.“

Das Schlussgebet des Titus Gebel:

„Liebe Politiker, liebe Meinungsmacher, liebe Weltverbesserer,
Wir möchten in Frieden und Freiheit leben.
Wir können für uns selber sorgen.
Wir wollen in Ruhe gelassen werden.
Verstehen Sie das nicht?“

Alles Menschliche und Unmenschliche kann man verstehen. Wer aber das Unmenschliche toleriert, wird zum Lobbyisten des Schreckens. Einen Neuanfang mit ihm wird es nicht geben.

Fortsetzung folgt.